Bayern-Rondo: Was für Nianzou gilt, gilt für viele
Die heiße Phase der Saison beginnt – mit einem Auswärtsspiel in Bochum. Am Mittwoch geht es dann weiter in Salzburg, wo das erste K.-o.-Phasen-Duell ansteht. Es sind Wochen, die traditionell über die Bewertung einer ganzen Saison entscheiden können. Auf der Pressekonferenz wirkte Julian Nagelsmann aber locker wie immer und beantwortete die Fragen der Journalist:innen dementsprechend mit aller Gelassenheit.
Beispielsweise wurde er auf Tanguy Nianzou angesprochen, der in dieser Saison noch nicht wirklich zum Zug kam und dessen Entwicklung zu stagnieren scheint. Er hätte alles mögliche auf die Frage antworten können, um dem Thema aus dem Weg zu gehen. Verletzungen, Spielpraxis, junger Spieler – es gibt ebenso nachvollziehbare wie schlicht unausweichliche Gründe dafür, dass der 19-Jährige bisher noch keinen Durchbruch beim FC Bayern hatte.
Und Nagelsmann führte das selbstverständlich auch alles an. „Das hat natürlich auch mit der Spielpraxis zu tun. Da muss man sich auch als Trainer gewisse Dinge anheften“, sagte der Trainer in einem gewohnt diplomatischen Ton. Allerdings müsse die Entwicklung so langsam von ihm selbst angestoßen werden.
Deshalb nahm er seinen Spieler zugleich deutlich in die Pflicht: „Er hat immer wieder Momente, in denen er herausragende Pässe ins Mittelfeld spielt und eine herausragende Spieleröffnung hat“, fing Nagelsmann an, um dann zu erklären, weshalb der Franzose noch nicht weit genug ist: „Aber halt auch immer wieder Situationen, wie nach der Einwechslung in Köln, in denen er haarsträubende Fehler macht. Diese Verlässlichkeit fehlt ihm noch ein bisschen.“
Nianzou-Kritik gilt eigentlich für alle
Diese Passage ist gleich aus mehreren Perspektiven interessant. Denn einerseits kritisiert er einen noch sehr jungen Spieler mit aller Deutlichkeit, ohne ihn dabei an den Pranger zu stellen. Andererseits passt die Kritik gleich auf größere Teile des gesamten Kaders. Auch wenn es hier um Nianzou geht, so könnte das Zitat beispielsweise genauso gut für alle Innenverteidiger des FC Bayern stehen – jeweils in anderen Bereichen. Benjamin Pavard, Niklas Süle, Dayot Upamecano, Lucas Hernandez – sie alle haben in dieser Saison bereits entscheidende Fehlpässe gespielt, oder anderweitig mindestens kleinere Fehler eingestreut.
Hernandez ist unter ihnen noch der Konstanteste, wenn es um die Kernaufgaben eines Innenverteidigers geht: Verteidigen, Bälle erobern, Räume schließen, Gegner ablaufen, Mitspieler absichern – hier ist der Franzose bereits einer der besten der Liga und auch in Europa. Doch im Spielaufbau schwankt er überspitzt formuliert zwischen Welt- und Kreisklasse. Trotzdem ist er der, der am zuverlässigsten agiert. Nur täte es dem Team gut, hätten sie daneben einen Passgeber auf konstant hohem Niveau. So wie Javi Martínez einst passstarke Spieler neben sich hatte.
Süle, Upamecano und Pavard sind in nahezu jeder Partie für mindestens einen Fehlpass verantwortlich, der in einer frühen Phase des Aufbaus nicht passieren darf. Gegen Leipzig spielte Süle beispielsweise in der ersten Halbzeit einen Ball zentral und vertikal durch vier Leipziger, der abgefangen wurde und in einer guten Chance für den Gegner resultierte. Der diagonale Pass zu Müller wäre sinnvoller und aufgrund des Winkels schwerer zu verteidigen gewesen.
FC Bayern hadert weiter mit seinem Spielaufbau
Fehler passieren und sie sind auch beim FC Bayern normal. Aber für das Niveau, auf dem sich die Münchner befinden, ist die Quote zu hoch. Sie ist zwar nicht hoch genug, um statistisch signifikante Unterschiede festzustellen – nur etwas weniger Vertikalpässe, ein paar Meter weniger Raumgewinn im Durchschnitt und ähnliche Passquoten seit der Saison 2017/18. An Zahlen lassen sich die Probleme kaum festmachen. Doch sie sind da und sie kosten den FC Bayern seit einiger Zeit unnötige Gegentore.
Unnötig deshalb, weil die meisten Treffer nicht zwingend aus einer schwachen Defensiv-, sondern eben vielmehr aus einer nachlässigen Ballbesitzleistung resultieren. Passschärfe, Passgenauigkeit und die Anzahl an vertikalen, linienbrechenden Zuspielen suchen in der Bundesliga wahrscheinlich ihresgleichen, aber schon ein Team wie Leipzig bestraft die wenigen Fehler dann doch, wenn sie zu oft gemacht werden. Wie sähe das wohl gegen europäische Spitzenteams aus?
Die große Frage ist eben, wie sehr Nagelsmann daran arbeiten kann, oder ob es letztendlich doch die Spielertypen sind, die im Spielaufbau an ihre Grenzen kommen. Wenn ein Spieler immer mal wieder für einen Fehler gut ist, kann ein Team das auffangen. Sind es aber gleich mehrere, häufen sich die Fehler und auch die Wahrscheinlichkeit für simple Gegentore.
Kleines Handicap?
Dazu zählt selbstredend auch das zentrale Mittelfeld. Einer, der immer wieder in sämtlichen Top-Statistiken in der Kategorie „Passspiel“ auftaucht, ist Thiago. So sehr es den einen oder anderen Bayern-Fan auch nerven mag: Seine Qualität wurde nicht adäquat ersetzt. Joshua Kimmich allein kann das nicht leisten.
Und so berechtigt die Kritik an Alaba und Boateng im Defensivverhalten mitunter war: Ihre jetzt fehlenden Qualitäten im Spielaufbau sind ebenfalls noch nicht aufgefangen. „Noch“, weil die Bayern begabte Innenverteidiger in ihren Reihen haben. Junge Spieler, die sich nach wie vor entwickeln können. In der Champions League könnte das in dieser Saison aber ein kleines Handicap werden.
Aber auch schon gegen Bochum. Die Bochumer spielen mit viel Risiko. Das kann wie im Hinspiel in die Hose gehen, es kann aber selbst die besten Teams der Liga in unangenehme Situationen bringen. Das 1:1 im Dezember gegen Borussia Dortmund ist da ein gutes Beispiel.
Nagelsmann und die Frage: Ist das System ein Problem?
Einher mit der Frage nach defensiver Stabilität geht auch jene nach dem System. Nagelsmann setzte auch gegen offensivstarke Leipziger auf eine 3-2-4-1-Ausrichtung.
Das Mittelfeld-Quartett Kimmich/Tolisso/Sané/Müller bildete hierbei immer wieder eine Raute – je nach Spielsituation in unterschiedliche Richtungen ausgerichtet. Das Ziel war es, die Räume neben der Doppelsechs im Mittelfeld zu bespielen. Und das klappte ziemlich gut. Immer wieder fanden die Bayern Passwege zum sich ballfern anbietenden Müller, der dann diagonale Zuspiele bekam und aufdrehte.
Im Gegenpressing war man zudem im vordersten Drittel druckvoll. Da Tolisso häufig höher agierte als Kimmich, hatten die Bayern teilweise sechs Spieler, mit denen sie den Spielaufbau der Leipziger störten. Das führte zu sehr hohen Ballgewinnen – insbesondere vor dem einen oder anderen Tor.
Problematischer war eben der Spielaufbau. Die Aufbauraute Hernández/Süle/Pavard/Kimmich verschenkte in Summe zu viele einfache Konter, die Leipzig direkt auf die offenen Flügel verlagern konnte, weil Coman und Gnabry nun mal … na ja, sie sind eben keine Außenverteidiger, sondern Flügelstürmer. Und in der Rückwärtsbewegung sind die Wege automatisch weit. Trotzdem weist Nagelsmann zurecht darauf hin, dass sie das im 4-2-3-1 auch sind. Teilweise sichern da sogar noch weniger Spieler ab als mit der Dreierkette. Dementsprechend verteidigt er seinen offensiven Ansatz auch.
Das System erfordert aber allerhöchste Präzision. Präzision, die die Bayern aktuell nicht haben. Das betrifft dann nicht nur die Innenverteidiger, sondern auch den Rest des Teams. 84,9 Prozent Passquote im Durchschnitt sind gut – vor allem wenn man mit so viel Risiko agiert wie die Bayern. Aber für ein derartiges Risiko braucht es mehr. Schon gegen Leipzig hätte die Partie genauso gut 5:4 für die Bayern wie auch 3:3 ausgehen können. Nagelsmann steht deshalb vor der Frage, ob das System für die Spieler des Kaders (noch) nicht geeignet ist.
Bayern Frauen vor richtungsweisendem Spiel
Bei den Bayern Frauen würde ein solches Unentschieden schon ein mögliches Ende der Titelambitionen bedeuten. An diesem Wochenende haben sie aber die große Chance, Wolfsburg die Tabellenführung vorübergehend abzunehmen. Denn deren Spiel gegen den SC Sand fällt wegen zu vieler Coronafälle bei den Gegnerinnen in den Sand.
Die Bayern müssen ihre Aufgabe aber erstmal lösen. Über den SC Freiburg sind schon einige gestolpert. In dieser Saison holten sie schon ein 2:2 gegen Wolfsburg und jüngst ein 2:1 gegen Frankfurt. Im Mittelfeld der Tabelle hinterlassen sie eher einen unscheinbaren Eindruck, aber an guten Tagen ist es für jedes Team schwer, die Defensive des SC zu knacken. Freiburg ist aggressiv, schafft es zugleich aber gut, die Lücken in der eigenen Formation schnell zu schließen. Probleme hatten sie immer dann, wenn Gegnerinnen mit hohem Tempo agierten, beispielsweise häufig verlagerten.
Trotz des 4:0-Erfolgs über Sand sind die Bayern nicht so souverän in das neue Jahr gestartet ist, wie es das Ergebnis erzählt. Sand kam insbesondere im ersten Durchgang zu einigen Kontergelegenheiten. Analog zu den Männern schenkten die Frauen den einen oder anderen Ball leichtfertig her und so wirkte das Duell zwischen den Meisterschaftsaspirantinnen und den fast schon feststehenden Absteigerinnen in einigen Phasen wie eines auf Augenhöhe. Wenn auch nur in wenigen.
Bayern kann vorlegen
Gegen den SC Freiburg werden die Bayern eine Leistungssteigerung brauchen. Gerade im Ballbesitzspiel ist die Elf von Jens Scheuer nicht tempo- und variantenreich genug. Selbstredend ist es schwer, diese Qualitäten nach der Winterpause direkt abzurufen. Zumal es einige Ausfälle gab und gibt. Desto wichtiger ist es aber, den Rhythmus jetzt wieder aufzunehmen.
Scheuers große Aufgabe für diese Rückrunde wird es sein, die Abhängigkeit vom Flankenspiel zu reduzieren. Lea Schüller war gegen Sand nicht gut ins Offensivspiel integriert, viele Angriffe gingen an ihr vorbei. Ihre Einbindung wird aber wichtig sein, um dem Spiel nach vorn mehr Facetten geben zu können.
Mit der Tabellenführung in die dann dreiwöchige Ligapause zu gehen, wäre ebenfalls wichtig – für die Köpfe, aber auch, um dem VfL Wolfsburg zu signalisieren, dass es erneut bis ganz zum Schluss dauern wird, ehe das Rennen entschieden ist. Die Frauen-Bundesliga, sie steht in dieser Saison abermals für Spannung.
Anpfiff ist am morgigen Samstag um 13 Uhr (LIVE bei MagentaSport).