Vorschau: Frankfurt im Mann-gegen-Mann-Modus?
Bis zum 30. September hat es gedauert. Jetzt aber kann Trainer Oliver Glasner auf seinen ersten Sieg mit Eintracht Frankfurt zurückblicken. Gegen Royal Antwerpen sah es lange Zeit so aus, als würde es beim 0:0 und somit beim siebten Unentschieden in Serie bleiben. Aber dann erlöste Joker Gonçalo Paciência seinen Klub per Elfmeter.
Wer die Jubelszenen vernahm, dürfte festgestellt haben, wie befreiend dieser Sieg war. Die Ansprüche in Frankfurt sind in den letzten Jahren gewachsen. Mit den Erfolgen in Pokal, Bundesliga sowie der UEFA Europa League kamen Gier und Lust auf mehr. Doch im vergangenen Sommer erfolgte ein Umbruch, der lange so nicht vorhersehbar war.
Bruno Hübner, Fredi Bobić, Adi Hütter – das sind nur drei von vielen Namen, die die Eintracht verloren hat. Aber vielleicht sind es die zentralen Bausteine des Erfolgs in der jüngeren Vergangenheit. Von der Führungsetage bis hin zum Kader selbst gab es einige Veränderungen. Sportlicher Leiter ist nun Markus Krösche (ehemals Leipzig), trainiert wird das Team von Oliver Glasner samt neuem Trainerteam.
Eintracht Frankfurt und die Suche nach sich selbst
Diese stark verkürzte Ausführung dessen, was im Sommer passiert ist, reicht im Prinzip schon aus, um zu erklären, weshalb es in Frankfurt aktuell womöglich nicht so läuft wie gewünscht. Dabei fehlen sogar noch wichtige Details wie der Streit um Filip Kostić und seinem Wechselwunsch zu Lazio Rom oder jener um Amin Younes. Aufgearbeitet wurden all diese Themen sehr ausführlich in der Rasenfunk-Schlusskonferenz zum 4. Spieltag der Männer-Bundesliga.
Hier soll der Fokus vor allem auf sportlichen Themen liegen. Denn mit Glasner hat die Eintracht einen Trainer verpflichtet, der doch recht stark von dem abweicht, wofür Hütter so steht. Will man Letzteren als Liebhaber des Heavy Metal beschreiben – also hohe Aggressivität, viel Körperlichkeit, intensives Pressing und sehr direktes wie auch vertikales Spiel in die Spitze, ist Ersterer wohl eher ein Anhänger des Jazz. Ihm sind Geschmeidigkeit und Ruhe wichtiger.
Und doch sind beide wiederum nicht so weit auseinander, wie es den Anschein macht. Auch Glasner fordert von seinen Spielern Intensität gegen den Ball ein und Hütter sieht es selbstverständlich nicht gern, wenn Bälle im Mittelfeld leichtfertig vertändelt werden. Aber Frankfurts Wechsel von temporeichem Gegenpressingfußball hin zu einer kontrollierteren Herangehensweise ist dennoch bemerkenswert.
Zuordnungs- und Abstimmungsprobleme
Glasner hat gewissermaßen noch mit dem Erbe zu tun, das er von seinem Vorgänger erhalten hat – und das in vielerlei Hinsicht. Zunächst wäre da der angesprochene Druck durch eine gesteigerte Erwartungshaltung. Viel entscheidender ist aber, dass ein Wechsel zwischen den beschriebenen Philosophien nicht innerhalb weniger Spieltage funktioniert.
Die Abläufe sind aktuell ein großes Problem. Wann rückt ein Spieler aus seiner Position heraus, wann bleibt er in der Kette? Wer geht in Ballbesitz wann tief und wer dafür entgegen? Wann wird das eigene Pressing ausgelöst und wann ist es besser, die Formation zu halten? Diese und viele weitere Fragen sorgen in den Spielen noch zu oft für Momente, in denen individual- oder gruppentaktisch Fehler gemacht werden.
Sowohl das Übergabeverhalten der Defensivspieler als auch das Nachschieben bei Pressingauslösern funktionieren noch nicht so, wie es Glasner sich wünschen dürfte. Das öffnet dem Gegner immer wieder Räume. Beim 1:0 der Kölner war die Situation beispielsweise schon geklärt, als ein langer Ball plötzlich die gesamte Hintermannschaft entblößte. Beim Herausrücken fehlte die Zuordnung für Jonas Hector, der angespielt wurde, und auch für weitere Gegenspieler im Zentrum – unter anderem Ellyes Skhiri, der den Querpass von Hector einschob.
Zu wenig Druck im Pressing?
In einer weiteren Szene des selben Spiels rückten die Frankfurter Offensivspieler nach einem Querpass auf den gegnerischen Außenverteidiger aggressiv heraus. Allerdings konnten sich die Kölner befreien und fanden hinter der ersten Pressinglinie einen großen Raum, in dem sie Tempo für ihren Angriff aufnehmen konnten.
Mit 116,5 Drucksituationen pro Spiel sind die Frankfurter rein statistisch gesehen so passiv wie keine andere Bundesligamannschaft. Das wäre an sich kein Problem, wenn sie dennoch die entscheidenden Räume eng halten könnten, aber das können sie eben nicht oft genug.
Viel schwerwiegender sind diese Abstimmungsprobleme aber in der Offensive. Fünf Gegentore in den letzten sieben Partien wären zu vernachlässigen, wenn man vorn ausreichend Tore erzielen würde. Einerseits fehlt hier mit André Silva einfach Qualität. Aber es darauf zu beschränken, wäre zu einfach. Weniger Druck im Pressing bedeutet weniger offensive Umschaltmomente, was wiederum dazu führt, dass Frankfurt recht häufig aus statischen Spielsituationen Tore erzielen muss. Und dafür fehlt es ihnen aktuell schlichtweg an Überraschungsmomenten.
Umstellung auf Dreierkette
Bis zum Strafraum sieht das oft noch recht gefällig aus, aber sowohl im Mittelfeldzentrum als auch im Strafraum fehlt es der (noch) Mannschaft an Qualität – taktisch und individuell. Glasner war aus Wolfsburg ein technisch sehr starkes Zentrum gewohnt, das er so in Frankfurt nicht hat. Die Eintracht hat im Mittelfeld jahrelang eher Spieler verpflichtet, die laufstark, durchsetzungsfähig und zweikampfstark sind – unter Glasner täte ihnen aber jemand mit mehr gestalterischen Fähigkeiten gut.
Köln schaffte es mit der kompakten Raute phasenweise, den Sechserraum der Frankfurter zu kontrollieren und dort einige gute Ballgewinne zu verbuchen. Wirklich nach vorn geht es meist nur über die Flügel, wo natürlich vor allem Kostić der Schlüsselspieler ist. Aber auch ihm fehlen Mitspieler, die mit Tiefenläufen den Gegner auseinanderziehen. Zu wenig Bewegung, zu wenig Raumgewinn und dadurch in letzter Konsequenz auch zu wenig Torgefahr.
Das 4-2-3-1 hat sich bisher nicht als sonderlich hilfreich erwiesen, um dem Team eine Grundstruktur zu verpassen, in der die Abläufe womöglich leichter fallen. Deshalb hat Glasner jetzt wieder umgestellt. Gegen Antwerpen lief die Eintracht erstmals seit der 2:5-Niederlage zum Bundesligaauftakt in Dortmund wieder mit einer Dreierkette auf.
Stärken
- Physis
- Offensives Umschalten
- Individuelle Qualität durch Kostić, Kamada und Hauge
- Spiel über die Flügel
- Strafraumbesetzung bei Flanken (insbesondere im Rückraum)
Schwächen
- Abstimmungsprobleme in allen Bereichen
- Individuelle Qualität im Sechserraum (technisch) und im Angriff (Präsenz + Abschluss)
- Zu wenige Überraschungsmomente aus statischen Spielsituationen heraus
- Hohes Pressing greift zu oft nicht
- Spieler lassen sich zu leicht aus Positionen ziehen
Typische Spielweise
- Zuletzt oft Viererkette im 4-2-3-1
- Jetzt eher wieder mit Dreierkette; gegen Antwerpen im 5-3-2
- In der Eröffnung wird das Mittelfeld oft überbrückt
- Viel Flügelspiel, viele Flanken
- Zielspieler Kostić soll freigespielt werden
- Flexibles Mittelfeldpressing (mal höher, mal tiefer)
Frankfurts Chance liegt auf den Außenbahnen
Im 5-3-2 zeigten sich zumindest in Ansätzen einige positive Verbesserungen:
- Martin Hinteregger ist als Halbverteidiger einer Dreierkette stärker im Spielaufbau
- Drei tiefere zentrale Mittelfeldspieler stabilisieren das Zentrum
- Gegen den Ball schmerzte es weniger, wenn ein Spieler aus der Fünferkette herausrückte
In der Offensive hingegen blieb es zäh, was Frankfurt anzubieten hatte. Allerdings hätte die Grundausrichtung gegen Bayern einen spannenden Nebeneffekt: Sie würde das 2-3-5 des amtierenden Meisters spiegeln. Wahrscheinlich würden die Münchner darauf reagieren, indem der Rechtsverteidiger nicht so oft ins Mittelfeld vorrückt, was wiederum zu einer Überzahl im Zentrum führen könnte. Einige Mannorientierungen könnten zumindest dabei helfen, nicht zu passiv zu werden. Zugleich bieten sie den Bayern die Chance, ihre individuelle Qualität auszuspielen.
Glasner wird in der Gegneranalyse festgestellt haben, dass die Bayern, wenn sie überhaupt einen nennenswerten Schwachpunkt haben, eher auf den Flügeln verwundbar sind. Der Ausgleich gegen Köln könnte eine Blaupause dafür sein, wie sie auch am Sonntag in der Allianz Arena erfolgreich sein können (ab 2:57 ca.).
Wenn die Bayern mal nicht gut ins Pressing kommen, lenken sie ihre Gegner durch das kompakte Positionsspiel geschickt auf die Außenbahnen. Allerdings ist auch der Serienmeister nicht ohne Fehler und Makel. Gerade auf den Flügeln ist in dieser Saison schon der eine oder andere Gegentreffer entstanden. Ein womöglich wunder Punkt, der wie gemacht zu sein scheint für die Eintracht und vor allem Kostić.
Frankfurt schlägt bekanntlich viele Flanken und ist hier besonders über den Rückraum sehr stark. Ein typisches Muster ist, dass zwei Spieler die gegnerischen Innenverteidiger in Richtung Tor drücken, während dahinter mindestens ein Spieler aus dem Mittelfeld in den Strafraum einläuft. Gegen Köln war das häufig Jens Petter Hauge. Gerade den Rückraum gilt es es aus Bayern-Sicht deshalb im Blick zu behalten.
In einer neuen Folge „Mia san Rotstift“ sind wir auf die Probleme der Bayern nochmal eingegangen, indem wir eine Szene gegen Dynamo Kyiv analysiert haben:
Stolperstein Frankfurt oder Favoritensieg?
Wenn Frankfurt eine Chance hat in München, dann ist es wohl diese. Allerdings steht außer Frage, dass die Bayern in ihrer Verfassung abermals klarer Favorit sind. Mit ihrem flexiblen Bewegungsspiel (=> zur Analyse) dürften sie in der Lage sein, die Schwächen der Eintracht im Übergabeverhalten für sich nutzen zu können.
Ein weiterer Sieg wäre für die Bayern vor allem mit Blick auf das Auswärtsspiel in Leverkusen nach der Länderspielpause besonders wichtig. Mit der aktuellen Ausgangslage können sie bereits früh für klare Verhältnisse in der Bundesliga sorgen.
Ob Frankfurt mit dem ersten Saisonsieg im Rücken nun ein anderes Gesicht zeigen und somit ein Stolperstein für die Münchner sein kann, wird sich zeigen.