Ernüchterung in Leverkusen

Maurice Trenner 02.02.2019

Fast zwangsläufig musste Kovač von seinem Plan wenig zu rotieren abweichen, da Stammkeeper Neuer und Mittelfeld-Regisseur Thiago beide verletzt ausfielen. Für die beiden rückten Ulreich und Rafinha in die Mannschaft. Kimmich durfte dadurch im Mittelfeld Thiago ersetzen. Für Ulreich war es der erste Pflichtspieleinsatz in dieser Saison. Überraschenderweise bot Kovač James auf und verzichtete auf Martínez, der seine Stärken im Zweikampf und der Absicherung hat.

Bei Leverkusen bot Bosz die volle Kapelle auf. Eine Sturmreihe mit Bailey, Volland und Bellarabi, unterstützt durch die offensiven Brandt und Havertz, versprach vor der Partie bereits Tempofussball erster Klasse. Lars Bender musste angeschlagen passen. Er wurde durch den Ex-Bayer Weiser vertreten.

Falls ihr es verpasst habt

Bayer Leverkusen vs. FC Bayern MünchenGrundformationen: Bayer 04 – Bayern, 02.02.2019

Die Leverkusener begannen wie erwartet sehr offensiv mit starkem Pressing. Nach einer Minute bringen die Hausherren Hummels so in Bedrängnis, dass dessen Pass direkt bei Brandt landet. Der Abschluss von Volland sprang Hummels an die ausgestreckte Hand. Bei einem Elfmeterpfiff hätte sich der Rekordmeister nicht beschweren dürfen.

Bayern schaffte es zu Beginn nicht die Kontrolle über das Spiel zu übernehmen und wurde auch immer wieder durch die Physis von gerade Aránguiz überrannt. Aber auch in der Leverkusen-Defensive gab es Lücken. In der sechsten Minute gab es den ersten Eckball der Münchner nachdem Coman auf der linken Seite zu viel Platz hatte. Nach zehn Minuten hatten die Bayern nur 60% ihrer Pässe zum Mitspieler gebracht.

Die erste große Chance hatten die Gäste dann nach zwölf Minuten als Coman mit Tempo an Tah vorbeilief und Hradecky seinen Schuss nur abprallen lassen konnte. Den anschließenden Querpass von Müller konnte James jedoch nicht verwerten.

Immer wieder gelang es Coman auf der linken Seite Weiser im direkten Duell zu schlagen. In der 15. Minute schafften es jedoch Müller und Lewandowski nicht seine Hereingabe im Tor unterzubekommen. Bender konnte in letzter Sekunde klären.

In der Folge beruhigte sich die hektische Partie. Der amtierende Meister konnte seine Passquote bis zur 20. Minute auf 75% steigern. Dennoch überließ man der Heimmannschaft häufig den Ball und versuchte eher in Umschaltsituationen Gefahr auszustrahlen. Diese liefen nicht selten über die Außen, wo der Ball mit weiten Schritten durch das Mittelfeld getragen wurde. Nach einem traumhaften Schnittstellenpass von Hummels und einer Hereingabe von James vergab Goretzka, immerhin Toptorjäger des bisherigen Kalenderjahres, die bisher beste Gelegenheit (26.).

Dass das Tempo im Spiel ab der zwanzigsten Minute abnahm, hatte allerdings weniger mit der Kontrolle der Münchner, sondern mehr mit dem Pressing der Leverkusener zu tun. Dieses verfolgten die Schwarz-Roten in letzter Konsequenz nur dann, wenn der Ball tief in der Münchner Hälfte gepasst wurde. Das Anlaufen mit vier, fünf Spielern auf einmal, stellte die Münchner Hintermannschaft inklusive Ulreich jedoch vor gehörige Probleme.

Nach einem verunglückten Leverkusener Konter schickte Hummels mit einem traummalerischen Außenristpass Coman zum Konter. Der Franzose konnte von Tah nicht mehr gestellt werden, scheiterte jedoch an Hradecky. Der Abpraller landete allerdings bei Müller, der nicht angegriffen wurde und so in aller Seelenruhe flanken konnte. Der aufgerückte Goretzka kommt am Fünfmeterraum unbedrängt zum Kopfball und nickt ein. Die zu dem Zeitpunkt etwas überraschende Führung, da Leverkusen immer wieder gefährliche Nadelstiche setzen konnte (41.).

Vor der Pause musste Havertz angeschlagen vom Platz. Der talentierte Jungnationalspieler wurde durch Baumgartlinger ersetzt (45.). Kurz nach dem Wechsel lag der Ball ein weiteres Mal im Tor der Heimmannschaft. Allerdings hob der Assistent die Fahne während der Lupfer von Lewandowski, der herrlich von Coman in Szene gesetzt worden war, über die Torlinie rollte. Nach Absprache mit dem Videoschiedsrichter in Köln blieb es bei dieser zumindest strittigen Entscheidung.

Nach der Halbzeit veränderte sich wenig. Die Leverkusener blieben spielbestimmend. Nach einem Foul von Coman durfte Bailey sich den Ball zentral zum Freistoß zurecht legen. Sein Schuss schlug im Torwarteck ein, nachdem Ulreich zuerst einen Schritt in die falsche Ecke gemacht hatte (53.). Der durchaus verdiente Ausgleich der Hausherren.

Das Spiel blieb offen: Brandts Dropkick konnte Ulreich um den Pfosten lenken (59.). Den anschließenden Konter über Coman kann Müller nicht verwerten (60.). Allerdings wurde es nun auch hitziger. Schiedsrichter Stieler rückte immer wieder in den Mittelpunkt. Kimmich und Coman waren zu diesem Zeitpunkt auf Seiten der Gäste verwarnt.

In der 63. Minute ging es dann ganz schnell. Hradecky mit einem weiten Abschlag, den Aránguiz geschickt auf Weiser weiterleitete. Der Ex-Bayer setzte Bellarabi in Szene und nimmt nebenbei die ganze Hintermannschaft aus dem Spiel. Der Flügelstürmer legte in die Mitte, wo Volland nur noch einschieben musste. Innerhalb von zwanzigen Minuten hatte der Rekordmeister das Spiel komplett aus der Hand gegeben.

Während die Bayern in der Folge zwar mehr Druck entfalten konnten, blieben die Leverkusener durch Konter gefährlich. Eine echte Torchance konnte man sich gegen die nun tiefer positionierte Werkself jedoch nicht erspielen. Es blieb lediglich ein Kopfball von James, der jedoch von Weiser geklärt wurde. In der 74. Minute brachte Kovač Gnabry für Müller. Nur zwei Minuten später wechselte der Kroate doppelt: Davies und Sanches kamen für James und Rafinha.

Zwar konnte Coman seinen Gegenspieler immer wieder ausspielen, doch zu selten entstanden zwingende Chancen.
(Quelle: Patrik Stollarz/AFP/Getty Images)

Doch selbst mit dieser nun offensiven Grundausrichtung entwickelten die Bayern keine Ideen. In der 87. Minute lief man Leverkusen ins offene Messer. Nach einem Steilpass auf Brandt konnte dieser zu Alario in die Mitte legen, der nur noch einschieben musste. Die Entscheidung war gefallen.

Kimmich hatte bereits in der Winterpause erklärt, dass man nun im weiteren Saisonverlauf nicht mehr patzen dürfe und stattdessen zuschlagen müsse, wenn der Tabellenführer aus Dortmund Punkte liegen ließe. Die zwei Siege zum Start der Rückrunde bauten die Siegesserie auf sieben Spiele aus. Doch an diesem Samstag riss nicht nur die Serie, sondern vergab das Team auch die Chance an Dortmund heran zu rücken. Das Ergebnis aus Frankfurt ist dann auch das einzig Positive an diesem Spieltag.

Dinge, die auffielen

1. Vogelwilder Beginn

Während in den letzten Wochen die Münchner meist stark in die Partie starteten und dann ab der zwanzigsten Minute etwas einbrachen, wirkten die Gäste dieses Mal von Beginn an überfordert. Gegen das – durchaus zu erwartende – hohe Pressing der Hausherren fanden die Münchner keine Mittel. Weder die Positionierung noch das Passspiel von Einzelspielern reichte hier aus, um Ruhe in die Partie zu bekommen.

Diese ersten fünf Minuten waren ein haarsträubender Rückfall in eigentlich längst vergessene Zeiten. Der Rekordmeister vermisste dabei sowohl den verletzten Thiago als Ruhepol im Aufbauspiel und immer verfügbare Anspielstation als auch den nicht aufgestellten Martínez, der durch seine Physis das schnelle Spiel der Leverkusener etwas entschärfen könnte.

Immer wieder schafften es die Leverkusener im Ballbesitz durch vertikale Pässe schnell und scheinbar mühelos gleich mehrere Bayern-Spieler aus dem Spiel zu nehmen. Dies hatte immer wieder Eins-gegen-Eins-Duelle zwischen den flinken Flügelläufern der Werkself und den im Vergleich behäbig wirkenden Verteidigern der Münchner zur Folge.

Die Bayern und Mats Hummels im Speziellen müssen dankbar sein, dass sie nach dem haarsträubenden Fehlpass des Innenverteidigers nach einer Minute nicht bereits in Rückstand lagen. In einem Spiel gegen Liverpool, die wohl ähnlich aggressiv zu erwarten sind, kann oder gar wird das durchaus anders aussehen.

2. Kovač wie Bosz in Dortmund

“Ohne Geschwindigkeit bringt Ballbesitz heutzutage nicht mehr viel.” Das schrieb Niko Kovač im Sommer in seiner WM-Kolumne für die FAZ. Spätestens heute zeigte sich auch im Spiel, dass der Kroate diese Worte durchaus ernst meint. Gegen Leverkusen war das heute nicht der dominante FC Bayern, der durch Ballstafetten mit scheinbar unendlicher Sicherheit den Gegner und sein Pressing mürbe macht.

Vielmehr bekam der Zuschauer heute einen sehr passiven FC Bayern zu sehen. 48% Ballbesitz hatte der Rekordmeister nur zur Halbzeit. Statt nach einem Ballgewinn souverän aufzubauen war der erste Gedanke immer ein vertikaler Pass. Nahezu alle gefährlichen Situationen der Bayern entstanden nicht aus dem geordneten Spielaufbau, sondern aus Kontern. Während dies sinnvoll sein kann, um einen Gegner zu überraschen, so raubt es dem Spiel doch einiges an Souveränität.

Dies erfolgte mit so einer Konsequenz, dass es der Plan von Trainer Kovač sein musste. Die hohe Positionierung der Achter James und Goretzka unterstützte seine Idee den Gegner mit dessen eigenen Waffen – nämlich Tempo – zu schlagen. Eine gewagte Strategie, die zu einem offenen Schlagabtausch führte.

Warum Kovač nach der Führung zur Pause nicht von seinem Plan abwich und mehr Fokus auf Kontrolle setzte, bleibt allerdings sein Geheimnis.

Ohne jegliche Ordnung gegen den Ball lief man auch in der zweiten Hälfte jedoch in einen Konter nach dem anderen. Diese Grundstruktur gegen den Ball war heute zu keinem Zeitpunkt erkennbar. Immer wieder mussten die Verteidiger Situationen durch ihre individuelle Klasse lösen, da sie vom Kollektiv alleine gelassen wurden. In einem Spiel über neunzig Minuten gegen solch schnelle Stürmer, kann dies nicht funktionieren.

Vorne schaffte man es hingegen nicht die eigenen Gegenstöße konsequent zu Ende zu spielen. Nach 70 Minuten hatte Bayern zwar 14 Dribblings gewonnen, aber man schaffte es nicht aus diesem gewonnenen Duellen Kapital zu schlagen. Die Leverkusener zeigten sich hinten deutlich disziplinierter.

Kovač wollte spielen wie Bosz in Dortmund, aber der Niederländer ließ eben nicht mehr wie in Dortmund spielen und das hat auch seine Gründe.

3. Hummels fährt Achterbahn

Die ersten Minuten waren eine Achterbahnfahrt mit rasantem Tempo. Ein Umstand, der einem Innenverteidiger wie Hummels nicht gerade entgegen kommt. Und wie eine Achterbahn hatte auch der Münchner Höhen und Tiefen in seinem Spiel.

Zwei katastrophale Fehlpässe führten direkt zu gefährlichen Chancen von Bayer. Ein weiteres Mal konnte er im letzten Moment durch eine gut getimte Grätsche schlimmeres verhindern. Zur Halbzeit hatte er nur 74% angekommene Pässe. Sein Partner Süle lag zum gleichen Zeitpunkt bei 88%. Bei einem Schuss von Brandt muss er zudem Glück haben, dass sein ausgestreckter Arm nicht zu einem Elfmeterpfiff führt.

Durch sein Stellungsspiel konnte er es häufig vermeiden in direkte Sprintduelle mit den Außenspielern von Bayern gehen zu müssen. Doch als der Wagon in der zweiten Hälfte zu entgleisen drohte, war von Hummels wenig zu sehen. Er wurde schlichtweg überlaufen oder überspielt.

Allerdings bewies Hummels auch immer wieder seine Genialität am Ball. Zum wiederholten Mal bewies der Nationalspieler, dass er mit nur einem Pass die gegnerische Hintermannschaft filetieren kann, wie dies sonst nur japanische Sterneköche mit einem Stück Kobe-Rind hinbekommen. Seinen Außenristpass an der Seitenlinie vor dem 1:0 möchte man sich eingerahmt über das Bett hängen.

Die Übersicht am Ball und aber auch die Souveränität im Aufbauspiel von Hummels werden für die Münchner in dieser Saison noch sehr wichtig werden. Hierzu bedarf es allerdings noch einer gewissen Steigerung durch den Weltmeister.

4. Ohne Neuer fehlen wichtige Prozente

Sven Ulreich hat es nicht leicht. Ausgerechnet im schwierigen Auswärtsspiel in Leverkusen durfte er sein Saisondebüt feiern. Es gibt sicherlich einfachere Aufgaben. Während der Ex-Stuttgarter seine Aufgabe meist gut löste, merkte man doch, dass der mehrfache Welttorhüter Neuer fehlte.

Bei Rückspielen wirkte Ulreich immer leicht verunsichert, speziell nachdem er in der ersten Hälfte einen Ball dem anlaufenden Bellarabi in den Fuß spielte. Auch beim Freistoßtor von Bailey sah er nicht machtlos aus. Ein Schritt in die falsche Richtung verhinderte, dass er den ins Torwarteck geschossenen Ball noch erreichen konnte.

Es kann an dieser Stelle nicht überraschend sein, dass Bayern ein paar Prozente fehlen, wenn der Nationalkeeper nicht im Kader steht. Im Vergleich zu früheren Jahren benötigen die Münchner in dieser Saison allerdings jeden kleinsten Vorteil und jedes einzelne Prozent. Die Hoffnung ist, dass Neuer bald wieder zurückkehren kann und dies in der ansteigenden Form, die er vor seiner Verletzung bewiesen hatte.