Bayern-Rondo: Süle, Eberl und ein souveräner Sieg

Justin Trenner 28.01.2022

Für den FC Bayern München dürfte die aktuelle Saisonphase so etwas wie Entschleunigung sein. Seit vielen Monaten hetzen sie nur so durch den extrem getakteten Spielplan. Eine echte Sommervorbereitung gab es bereits seit 2019 nicht mehr. Deshalb freut sich Trainer Julian Nagelsmann momentan wohl auch sehr darüber, dass er den Großteil des Kaders mal zwei Wochen am Stück bei sich hat. Ohne Spiel, fast ohne lästige Länderspiele.

Auch die Themen, an denen sich medial gerade entlanggehangelt wird, dürften ihn nicht sonderlich stören. Größtenteils. Denn eine Nachricht hatte unter der Woche dann doch das Potential, auch Nagelsmann etwas aus der Fassung zu bringen: Niklas Süle wird den Klub im Sommer verlassen. Ablösefrei.

Was schon deshalb interessant ist, weil sich Uli Hoeneß und Herbert Hainer kürzlich noch so geäußert haben, als wäre die Geschichte noch nicht entschieden. Dann aber gab es Berichte von verschiedenen Medien, dass Süle sich schon längst entschieden habe. Und schließlich stellte sich Oliver Kahn den Medien.

Süle will weg: Das sind die Folgen

Was irgendwie auch bemerkenswert ist. Für die Kaderplanung ist doch eigentlich Hasan Salihamidzic zuständig. Mit Süle wird den Rekordmeister innerhalb eines Jahres der dritte hochklassige Innenverteidiger ablösefrei verlassen. Es ist kein großes Geheimnis, dass die Bayern nicht nur kein Verkäuferverein sein wollen, sondern dass sie darüber hinaus auch nicht gut darin sind, ihre Spieler für einen teuren Preis zu verkaufen. Während Klubs wie Borussia Dortmund oder auch andere internationale Konkurrenten regelmäßig hohe Summen für Spieler generieren, die mitunter nicht die bisherige Vita eines Süle haben, tun sich die Münchner schon schwer damit, die Thiagos und Kroos‘ dieser Welt mit entsprechendem Gegenwert abzugeben.

Auch weil in vielen Fällen die Spieler entweder nur noch wenig Vertragslaufzeit oder gar keine mehr haben. Jeder Fall ist dabei individuell zu bewerten und sicher gibt es für den einen Verkauf unter Wert bessere Gründe als für den anderen. Das Gesamtbild ist aber doch ungewohnt: In den letzten zwei bis drei Jahren werden mit Thiago, David Alaba, Jerome Boateng und jetzt Niklas Süle vier gestandene Profis, teilweise sogar Stammspieler ablösefrei oder für einen verhältnismäßig kleinen Gegenwert gewechselt sein. Untypisch für den FC Bayern.

Tut sich vor allem die neue sportliche Leitung unter der Führung von Salihamidzic also schwer damit, Spielerverträge zu verlängern? Ganz so einfach ist es auch nicht. Die Liste an Schlüsselspielern, die beim Serienmeister zuletzt ihr Arbeitspapier erneuerten, ist lang. Mit Kingsley Coman drohte ein weiterer wichtiger Spieler zu gehen, doch man bekam ihn dann doch nochmal überzeugt.

Niklas Süle: Alaba 2.0

Miasanrot kann Medienberichte bestätigen, die Julian Nagelsmann als entscheidenden Faktor ausmachten. So soll der 34-Jährige insbesondere bei Coman großen Einfluss auf den Sinneswechsel gehabt haben. Auch bei Süle versuchte der Trainer alles, um ihn zu halten. Hier aber ohne Erfolg. Nach Informationen der tz reichte dem Innenverteidiger das Jahresgehalt von rund 10 Millionen Euro nicht aus.

Bayern geht deshalb den selben Weg wie bei David Alaba. Und wie schon bei Alaba sind beide Positionen legitim. Süle fand unter Nagelsmann zu spät zu seiner Konstanz. Zwar weiß er um das Vertrauen von Nagelsmann, doch für einen Aufstieg in die oberen Bereiche der Gehaltshierarchie sind die Argumente aus Sicht des FC Bayern eben zu dünn.

Für die Münchner werden die kommenden Monate aber durchaus wichtig sein. Vielerorts wird argumentiert, dass der Klub in der Innenverteidigung gut aufgestellt sei. Dayot Upamecano, Lucas Hernández, Benjamin Pavard, Tanguy Nianzou – von gestandenen Profis bis zum Riesentalent ist alles dabei. Doch Süle hat vor allem im Aufbauspiel Qualitäten, die den Bayern womöglich noch sehr fehlen werden.

Bayerns Innenverteidigung: Ungeahnte Probleme?

Schon mit Alaba und Boateng hat der Branchenprimus zwei sehr gute Aufbauspieler verloren. Auch wenn sie defensiv nicht mehr so stabil waren wie in ihren besten Zeiten, so waren ihre Pässe oft noch messerscharf. Im Moment kassieren die Bayern nicht nur weniger Gegentore im Schnitt als im Vorjahr, sie treffen auch häufiger. Wo genau soll hier also ein Problem liegen?

Spätestens in der Champions League könnte sich offenbaren, dass man im Spielaufbau ordentlich Qualität eingebüßt hat. Süle war aufgrund seiner Verletzungen und wegen seiner Inkonstanz sicher noch weit entfernt davon, Weltklasse zu sein. Aber wenn es ums Passspiel und die kurzen Dribblings durch die erste Pressinglinie des Gegners geht, hat er seiner vereinsinternen Konkurrenz einiges voraus.

Lucas Hernández mag insgesamt der beste Innenverteidiger beim FC Bayern sein. Er ist unfassbar zweikampfstark, schnell, dynamisch und traut sich zunehmend auch mehr im Spiel nach vorn zu. Aber ein zweiter Boateng oder Alaba wird aus ihm tendenziell nicht, wenn es um die Spieleröffnung geht. Seine Entscheidungsfindung ist hier sehr wechselhaft, häufig trennt er sich zu spät vom Ball. Dayot Upamecano bringt von seinen Anlagen her alles mit, scheitert aber immer wieder an sich selbst. Und Tanguy Nianzou? Verletzungen warfen ihn immer wieder zurück und auch fit scheint er bisher keine Rolle unter Nagelsmann zu spielen. Sein Weg ist noch sehr weit.

Hernández und Upamecano müssen sich schnell entwickeln

Die große Frage wird sein, wie schnell man diesen drei Spielern eine entsprechende Entwicklung zutraut. Mindestens mittelfristig hätten die Münchner jemanden wie Süle aber weiterhin gut gebrauchen können. So oder so: Es gab Zeiten, in denen die Bayern zentral schon deutlich besser aufgestellt waren. Die für ihre Verhältnisse häufigen Ballverluste im ersten und zweiten Drittel des Spielfelds resultieren auch daraus, dass man hier noch ein gutes Stück vom Status „Weltklasse“ entfernt ist.

Im Sommer sollte man das defensive Zentrum – und somit auch das defensive Mittelfeld – nochmal stärker unter die Lupe nehmen. Es könnte eine Baustelle sein, die im Moment nicht die entsprechende Beachtung findet.

Klar ist aber auch, dass vieles davon abhängen wird, wann die aktuellen Spieler auf diesen Positionen in ihre Rollen wachsen und wie viel Luft sie noch nach oben haben. Zumindest Upamecano und Marcel Sabitzer ist da noch einiges zuzutrauen.

Bayerns beiläufiger Sieg gegen Hertha

Wenig zuzutrauen war hingegen der Hertha – und sie bestätigten alle Erwartungen. Mit der 1:4-Niederlage gegen den FC Bayern können die Berliner prinzipiell noch gut leben. Denn die Münchner dominierten ihren Gegner fast über 90 Minuten nach Belieben.

Die Süddeutsche Zeitung titelte schließlich, dass sie den Sieg beiläufig eingefahren hätten. Eine Bezeichnung, die mindestens diskutabel ist. So schwach Hertha an diesem Wochenende auch war, so stark war letztendlich aber auch die Leistung der Bayern. Wer seinen Gegner über die volle Distanz mit dieser Konzentration bespielt, kann nicht beiläufig gewonnen haben.

Der Aufwand, den die Mannschaft von Nagelsmann von Beginn an betrieben hatte, war enorm. Hinter dieser Leistung steckte eine klare Idee: Hertha am eigenen Strafraum festschnüren und direkt derart verunsichern, dass sie nicht mehr aufstehen würden. Beinahe glückte dieses Vorhaben sogar mit einem frühen Führungstreffer, aber Tolissos Tor wurde zu Recht aberkannt.

Nagelsmanns detaillierte Taktik-Anpassungen

Nagelsmann stellte dafür auf eine Dreierkette um, die sich von der sonst provisorischen Dreierkette des bisherigen Saisonverlaufs unterschied. Zuvor war es meist so, dass die Bayern mit einem tiefen und einem hohen Außenverteidiger agierten, wodurch beispielsweise der Linksverteidiger sehr hoch agierte und der Rechtsverteidiger eher als rechter Halbverteidiger. In der Folge konnte Leroy Sané links einrücken und rechts bewegte sich der Flügelspieler wie ein Flügelverteidiger – nur eben nicht im Defensivverhalten, wo dann eine Viererkette hergestellt wurde.

Gegen Hertha verzichtete Nagelsmann fast gänzlich auf eine Flügelabsicherung. Drei Innenverteidiger und sechs offensiv denkende Spieler lautete anscheinend die Anweisung. Denn die vermeintlichen Flügelverteidiger waren Kingsley Coman und Serge Gnabry. Die Restverteidigung bestand aus drei gelernten Innenverteidigern und Joshua Kimmich der viel Raum abdeckte. Denn auch Corentin Tolisso war häufig ganz vorn zu finden. Und so entstand eine Art 3-1-5-1, teilweise sogar 3-1-6.

Bayern spielte mit Tempo nach vorn und kam dort jeweils auch immer gut ins Gegenpressing. Hertha wurde erdrückt von dieser Offensivpower. Und Nagelsmann behielt mit seinem Matchplan recht. Aber beiläufig war dieser Sieg sicher nicht.

Ein (F)Eberl für die Bayern?

Max Eberl soll übereinstimmenden Medienberichten zufolge sein Amt als Sportdirektor bei Borussia Mönchengladbach aufgeben wollen. Die offizielle Bestätigung des Klubs wird voraussichtlich am heutigen Freitag um 14 Uhr folgen. Indes berichtet RP Online: „Er soll bei einem anderen Klub einsteigen wollen und die Borussia-Bosse bereits vor ein paar Wochen über seinen Entschluss informiert haben.“

Andere Medien berichten wiederum, er wolle erstmal eine Fußballpause einlegen. Vielleicht ja auch beides? Beim FC Bayern München läuft der Vertrag von Salihamidzic im Sommer 2023 aus. Legt Eberl ein Sabbatical ein, stünde er als Nachfolger zur Verfügung. Mehr als Spekulation dürfte das aber nicht sein.

In der Bundesliga gibt es aktuell viele Klubs, die mit ihrer Besetzung auf Eberls Position nicht hundertprozentig zufrieden sind. Der VfL Wolfsburg und Leipzig sind wohl die prominentesten Beispiele. Eberl wird aufgrund seiner überwiegend positiven Arbeit bei den Gladbachern wohl keine Probleme haben, einen neuen Job zu finden.

Bayern bemühte sich sehr um Ansehen für Salihamidzic

Auch wenn die Bayern noch vor der Verpflichtung von Salihamidzic sehr daran interessiert waren, Eberl unter Vertrag zu nehmen, so käme ein jetziges Interesse einer nahezu hektischen Rückwärtsrolle gleich. Salihamidzic bekam und bekommt trotz aller Erfolge von außen viel Kritik für seine bisherige Amtszeit beim Rekordmeister. Der Klub war hingegen sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Hintergrundgesprächen immer darum bemüht, ihn fast schon überschwänglich zu loben.

Rund um den Disput mit Hansi Flick gab es erstmals auch intern spürbare Differenzen, berichteten verschiedene Medien. Nach Miasanrot-Informationen reichten diese aber nicht, um tiefere Risse zu erzeugen. Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt. Salihamidzic setzte sich durch, Flick musste gehen. Die Deckung für den Sportvorstand war zu groß.

Es gibt immer wieder kritische Stimmen aus dem Umfeld, die Salihamidzic unterstellen, dass es vor allem sein Team rund um Marco Neppe sei, das ihn in einem besseren Licht dastehen ließe. Der FC Bayern wehrte sich stets gegen solche Vorwürfe. Dass es kürzlich Gerüchte gab, Salihamidzic würde seinen Vertrag in der zweiten Hälfte dieses Jahres verlängern, ist daher wenig überraschend.

Eine anderweitige Entscheidung wäre schon deshalb eine Art Novum für den FC Bayern, weil der Umgang mit Salihamidzic einen zwischenmenschlichen Tiefpunkt darstellen würde. Ungeachtet aller inhaltlicher Argumentationslinien würde das allem widersprechen, was der Klub in den letzten Monaten und Jahren gesagt und getan hat. Die Bemühungen, Salihamidzic als kompetenten Sportvorstand zu etablieren, manchmal vielleicht sogar zu inszenieren, würden damit konterkariert werden. Selbst wenn jemand Externes zusätzlich verpflichtet werden würde. Allerdings ist das ebenfalls unwahrscheinlich. Schließlich übernimmt Neppe schon viele Aufgabenbereiche, die ein klassischer Sportdirektor sonst inne hätte.

Salihamidzic thront wohl sicher

Auf der anderen Seite hatte Eberl sich in den letzten zwei bis drei Jahren nicht gerade für eine Aufgabe beim FC Bayern beworben. Seine mutige Entscheidung, Dieter Hecking gegen ein progressiveres Trainerteam rund um Marco Rose zu ersetzen, schien zunächst aufzugehen, führte letztendlich aber zu großen Problemen. Rund um den Rose-Wechsel nach Dortmund schien in Gladbach einiges zu zerbrechen.

In dieser Saison bekommen die Fohlen unter der Leitung von Adi Hütter die Quittung. Es sieht danach aus, als müsse die Borussia um den Klassenerhalt bangen. Das alles schmälert sicher nicht die herausragende Arbeit der Vorjahre. Was Eberl aus dem einstigen Fast-Absteiger gemacht hat, ist kaum mit Worten zu würdigen. Und doch wird auch ein Ende in Erinnerung bleiben, das diesem Vermächtnis unwürdig ist.

Beim FC Bayern ist man erfahrungsgemäß schnell skeptisch, wenn solche Entwicklungen auftreten. Zumal die Münchner unter der Verantwortung von Salihamidzic außerordentlich erfolgreich waren in den letzten Jahren. Über Anteile zu diskutieren, wäre müßig. Der Erfolg ist nun mal da. Selbst wenn sie jetzt aber entgegen aller Vorzeichen nun doch entscheiden würden, den Vertrag von Salihamidzic auslaufen zu lassen, müsste nicht zwangsläufig Eberl der favorisierte Kandidat sein.

Alles in allem erscheint es zum jetzigen Zeitpunkt abwegig zu sein, dass die Bayern ein derartig brisantes Vorhaben in die Wege leiten. Zumal Eberl diese Entscheidung ja schon längst getroffen haben müsste. Erst kürzlich attestierte Oliver Kahn seinem aktuellen Sportvorstand noch „eine lange Zeit“ beim FC Bayern. Es wäre vielleicht der dreisteste Hinterhalt seit der „Roten Hochzeit“ in Game of Thrones, sollten sich die letzten Jahre als große Lüge herausstellen.

Update: Eberl hört aus gesundheitlichen Gründen auf

Update: Mittlerweile ist die Pressekonferenz mit Max Eberl vorbei. Der Sportdirektor hat dort sein sofortiges Ende bekanntgegeben und die Gründe sehr offen dargelegt: „Ich möchte jetzt einfach mal Max Eberl sein. Ich möchte die Welt sehen und denke zum ersten Mal in meinem Leben nur an mich. Ich habe diese Entscheidung nicht getroffen, um zu einem anderen Verein zu gehen. Ich möchte mit dem Fußball erstmal nichts mehr zu tun haben.“

Damit sollten alle Spekulationen endgültig beseitigt sein. Es ist ein sehr wichtiges Zeichen, dass Eberl damit an die Öffentlichkeit gegangen ist. Über von Burnout oder Depressionen betroffene Menschen wird insgesamt nach wie vor zu wenig geredet. Über die Krankheiten wird zu wenig aufgeklärt. 2017 gab es dazu eine sehr hörenswerte Rasenfunk-Folge.



♥ Artikel teilen

Jetzt teilen!

Jetzt teilen!