EM-Blog, Tag 14: Das 24er Problem um die Ecke gedacht & Team der Vorrunde
Was war das nur für eine tolle Gruppenphase! Wir haben ein wiederbelebtes Deutschland gesehen, furiose Spanier, dauerlaufende Österreicher, kompromisslose Portugiesen, eines der letzten Ausrufezeichens Luka Modrićs, Underdogs, die weit über ihrem Niveau spielten wie die Slowakei oder Rumänien und natürlich das Märchen schlechthin mit Georgien mitsamt des Feuerwerks gegen die Türkei.
Und natürlich diese wundervollen Fans! Tanzende Holländer, spaghettibrechende Albaner und natürlich die saufenden Schotten, überall war Party, alles war friedlich, egal ob der Zug mal wieder Verspätung hatte oder VISA-Zahlung abgelehnt wurde.
An diesen zwei spielfreien Tagen möchten wir die Gruppenphase und insbesondere den dritten Spieltag Revue passieren lassen.
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Dritter Spieltag offenbart Probleme des Systems
Waren wir nach den ersten zwei Spieltagen noch stramm auf Kurs “beste-EM-aller-Zeiten”, schüttete dieser dritte Spieltag ein wenig Kies ins Getriebe. Kroatien – Italien, Niederlande – Österreich und beide Partien der letzten Gruppe F mochten zwar nochmal absolute Highlights setzen, doch dagegen muss man absolut langweilige Unentschieden setzen, bei denen man die Rechenschieber an der Seitenlinie praktisch greifen konnte. Hier übrigens nochmal ein Sonderlob an die Italiener: Viele unkten nach Kroatiens Führung ja, die Squadra Azzurra würde auch so weiterkommen, doch siehe da: Slowenien und Georgien punkteten am Ende tatsächlich genau so, dass Italiens 3 Punkte und -1 Tordifferenz wirklich nicht ausgereicht hätten! Calafiori sei Dank!
Schuld an dem ganzen Schlamassel hat natürlich die miese Teilnehmerzahl von 24, welche weder Fisch noch Fleisch darstellt und einen zu Systemen mit weiterkommenden Gruppendritten zwingt. Kurz und griffig erklärt: Aus Sportarten, in denen immer zwei Parteien gegeneinander spielen, lassen sich schlüssige Turnierkonzepte aus allerlei Teilnehmerzahlen herstellen, solange diese eine Potenz von 2 sind. Man nehme 2 Teams, 4, 8, 16, 32 oder 64 Mannschaften. All diese Teilnehmerzahlen lassen direkte K.o.-Duelle (wie etwa im Tennis üblich) oder Vierergruppen mit zwei sich qualifizierenden Teams zu. Zwischenschritte führen zu sportlich unattraktiven Lösungen, wie nun bei der EM oder – schlimmer – ab 2026 bei den WMs.
Sahen sich führende Fußballexperten bei den letzten Turnieren bestätigt, dass es dem europäischen Kontinent an Qualität für mehr als 16 Teams mangelt, hat sich der Wind mit dieser Gruppenphase komplett gedreht. Die “Kleinen” bereichern das Turnier, egal ob es Georgien, Schottland, Albanien oder eines der anderen Teams ist. Sie sind gekommen um zu bleiben. Eine Rolle rückwärts wird es nicht geben, so sehr Puristen es sich auch wünschen und spätestens jetzt, 2024, muss man auch sagen: Es sollte keine Rolle zurück geben.
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Expandiert die EM – Mit Gäste-Teams!
Wie lösen wir das Problem also? Mit einer die UEFA ganz wuschig machenden Lösung: Wir stocken nochmal auf! Diesmal ein letztes Mal auf fixe 32 Starter und die Gruppendritten-Lösung wäre bei gleichbleibender Anzahl an Spielen für die Teams (bestenfalls sieben) dahin. Diese Lösung war vor dem Turnier noch reichlich unpopulär, mittlerweile musste ich gestern bedauerlicherweise feststellen, dass ich gar nicht der Erste bin, dem der Gedanke kommt. Ein paar virale Tweets und sogar der Kicker überholten diese Kolumne.
Dafür soll hier eine zusätzliche, frische Idee präsentiert werden. Gegen die Teilnahme Norwegens um Haaland oder Ødegaard oder den Traditions-Teilnehmern Schweden, Irland oder Griechenland (gibt es eigentlich im internationalen Fußball Traditions-Mannschaften?) lässt sich zwar nichts sagen, doch bei Luxemburg wird der geneigte Fußball-Liebhaber hibbelig. Doch zu viel Verwässerung mit 32 Teams?
Wieso dann nicht mal eine Seite aus dem Buch unserer südamerikanischen Freunde der CONMEBOL aufschlagen und Gäste-Teams einladen? Die Copa América findet seit 1993 stets mit mehr Teilnehmern als südamerikanischen Verbandsmitgliedern statt – den Rest füllen gewöhnlicherweise nordamerikanische Teams auf.
Nun muss man das ganze nicht so übertreiben, wie es die Südamerikaner tun und das ganze Turnier an andere Kontinente geben – die aktuell parallel stattfindende Copa América etwa findet in den Vereinigten Staaten statt. Die Geografie sollte uns schon noch leiten. Wieso also keine Teilnahme von Ländern aus dem nordafrikanischen Mittelmeer-Raum wie Marokko, Tunesien oder Ägypten? Marokko hat sogar Sichtkontakt mit dem europäischen Festland. Dem sportlichen Niveau würde das in jedem Fall helfen. Zumal ja auch bereits – wenngleich aus politischen Gründen – der asiatische Mittelmeerstaat Israel sogar ein vollwertiges UEFA-Mitglied ist. Letzteres ist nicht nötig, Wildcards reichen völlig aus.
Fraglich wäre dann noch die Qualifikation. Gäste anderer Konföderationen kann man nicht einfach in den europäischen Qualifikations-Kalender integrieren. Doch bei einem 32er Feld aus 55 UEFA-Mitgliedstaaten stellt sich ohnehin die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer freien Qualifikation für hochgesetzte Teams, wie die gängigen Fußball-Nationen.
Die acht besten Teams der FIFA-Weltrangliste sollten allesamt direkt qualifiziert sein und einen eigenen Nations-League-ähnlichen Wettbewerb während der Qualifikationsspiele des restlichen Kontinents erhalten. Damit wäre dann auch die Präzedenz von Wildcards etabliert und die Verteilung von zwei weiteren an andere nicht-europäische Mittelmeer-Teilnehmer wäre gar nicht mehr so wild. Auch hier könnte man die Weltrangliste zur Hand nehmen oder Ergebnisse aus dem African Cup of Nations.
Bedauerlicherweise kann man nur bloß völlig ausschließen, dass eine Mehrheit von UEFA-Mitgliedern dafür stimmen würde, weniger UEFA-Mitgliedern zu einer Euro zu schicken.
Team der Gruppenphase
Zum Abschluss der Gruppenphase möchte ich den Zwischenstand im Rennen um das Team des Turniers abbilden, das Team der Gruppenphase also. In engen Rennen habe ich mich bewusst für Spieler entschieden, die aus dem Turnier höchstwahrscheinlich sehr bald ausscheiden werden.
Zugegeben, insbesondere auf der Position des Rechtsverteidigers ist ein wenig Gnade vor Recht walten lassen. Je länger das Turnier dauert, desto klarer wird wohl werden, dass der sympathische Underdog Rațiu nicht vor Carvajal und Kimmich stehen kann, doch nach erst drei Spielen, sagen wir: Advantage Gruppensieger Rumänien. Insbesondere gegen die Ukraine war der Blauschopf ständiger Dynamo.
Auf links steht der andere Spanier Cucurella in den Startlöchern, der Chelsea-Spieler glänzte mit brachialer Athletik und Timing im Gegenpressing, Aebischer allerdings ist der interessanteste linke Flügelläufer des Turniers, schon alleine weil er überhaupt kein Linksverteidiger ist. Der angestammte zentrale Mittelfeldspieler war mit Ball genau das, ständig zog es ihn ins Zentrum, machte gegen Ungarn ein Tor und bereitete ein anderes traumhaft vor, als wäre er auch nominell Zehner. Gegen den Ball war er allerdings ein echter Linksverteidiger, insbesondere gegen den Gastgeber überzeugte er so.
Ist es unfair, Toni Kroos mehr für die Schweiz-Leistung (etliche Fehlpässe, de facto auch vor dem 0:1) zu bestrafen, als İlkay Gündoğan mit dessen etlichen technischen Fehlern? Vielleicht. Aber Fabián Ruiz gehört für die ersten beiden Spieltage in diese Elf und für Gündoğan gilt ähnliches. Außerdem werde ich nicht müde, dem FC Bayern eine Verpflichtung N’Golo Kantés ans Herz zu legen. Insbesondere wenn die Alternative João Palhinha heißt. Befreit Kanté aus der arabischen Bedeutungslosigkeit!
Ursprünglich sollte dieses Team Full-Hipster gehen und Marcel Sabitzer seiner Rückennummer Neun entsprechend aufgestellt werden. Österreich ist vorne so flexibel, dass das gar nicht komplett hanebüchen wäre, aber am Ende bleibt er nominell auf seiner EM-Hauptposition des linken Flügel. Somit verdrängt Georges Mikautadze den slowakischen Doppeltorschützen Ivan Schranz und eben das Herz der deutschen Nationalmannschaft. In gewisser Hinsicht ist dieses Turnier ein Turnier der echten Neuner, wie Yaremchuk, Morata oder Weghorst, doch all diese Spieler hatten nur ein überzeugendes Spiel. Somit schließt Georgien diese Elf genauso, wie sie es mit dem Torhüter Giorgi Mamardashvili beginnen.