Bayern-Frauen vor dem Umbruch: Rückblick, Durchblick, Ausblick (Teil 1)
Schließlich waren schon während der Saison Claire Falknor und Mana Iwabuchi gegangen. Spanien-Star Vero Boquete hatte im letzten Sommer ihr Engagement in München vorzeitig aufgekündigt. Nun machten auch Identifikationsfiguren wie Vanessa Bürki, Katha Baunach, Nora Holstad und Torgarantin Vivianne Miedema die Tür hinter sich zu.
Um die Gründe für den Wandel im Kader verstehen zu können, müssen wir sowohl die Entwicklung des Vereins betrachten als auch die Perspektive jeder einzelnen der Spielerinnen. In deren Köpfe können wir nicht schauen, aber wir können versuchen, ihre Situationen nachzuvollziehen. Heute starten wir eine kleine Artikelserie zum Stand der Dinge bei den Bayern-Frauen. Teil 1 – Rückblick:
Entwicklung Bayern-Frauen über die letzten drei Jahre
Vor drei Jahren stand man vor einem ähnlich tiefschürfenden Umbruch im Team. Mehr als zehn Spielerinnen verließen den Verein, zehn kamen neu hinzu und mussten integriert werden.
Ziel für die nächsten Jahre war es, die vielen Talente weiterzuentwickeln, ein inneres Führungsvakuum zu füllen, als Mannschaft zusammenzuwachsen und in der Summe die Qualität des Teams so zu erhöhen, dass man als vierte Kraft zum Spitzentrio im deutschen Frauenfußball — Wolfsburg, Potsdam und Frankfurt — würde aufschließen können. Oben mitmischen, vielleicht nochmal den Pokal gewinnen, vielleicht für das internationale Geschäft qualifizieren. So sahen sie aus, die kühnen Träume des Frauenteams des FC Bayern.
Überraschungsmeisterschaft 2015
Von der Deutschen Meisterschaft war da lange nicht die Rede gewesen. Wer hätte ahnen können, dass das junge Team so schnell zusammenfinden würde? Wer hätte prophezeit, dass diese Truppe gleich in der ersten Saison geschlossen konsequent an der oberen Leistungsgrenze abliefert? In welchem Katalog kann man ein natürliches Führungsduo wie Melanie Behringer und Nora Holstad bestellen?
Beide kamen im besten Alter. Holstad wollte sich in der deutschen Liga beweisen. Melanie Behringer war bei einem Top-Verein wie dem FFC Frankfurt nicht immer die erste Wahl gewesen. In München wurden beide als Leistungsträgerinnen gebraucht. Hier durften sie nicht nur Akzente setzen, ihre Erfahrung wurde mit jeder Pore aufgesogen wie von einem Schwamm. Daran wuchsen auch sie.
Vivianne Miedema kam als 17-jähriges Stürmertalent aus den Niederlanden nach München. Ihre Coolness vor dem Tor wurde sofort offensichtlich, aber erst in München entwickelte sie sich zum Vollprofi. Der komplette Kader wuchs über sich hinaus und definierte neu, wo die Leistungsgrenze liegt. Man packte zusammen an. Ein Großteil der Tore waren Jokertore von Vanessa Bürki, Katie Stengel und Eunice Beckmann, die nicht auf der Bank schmollten, sondern volle Kanone einbrachten, was sie hatten, sobald sie gebraucht wurden.
Das Team klickte, die Angreiferinnen knipsten und die Gegner überraschte Trainer Tom Wörle mit einer bis dahin ungewohnten Taktik. Ursprünglich als Gegengift für die Potsdamer Dreierkette entwickelt, setzte Bayern nun ebenfalls konsequent auf ein System mit drei Innenverteidigerinnen, die bei der Abwehrarbeit außen um zwei Wingbacks ergänzt wurden. Die Liga hatte ihre Probleme, dem defensiv stabilen und offensiv kreativen System etwas entgegenzusetzen.
Die Überraschungsmeisterschaft 2015 – erst die zweite der Vereinshistorie nach 1976 – war das Ergebnis des Zusammenhalts eines Teams ohne Stars.
Phase der Konsolidierung
Das Vorstoßen in die Spitze war nun derart optimal gelungen, dass einem vor Schreck die Ziele auszugehen drohten. Doch wer so oberhalb des Erwartbaren agiert, ist für gewöhnlich schnell wieder abgeschmiert. Jetzt wollte man sich festbeißen da oben und das Momentum des Erfolgs dazu nutzen, für den Frauenfußball beim FC Bayern zu werben –– sowohl außerhalb, um neue Zuschauer ins Stadion zu locken als auch innerhalb des Vereins.
Allerdings würde bereits das erneute Abrufen derselben Leistung ein Mammutprojekt werden. Und selbst, wenn das gelänge, wäre ein erneuter Erfolg nicht garantiert. Die Konkurrenz schläft nicht. Fragen Sie mal bei Arsène Wengers FC Arsenal nach, wo Weiterentwicklung stets Stillstand bedeutet, weil die anderen Spitzenteams noch einen Zahn zulegen.
Dazu die internationalen Spiele in der Champions League, die konzentrierte Aufmerksamkeit der angestachelten Jäger, die gestiegenen Erwartungen und der Verlust des Überraschungsmoments der Taktik. Diese Mannschaft brauchte Verstärkung.
Defensiv war das Meisterteam nur schwer zu knacken gewesen. Nur sieben Gegentore mussten die Roten in der Liga kassieren. Für den Kader legte man daher vor allem in der Offensive nach. Drei Talente sollten beim FC Bayern den nächsten Schritt machen. Es kamen die schottische Flügeldribblerin Lisa Evans aus Potsdam, die deutsche Stürmerin Nicole Rolser aus Liverpool und die frisch gebackene deutsche Nationalspielerin Sara Däbritz vom SC Freiburg. Diese Spielerinnen brachten Erfahrung mit, hatten ihr Potenzial angedeutet und wenn sie es erreichen sollten, würden sie auch den Konkurrenzkampf intern verstärken und das Leistungslimit des Teams nach oben drücken.
Dazu gelang den Bayern ein absoluter Top-Transfer. Vom Ligakonkurrenten Frankfurt wechselte die spanische Mittelfeldkünstlerin Vero Boquete an die Isar und sollte den Kader auf die nächste Stufe heben.
Doch die Hinserie über fiel Boquete komplett aus. Die WM in Kanada 2015 hinterließ auch im restlichen Kader ihre Spuren. So fielen auch Mana Iwabuchi und Lena Lotzen lange aus. Sämtliche Widerstände machten sich deutlich bemerkbar im Jahr 1 nach der Meisterschaft. Nichts lief mehr von selbst. Das Thema Champions League hatte sich für Bayern nach dem Blitzausscheiden gegen Twente schnell erledigt — ein Vorteil, wie sich herausstellen sollte.
Sowohl Frankfurt als auch Wolfsburg bestritten das Halbfinale, Wolfsburg sogar das Finale der Königsklasse, und somit waren beide Ligakonkurrenten bis in den Mai 2016 im internationalen Geschäft eingebunden. Potsdam legte ohnehin ein miserables Jahr hin und so gelang den Bayern der zweite Coup. Zum zweiten Mal in Folge holten sie die Deutsche Meisterschaft. Fußballerisch war es wenig überzeugend, aber die Ergebnisse stimmten. Unter Annahme sämtlicher glücklicher Umstände schloss man die Tabelle sogar mit zehn Punkten Vorsprung ab. Ein Wahnsinn.
Der nächste Schritt: Europa
Nun war man endgültig da auf der Landkarte des Frauenfußballs. Zweimal Meister — das kann ja kein Zufall sein. Bayern München. Partys auf dem Rathausbalkon mit Xabi Alonso, Bastian Schweinsteiger, Thiago und Philipp Lahm. Endlich passte das Image des Vereins auch zum Standing des Frauen-Teams. Oder?
Nicht ganz… Ja sicher, man hatte sich Respekt verschafft. Gestandene Nationalspielerinnen wie Verena Faißt, Simone Laudehr und die Niederländerin Stefanie van der Gragt fanden Gefallen an der Idee, in München an der Erfolgsgeschichte mitzuschreiben und kamen zur neuen Saison. Für Talente wie Anna Gerhardt war der FC Bayern ohnehin eine gute Adresse. Doch in Europa hatte man noch niemandem Angst eingejagt. Und mit der Professionalität von Wolfsburg, Paris, Lyon oder den massiv durchstartenden englischen Teams hatte man weiterhin so viel am Hut wie Christian Streich mit dem Hochdeutschen.
Fußballerisch blieb eine Weiterentwicklung des Systems aus. Verletzungspech strich über Wochen zig Spielerinnen aus dem Kader. Phasenweise fehlten sechs Stammkräfte gleichzeitig, was für keine Mannschaft dauerhaft zu kompensieren ist. Und als man sich zur Winterpause mit Fridolina Rolfö verstärkte und sich auf die Rückkehr der Rekonvaleszenten freute, machten erneute Ausfälle einen Strich durch diese Rechnung.
In der Liga punktete man gegen Teams aus der unteren Tabellenhälfte und unterlag in den großen Spielen den Spitzenteams. In den spannenden Märzwochen verloren die Bayern den Anschluss in der Tabelle, schieden gegen Wolfsburg aus dem DFB-Pokal aus und auch in Europa war Schluss. Bereits im Hinspiel gegen Paris waren die Bayern fundamental unterlegen und hatten dennoch mit einem glücklichen 1:0-Sieg die Tür für ein Wunder aufgeschlagen. Doch im Rückspiel machte Paris den Kräfteverhältnissen entsprechend kurzen Prozess. Bereits das Erreichen dieses Viertelfinals ist als riesiger Erfolg zu bewerten.
Den Bayern wurde aufgezeigt, wo in Europa der Hammer hängt und vielleicht konnten ein paar mitgereiste Funktionäre den eklatanten Unterschied zwischen der Frauenabteilung beim FC Bayern und derjenigen eines Top-Clubs erkennen. Schon im Vergleich zu Wolfsburg klafft eine Lücke der Professionalität auf. Vereine wie Paris oder Lyon sind da nochmal eine ganze Galaxie entfernt.
Comeback in der Liga
Es sah diese Saison lange Zeit nicht danach aus, dass der FCB mit der Meisterschaft oder mit dem zweiten Platz, der für das internationale Geschäft qualifiziert, noch mal irgendetwas zu tun haben würde. Wolfsburg und Potsdam würden die Spitzenplätze unter sich ausmachen. Nichts deutete darauf hin, dass eines der Teams einen Durchhänger haben könnte. Und selbst wenn. Selbst wenn… Um noch einmal aufzuschließen, dürften sich die Bayern keine weiteren Fehler erlauben. Woher sollten sie diese Konstanz nach all den Rückschlägen plötzlich nehmen?
Doch Bayern biss sich durch und sammelte Punkt um Punkt. Als sie eine Niederlage gegen Frankfurt zu verkraften hatten, nahm Wolfsburg am selben Tag Potsdam drei Punkte ab. Im direkten Vergleich am vorletzten Spieltag nutzen die Bayern dann diese eine Chance und verwiesen Turbine auf den dritten Platz. Ganz spät. Entsetzlich spät. Aber nicht zu spät steuerte Vivianne Miedema dann im letzten Spiel gegen Essen die entscheidenden Treffer bei, um den Tabellenstand einzufrieren und das Ticket nach Europa zu lösen.
Vizemeister, Vizemeister, hey hey… 🙌😉 #DieBayern #MiaSanMia #DieLiga pic.twitter.com/fnR6jO7BHf
— FCB Frauenfußball (@FCBfrauen) 21. Mai 2017
Am selben Tag wurde ein Großteil des Kaders verabschiedet. Schauen wir uns im zweiten Teil an, wie die einzelnen Fälle gelagert sind.