Endlich Außenseiter – Worauf es gegen Dortmund ankommt
Real Madrid hat es unter Carlo Ancelotti im Champions League-Halbfinale geschafft für eineinhalb Spiele die perfekte Gegenthese zum Spiel des FC Bayern zu entwickeln. Jürgen Klopp und der BVB sind seit nunmehr vier Jahren diese perfekte Gegenthese. Selbst wenn Bayern inzwischen drei Mal gegen den BVB gewann und dabei mit dem Champions League-Finale 2013 eindeutig das wichtigste Spiel für sich entschied – es gab für die Münchener keine klaren Siege gegen den BVB. Klare Siege gab es wenn, dann für die Klopp-Elf. Beim 5:2 im Pokalfinale 2012 oder beim 3:0 am 30. Spieltag dieser Saison. Selbst der 3:0-Hinspielerfolg der Guardiola-Elf am 13. Spieltag war nicht so klar wie es das Ergebnis aussagte. Das Spiel war bis zum 1:0 durch Götze in der 66. Minute ausgeglichen. Dortmund hatte sogar die etwas besseren Chancen, obwohl Klopp seine Mannschaft nach den Verletzungen von Hummels, Subotic und Schmelzer komplett umbauen musste. Das Rückspiel in München war eindeutiger. 3:0 für die Schwarz-Gelben nach teilweise absurd einfachen Kontern.
Nach den Eindrücken der letzten Wochen heißt der Favorit für das DFB-Pokalfinale Dortmund. Es wäre eine erneut herausragende Leistung dieser großen Münchener Mannschaft, wenn sie gegen den Trend der jüngeren Vergangenheit den Pokalsieg verteidigen und damit wohl auch einen großen Teil der eigenen Fans überraschen könnte. Zum ersten Mal in der geht der Rekordmeister als leichter Außenseiter in ein DFB-Pokalfinale. Zumal nach dem Ausfall von Thiago und den Verletzungen von Ribéry, Schweinsteiger und wohl auch Mandzukic. Der FC Bayern steht vor einem ganz großen oder einem ganz schlimmen Abend. Platz für Grautöne gibt es Samstag-Abend so gut wie keine. Das wissen die Spieler, das weiß der Verein. Das macht die Ausgangslage vor dem Spiel so angespannt und erdrückend. Für einen großen Pokalabend braucht es eine enorme Energieleistung, einen klugen Plan und wahrscheinlich auch etwas Glück.
Worauf es gegen Dortmund ankommt:
1. Das Pressing aushebeln
Dortmunds Pressing zählt sicherlich zum Besten, was es in Europa in dieser Kategorie zu sehen gibt. Auffällig ist dabei, dass es umso besser wird, je früher die Borussen aus der Champions League ausscheiden. So ist sowohl die Rückrunde der Saison 2011/2012 und die Phase nach dem Ausscheiden gegen Real Madrid in diesem Jahr zu nennen. Gleich geblieben ist über die Jahre die hohe Laufbereitschaft und die extreme Laufintensität der Dortmunder gerade im Spiel gegen den Ball. Etwas angepasst hat Klopp seine formative Ausrichtung. Noch im Vorjahr – zum Beispiel beim 1:0-Erfolg der Bayern im DFB-Pokalfinale presste Dortmund eher in einem 4-5-1. In den Duellen dieser Saison war es dann eher ein 4-4-1-1, das situativ auch zu einem 4-3-3 wurde. Dortmund gelingt es so, wenn das Pressing gut ausgeführt wird,einen Großteil der Ballzirkulation der Münchener, die ansonsten meist erst an der Mittellinie beginnt, 20-30 Meter nach hinten zu verschieben. Beim 0:3 in München vor einigen Wochen spielten die Bayern 180 Pässe im eigenen defensiven Drittel. Im Champions League-Finale des Vorjahrs und auch im Bundesliga-Hinspiel dieser Saison waren es nur zwischen 130 und 140. Zum Vergleich: Am Wochenende gegen den VfB Stuttgart waren es 60. Dortmund gewann beim 3:0 in München insgesamt fast 80 Mal den Ball von einem Münchener. Allein diese Kennzahlen zeigt wie sehr es den Dortmunder gelingt Bayerns Spiel zu verschieben und zu verändern. Umso aufwändiger es für Bayern wird den Ball in gefährliche Räume rund um den Strafraum zu tragen, umso stärker Offensivspieler wie Robben oder Müller beginnen sich zurückfallen zu lassen, um das Aufbauspiel zu unterstützen, desto ineffektiver wird das Münchener Spiel.
Auffällig ist, dass Bayern in allen drei Siegen gegen den BVB in den zurückliegenden vier Jahren ein oder mehrere Mittel gefunden hat, um dem Dortmunder Pressing zumindest für bestimmte Phasen den Zahn zu ziehen. Beim 1:0-Sieg im Pokal im Vorjahr ließ Heynckes gerade zu Beginn hohe weite Diagonalbälle, insbesondere von Dante spielen. Mandzukic rückte dabei als guter Kopfballspieler weit auf den Flügel, um als Zielspieler für den hohen Ball zu agieren. Lahm, der in diesen Situationen bei Ballbesitz Dante mehrfach wie ein Flügelstürmer aufrückte und das komplette Pressingsystem so aus der Balance brachte und Müller überlagerten zudem die rechte Seite und versuchten die langen Diagonalbälle zu verwerten. Auch wenn das nicht direkt zu einem Torerfolg führte, war Dortmund dadurch immerhin gezwungen immer wieder die gewohnte Pressingformation zu verlassen, was den Bayern im Verlauf des Spiels mehr Freiheiten im Spielaufbau ermöglichte.
Im Champions League-Finale war es vor allem Bastian Schweinsteiger, der im Verlauf des Spiels immer stärker als abkippender 6er agierte, sich weit in die Abwehrreihe zurückfallen ließ und mit großer Gelassenheit und sehr präzisem Spiel das mit zunehmender Spieldauer nachlassende Pressing aushebelte.
Auch Guardiola hatte sich beim 3:0-Sieg in Dortmund etwas besonderes überlegt und brachte überraschend Javi Martínez als 8er, beziehungsweise 10er. Er sollte damit erstens noch früher ins Gegenpressing gehen können und zweitens bei langen Bällen als zusätzliche Anspielstation um den Strafraum agieren. Der Plan ging nicht zu 100 Prozent auf, denn Bayern übernahm erst das Kommando als Guardiola mit Götze und Thiago gegen die ersatzgeschwächt und müden Dortmunder nachlegen konnte. Matthias Sammer hat es vor dem DFB-Pokalfinale richtig gesagt. Es geht um Kleinigkeiten, die in einem solchen Finale entscheiden. Ein guter Plan gegen das Dortmunder Pressing, um die eigene Spielphilosophie mit Ballbesitz und fluidem Positionsspiel in der gegnerischen Hälfte überhaupt erst zu ermöglichen, zählt am Samstag mit Sicherheit dazu. Guardiola sollte hier etwas besonderes vielleicht auch überraschendes vorbereiten.
2. Das Umschaltspiel unterbinden
Die Stärke von Borussia Dortmund in den vergangenen vier Jahren hängt auch damit zusammen, dass Sie nicht nur Spieler kaufen, die gut sind, sondern immer wieder Spieler verpflichten, die auch ins System passen. Die Kombination aus Robert Lewandowski (spielgestaltender Torjäger), Marco Reus (dynamischer Torjäger), Henrikh Mkhitaryan (technisch starker Spielgestalter) und Pierre-Emerick Aubameyang (schneller Angreifer) hat Klopp extrem passendes Spielermaterial nach Dortmund geholt, um seinen Fußball umzusetzen. Lewandowski ist mit Ball am Fuß, dem Rücken zum Tor und den links und rechts durchstartenden Flügelspielern ein nicht zu verteidigender Spieler. Die Aufgabe des FC Bayern ist es genau diesen Moment, der entscheidend für Dortmunds Spiel ist, zu unterbinden oder mindestens deutlich zu erschweren. Das gelingt am Besten bevor der Pass nach einem Ballverlust in die Spitze gespielt wird. Bayerns Ballbesitzspiel ist in einem solchen Spiel nur dann wertvoll, wenn der Ball nicht unkontrolliert verloren geht, oder das Gegenpressing funktioniert. Sahin, Jojic oder Kirch sind nicht Luka Modric, trotzdem sollte die Erinnerung an den Auftritt des Kroaten in den Champions League-Halbfinals eine Warnung für den FC Bayern sein. Er war es, der den kritischen Moment des Umschaltspiels gerade im Rückspiel dominierte und so gut wie keine Fehler machte, beziehungsweise nicht ausreichend zu Fehlern gezwungen wurde.
Guardiola kehrte in den letzten Wochen zurück zur Kombination Schweinsteiger/Martínez auf der Doppelsechs. Schweinsteigers Einsatz ist auf Grund einer Knieverletzung wohl ausgeschlossen. Eine Kombination Lahm/Martínez oder Kroos/Martínez ist wahrscheinlich. Was Martínez Präsenz im Zentrum mit Dortmunds Umschaltspiel anstellen kann, zeigt die Vergangenheit. Mit ihm in der Startelf auf der Doppelsechs verloren die Münchener bisher jedenfalls nicht gegen die Borussen. Sein Einfluss auf die Anzahl der frühen Ballrückeroberungen ist immens. Ich hoffe, das Guardiola seinen Wert gerade für dieses DFB-Pokalfinale erkennt und Martínez von Beginn an auf einer der Positionen im Mittelfeldzentrum einsetzt. Das allein wird den Kampf um das Umschaltmoment nicht entscheiden, aber Martínez kann ein wesentlicher Faktor sein.
3. Manuel Neuer
Ich vertrete eindeutig die These, dass große, spielerisch ausgeglichene Finals nicht ohne einen großen Torwart gewonnen werden können. Das galt für Peter Schmeichel 1999, genau wie für Oliver Kahn 2001, Peter Cech 2012 oder Manuel Neuer 2013. Neuer fehlte bis zum Champions League-Finale 2013 der letzte zählbare Nachweis, dass er in ganz großen Spielen, der ganz große Torwart sein kann, der seine Mannschaft in bestimmten Phasen im Spiel hält und sie damit erst in die Möglichkeit versetzt siegreich zu sein. Neuer war dieser Torwart in den ersten 20 Minuten des Champions League-Finals 2013. Und er war dieser Torwart übrigens auch im DFB-Pokalfinale wenige Tage später, als er in einer heißen Schlussphase mehrfach glänzend gegen anrennende Stuttgarter parierte. Ich erwarte alles, aber sicher keinen Durchmarsch der Bayern in diesem Finale. Sehr viel wird davon abhängen, wer das erste Tor schießt und seinen Matchplan damit den größten denkbaren Gefallen tut. Es ist kein Zufall, dass es seit 2010 in den direkten Duellen keiner Mannschaft gelang einen Rückstand in einen Sieg umzuwandeln. Es braucht am Samstag-Abend einen großen Torwart, wenn der Rekordmeister seine Siegchance wahren will.
Auf gehts.