Miasanrot Stats Corner: Bayerns Transferstrategie
Nicht erst seit den jüngsten Transfers von Dayot Upamecano und Marcel Sabitzer (sowie Julian Nagelsmann und seinem Trainerteam) wird in Deutschland kontrovers darüber diskutiert, ob die Schwächung der nationalen Konkurrenz vom FC Bayern nicht nur in Kauf genommen, sondern womöglich gezielt vorangetrieben wird.
Die tatsächlichen Motive sind für Außenstehende letztlich schwer bis gar nicht zu ergründen, auch wenn sich vereinzelt Aussagen von (ehemaligen) Verantwortlichen finden lassen:
Unabhängig von den Motiven können wir jedoch die sichtbaren Ergebnisse der aktuellen Transferstrategie analysieren und mit denen anderer Vereine vergleichen.
Zu diesem Zweck haben wir sämtliche Transfers seit der Saison 2010/11 unter die Lupe genommen und die jeweiligen abgebenden Vereine untersucht. Spielerleihen und Transfers von eigenen Jugendmannschaften wurden zu diesem Zweck zunächst einmal ausgeklammert.
Transfers im europäischen Vergleich
Folgende Grafik zeigt sämtliche Zugänge fünf großer europäischer Vereine aufgeschlüsselt nach deren Herkunft. Hierfür haben wir unterschieden zwischen Transfers aus dem selben Land (in rot/orange), Transfers aus einem Land einer der größten fünf Ligen (England, Spanien, Deutschland, Italien und Frankreich; jedoch nicht aus dem selben Land; in blau), sowie Transfers aus anderen Ländern (jeweils aufgeschlüsselt nach Kontinent; in Grautönen).
Die beiden erstgenannten Länderkategorien sind zusätzlich noch aufgeteilt nach Positionierung des Herkunftsvereins in der vor dem Transfer abgelaufenen Saison in der heimischen ersten Liga. Hierbei unterscheiden wir zwischen „Top 3“ (der Verein erreichte einen der ersten drei Plätze), „Upper half“(der Verein landete in der oberen Tabellenhälfte), „Lower half“ (der Vereine landete in der unteren Tabellenhälfte oder stieg in die oberste Liga auf), sowie „Lower tiers“ (Zusammenfassung sämtlicher verbleibender Vereine des Landes).
Ein Blick auf die groben Farbverläufe zeigt bereits große Unterschiede zwischen den Vereinen. Während Spielertransfers aus dem eigenen Land für Juventus Turin ca. 70% sämtlicher Transfers ausmachen, sind diese für Manchester City und Paris SG mit jeweils ca. 25% eher die Ausnahme.
Auch der Anteil von Transfers aus Ländern der größten fünf Ligen unterscheidet sich stark: Für Paris SG sind dies fast ca. 65%, für Juventus Turin hingegen nur um die 20%.
Noch interessanter – auch hinsichtlich der Eingangshypothese – sind die Anteile der Transfers aufgeschlüsselt nach der Tabellenpositionierung. Hier wird sichtbar, dass Transfers von direkten Meisterschaftskonkurrenten einen vergleichsweise großen Anteil am gesamten Transfergeschehen der Münchner ausmachen. Wie eingangs erläutert, beantwortet dies nicht die Frage nach dem Motiv, es zeigt jedoch zumindest, dass diese Art der Transfers in Europa nicht unbedingt weit verbreitet ist.
Dies wiederum mag unterschiedliche Ursachen haben: So bewegen sich die Top 3 der Premier League und über weite Strecken mindestens zwei der Top 3 aus der spanischen La Liga sportlich und finanziell in ähnlichen Sphären, wodurch die Motivation eines Spielers für einen Transfer sicherlich geringer ist als bei einem Wechsel von Dortmund nach München oder von Marseille nach Paris. Bei zu großer Diskrepanz innerhalb der Top 3, mag zwar die Motivation für einen Wechsel auf Spielerseite gegeben sein, hier stellt sich jedoch wiederum die Frage, ob die Qualität der verfügbaren Spieler überhaupt ausreichend ist. So könnte das verfügbare Spielermaterial in der französischen Ligue 1 die Ambitionen von Paris SG vermutlich nur begrenzt unterstützen.
Hinzu kommt, dass die Ansprüche der verschiedenen Vereine sich teils stärker unterscheiden. So sind der FC Bayern und z.B. RB Leipzig zwar Konkurrenten um die Meisterschaft, jedoch würde (bzw. kann) Leipzig den Wechsel eines Leistungsträgers nach München nicht kategorisch ausschließen. Kämpfen zwei Mannschaften hingegen auf Augenhöhe um die Meisterschaft (wie z.B. über viele Jahre in Spanien), ist es durchaus möglich, dass Liga-interne Wechsel mit aller Kraft zu verhindern versucht werden.
Spielanteile von Neuzugängen im europäischen Vergleich
Obige Grafik gibt zwar einen guten ersten Überblick über Transferbewegungen, sagt jedoch nichts darüber aus, ob die neu verpflichteten Spieler auch eine relevante Rolle in ihrem neuen Team spielen konnten. Zur Beantwortung dieser Frage können uns die jeweiligen Spielanteile von Neuzugängen eine Indikation geben.
Team | Transfers per season | Matches played by new signings |
---|---|---|
Bayern Munich | 4.1 | 39.1% |
Real Madrid | 3.9 | 35.4% |
Manchester City | 6.9 | 31.4% |
Paris SG | 5.0 | 52.0% |
Juventus FC | 11.4 | 21.7% |
Die Tabelle zeigt einerseits auf, dass sich die durchschnittliche Transferaktivität zwischen den betrachteten Vereinen stark unterscheidet. Juventus Turin verpflichtet im Schnitt fast drei mal so viele Spieler wie der FC Bayern oder Real Madrid.
Andererseits finden wir hier Informationen darüber, inwiefern neue Zugänge auch direkt in die erste Mannschaft eingebunden werden. In Turin spielen Neuzugänge im Schnitt nur etwas über ein Fünftel der Spiele, wohingegen sie in Paris direkt große Spielanteile übernehmen können. Die Erklärung der Diskrepanz liegt auch in den in dieser Analyse ausgeblendeten Leihgeschäften. Wie bei vielen italienischen Vereinen, kommt es auch in Turin häufig vor, dass Spieler verpflichtet und direkt wieder verliehen werden. Auch Manchester City gibt einige Neuzugänge regelmäßig leihweise wieder ab.
Transfers im nationalen Vergleich
Blicken wir wieder auf die generellen Transferbewegungen und fügen hier einige der innerdeutschen Konkurrenten des FC Bayern zur Analyse hinzu, bleiben die Bayern weiterhin Spitzenreiter hinsichtlich nationaler Top-3-Transfers. Die wechselnde Zusammensetzung der Top 3 auf der einen Seite, sowie die große sportliche und finanzielle Diskrepanz zwischen dem FC Bayern und der Konkurrenz auf der anderen Seite, können hier vermutlich als eine Erklärung herangeführt werden.
Ein allgemeinerer Blick auf die Statistik zeigt zudem, dass der Blick des FC Bayerns im Vergleich nur selten über die fünf bekannten Ligen/Länder hinausgeht. Hier könnte jedoch auch argumentiert werden, dass es für die Bayern schlicht schwieriger ist, Spieler von ausreichender Qualität in „schwächeren“ Ligen zu finden. Vereine wie Manchester City, welche sicher vergleichbare Ambitionen wie die Münchner haben, verpflichten zwar ebenfalls viele Spiele außerhalb der großen Ligen, verbinden dies jedoch wie bereits erwähnt auch mit einem hohen Anteil an Leihgeschäften.
Liga-Performance nach Spielerabgängen
Aus den gezeigten Grafiken geht hervor, dass der FC Bayern überdurchschnittlich viele Spieler von der direkten nationalen Konkurrenz verpflichtet. Folgende Grafik zeigt die Top 4 der Bundesliga seit Anfang des Jahrtausends. In der Grafik sind jeweils Transfers von Spielern zum FC Bayern zum Ende einer Saison gekennzeichnet.
Zwar verpflichtete der FC Bayern in dieser Zeit keinen einzigen Spieler von einem Meister, jedoch kam der Meister in 16 von 22 Saisons auch aus München. Von knapp dahinterliegenden Vereinen bedienten sich die Bayern hingegen regelmäßig. Anfang der 2000er Jahre verlor Leverkusen in drei Saisons insgesamt vier Spieler an den FC Bayern. Ähnliches musste der BVB in den Jahren zwischen 2012 und 2015 hinnehmen. Auch die TSG Hoffenheim verlor in zwei Jahren ganze vier Spieler an den FC Bayern. Einzig Überraschungsmannschaften wie der VfL Wolfsburg nach der Meistersaison 2008/09 oder der Vizemeisterschaft 2014/15 und Hannover 96 nach der Saison 2009/10 mussten in diesem Zeitraum nach einer Top-4-Platzierung keine Spieler nach München ziehen lassen.
Fazit
Der FC Bayern München verpflichtet auffällig viele Spieler von der direkten nationalen Konkurrenz. Auch wenn die Gründe hierfür vielfältig sein mögen (Spieler kennen bereits Sprache und Liga, Spieler sind der Scoutingabteilung bestens bekannt, Spieler lassen sich einfacher von sportlicher und finanzieller Perspektive überzeugen, etc.), so ist die Strategie auf Dauer doch riskant. Nationale Dominanz lässt sich auf diese Weise gut realisieren, jedoch haben insbesondere die Jahre nach den Dortmunder Meisterschaften gezeigt, dass insbesondere starke nationale Konkurrenz, den FC Bayern zu sportlich neuen Höhen antreiben lässt.
Gäbe es in der sportlichen Führung Bestrebungen, Spieler von Konkurrenten zu verpflichten, um diese sportlich zu schwächen, wäre dies durchaus bedenklich. Würde es doch letztlich bedeuten, dass der FC Bayern langfristigen Erfolg durch bestmögliche Spieler, der kurzfristig einfacher zu gewinnenden Meisterschaft opfern würde.
Welche Muster sind euch in den gezeigten Daten aufgefallen, welche wir vielleicht nicht näher betrachtet haben?
Gäbe es noch weitere Analysen, welche in diesem Kontext interessant wären?
Und wie seht ihr generell die Transferpolitik des FC Bayern in den letzten Jahren und Jahrzehnten?