Testspiel-Analyse: Erkenntnisse aus der ersten Nagelsmann-Niederlage gegen Köln
Ja, Fußball ist ein Ergebnissport. Zumindest für Testspiele gilt das aber weniger. Zwar hätten die Spieler auf dem Platz und auch Trainer Nagelsmann sicher gern einen Sieg mitgenommen, aber gerade weil sich beide Teams mitten in der Vorbereitung befinden, kann man das Endresultat nicht wirklich bewerten. Wer weiß schon, wie intensiv die letzten Trainingseinheiten jeweils waren und auf welchem Stand sich die Spieler aktuell befinden? Jeder Trainer hat eine andere Herangehensweise.
Falls Ihr es verpasst habt:
Zumal bei den Bayern nach wie vor etliche Spieler fehlen. Gegen Köln starteten vor Torwart Sven Ulreich vier Verteidiger: Josip Stanišić (rechts), Dayot Upamecano (halbrechts), Chris Richards (halblinks) und Omar Richards (links). Auf der Doppelsechs agierten Torben Rhein und Taylor Booth hinter einer offensiven Dreierreihe bestehend aus Armindo Sieb (links), Joshua Zirkzee (Zehn) und Christopher Scott (rechts). Eric Maxim Choupo-Moting startete im Sturmzentrum. Vermutlich hätte Nagelsmann auch Marc Roca von Beginn an gebracht, aber der Spanier wird den Bayern nun mehrere Wochen mit einem Außenbandriss fehlen. Bitter.
Angesichts des Personals war der Start in die Partie aber gut. Die Bayern zeigten sich taktisch flexibel, erarbeiteten sich die Spielkontrolle und waren auch im Pressing sofort griffig, wodurch es einige gute Balleroberungen mit anschließenden offensiven Umschaltmomenten zu sehen gab. Die beiden Treffer von Sieb und Zirkzee waren jeweils das Resultat einer guten Offensivstaffelung – gerade die Balleroberung vorm 2:2 war sehenswert. Das erste Gegentor wiederum war „typisch FC Bayern“, wenn man an die letzte Saison zurückdenkt: Leichter Ballverlust durch Omar Richards in der Vorwärtsbewegung, fehlender Druck auf den Ball im Zentrum und ein langer Ball, der die Dreierabsicherung hinten überspielte – aber auch ein sehr starker Laufweg von Jan Thielmann, der diagonal in die Schnittstellen der bayerischen Dreierkette startete.
Auch beim zweiten Gegentor war es eine Mischung aus falscher Vorsicht, der daraus entstehenden Passivität und einer schlechten Abstimmung. Einerseits also eine Offenbarung dessen, was Nagelsmann – mal unabhängig vom Personal – für die kommende Saison auf der Agenda haben muss, andererseits aber auch typische Fehler und Probleme in einem ersten Vorbereitungsspiel.
2. Halbzeit
In der zweiten Halbzeit wurde die Partie wiederum etwas wilder in der Organisation. Die vielen Auswechslungen führten dazu, dass der Rhythmus auf beiden Seiten weg war. Köln ging in der 56. Minute wieder denkbar simpel in Führung: Omar Richards wurde links aus seiner Position gezogen und im Zentrum kam Rhein zu spät gegen den diagonal nach außen startenden Florian Kainz. Die Flanke konnte Uth dann zu freistehend einköpfen – ähnliche Muster wie schon bei den beiden anderen Gegentoren.
Die Bayern kamen anschließend nicht mehr richtig in ihr Spiel, aber auch Köln blieb eher blass. Und so blieb es letztendlich beim 3:2, das laut Nagelsmann auch gut und gerne ein Unentschieden hätte sein können, wenn man sich die Spielanteile ansehe.
15 zu 11 Abschlüsse für Köln, 9 zu 3 Schüsse aufs Tor und 12 zu 8 Abschlüsse innerhalb des Strafraums sprechen wiederum für den Effzeh. Ganz aus der Luft gegriffen ist die Annahme des Trainers aber nicht, weil die Bayern allein im ersten Durchgang viele gute Angriffe nicht gut genug zu Ende gespielt haben. Hier wäre der eine oder andere Treffer mehr in 3-vs-3-Umschalt- oder gar Überzahlsituationen möglich gewesen. Doch wie bereits erwähnt: Ergebnisse sind in einer Vorbereitung ohnehin nicht so wichtig. Also schauen wir uns mal die taktischen Auffälligkeiten – insbesondere im ersten Durchgang – an.
Was taktisch auffiel
Variabler Spielaufbau
Im Spielaufbau haben die Bayern meist sehr klug auf das mitunter höhere Pressing der Kölner reagiert. Je nach Druck waren andere Staffelungen zu erkennen, die es den Münchnern ermöglichten, mit Ruhe und Übersicht zu agieren. Nagelsmann legt im Spiel nach vorn viel Wert auf Diagonalität, deshalb sind Dreiecke und Rauten in der Anordnung der Spieler sehr wichtig. Eine 3-2-Staffelung gibt ihnen die Möglichkeit, eine gute Basis für die erste Phase des Spielaufbaus zu haben. Mal wurde die Dreierkette hinten durch Stanišić gebildet, indem er sich entweder leicht in die Mitte bewegte, oder einfach tief auf der rechten Seite agierte. Mal war es aber auch Omar Richards der tiefer stand als sein Pendant auf der rechten Seite. Waren die beiden Sechser nicht anspielbar, überzeugten die Bayern auch mit halblangen Bällen in den Zehner- oder offensiven Halbraum, wo Choupo-Moting oder Joshua Zirkzee auf das nachschiebende Mittelfeld ablegten. Dadurch entstanden einige sehr gute Angriffe.
Wenn der Druck der Kölner nicht ganz so groß war, agierten auch mal beide Außenverteidiger etwas höher und ein Sechser sicherte durch eine etwas tiefere Position mit ab. Es war aber in nahezu jeder Spielphase gut zu erkennen, dass Nagelsmann mit mindestens drei Spielern an der Mittellinie abzusichern versuchte. Gerade im Mittelfeld und auch in vorderster Linie war zudem viel Bewegung im Spiel. Zirkzee tauschte beispielsweise immer wieder mal die Position mit Choupo-Moting und auch Rhein und Booth bewegten sich viel, um Räume zu öffnen.
Zweite Phase des Spielaufbaus
Wenn eine Eröffnung über das Zentrum nicht möglich war, verschoben die Bayern teilweise stark auf die Seite, wo der Außenverteidiger angespielt wurde. Auch hier war bereits in vielen Situationen zu erkennen, dass Nagelsmann viel Wert auf die richtige Positionierung seiner Spieler legt. Immer wieder korrigierte er von außen, wenn ein Spieler auch nur wenige Meter zu weit weg vom eigentlichen Raum stand, den er besetzen sollte.
Rautenbildung und Dreiecke – auch in der zweiten Phase des Aufbaus selbstverständlich das Mittel der Wahl für Nagelsmann. Wenn der Ball links war, befand sich eine Rautenachse meist zwischen Chris Richards und Sieb, während die andere leicht diagonal ins Zentrum ausgerichtet war: Im Beispiel von Omar Richards zu Zirkzee. Ein interessanter Randaspekt: Der ballferne Flügelspieler stand selten direkt an der Außenlinie, sondern immer etwas eingerückt. Ein Nagelsmann-Prinzip sieht vor, dass das Spiel nur so breit wie nötig, aber nie so breit wie möglich gemacht wird. Das hilft vor allem auch beim Gegenpressing. Es wird spannend zu sehen, wie die Stammspieler auf dieser Position ihre Rolle interpretieren und umsetzen werden. Doch zurück zu den Rauten:
Warum sind die (mindestens) zwei Rauten außen sinnvoll? Weil gerade auf den Außenbahnen meistens das Pressing des Gegners angelockt wird. Für viele Trainer:innen ist es ein Pressingauslöser, wenn das andere Team auf die Flügel eröffnet. Dort sind die Spieler nämlich durch die Seitenlinie stark begrenzt. Sie können nur vertikal oder in eine statt zwei Richtungen passen (180 Grad statt 360). Durch diese rautenartige Ausrichtung in doppelter Ausführung hat Omar Richards im oben dargestellten Beispiel gute Möglichkeiten, sich dennoch zu befreien. Gerade die diagonale Raute ist wichtig, um gefährlich zwischen die Ketten zu kommen und den Gegner unter Druck zu setzen.
Diagonale Pässe sind aufgrund ihres Winkels meist schwerer zu verteidigen als vertikale oder horizontale Pässe. Gegen Köln hat das in einigen Szenen schon ganz gut geklappt, in vielen aber auch noch nicht. Beim ersten Gegentor wollte Omar Richards beispielsweise den diagonalen Pass zu Sieb spielen, blieb aber am Gegenspieler hängen. Auch weil die Raute nach rechts und links (aus seiner Perspektive) zu breit ausgerichtet war. Rhein hätte näher ranschieben müssen und auch Booth hätte sich nach seinem Start in die Tiefe schneller wieder fallen lassen können, um eine Anspieloption zu sein. Durch die großen Abstände entstand anschließend auch kein Gegenpressing, das den langen Ball verhindern hätte können, der Sechserraum des 1. FC Köln war komplett offen (roter Bereich).
Rückkehr der einrückenden Außenverteidiger?
In der zweiten Phase des Spielaufbaus war auch das Nachrückverhalten der Verteidiger interessant. In einigen wenigen Szenen der ersten Halbzeit rückten die Außenverteidiger entweder vereinzelt, in einer Szene sogar beide stark ein.
Erst eng, dann breit – der auf dem Kopf stehende Tannenbaum könnte dabei helfen, die in Leipzig und Hoffenheim doch eher aufs Zentrum fokussierte Spielidee von Nagelsmann mit der traditionell flügelorientierten Spielweise der Bayern zu verbinden. Das 2-3-5 ist in der defensiven Absicherung gut, weil bei Ballverlusten vor allem das Zentrum stark geschützt wird und beide Außenverteidiger keine langen Wege nach hinten haben. Vorne hat man zudem fünf Spieler, die die gegnerische Kette durcheinander bringen können.
Noch war die Formation nicht regelmäßig genug zu beobachten, um daraus die ganz großen Erkenntnisse zu ziehen, aber sie dürfte eine Option mit dem Ball sein, um defensive Absicherung und offensive Durchschlagskraft zu verknüpfen.
Die Rolle der Außenverteidiger im Pressing
Eine große Veränderung zu Hansi Flick könnte darüber hinaus sein, dass Nagelsmann mit seinen Außenverteidigern weniger Risiko im Pressing und Gegenpressing eingeht. Unter Flick haben Alphonso Davies und Benjamin Pavard mitunter gepresst wie Außenstürmer. Das gab den Bayern im Halbraum und auch im Zentrum einen besseren Zugriff, endete aber auch im einen oder anderen Gegentor, weil die Außenspieler weite Wege in der Rückwärtsbewegung hatten und man hinten häufig in Unter- oder Gleichzahl verteidigen musste.
Gegen Köln pressten Omar Richards und Stanišić (und auch die dann eignewechselten Spieler) nur selten sehr hoch. Diese Aufgabe übernahmen die Flügelspieler.
Das hilft auch dabei, die Breite besser abzusichern. Schiebt ein Außenverteidiger weit heraus, müssen die drei verbliebenen Viererkettenspieler stark auf die ballnahe Seite verschieben, um den Pass in die Tiefe zu verhindern (beim dritten Tor der Kölner funktionierte das beispielsweise nicht gut). Das Verschieben öffnet wiederum Raum für Verlagerungen des Gegners. Auch unter Nagelsmann werden die Bayern den Raum ballnah sehr eng gestalten und damit anfällig für Seitenwechsel sein, aber wenn die Außenverteidiger etwas ausbalancierter verteidigen, ist die Absicherung womöglich eine bessere. Dafür wird Nagelsmann ein bisschen Druck auf die ballführenden Spieler rausnehmen (müssen).
Pressing-Grundordnung
Aus der 4-2-3-1-Formation heraus zeigten sich die Bayern flexibel. Mal pressten sie etwas höher und attackierten den ballführenden Spieler schon im Aufbau (siehe Grafik oben), mal ließen sie Köln aber auch etwas kommen und verteidigten etwas tiefer. Das passt auch zu dem, was Nagelsmann mit seinen vorherigen Teams hat spielen lassen und muss nicht zwingend allein an der individuellen Qualität liegen, die aktuell an manchen Stellen noch fehlt.
Im Vergleich zum Pressing der letzten Saison ließen es die Bayern gegen Köln etwas ruhiger angehen. Druck auf die ballführenden Aufbauspieler wurde oft durch zugestellte Optionen ausgeübt, während vorn maximal ein oder zwei Spieler mit ihren Laufwegen versucht haben, die Entscheidungen des Gegners zu manipulieren. In einzelnen Momenten schoben die Bayern aber auch aggressiver heraus und liefen mit drei oder vier Spielern an. Ein höheres Mittelfeldpressing war jedoch eher die Regel als das Angriffspressing. Man darf gespannt sein, wie sich das in den kommenden Wochen entwickelt.
Fazit
Die 2:3-Niederlage war ergebnistechnisch vielleicht kein Start nach Maß, aber es war schon mindestens in Ansätzen einiges von dem zu sehen, was Nagelsmann als Trainer auszeichnet. Köln machte insgesamt den etwas fitteren und spritzigeren Eindruck, hatte zudem mehr gestandene Bundesliga-Spieler auf dem Platz als die Bayern. Nichtsdestotrotz war gerade die erste Halbzeit in Teilen schon sehr ansehnlich. Auch die vielen jungen Spieler haben durchaus positiven Eindruck hinterlassen. Zugleich zeigte sich, wo Nagelsmann vor allem ansetzen muss: Die Abstimmung in der Defensive muss bei langen Bällen besser werden. Hier haben die Münchner in der letzten Saison zu viele Gegentreffer kassiert. Einiges davon zeigte sich trotz (oder gerade wegen) komplett neuer Viererkette auch gegen Köln.