„Davies repräsentiert das Beste, was Kanada zu bieten hat“
Aufgrund von politischen Unruhen in Ostafrika wanderten Devjis Eltern in den 1970er Jahren nach Kanada aus. Der Autor selbst wurde in British Columbia an der Westküste Kanadas geboren und wuchs dort auf. Die Dankbarkeit seiner Eltern gegenüber Kanada, das ihnen die Türen zu einem besseren Leben öffnete, hat auch Devji als Person geprägt – und er fühlte sofort eine Verbindung zu Davies, als er zum ersten dessen Geschichte hörte: Davies, der in einem Flüchtlingslager in Ghana geboren wurde, bevor er mit seiner Familie nach Kanada kam. In diesem Interview erinnert sich Devji an das erste Mal, als er Davies spielen sah, und spricht über die Rolle des jungen Spielers als Hoffnungsträger für eine ganze Nation.
Sie waren früher Vereinsreporter der Whitecaps – was hat Ihr Interesse geweckt, über Fußball zu schreiben?
Zwei meiner größten Leidenschaften sind der Sport und das Schreiben, von daher war die Arbeit für die Whitecaps als Vereinsreporter eine logische Berufswahl. Ich habe während meines Journalismusstudiums zwei Praktika bei den Whitecaps absolviert, bevor ich 2013 fest zum Verein kam. Obwohl Eishockey hier in Kanada der beliebteste Sport ist, war Fußball der erste Sport, den ich in einer richtigen Liga gespielt habe, weil er am erschwinglichsten war. Aber ich war nicht sehr gut! Deshalb schreibe ich jetzt hauptsächlich darüber.
Können Sie sich daran erinnern, wann Sie Davies zum ersten Mal auf dem Fußballplatz erlebt haben?
Das werde ich nie vergessen. Es war zufälligerweise mein Geburtstag, der 3. Februar 2016. Wir waren in Tucson, Arizona, im Trainingslager der Whitecaps, und Davies war mit dabei, obwohl er gerade erst 15 Jahre alt geworden und noch Mitglied der Akademie war. Ich dachte, sie würden ihn nur mitnehmen, damit er Erfahrungen sammeln kann, aber er wurde tatsächlich in der 60. Minute im ersten Spiel gegen die Seattle Sounders eingewechselt. Kurz danach bekam er einen Ellbogenschlag ins Gesicht, der ihm einen blutigen Mund bescherte. Ich dachte: „Okay, vielleicht war es nicht die beste Idee, einen 15-Jährigen gegen einen Haufen erwachsener Männer spielen zu lassen“. Aber er wurde an der Seitenlinie schnell wieder zusammengeflickt und spielte das Spiel zu Ende.
Das alleine fand ich schon beeindruckend. Und man hat sofort gesehen, wozu er fähig ist. Er ist in Eins-gegen-Eins-Duelle, oder in manchen Fällen in Eins-gegen-Zwei oder sogar Drei, reingegangen, mit seiner Wahnsinnsgeschwindigkeit. Er traute sich in Zweikämpfe mit Spielern, die viel größer waren als er. Er hatte keine Angst.
Wann haben Sie erkannt, dass Davies ein ganz besonderer Spieler ist?
In den ersten Jahren hat man definitiv schon sein Potenzial erkannt. Jeder konnte es sehen. Aber zu diesem Zeitpunkt war es erstmal nicht mehr als das – nur Potenzial. Das „Endprodukt“ war noch nicht da. Erst 2018, in seiner letzten Saison in Vancouver, kam alles zusammen. In diesem Jahr eroberte er die MLS (Major League Soccer) im Sturm. Er war zwar erst 17 Jahre alt, aber es schien, als wäre er in jedem Spiel der beste Fußballer auf dem Platz. Andere Trainer sprachen davon, dass sie eigens Spielpläne entwerfen mussten, um ihn in Schach zu halten. Und nicht viele von ihnen waren erfolgreich. In einem Spiel gegen Orlando erzielte Davies ein Tor und drei Assists. In einem weiteren Spiel gegen Minnesota machte er zwei absolute Weltklassetore und verbuchte zwei weitere Assists, nur wenige Tage nachdem der Transfer zum FC Bayern bekannt gegeben worden war. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass dieser Junge zu gut für die MLS war. Er würde etwas Besonderes werden.
Können Sie mir etwas mehr über die Idee erzählen, ein Buch über Davies zu schreiben und wie der Prozess aussah?
2017 reiste ich in Davies‘ Heimatstadt Edmonton, Alberta, um bei der Produktion einer kleinen Dokumentation über den Weg seiner Familie nach Kanada zu helfen. Ich setzte mich mit seinen Eltern zusammen und erfuhr von den Kämpfen, denen sie während des Bürgerkriegs in Liberia ausgesetzt waren, und wie Davies in einem Flüchtlingslager in Ghana aufwuchs. Das brachte mich auf die Idee, vielleicht eines Tages ein Buch darüber zu schreiben. Als er im folgenden Jahr zum FC Bayern wechselte, begann ich, ernsthafter darüber nachzudenken. Aber erst im Jahr 2020 habe ich angefangen, die Idee wirklich umzusetzen – in dem Jahr, in dem Davies seinen endgültigen Durchbruch bei den Bayern hatte und der Mannschaft zum Gewinn des Sextuples verhalf. Also holte ich mir einen Verleger ins Boot und kündigte meinen Job bei den Whitecaps, um mich voll und ganz auf dieses Projekt zu konzentrieren. Für das Buch habe ich mehr als 50 Interviews geführt und mit Menschen aus allen Phasen seines Lebens und seiner Karriere gesprochen, darunter der Technische Direktor des FC Bayern, Marco Neppe, und zwei von Davies‘ ersten Freunden im Verein: Joshua Zirkzee und Chris Richards. Es war ein umfangreicher Prozess.
Welche der Geschichten, die Sie über ihn gehört haben, ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben?
Oh, es ist sehr schwer, nur eine auszuwählen! Ich habe es sehr genossen, einige der Geschichten rund um seinen Transfer zum FC Bayern zu hören, zum Beispiel, als er im Auto auf dem Weg zu einem Treffen mit Marco Neppe und Hasan Salihamidžić war, und just in diesem Augenblick ein Anruf von PSG kam! Michael Reschke erzählte, wie Stuttgart sich um Davies bemühte und wie sie nach Vancouver reisten, um Gespräche aufzunehmen, ohne zu wissen, dass der FC Bayern bereits vor Ort war, um den Deal abzuschließen. Dann gab es da noch die Geschichten des Scouts von Manchester United, der seinen Chef umging und direkt an Jose Mourinho schrieb und ihm empfahl, Davies sofort zu verpflichten. Derselbe Scout traf sich auch mit Davies, als er 15 Jahre alt war, und Davies erzählte ihm, dass er sich wünschte, ein Auto und ein Haus für seine Eltern zu kaufen. Das hat er inzwischen beides geschafft.
Wo sehen Sie Davies in Zukunft? Glauben Sie, dass er beim FC Bayern bleiben wird?
Das ist die Millionen-Dollar-Frage. Oder vielleicht auch die 70-Millionen-Dollar-Frage! Als ich letztes Jahr mit Marco Neppe sprach, sagte er mir, dass er Davies als eines der zukünftigen Gesichter des Vereins sieht. Angesichts der Gerüchte über einen möglichen Abgang von Benjamin Pavard und Lucas Hernandez und der auslaufenden Leihe von Joao Cancelo gehe ich davon aus, dass die Bayern alles tun werden, um Davies in München zu halten. Aber er wird definitiv Optionen haben. Ich weiß, dass Pep Guardiola große Stücke auf ihn hält. Das hat mir Michael Reschke aus seinen Gesprächen mit Pep erzählt. Und ich weiß auch, dass Carlo Ancelotti seine Karriere schon seit einiger Zeit verfolgt, da er Kanada als seine zweite Heimat betrachtet und in den letzten Jahren viel Zeit in Vancouver verbracht hat. Wir müssen also einfach abwarten, was passiert!
Könnten Sie (besonders den Nicht-Kanadier*innen unter uns) erklären, was Davies für das Land bedeutet, im Hinblick auf den Fußball, aber vielleicht auch – wie im Buchtitel so prägnant formuliert – als neue Hoffnung, nicht nur als Sportler, sondern auch als Mensch?
Was den Fußball anbelangt, so war die kanadische Männer-Nationalmannschaft viele Jahre lang irrelevant. Die Leute sahen sie als eine Lachnummer. Es gab eine Menge Herzschmerz und viele dunkle Tage. Lange Zeit hatte man das Gefühl, dass es so gut wie keine Hoffnung gab. Davies hat viel dazu beigetragen, dieses Bild zu ändern. Zuvor hatten sich viele kanadische Spitzenspieler wie Owen Hargreaves und Jonathan de Guzman dafür entschieden, gar nicht erst für Kanada zu spielen. Davies hingegen hat die kanadische Flagge immer mit Stolz getragen. Er hat die Sichtweise auf den kanadischen Männerfußball verändert, sowohl im Land selbst als auch in der Welt. Als Person verkörpert er einfach das Beste, was Kanada zu bieten hat. Die Menschen hier sind sehr stolz auf ihren Multikulturalismus und ihre Akzeptanz von Einwanderer*innen und Geflüchteten. Davies ist ein leuchtendes Beispiel dafür, was möglich ist, und ein Hoffnungsschimmer für Geflüchtete überall.
Wie weit wird Kanada bei der nächsten Weltmeisterschaft kommen? Welche Rolle wird Davies dabei spielen?
Nachdem Kanada nun auf den Geschmack gekommen ist, werden die Erwartungen für die Weltmeisterschaft 2026 definitiv höher sein. Die Mindesterwartung wird sein, ein Spiel zu gewinnen, denn das haben sie noch nie geschafft. Aber angesichts des erweiterten Formats und der Tatsache, dass Kanada Co-Gastgeber ist, hofft man auch, dass sie die Gruppe überstehen. Alles, was darunter liegt, wäre eine Enttäuschung. Wenn die kanadischen Spitzenspieler so weitermachen wie bisher – Spieler wie Davies, Jonathan David, Tajon Buchanan, Stephen Eustáquio, Alistair Johnston und Ismaël Koné, die alle in Europa auf hohem Niveau spielen – könnte ich mir vorstellen, dass sie das Achtelfinale oder das Viertelfinale erreichen. Und Davies wird im Mittelpunkt stehen, so wie er es immer für Kanada tut.