Wie abhängig ist der FC Bayern München von Robert Lewandowski?

Lukas Trenner 02.04.2021

Der amtierende Weltfußballer spielt eine Bundesliga-Saison, wie es sie schon lange nicht mehr zu bewundern gab. Den „Für-die-Ewigkeit-Tor-Rekord“ von Gerd Müller im Blick (siehe hierzu auch Spieler des Monats März: Robert Lewandowski), führt er nicht nur die nationale Torjäger-Liste mit großem Abstand an, sondern ist auch in Europa den prominenten Verfolgern inzwischen weit enteilt.

Ein Blick auf Lewandowskis Produktivität im Laufe der Zeit macht nicht nur deutlich, dass seine Torquote beständig zu steigen scheint, sondern zeigt auch die beeindruckende Konstanz des Polen. Seine schlechteste Saison in den letzten sechs Jahren (2018/19) reichte nicht nur für die 7. Meisterschaft in Folge, sondern auch für die Torjägerkanone der Bundesliga.

Hierbei kam es Robert Lewandowski zugute, dass er es schaffte im Laufe der Jahre größere Verletzungsunterbrechungen zu vermeiden. Die größere Gefahr für seine Torrekorde schien immer der Reflex des jeweiligen Trainers, seinen besten Stürmer für das nächste wichtige Spiel zu schonen. Laut Transfermarkt.de fehlte Lewandowski im betrachteten Zeitraum nur 133 Tage verletzungsbedingt. Er stand in keiner Saison weniger als 88% der Bundesligaspielzeit auf dem Platz.

Dies machte es den sportlich verantwortlichen Personen beim FC Bayern schier unmöglich, einen zweiten Stürmer eines ähnlichen Kalibers zu verpflichten, geschweige denn diesen langfristig bei Laune zu halten. So gab sich der FC Bayern wohl oder übel in Abhängigkeit von seinem unverwüstlichen Torgaranten.

Bayerns jüngste Abhängigkeit von einem starken Stürmer

Diese Abhängigkeit zeigt sich in folgender Violinen-Grafik sehr anschaulich. Hier zu sehen ist die Verteilung der geschossenen Tore auf die jeweiligen Schützen des FC Bayern in der Bundesliga. Je breiter die „Violine“ an einer Stelle, desto mehr Spieler befinden sich in diesem Bereich. Die häufige Ausbuchtung rund um die 5%-Marke zeigt somit eine Häufung von Spielern, welche in etwa 5% der gesamt erzielten Tore verantworteten.

So zeigt sich beispielsweise, dass in der Triple-Saison 2012/13 kein Spieler alleine für mehr als 16% der erzielten Tore in der Bundesliga verantwortlich war (Mario Mandžukić schoss 15 der 98 Tore, insgesamt gab es 17 verschiedene Torschützen).

Abgesehen von seiner ersten Saison im roten Trikot, sowie der etwas schwächeren Saison 2018/19, schoss Lewandowski stets mindestens 31% aller Bayerntore. In der laufenden Saison kommt er hier sogar auf einen Wert von 45%.

Aber schießt der auch die „wichtigen Tore“?

Die Was-wäre-wenn-Frage, wie Bayern ohne Lewandowski jeweils abgeschlossen hätte, ist nicht zu beantworten. Zu groß die Unbekannten rund um den möglichen Ersatz, Reaktionen der sportlich Verantwortlichen, etc. Um dennoch eine grobe Indikation des tatsächlichen Impacts eines Spielers geben zu können, lässt sich zumindest die jeweilige Situation, in welcher ein Tor gefallen ist untersuchen. Schießt ein Stürmer stets nur das vierte Tor in 4:0 Siegen seiner Mannschaft, ist sein tatsächlicher Einfluss wohl überschaubar. Betrachtet man nun also die letzten Saisons des FC Bayern und vergleicht diese mit einem hypothetischen Szenario, in welchem Lewandowski keines seiner 197 Tore erzielt hätte, verliert Bayern im Schnitt 12 Punkte pro Saison. In der laufenden Saison sogar 20 der aktuellen 61 Punkte. Dass trotz Lewandowskis großem Toranteil im Schnitt nur ca. 16% der Punkte verloren gingen, ist wohl an der seinesgleichen suchenden Dominanz des Rekordmeisters festzumachen.

Die präsentierten Zahlen legen nahe, dass Lewandowski einen nicht unwesentlichen Anteil am Gesamterfolg des Vereins in den letzten Jahren hatte. Offen bleibt die Frage, ob die Abgängigkeit von einem einzelnen Stürmer ein ungewöhnliches Vorkommnis im größeren Kontext der Bundesliga darstellt. Ziehen wir also andere Stürmer-Verein-Kombinationen der Bundesliga hinzu.

Quervergleich mit anderen Bundesligisten

Hinweis: 2020 bezeichnet die Saison 2020/21 etc.

Um den jeweiligen Stürmer-Beitrag ins korrekte Verhältnis zu setzen, zeigt obige Grafik nun auf der vertikalen Achse die pro Spiel erzielten Tore des Vereins. Auf der horizontalen Achse findet sich wie zuvor die Information dazu, welchen Anteil der Top-Torschütze an den gesamt erzielten Toren des Vereins aufweist. Jeder Punkt stellt hierbei eine Saison eines Bundesliga-Vereins dar. Anders als auf der vorhin gezeigten Grafik, liegt hier der Fokus nur noch auf dem Top-Torschützen.

Vereinfacht gesagt finden sich also im oberen rechten Quadranten alle Vereine, welche überdurchschnittlich viele Tore erzielen und hierbei stark von einem einzelnen Stürmer abhängig sind. Im unteren rechten Quadranten ist die Abhängigkeit zwar ähnlich hoch, der Verein konnte jedoch insgesamt nicht so viele Tore erzielen. Oben links finden sich die Vereine, welche sehr viele Tore erzielen und hierbei nicht von einem einzelnen Schützen abhängig sind.

In dieser Art von Diagramm finden sich die spannendsten Informationen meist an den Rändern und somit in den Extremfällen. Nicht nur durch die farbliche Hervorhebung, springen hierbei die Saisons 2012/13 und 2020/21 des FC Bayern ins Auge

Die unterschiedlichen Gesichter des FC Bayern

Die Triple-Saison 2012/13 und auch noch die erste Saison unter Pep Guardiola 2013/14 fallen durch eine sehr niedrige Abhängigkeit von einem einzelnen Stürmer bei gleichzeitiger herausragender Torquote auf. Mario Mandžukić steigerte seine Beteiligung an Toren von 2012/13 auf 2013/14 von 15% auf 19%. Gleichzeitig konnten 2013/14 jedoch fünf weitere Spieler mindestens 10% der Bayerntore erzielen (Thomas Müller, Arjen Robben, Claudio Pizarro, Franck Ribéry und Mario Götze). Im betrachten Zeitraum gab es überhaupt nur zwei andere Vereine, welche es schafften mindestens sechs Spieler mit mindestens 10% Beteiligung an Toren aufzuweisen (Mainz 2016 und Nürnberg 2012).

Die laufende Saison 2020/21 stellt hier das andere Extrem dar. Die Torquote befindet sich in ähnlichen Sphären (und der FC Bayern auf gutem Weg den Torrekord der Bundesliga zu brechen), der Beitrag des Top-Torschützen ist jedoch unübersehrbar höher. Stürmer mit höheren Anteilen an den Toren des Vereins, lassen sich nur bei einigen Vereinen im unteren rechten Quadranten ausmachen. Die einzigen beiden Stürmer, welche hier in der Lage waren die 50%-Marke zu knacken waren Papiss Demba Cissé 2010 für den SC Freiburg (22 von 41 Treffern) und Theofanis Gekas in der selben Saison für Eintracht Frankfurt (16 von 31 Treffern).

Während diese Art der Betrachtung bereits einige spannende Geschichten zu erzählen vermag, geht doch einiger Kontext verloren. So wird eine hypothetische Situation, in welcher zwei Spieler jeweils 50% der Tore eines Vereines erzielen genauso dargestellt wie eine Situation, in welcher zwar ein Spieler 50% der Tore erzielt, die anderen 50% sich jedoch auf eine Vielzahl von Mitspielern aufteilen. Um diese Fälle genauer betrachten zu können, führt nachfolgende Grafik nun noch eine weitere Metrik ein: den Gini-Koeffizient.

Ungleichheit in der Torverteilung

Hinweis: 2020 bezeichnet die Saison 2020/21 etc.

Der Gini-Koeffizient wird üblicherweise in der Volkswirtschaftslehre herangezogen, um Ungleichheiten (beispielsweise in der Einkommensverteilung) aufzuzeigen. Der Koeffizient nimmt hierbei einen Wert von 0 an, wenn absolute Gleichverteilung herrscht (in unserem Beispiel: jeder Spieler erzielt die selbe Anzahl an Toren). Im anderen Extrem, in welchem ein einzelner Spieler 100% der Tore erzielt, würde der Koeffizient einen Wert von 1 zeigen. Auch wenn die Anwendung hier nicht sämtliche Grundbedingungen erfüllt (so ist es unlogisch anzunehmen der Torhüter müsste die selbe Anzahl an Toren aufweisen wie der Stürmer), ergibt sich hier dennoch ein interessantes Ergebnis.

So springt beispielsweise die Bayern-Saison 2018/19 ins Auge, welche sich bisher einzig durch die eher niedrige Torquote von Lewandowski hervortat. Tatsächlich ist diese Saison jedoch durchaus erwähnenswert, da es insgesamt 18 unterschiedliche Torschützen in den Reihen des FC Bayern München gab. Mehr gab es im betrachteten Zeitraum nur zweimal. Werder Bremen hatte 2007/08 sogar 20 unterschiedliche Torschützen.

Auch die bereits erwähnte Saison des SC Freiburg von 2010/11 muss hier nochmals Erwähnung finden. Mit einem Gini-Koeffizienten von 0.88 und nur sieben unterschiedlichen Torschützen finden sich hier gleich zwei Extreme.

Den niedrigste Gini-Koeffizienten weist Borussia Mönchengladbach in der Saison 2012/13 aus. Mit 17 unterschiedliche Torschützen und mit Luuk de Jong und Patrick Herrmann gleich zwei Top-Torschützen erreichen sie einen Wert von nur 0.51.

Fazit

Der FC Bayern der Saison 2020/21 ist geprägt durch einen starken Robert Lewandowski. Selbst im Quervergleich mit anderen Bundesligisten, gab es in jüngster Vergangenheit nur wenig vergleichbare Fälle, in welchen ein Stürmer einen so hohen Anteil an Toren eines Vereins erzielen konnte.

Dass der einzige regelmäßig zum Einsatz kommende Stürmer einer Mannschaft jedoch viele Tore schießt, sollte niemanden verwundern. In wiefern diese Dominanz also tatsächlich eine direkte Abhängigkeit von einem bestimmten Spieler zeigt, wird der FC Bayern in den kommenden Wochen selbst ergründen müssen, da Lewandowski dem Verein voraussichtlich bis zu vier Wochen verletzungsbedingt fehlen könnte.

So bleibt die Hoffnung, dass nicht die allgemeine Torausbeute, sondern einzig der Gini-Koeffizienz des Vereins in dieser Zeit durch die Abwesenheit von Lewandowski leiden wird.