FC Bayern – Miasanrot-Adventskalender, Nummer 25: Thomas Müller
Ein Gastbeitrag von Patrick May
Louis van Gaal gilt als Entdecker von Thomas Müller. Als die Niederlande im letzten März 2022 auf Deutschland traf, adelte der Bonds-Coach seinen einstigen Schützling erneut, indem er ihn als „idealen Spieler für jeden Trainer“ bezeichnete.
Thomas Müller – Der “idealste“ Bayern Spieler aller Zeiten?
Und tatsächlich: Müller war bei jedem Trainer gesetzt, ausgenommen bei Niko Kovac. Vielleicht nicht zufällig, dass es hier Parallelen zum aktuellen Zwist zwischen dem Wolfsburger Trainer und Max Kruse gibt. Wir werden noch darauf eingehen, warum Kovac vielleicht die Ausnahme, der van Gaal’schen Regel darstellt. Dazu müssen wir aber zunächst den Spieler Thomas Müller beschreiben – oder wir müssen fragen:
Was ist ein „idealer“ Spieler?
Um das zu beantworten, machen wir aber ein kurzer Abstecher zu Einstein und Physik.
Müller der Astronaut in der und Taylor‘schen Raumzeit
„Zeit und Raum im Fußball sind dieselben Dinge sind.“ – Graham Taylor
Talyor, eine der englischen Trainerlegenden, hat mit dieser Aussage Raum und Zeit im Fußball gekoppelt, wie einst Einstein mit der „echten“ Zeit und Raum.
Was hat er damit gemeint?
Raum und Zeit sind die wichtigsten Variablen für erfolgreichen Fußball. Je mehr Raum oder Zeit ein Spieler auf dem Platz hat (nicht nur physisch, sondern auch kognitiv), umso höher die Wahrscheinlichkeit qualitativ gute „Dinge“ mit dem Ball anzustellen. Dazu kommt, dass die statistisch wichtigsten Räume in unmittelbarer Tornähe sind, denn von da Fallen die Tore (wahrscheinlicher). Nicht jede Raumzeit ist also gleich gut, wenn man ein Spiel gewinnen will. Deswegen versuchen Spieler und Trainer, auch wenn Sie es nicht immer bewusst wissen, mit ihren Entscheidungen immer Einfluss auf die Fußball’sche Raumzeit zu nehmen. Spieler die das gut können, kann man als ideal bezeichnen.
So viel zu Physik, Einstein und Fußball – aber wo ist die Verbindung zu Thomas Müller?
Dieser bezeichnet sich selbst als Raumdeuter. Ich möchte Müller basierend auf dem oberen Gedankengang noch etwas höher im Fußballolymp erheben und ihn zum Raum-zeit-deuter machen, denn Thomas Müller ist die intuitive Koryphäe in der Interpretation von Raum und Zeit. Es gibt kaum einen Spieler, der durch seinen Spielintelligenz diese beiden Faktoren so konstruktiv für seine Mannschaft beeinflusst wie Müller.
Wie macht Müller das? Martin Rafelt hat in einem großartigen Artikel „How to Raumdeuter“ für Spielverlagerung die Müller’sche Prinzipien zusammengefasst:
- immer eine gute Passoption anbieten
- so viele gegnerische Spieler wie möglich binden
- nie die Räume eigener Spieler zumachen
- Laufwege die 2 vs. 1 Überzahlen schaffen
- immer wenn möglich tororientiert spielen
(Defensiv kann man diese Prinzipien invertieren – auch das kann Müller sehr gut.)
Thomas Müller orientiert sich also an höheren Prinzipien. Er ermöglicht somit seiner Mannschaft dadurch in bessere Räume mit mehr Zeit zu kommen. Da diese Prinzipien jedoch flexibel ausgeführt werden, bricht Thomas Müller aus starren taktischen Vorgaben und Dynamiken aus. Das ist sein Naturell. Martin Rafelt hat deswegen Müllers Bewegungen als hochgradig logisch bewertet, auch wenn sie absolut unkonventionell erscheinen mögen und manchmal sogar entgegen der taktischen Vorgaben sind. Er tut lieber das Richtige als das Erwartete und hält absolut an seinen Prinzipien fest und ist aber in der konkreten Ausführung maximal frei.
Diese paradox-klingende Spielweise bringt uns auch zu Kovac zurück.
Kovac und Müller – zwei abstoßende Pole
Wenn man den Freigeist Müller in ein taktisches Korsett zwängt, dann kann er sein Fußballpotential nicht entfalten. Müller lässt sich aber auch nicht ein Konzept pressen. Eventuell ist somit auch klar, warum Kovac kein Müller-Fan war. Für den Trainer Kovac sind klare und disziplinierte Abläufe auf dem Platz essenziell. Kovac spielt daher eher das Spiel gewisse Abläufe zu perfektionieren, anstatt sich situativ und intuitiv auf Dynamiken einzustellen.
Müllers’ Naturell widerstrebt dieser autoritären Führung (ähnlich wie Max Kruse). Sein freier Fußballgeist diktiert ihm nach den höheren Prinzipien zu spielen und nicht nach starren Erwartungen des Trainers. Denn auf einen taktischen Plan kann sich der Gegner immer einstellen. Prinzipien hingegen sind auf jede Spielsituation flexibel anpassbar. Dadurch ist Müller die Inkarnation der Evolutionsidee – permanent anpassend auf das Spielgeschehen. Meine provokante These deswegen, Müller ist ein besserer Trainer auf dem Platz auf Kovac außerhalb des Feldes.
Ist das nur meine Meinung?
Nein, nicht nur. Nach uns von Goalimpact ist Thomas Müller einer der besten Spieler aller Zeiten. Mit einem Peak Goalimpact von 205 ist er besser als Messi und Ronaldo. Bemerkenswert ist vor allem, dass Müller der wahrscheinlich konstanteste Weltklasse Spieler aller Zeiten ist. Er hat in den letzten 11 Jahren keine Periode gehabt in der er nicht einen Goalimpact von über 190 hatte. Das ist gruselig gut, macht aber Sinn, wenn man seine Spielintelligenz und Anpassungsfähigkeit beleuchtet.
Thomas Müller tut das Richtige – der „ideale“ Spieler, auch wenn es manchmal ungewöhnlich aussieht.
Mehr zu Goalimpact gibt es im Startartikel und auf Twitter.