EM-Blog, Tag 13: Fußball, frei nach Willi-am Shakespeare

Katrin Trenner 27.06.2024

„Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler“, wusste schon William Shakespeare. In der Welt des Fußballs gibt es für die Spieler*innen kaum eine größere Bühne als die, die sie bei internationalen Turnieren betreten. Auch diese Europameisterschaft bildet da keine Ausnahme.

Die Gruppenphase ist beendet, die Achtelfinalpartien angesetzt, und das erste Mal seit Beginn der Europameisterschaft sehen wir zwei spielfreien Tagen entgegen. „Herr, was für Narren sind diese Sterblichen!“, dass es sich im ersten Moment erst einmal so anfühlt, als fehle ein ganz wichtiger Bestandteil des Alltags am Abend – aber diese kurze Pause tut sicher auch gut, um einmal durchzuatmen und zu regenerieren.

Die letzten vier Partien der Gruppenphase – insbesondere die der Gruppe E – versprachen allein schon aufgrund der besonderen Ausgangssituation (vier Teams, alle mit drei Punkten) Entschädigung für die deprimierenden 21-Uhr-Begegnungen des Vorabends. Vor allem das englische Team samt Trainer überraschte schon das ganze Turnier über, im negativen Sinne. Man wollte ihnen am liebsten zurufen: „Sein oder Nichtsein! Das ist hier die Frage!“ – denn bislang sieht es so aus, als tendieren sie zum Nichtsein, obwohl sie am Ende als Gruppensieger ins Achtelfinale ziehen. Es ist ein Jammer, aber „Erwartung ist die Wurzel allen Kummers.“

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Gruppe E: „Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier!“

Da noch alle Szenarien möglich waren, musste das Motto für Belgien, Rumänien, die Slowakei und die Ukraine an diesem Spieltag „Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde!“ lauten, denn mit jedem gefallenen Tor veränderte sich die Blitztabelle. Doch offensichtlich kam diese Nachricht nicht bei allen an; gerade Belgien, der vermeintliche Favorit in dieser Gruppe, hatte extreme Anlauf- und Motivationsschwierigkeiten.

„Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier!“ Belgiens Nationalmannschaft, die sogenannten Roten Teufel, trotzte ihrem feurigen, angriffslustigen Spitznamen. Tedescos Team um Kapitän Kevin de Bruyne trat eher auf wie eine fromme, nein, uninspirierte Schäfchenherde; anstatt auf Sieg zu spielen, begnügten sie sich mit einem 0:0 und verschanzten sich in der Schlussphase des Spiels an der Eckfahne, um Zeit zu schinden. Eine interessante Herangehensweise an dieses Turnier, zumal jetzt in der nächsten Runde Frankreich wartet, aber „der Fehler, liebe Belgier, liegt nicht in unseren Sternen, sondern in uns selbst.“ Die mitgereisten belgischen Fans waren alles andere als angetan und schickten die Spieler mit Pfiffen zurück in die Kabine.

Zur gleichen Zeit standen sich in Frankfurt Rumänien und die Slowakei gegenüber und trennten sich mit 1:1. Damit scheidet die Ukraine trotz ihrer 4 Punkte frühzeitig aus dem Turnier aus. „Kein Stich von allen schmerzte so wie der“, vor allem da man weiß, welche Emotionen der Sieg im zweiten Spiel gegen die Slowakei unter den Ukrainer*innen ausgelöst hat. Zum Vergleich: Dänemark wurde mit nur 3 Punkten Gruppenzweiter. „Es ist etwas faul im Staate Dänemark“? Nein, nicht wirklich, nur eine Kuriosität dieses Turniers.

Gruppe F: „Höre meine Seele sprechen“

Oh, welch ein Unterschied: Bereits nach 92 Sekunden des Georgien-Portugal-Spiels fühlte ich mich besser unterhalten als nach 94 Minuten Ukraine – Belgien, denn Georgien ist bei diesem Turnier Garant für Leidenschaft und aufopferungsvolle Hingabe und bestätigt immer wieder: „Vergnügen und Aktivität lassen die Stunden kurz erscheinen.“ Es war ein Genuss, ihnen zuzusehen: „Höre meine Seele sprechen. Von dem Augenblick an, als ich dich sah, flog mein Herz zu deinen Diensten.“

Auf Seiten der Portugiesen fiel Superstar Cristiano Ronaldo besonders dadurch auf, dass er im Strafraum stand und darauf wartete, dass seine Mitspieler ihn bedienten. Er meckerte viel mit dem Schiedsrichter, meine Interpretation: „Ich würde dich zu einem Kampf des Verstandes herausfordern, aber ich sehe, dass du unbewaffnet bist!“ Der Unparteiische aber ließ ihn eiskalt abblitzen mit einem Gesichtsausdruck, der sagte: „Du sprichst unendlich viel von nichts“ – und zückte die Gelbe Karte.

In der gleichzeitig stattfindenden Partie gewann die Türkei mit 2:1 gegen die Tschechische Republik, und somit qualifiziert sich Georgien als Gruppendritter für das Achtelfinale; dort wartet Spanien. Doch lasset uns noch ein wenig träumen. Schon jetzt ist es eine wunderschöne Erfolgsgeschichte für den EM-Debütanten und meinen neuen Lieblingskeeper Mamardashvili. Georgien ist der Underdog, den jedes gute Turnier braucht, und zu dem ich nur sagen kann: „Ich liebe dich mit so viel von meinem Herzen, dass nichts mehr übrig ist, um zu protestieren.“

Was sonst noch auffiel:

  • „Die Kappe macht den Mönch nicht aus“, genauso wenig wie ein Fußballtrikot nichts mit den Fähigkeiten eines Spielers zu tun hat. Dennoch gibt es oft Diskussionen über die Outfits der Teams (bestes Beispiel: das pink-lilafarbene Auswärtstrikot der deutschen Nationalelf). Das belgische Team lief im dritten Spiel in hellblauen Shirts und braunen Hosen auf, in Anlehnung an ihren Nationalhelden „Tintin“, dem Helden der Comicserie von Zeichner Hergé, hier besser bekannt als „Tim und Struppi“ – ich finde es so gelungen. Aber das war auch das einzig Gelungene am Auftritt Belgiens. „Ich habe besser von Euch gesprochen, als Ihr‘s um mich verdient habt oder verdienen werdet; aber man soll Böses mit Gutem vergelten.“
  • Es wird dieser Tage viel von Riccardo Calafiori gesprochen, dem 22-jährigen Innenverteidiger, der momentan für den FC Bologna spielt und schon jetzt mit Paolo Maldini und Alessandro Nesta verglichen wird. Die 90er-Jahre-Maldini-Nesta-Vibes strahlt Calafiori auf jeden Fall aus, ob er wirklich in die Fußstapfen der beiden Verteidigungskünstler treten wird, bleibt abzuwarten.
    So manch ein Fußballfan saß trotzdem vor dem Bildschirm und dachte: „Hat mein Herz bis jetzt geliebt? Verleug es, Anblick, denn ich habe bis heute Nacht nie wahre Schönheit gesehen.“
    Die meisten Italiener*innen und Liebhaber der Serie A konnten über die vermeintliche Neuentdeckung nur müde lächeln, hatten sie Calafiori doch schon längst auf dem Zettel. Man kann ihm nur raten: „Hab keine Angst vor Größe. Einige werden groß geboren, einige erreichen Größe und anderen wird Größe auferlegt.“
  • Luka Modrić (Kroatien) und Robert Lewandowski (Polen) gehören mit zu den ältesten Spielern dieser EM; sie haben aber mit ihren jeweiligen Mannschaften nicht geschafft, sich fürs Achtelfinale zu qualifizieren; beide sind Kapitäne und absolute Legenden und Leistungsträger für ihre Teams. „Lass deinen Schmerz in Worten aus; denn Kummer, der nicht spricht, der schreit nach innen, bis das Herz zerbricht“, denn es scheint, als wäre dies das letzte große Turnier für sie gewesen. Das Ende einer Ära. Daniel hat Modrić, den kleinen Mozart, schon vor zwei Tagen gebührend geehrt.

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