Trotz 0:3 gegen Neapel: „Es wird alles gut werden“

Justin Trenner 31.07.2021

Die Gäste aus Neapel mussten noch auf viele Spieler verzichten und stiegen später in die Sommervorbereitung ein als der FC Bayern. Insofern war die Favoritenrolle mindestens für den ersten Durchgang klar verteilt.

Denn da setzte FCB-Trainer Julian Nagelsmann auf die EM-Rückkehrer: Im 4-1-4-1 begannen vor Torwart Sven Ulreich die Franzosen Benjamin Pavard, Dayot Upamecano, Tanguy Nianzou und der Aushilfslinksverteidiger Josip Stanišić. Leon Goretzka agierte davor als Bindeglied zur Offensive, in der mit Leroy Sané (rechts), Serge Gnabry, Jamal Musiala (beide auf der Acht), Kingsley Coman (links) und Robert Lewandowski alles aufgeboten war, was aktuell zur Verfügung steht. Neapel setze wiederum auf ein 4-2-3-1 und ein Mittelfeldpressing.

Falls Ihr es verpasst habt

Die Partie war noch gar nicht richtig gestartet, da gab es schon den ersten Schockmoment für die Bayern. Kingsley Coman verletzte sich bei einem Zweikampf am eigenen Strafraum an der Hüfte und musste kurz darauf ausgewechselt werden. Für ihn kam Eric Maxim Choupo-Moting (8.).

Ansonsten gelang es den Bayern relativ schnell, die Spielkontrolle zu übernehmen. Hinten standen die Münchner stabil, vorn gab es den einen oder anderen Abschluss. Gegen Ende der ersten Halbzeit schien die Fitness einiger Spieler aber rapide nachzulassen. Konzentrationsschwächen und Ballverluste häuften sich und auch die Chancen der Italiener kamen so langsam. Trotzdem ging es mit einem 0:0 in die Pause.

Wie angekündigt, wechselte Nagelsmann dann kräftig durch. Bis auf Choupo-Moting und Sané wurden alle Feldspieler vom Feld genommen. Außerdem wurde auf Dreierkette umgestellt.

Rückstand nach Cuisance-Fehler

Nach etwas mehr als 60 Minuten nahm der Trainer dann auch Choupo-Moting und Leroy Sané runter. Außerdem musste Lawrence nach einem Zweikampf ausgewechselt werden. Es kamen Gabriel Vidovic, Christopher Scott und Armindo Sieb, was auch eine Rückkehr zur Viererkette bedeutete.

In der 70. Minute ging dann Neapel in Führung. In der Mitte verlor Cuisance nach einem Dribbling den Ball und Osimhen versenkte ihn von der Strafraumgrenze. Kurz darauf schenken die Bayern den Ball wieder im Mittelfeld her. Wieder war es Cuisance, der die falsche Entscheidung trifft und den Ball direkt in die Beine der Italiener spielt. Konter, erneut Osimhen, 2:0 Neapel.

Fünf Minuten vor dem Ende machten die Italiener noch den Deckel drauf: Machach traf ebenfalls nach einem satten Abschluss aus mehr als 16 Metern Entfernung (86.). Das war dann zugleich auch der Endstand. Prinzipiell hatten sich die Bayern mit „drei Eigentoren“ selbst um ein besseres Ergebnis gebracht, wie es Nagelsmann nach der Partie sagte.

Dinge, die auffielen

1. Weitere Erkenntnisse zu den einrückenden Außenverteidigern

Die Rolle der defensiven Außenspieler war eine der taktischen Anpassungen, die in allen Testspielen am auffälligsten waren. Immer wieder tauchten sie im Mittelfeldzentrum auf, um den Spielaufbau zu unterstützen, oder Räume für Mitspieler zu öffnen. Unter anderem analysierten wir das hier und hier.

Gegen den SSC Neapel konkretisierten sich diese Abläufe und es wurde nun in Summe mit den anderen Auftritten deutlicher, wann die Außenverteidiger sich wie verhalten. In der ersten Phase des Spielaufbaus stehen sie meist noch breit. Nicht direkt an der Außenlinie, aber noch klar auf ihrer nominellen Position.

Geht der Ball allerdings auf die andere Seite, rückt der ballferne Außenverteidiger ein. Dabei orientiert er sich in etwa am breitesten Gegenspieler. Warum? Wahrscheinlich als Absicherung und zusätzliche Anspieloption, falls Goretzka nach einem möglichen Anspiel aufdreht.

Es gibt aber auch Situationen, in denen beide Außenverteidiger gleichzeitig enger positioniert sind. Das betrifft vor allem die zweite Phase des Spielaufbaus.

Durch das Einrücken ermöglichen Pavard und Stanišić den beiden Achtern, den Zwischenlinienraum des Gegners zu besetzen, ohne einen zu großen Raum neben Goretzka zu öffnen. Der wiederum profitiert auch davon, mehrere Anspielmöglichkeiten um sich herum zu haben. Und auch der Absicherungsaspekt dürfte hier wieder eine Rolle spielen. Denn verliert Goretzka den Ball, gibt es viele Spieler in Ballnähe, die sofort ins Gegenpressing gehen können. Interessant ist zudem, dass die eingerückten Außenverteidiger nicht nur dafür sorgen, dass der Gegner enger verteidigt und sich so Räume für Sané und Choupo-Moting ergeben, sondern sie können durch gezielte Läufe auch den Raum für ein flaches Zuspiel nach außen öffnen.

Wenn Pavard seinen Gegenspieler mitzieht und Gnabry Innen- sowie Außenverteidiger für einen Moment bindet, kann sich wie hier Raum für Sané ergeben. Oder eben auf der anderen Seite, wenn Stanišić diesen Lauf macht. Ein flacher Pass ist immer schneller da als eine gechipte Verlagerung. Dementsprechend haben die Flügelspieler dann mehr Zeit, in Eins-gegen-eins-Duelle zu gehen. Dass das gegen Neapel nicht so oft geklappt hat, dürfte auch am Stand der Vorbereitung, dem fehlenden Rhythmus und den konditionellen Rückständen der Spieler liegen. Aber: Es wird immer deutlicher, wie Nagelsmann dieses Stilmittel nutzen möchte.

2. 15 Minuten Dreierkette

In der zweiten Halbzeit war es das dann vorerst mit den einrückenden Außenverteidigern – denn Nagelsmann stellt um. Mit seinen acht Einwechslungen veränderte sich auch die Grundausrichtung. Die Bayern agierten nun je nach Situation in einem 3-5-2, 3-4-3 oder 3-2-5. Doch auch mit drei Innenverteidigern hatte der Trainer einen taktischen Kniff parat, um das Mittelfeldzentrum in der zweiten Phase des Spielaufbaus zu unterstützen: Die Halbverteidiger schoben mitunter sehr stark ins Mittelfeld vor, sodass Torben Rhein und Mickaël Cuisance entsprechende Unterstützung hatten. Meist übernahm diese Rolle Jamie Lawrence und so entstand situativ dann doch wieder die 2-3-Staffelung im Aufbau.

Weil Lawrence aber nach einem Zusammenprall ausgewechselt werden musste, hatte sich diese Formation schnell wieder erledigt.

3. Weitere Beobachtungen

  • Es mag angesichts der vielen Gegentore kurios sein, aber prinzipiell bietet das System der Bayern eine defensive Grundabsicherung, die im Saisonverlauf noch wertvoll werden kann. Bei den meisten Ballverlusten sind immer genug Spieler in der Lage, ein druckvolles Gegenpressing aufzuziehen. Warum es dann trotzdem so viele Gegentore hagelt? Weil Systeme immer davon abhängen, wie sie umgesetzt werden – und nicht alle Ballverluste zu verteidigen sind. Fehler wie jene von Cuisance beim 0:1 und auch 0:2 sind nur schwer zu reparieren. Die fehlende Präzision im Spiel der Bayern ist aktuell das Hauptproblem. Es wird in den kommenden Wochen vor allem darum gehen, die Spieler in den entsprechenden Rhythmus zu bringen, sodass mehr Abläufe reibungsloser funktionieren.
  • Das Innenverteidiger-Duo Nianzou/Upamecano funktioniert jetzt schon sehr gut. Mit ihnen stehen die Bayern hinten nicht nur oft stabil, auch ihre Qualitäten im Spielaufbau sind für das Team sehr wichtig.
  • In der Offensive ist die fehlende Präzision schon eher ein Problem. Klare Torchancen waren in den bisherigen Testspielen Mangelware. Bis zum Bundesligastart im Gladbach müssen die Münchner mehr Durchschlagskraft entwickeln. Aber auch das ist eher keine Frage der Ausrichtung, sondern viel mehr eine der Abstimmung untereinander.
  • Für Nagelsmann wird es eine große Herausforderung, einen guten Saisonstart hinzulegen. Die suboptimale Vorbereitung, einige Verletzungen und die selbsterlegten Beschränkungen auf dem Transfermarkt sorgen dafür, dass er die eine oder andere Hürde überwinden muss. In München gibt es sicher keine Ausreden, aber nach vier sieglosen Testspielen könnte es schon zum Bundesliga-Auftakt in Gladbach sehr heiß werden. Die Fehler in der Vorbereitung werden ihm und vor allem den jungen Spielern helfen, daraus positive Erfahrungen zu machen.
  • Das Ergebnis sollte trotz der Deutlichkeit nicht überbewertet werden. Die erste Halbzeit war für den Start der EM-Rückkehrer in Ordnung und darauf lässt sich aus Bayernsicht aufbauen. Wenn der Rhythmus und vor allem die Fitness zurückkommen, werden sich viele Probleme von selbst lösen. Oder, wie es Julian Nagelsmann nach dem Spiel ausdrückte: „Es wird alles gut werden.“



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