Im Soll
Nach den holprigen Wochen nach dem Gewinn der frühsten Meisterschaft aller Zeiten und viel Kritik an den Auftritten der Münchener, ist die Relation aus meiner Sicht ein wenig verloren gegangen. Mein Eindruck ist, dass in vielen Redaktionsstuben schon vor dem Rückspiel gegen Manchester United die Guardiola-Verrisse in der Schublade lagen. Sicher hat sich die ohnehin schon hohe Erwartungshaltung rund um den Verein in den letzten Jahren noch einmal deutlich gesteigert. Dennoch sollte eine realistische Einschätzung der Leistungen der Bayern in dieser Saison möglich sein.
Ich hatte durchaus einige Bedenken vor der Saison. Der FC Bayern hatte die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte hinter sich. Spieler wie Lahm, Schweinsteiger, Ribéry, Robben oder Müller hatten nach zwei erfolglosen Versuchen das ganz große Ziel mit dem Gewinn der Champions League erreicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es den Münchenern gelingt das Niveau ohne einen durchaus üblichen Abfall der Konzentration, der Spannung oder der Motivation auch in der Saison 2013/2014 zu halten. Noch dazu weil mit dem europäischen Supercup und der Klub-WM (die beide gewonnen wurden) weitere ablenkende Aufgaben anstanden und das Team bis auf Mario Götze und den zwei Mal lange verletzten Thiago im Prinzip unverändert blieb.
Dass erst jetzt, nach dem Gewinn der souveränsten Meisterschaft in der Geschichte des deutschen Fußballs ein gewisser Spannungsabfall zu erkennen ist, spricht für die Qualität und auch die Charakterstärker der Mannschaft. Als der FC Bayern im Jahr 2001 eine emotionale Last-Minute-Meisterschaft durch den Erfolg in der Champions League krönte, war das anders. Bayern nahm den Schwung bis Anfang November 2001 mit, gewann 9 Spiele in Folge und fiel dann in tiefes Loch. Zwischenzeitlich rangierten die Bayern im Frühjahr 2002 nur auf Rang 6 der Tabelle. Am Ende wurde es Rang 3. Hinter Dortmund und Leverkusen. In der Champions League war im Viertelfinale gegen Real Madrid Schluss. Im DFB-Pokal war im Halbfinale gegen Schalke in der Verlängerung Endstation. Bayern hatte auch damals die beste Mannschaft in der Bundesliga und hatte Real Madrid nach einem Hinspiel-Sieg am Rande des Ausscheidens. Für den letzten Schritt reichte es nicht. Wohl auch weil die Saison 2000/2001 mit dem großen Triumph in der Champions League und der dritten Meisterschaft in Folge viele Spieler ein wenig satt gemacht hatte. Zu satt jedenfalls, um Woche für Woche die notwendigen Energieleistungen gegen hochmotivierte Gegner aufzubringen.
Zum sechsten Mal nach 1999, 2000, 2010, 2012 und 2013 hat der FC Bayern nun eine Saison hingelegt, die mindestens mit der Meisterschaft, dem Champions League-Halbfinale und dem Erreichen des Pokalfinals abgeschlossen wird. Wäre es eine riesige Enttäuschung wenn Madrid die Münchener nun aus dem Wettbewerb werfen sollte? Gewiss. Wäre es ein ganz bitterer Rückschlag, wenn Dortmund erneut ein DFB-Pokalfinale gegen die Roten gewinnt? Auf jeden Fall. Trotzdem sollten alle die, die die Leistungen der Münchener in dieser Saison realistisch einordnen und bewerten zu dem Schluss kommen, dass gerade Pep Guardiola als neuer Bayern-Coach alles andere als enttäuscht hat. Er hat die Mannschaft nicht in andere Sphären geführt, aber er hat sie auf hohem Niveau stabilisiert. Der FC Bayern hat sich in eine Situation gebracht in der stolze Vereine wie der FC Arsenal oder Manchester United im direkten Duell wie komplette Underdogs auftreten. Er spielt seit mittlerweile vier Jahren auf Augenhöhe mit allen großen Teams in Europa. Er hat nach wie vor die Möglichkeit die Unmöglichkeit einer Triple-Verteidigung wahr zu machen.
Die Saison 2013/2014 ist gerade deshalb schon jetzt im Soll. Im Idealfall liegen noch vier große Spiele vor den Münchenern, die aus einer guten, eine herausragende Saison machen können.
Der FC Bayern hat uns 2013 träumen lassen, von einer magischen Wembley-Nacht. Er hat den Cup gewonnen. Den Thron erklommen. Und er lässt uns weiter träumen von weiteren magischen Nächten. Welch Privileg in dieser Situation Fan des FC Bayern München zu sein.