„Behind the Legend“: Nur PR oder doch viel mehr?
Vorsicht: Diese Rezension enthält einige Spoiler zur Amazon-Prime-Serie „Behind the Legend”.
Was ist es, was Fans am Fußball am meisten vermissen? Vielleicht Ehrlichkeit? Authentizität? Typen wie Jürgen Klopp, Christian Streich oder Leon Goretzka werden von vielen Menschen wertgeschätzt, weil sie authentisch wirken. Weil man ihnen abnimmt, wofür sie einstehen und weil Fans bei ihnen das Gefühl haben, sich mit jemandem identifizieren zu können.
Identifikation und Ehrlichkeit – womöglich sind das zwei Punkte, die Fans mit am meisten berühren. Gerade bei Topklubs wie dem FC Bayern scheinen Momente der Ehrlichkeit abgenommen zu haben. Vielen fehlt es an Nahbarkeit. Während Corona hat sich die Distanz spürbar vergrößert. Leere Stadien, eine Gesellschaft in tiefer Krise und der Fußball, der dennoch mehr oder weniger weiter lief.
Auch deshalb hat sich der FC Bayern zu einem Schritt entschieden, den er vor Corona wohl nie gegangen wäre: Den heiligsten aller Orte zu öffnen. Was in der Kabine passiert, soll auch in der Kabine bleiben, hieß es an der Säbener Straße immer. Doch damit haben sie nun gebrochen.
Geld oder Liebe? Egal, Hauptsache Doku!
Sportdokumentationen liegen gerade hoch im Trend. Spielerporträts und Serien über Fußballklubs wie Manchester City oder Borussia Dortmund, die einen Blick hinter die Kulissen versprechen, gibt es bei Anbietern wie Netflix und Amazon Prime inzwischen zu Genüge. Dass nun eine Serie hinzugekommen ist, die sich mit dem FC Bayern beschäftigt, mag da nur wie eine logische Konsequenz wirken. Doch tatsächlich wollte man genau diese Einblicke eigentlich nie gewähren. Der Klub hatte schon in der Vergangenheit vergleichbare Angebote, die er allesamt ablehnte.
Jetzt aber ist es trotzdem soweit. Die Beweggründe? Schwer zu durchschauen. Vielleicht eine neue, moderner denkende Klubführung rund um Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić. Vielleicht auch fehlende Einnahmen durch die Coronakrise. Beim FC Bayern selbst lässt man darüber hinaus durchblicken, dass die Abwesenheit der Fans zu einem Umdenken geführt habe. Vermutlich spielen all diese Gründe eine Rolle.
Die sechsteilige Serie, die am 2.11. auf Amazon Prime Premiere feierte, begleitet den Rekordmeister in der Zeit vom Champions-League-„Turnier“ in Lissabon bis hin zum Ende der Saison 2020/21, als Cheftrainer Hansi Flick die Bayern verlässt und mit Julian Nagelsmann eine neue Ära eingeleitet werden soll. Wobei der eigentliche Einstieg erst bei der diesjährigen Klub-WM in Doha erfolgt und die Einblicke aus dem Jahr 2020 somit eher oberflächlich sind. Dazwischen werden immer mal wieder Rückblicke in die Vergangenheit eingestreut: Die schlimmsten Niederlagen, die größten Triumphe, die wichtigsten Drahtzieher, die den Verein zu dem gemacht haben, was er heute ist.
Glücksmomente für das Bayern-Herz
Das klingt erst einmal vielversprechend, denn die Zuschauer:innen bekommen tatsächlich seltene Einblicke in den Alltag des Klubs und der Spieler – sei es nach den Spielen oder zur Halbzeitpause in der Kabine, bei Entscheidungen um Verträge, Zukunftsworkshops für die Chefetage oder sogar bei einigen Spielern zuhause.
Wie Choupo-Moting beispielsweise lächelt, als ihm von der Vereinsführung mitgeteilt wird, dass sie seinen Vertrag gern verlängern würden, oder wie Lucas Hernández, Benjamin Pavard und Javi Martínez mit Corentin Tolisso jubeln, als sein Name bei der Bekanntgabe des französischen EM-Kaders fällt – Bayern-Fans muss hier einfach das Herz aufgehen. Diese Momente sind authentisch und ehrlich, teilweise sogar berührend. Dass Kahn zudem offen über psychische Probleme während seiner aktiven Karriere spricht, ist durchaus bewegend.
Als Joshua Kimmich, Robert Lewandowski und Leroy Sané wenige Sekunden nach dem Gewinn des Sextuples noch auf dem Platz darüber diskutieren, warum die Leistung ihnen im Finale der Klub-WM nicht zugesagt hat, wird zudem deutlich, was diese Mannschaft besonders macht. Das „immer weiter” des FC Bayern mag auf viele Beobachter:innen von außen wie reine Selbstinszenierung wirken, aber kleine Szenen wie diese stützen die Argumentation – beispielsweise von Oliver Kahn. Der neue Vorstandsvorsitzende wird auch während der Doku nicht müde, zu betonen, wie besonders die Siegermentalität des FC Bayern ist.
Nicht alles Gold, was glänzt
Und doch sollten auch Fans nicht allzu naiv an diese Doku herangehen. „FC Bayern – Behind the Legend“ wurde vom Verein ko-produziert, heißt also: Es wird nur gezeigt, was der FC Bayern zulässt und abgesegnet hat. Dass es dabei nicht besonders kritisch oder kontrovers wird, überrascht dann auch nicht – im Gegenteil, oft wirkt „Behind the Legend“ inszeniert, glatt und wie Selbstbeweihräucherung. Der Konflikt zwischen Flick und Salihamidžić beispielsweise wird nur angedeutet, aber niemals tiefergehend beleuchtet. Als sich die Vorstandsriege zum Golfen trifft und anschließend über die Zukunft des Klubs mit kleinen Bildchen am Reißbrett philosophiert, wird deutlich, dass diese Doku eben vor allem eines sein soll: PR.
Dass Kontroversen nicht erwünscht sind, wird vor allem beim Rückblick auf die Karriere von Uli Hoeneß deutlich. Einerseits werden seine Erfolge als Spieler, Manager und Präsident des FC Bayern zurecht überschwänglich gewürdigt. Andererseits wird seine Straftat, für die er ins Gefängnis musste, als kleiner Fehler heruntergespielt, aus dem er gelernt habe. Es entsteht eine Heldengeschichte, in der kaum ein kritisches Wort fällt.
Dass das auch anders geht, zeigte zuletzt die Dokumentation „Schumacher” auf Netflix, die einen herausragenden Sportler und einen von vielen verehrten Menschen ausreichend würdigte, ihn in seinen Charakterzügen aber auch kritisch beleuchtete, indem Konkurrenten zu Wort kamen, die ihn von anderen Seiten kennenlernten als die Öffentlichkeit. Auch in der Bayern-Doku kommen Konkurrenten zu Wort: Hans-Joachim Watzke, Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel beispielsweise. Eigentlich eine wunderbare Möglichkeit, um Kontroversen Raum zu bieten. Sie alle wirken aber zahm. Heile Bayern-Welt.
Eine Doku mit Stärken und Schwächen
Dennoch bietet „Behind the Legend“ auch wirklich schöne und überraschende Momente. In einer Episode erzählt Salihamidžić eindrucksvoll und berührend von seiner Kindheit im vom Krieg erschütterten Jugoslawien. Die Abschiede der Klub-Legenden Alaba, Boateng und Martínez werden in der letzten Folge noch einmal in den Mittelpunkt gestellt und humorvolle Augenblicke kommen ebenfalls nicht zu kurz. Keine Erwähnung finden hingegen die Beweggründe für die jeweiligen Entscheidungen, mit einzelnen Spielern nicht zu verlängern.
Viele kritische Themen, die den Klub in den letzten Monaten und Jahren begleitet haben, bleiben gänzlich unerwähnt: Beispielsweise der Rassismusskandal am Campus unter der Führung von Hermann Gerland, dessen Vermächtnis ebenfalls ausschließlich positiv dargestellt wird. Auch die offenkundig nicht immer harmonische Beziehung zwischen Alaba und Boateng einerseits sowie dem Klub andererseits wird allenfalls sehr oberflächlich angerissen.
Eine Stärke der Doku ist wiederum der Teamgeist, der in dieser Mannschaft herrscht, und der in vielen Szenen deutlich zum Tragen kommt, ohne dass es gestellt wirkt. Wenn beispielsweise Kimmich sagt: „Wenn ich die Wahl hätte zwischen Dembélé und einem von euch, würde ich immer einen von euch nehmen. Immer!“, oder Goretzka nach dem verlorenen Champions-League-Viertelfinale gegen PSG: „Man kann es so zusammenfassen, dass ich echt froh bin, in diesem Fall auf der Seite des Verlierers gestanden habe. Für kein Geld der Welt würde ich da tauschen wollen jetzt in dem Moment“ – man nimmt es ihnen ab.
Interessant sind zudem die vielen kleinen Details wie die Arbeit im Reha-Zentrum oder die kleinen Analysegespräche des Trainerteams. In einer Szene wird beispielsweise die Software gefilmt, mit der Spielerdaten analysiert werden. Die Frauenabteilung und der Campus finden nur am Rande der Dokumentation statt. Gerade bei all diesen Themen wäre wohl das Potential für tiefere Einblicke vorhanden gewesen, ohne ein großes Risiko einzugehen. Immerhin: Der Umgang mit Corona wird thematisiert. Den Zuschauer:innen wird beispielsweise gezeigt, wie Thomas Müller während und nach seiner Infektion behandelt wurde, was durchaus interessant ist. So gut wie gar nicht mit aufgenommen wurde indes die eigene Fanszene, die sicher nochmal einen erfrischenden Blickwinkel ermöglicht hätte.
Nur für Fans?
Wer Fan des FC Bayern München ist, wird in dieser Doku wohl aufgehen. Es gibt viele kleine Momente, in denen das Fanherz berührt wird. Auch die Reaktionen in den sozialen Netzwerken zeigen, dass „Behind the Legend” die Zielgruppe erreicht hat.
Es bleibt dann am Ende wahrscheinlich nur die Frage, mit welchem Anspruch man den vermeintlichen Blick hinter die Kulissen wagt. Für Bayern-Fans bedeutet das wohl ca. sechs Stunden lang Unterhaltung und die Bestätigung, dass der Verein, dem sie die Treue halten, trotz des großen Erfolges immer noch familiär geblieben ist. Dass sich – zumindest meistens – alle lieb haben und, wenn es hart auf hart kommt, alle zueinander halten.
„Behind the Legend“ ist aber auf der anderen Seite eine clevere Marketingstrategie, ein Versuch, noch mehr Fans anzulocken und an sich zu binden, sich als internationale Marke zu präsentieren und positionieren. Es wird selbstverständlich kein journalistischer Ansatz gewählt. Aber Journalist:innen sind eben auch nicht die primäre Zielgruppe solcher Dokumentationen.
Wer glaubt, ein Klub wie der FC Bayern würde es dem Umfeld so einfach machen, noch mehr Einblicke in die kritischen Momente der letzten Jahre zu bekommen, ist wohl ein Stück weit naiv. Dass der FC Bayern es aber überhaupt ermöglicht hat, Details aus der Kabine preiszugeben, ist für einen derart konservativ geführten Klub fast schon wieder bemerkenswert. Es mögen harmlose Details sein. Aber es sind welche, die die Mission erfüllt und viele Fans auf der ganzen Welt unterhalten und begeistert haben. Eine Auszeichnung für die beste Sportdokumentation wird „Behind the Legend“ aber wohl nicht erhalten. Dafür ist sie dann eben doch zu glattgebügelt.