FC Bayern: „Keine Ausreden“ – Alexander Straus und die Grimmigkeit, die der FCB benötigt
Alexander Straus schaut manchmal etwas grimmig in die Kameras. Angesprochen auf den Entwicklungsprozess seines Teams zieht er meist die Stirn etwas hoch, überlegt kurz und gibt dann mitunter tiefe Einblicke in seine spieltaktischen Überlegungen. Auch wenn sein Blick den Eindruck hin und wieder vermitteln mag: Grimmig ist er keinesfalls.
Der 46-Jährige ist im Gegenteil sehr freundlich, aufgeschlossen und interessiert daran, sich mit Journalistinnen und Journalisten über das auszutauschen, was auf und neben dem Platz passiert. Vor allem aber hinterlässt er dieser Tage einen selbstreflektierten Eindruck. Straus könnte hochzufrieden sein mit seinen ersten Wochen als Bayern-Trainer.
Angefangen beim 7:0 in Ingolstadt bis hin zum 4:0-Sieg in Duisburg hat sein Team noch kein Spiel verloren und erst ein Gegentor kassiert (beim 3:1 gegen Real Sociedad). Trotzdem ließ er immer wieder durchblicken, dass die Ansprüche andere sind – und scheint ein gutes Gespür für die Balance aus Kritik und Lob zu finden.
FC Bayern: Alexander Straus mit einer gesunden Mischung
„Wir finden immer Dinge, die wir verbessern können“, sagte er beispielsweise nach dem deutlichen Sieg am Wochenende gegen den MSV Duisburg bei MagentaSport: „Ich denke, wir verlieren manchmal ein bisschen unseren Fokus und unsere Konzentration.“ Gemeint ist im speziellen Fall die lange Phase nach dem 2:0 von Linda Dallmann bis in die zweite Halbzeit hinein.
Nach furioser Anfangsphase gelang es den Bayern nicht, das Tempo aufrechtzuerhalten. Stattdessen ließ man Duisburg in einigen Situationen sogar kommen. „Ich weiß, dass es schwer ist, gegen solche Gegner die Konzentration zu behalten, aber es gibt keine Ausreden“, erklärte Straus: „Wir müssen weiter wachsen.“ Derart kritische Worte ist man nach deutlichen Siegen in München nicht mehr gewohnt. Es ist aber genau die Art Anspruch, die das Team braucht.
Straus fand zugleich viele lobende Worte – und zeigte beim 0:0 in Frankfurt beispielsweise großes Verständnis dafür, dass die Spielerinnen Zeit brauchen werden, um seine Ideen zu verinnerlichen. „Es macht sehr, sehr viel Spaß mit ihm“, sagte auch Bianca Rech mit einem breiten Lächeln im Gesicht. „Er fordert die Spielerinnen und das ist genau das, was wir gebraucht haben“, so die sportliche Leiterin.
FC Bayern: Neue Kombinationsfreude im zentralen Offensivbereich
Eines der Probleme des FC Bayern war in den vergangenen Jahren, dass sie ihr offensives Zentrum zu selten ins Spiel bekommen haben. Die größte Stärke des Teams war es, die Flügel zu überladen und von dort in den Strafraum zu kommen – gerade an schwächeren Tagen führte dieser Fokus aber dazu, dass der Plan B fehlte. Viele Flanken, die keine Abnehmerin fanden, waren das Resultat.
Straus scheint das aktiv angehen zu wollen. In allen Partien war zu erkennen, dass sich der Fokus in der Offensive mehr in die Halbräume verlagert. Der Norweger fordert von seinen Spielerinnen kurze Passwege, ständige gegenläufige Bewegungen im Angriffsdrittel und den Mut zur Kombination in engen Räumen.
„Ich glaube, dass man jetzt bei den einen oder anderen Steckbällen, dass das Timing besser passt, dass die Laufwege besser passen“, analysierte Linda Dallmann in Duisburg: „Man merkt, dass wir langsam reinkommen, dass wir langsam wissen, wo wir hinlaufen.“ Es sei dennoch bei weitem noch nicht alles perfekt. Tatsächlich war die Abstimmung in den ersten Spielen eines der größeren Probleme. Das scheint nun aber sukzessive besser zu werden.
Gerade gegen qualitativ klar unterlegene Gegnerinnen war die Spielidee des Trainers schon gut zu erkennen. Vor dem 1:0 eröffneten die Bayern auf den Flügel, wo Maxi Rall die sich außen freilaufende Jovana Damnjanovic hätte anspielen können. Die Serbin hätte aber wohl nur die Flanke als Option gehabt. Stattdessen entschied sich Rall für einen Diagonalpass in den Zwischenraum, den Damnjanovic zuvor aufgezogen hatte. Dort lief sich Sarah Zadrazil frei und steckte anschließend zu Dallmann durch.
Auch wenn Duisburg in dieser und in vielen anderen Situationen zu spät kam, weil sie mit der Handlungsschnelligkeit und der Qualität der Bayern nicht mithalten konnten, so ist zunehmend zu erkennen, dass die Münchnerinnen von den Außenbahnen im Vergleich zu früher deutlich häufiger den Weg in die Kombination und ins Zentrum suchen, statt die Bälle reihenweise ins Zentrum zu flanken.
Spielaufbau bereitet dem FC Bayern noch Probleme
Weil Duisburg sehr tief verteidigte, war aber auch ein Bereich weniger gefordert, der zuletzt nicht makellos daherkam: Der Spielaufbau unter Druck. Klammert man die beiden Duelle mit Ingolstadt und Duisburg aus, gab es in jedem Spiel mindestens Phasen, in denen die Münchnerinnen Schwierigkeiten in der Spieleröffnung hatten.
Ganz extrem war es zum Auftakt in Frankfurt. Die Raute der SGE verschloss das Zentrum weitestgehend und Bayern fand kaum Lösungen, von den Außenbahnen in die Spielfeldmitte zu kommen. Das zog ihnen den Zahn. Immer wieder kam die Eintracht zu Ballgewinnen, weil die Außenverteidigerinnen der Bayern zu lange brauchten, um eine Anspielstation zu finden. Das war aber kein individuelles, sondern ein gruppentaktisches Problem.
Das Freilaufverhalten im Mittelfeld war nicht gut. Lina Magull war sehr offensiv positioniert, nutzte aber zu selten die natürlichen Schwachstellen einer Raute aus: Die Bereiche hinter den Achterinnen und vor der Abwehrkette. Damit war sie aber nur beispielhaft für nahezu alle anderen Mitspielerinnen. Bayern kam so nur selten in Überzahlsituationen und eigentlich nie in die Ballzirkulation, weil Frankfurt sie regelmäßig zu Fehlpässen oder langen Bällen zwang.
Auch Real Sociedad gelang das in beiden Partien hin und wieder und selbst Werder Bremen konnte in der ersten Halbzeit zu viel Druck auf die ballführenden Spielerinnen ausüben. Läuft der Ball mit wenigen Kontakten und einer guten Positionierung im Mittelfeld, sind die Bayern schon jetzt sehr stark. Wird diese Zirkulation aber durch mangelhaftes Freilaufverhalten oder Abstimmungsprobleme verlangsamt, sind sie anfällig für Ballverluste.
Immerhin: Gerade zwischen dem Hin- und dem Rückspiel gegen Real Sociedad konnte eine klare Entwicklung beobachtet werden. Zwar gab es auch im zweiten Duell wieder Phasen, in denen die Bayern den Ball zu hektisch nach vorn schlugen oder ihn unnötig herschenkten, aber sie spielten insgesamt geduldiger und kontrollierter. Das ist es, was der Trainer sehen möchte: Ruhe am Ball und auch bei hohem Pressing des Gegners durch kluges Freilaufverhalten Anspieloptionen schaffen.
FC Bayern: Back to the Roots? Von der Vierer- zur Dreier- zur Viererkette
Alexander Straus versuchte es zu Saisonbeginn erwartungsgemäß mit einer Dreierkette. Im 3-4-3 erhoffte er sich Dominanz und Kontrolle im Zentrum. Die einfache Besetzung der Flügel und auf dem Papier vier spielstarke Spielerinnen in der Mitte des Platzes sind ebenso verlockend wie die Absicherung durch drei Innenverteidigerinnen. Doch der Trainer stieß auf das eine oder andere Problem.
Zunächst mal sind da die angesprochenen Bewegungsabläufe, die das Team noch nicht verinnerlicht hat. Einige Spielerinnen spielten in für sie nicht gewohnten Rollen. Klara Bühl rückte viel ins Zentrum ein, Lina Magull agierte teilweise als Halbraumstürmerin und auch Georgia Stanway spielte in den letzten Jahren trotz starker Europameisterschaft in tieferer Rolle eher offensiver.
Viel schwerer wiegen dürfte aber die Besetzung des Kaders. In der Innenverteidigung kann Straus nur auf drei gestandene Profis zurückgreifen: Saki Kumagai, Glódís Perla Viggósdóttir und Tainara. Mit Emilie Bragstad kommt ein junges Talent dazu. Dass sich der Trainer nun doch wieder für eine Viererkette entschieden hat, könnte demnach zwei Gründe haben: Erstens eine Art Wohlfühlzone, in die die Spielerinnen zurückgeholt werden sollen, um gewohnte Abläufe mit neuem Input zu mischen. Zweitens die Erkenntnis, dass zu wenig Innenverteidigerinnen für eine Dreierkette im Kader stehen.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Dreierkette zurückkehren wird. Vielleicht in einzelnen Duellen mit qualitativ starken Gegnerinnen, vielleicht als Handlungsalternative in einem Spielverlauf, vielleicht aber auch erst dann, wenn die Abläufe insgesamt geschmeidiger sind.
Pressing bleibt ein Thema beim FC Bayern
Eine weitere Auffälligkeit ist das mitunter noch verhaltene Pressing des FC Bayern. Beim SK Brann ließ Straus einen sehr offensiven Fußball spielen, der auch ein hohes und aggressives Pressing beinhaltete. In München ist davon noch nicht viel zu sehen. Gegen Frankfurt und Real Sociedad gab es jeweils (zu) lange Phasen ohne Ballbesitz. Bayern ließ sich dann recht tief in die eigene Hälfte fallen.
Bei aller Dynamik und bei allem Offensivdrang erinnern diese Phasen zu sehr an die teils mutlosen Auftritte gegen den VfL Wolfsburg oder andere größere Teams in den letzten Jahren. Zugleich muss erwähnt werden, dass viele Teams sofort den langen Ball nach vorn wählen. Hohes Pressing ist dann fast unmöglich. Dann geht es mehr darum, diese zu verteidigen und anschließend die Kontrolle über Ballbesitz zu behalten.
Gerade mit Blick auf das Top-Spiel in Wolfsburg am 23. Oktober wird es darauf ankommen, eine gesunde Balance zu finden. Nur hoch anzulaufen könnte genauso Probleme bereiten wie eine zu passive und tiefe Spielweise.
Sowohl in Ballbesitz als auch in der Arbeit gegen den Ball sind den Bayern-Spielerinnen noch viele alte Muster anzumerken. Für ein neues Trainerteam ist es nicht so leicht, diese aus den Köpfen zu bekommen. Insofern sollten die ersten Pflichtspiele in keine Richtung überbewertet werden – weder positiv noch negativ.
Ausblick: Erwartungshaltung und Realität beim FC Bayern
Doch die selbstkritische Art von Straus sowie die Fortschritte in den jüngsten Partien zeigen, dass die Bayern derzeit auf einem guten Weg sind. Vor allem die Qualifikation für die Champions-League-Gruppenphase war enorm wichtig, um sich Ruhe und Zeit für den Entwicklungsprozess zu verschaffen.
Die Erwartungshaltung an den FC Bayern ist gestiegen. Gleichzeitig sollte nicht vergessen werden, dass der Klub anders als bei den Männern aktuell „nur“ die Nummer zwei in Deutschland ist. Der Vorsprung, den der VfL Wolfsburg in Sachen Qualität, Erfahrung und auch Mentalität hat, ist nach wie vor groß.
Es wird also nicht darum gehen, die Arbeit von Straus anhand einer Hinrunde oder einer Saison zu bewerten, sondern anhand einer mittel- bis langfristigen Entwicklung. Selbstredend muss es der Anspruch der Bayern sein, Titel zu gewinnen. Dafür muss in jedem Wettbewerb aber sehr viel zusammenpassen. Die fußballerische Weiterentwicklung ist im ersten Straus-Jahr entscheidender und deutlich wichtiger als einzelne Ergebnisse.
Dafür braucht es Geduld. Geduld, die vor allem dann entscheidend sein wird, wenn es erste Rückschläge gibt. Eine positive Fehlerkultur sowie eine weiterhin gesunde Balance aus Selbstkritik und Optimismus können in München eine positive Entwicklung bewirken. Im vermeintlich grimmigen Blick von Alexander Straus lässt sich zumindest mal etwas ablesen, was seinem Vorgänger fehlte: Die Ambition, sich nicht mit einem guten Niveau zufrieden zu geben.