„Schurwolle statt Kaschmir“ – Interview mit Manuel Baraniak
„Hallenbesuche sind eher selten“
Hallo Manuel. Für diejenigen, die dich bisher noch nicht auf dem Schirm hatten: Wie kamst du zum Basketball? Was fasziniert dich daran aus journalistischer Perspektive? Hast du eine besondere Beziehung zu den Bayern Basketballern?
Als Jugendlicher habe ich irgendwie aus mir selbst heraus zum Basketball gefunden: Vom Korb in der Einfahrt über das Zocken im Verein – womit der Fußball abgelöst wurde – hin zum ersten Text während meines Medienwissenschaft-Studiums war es ein Prozess, sich immer intensiver mit Basketball zu beschäftigen – hin zur journalistischen Arbeit.
Das, was mich am Sport selbst fasziniert, macht ihn auch journalistisch so interessant: weil man dem Basketball von so vielen Ebenen aus begegnen kann. Es ist ein Mannschaftssport, in dem aber auch individuell Athleten herausstechen. Der Sport bietet Spannung und Ästhetik, es passieren so viele Aktionen in kurzer Zeit, die Akteure müssen im Angriff wie in der Verteidigung gleichermaßen bestehen. Insofern lässt sich über den Basketball in so vielen Facetten berichten.
Mit Blick auf die Basketball-Bundesliga sind die Zugänge zu Verantwortlichen recht einfach – das macht es aus journalistischer Sicht auch sehr angenehm. In Interviews sind mir immer aufgeschlossene Menschen begegnet.
Eine besondere Beziehung zu den Bayern-Basketballern habe ich nicht. Wobei deren Aufstieg in die BBL und mein gestiegenes Interesse für die BBL zeitlich in etwa zusammenpassen.
Wie hat sich deine Arbeit und Arbeitsweise eigentlich im letzten Jahr verändert? Gab es dabei auch positive Veränderungen?
Wirklich stark verändert hat sich meine Arbeit eigentlich nicht – außer dem Herunterfahren im Frühjahr 2020, als es mit Beginn der Pandemie auch keinen Basketball gab, was sich natürlich finanziell bei mir bemerkbar gemacht hat. Im Zuge dessen habe ich im vergangenen Jahr aber darauf verzichtet, Interviews vor Ort durchzuführen – was natürlich schade ist, weil in der Kommunikation etwas fehlt. Da ich mich in meiner Arbeit häufig mit analytischen Inhalten beschäftige, und somit Spiele eh gerne am Bildschirm verfolge, fallen meine Hallenbesuche ohnehin schon selten aus. Insofern kann ich auch nicht von wirklich positiven Veränderungen sprechen – neue Aufträge waren unabhängig von der Pandemie.
„Weniger Training und kein Heimvorteil“
Im aktuellen Podcast der Bayern Basketballer hat Coach Trinchieri die Saison als die härteste seiner bisherigen Laufbahn bezeichnet. Ein Marathon, der immer wieder aus 100 Meter Sprints bestand. Kannst du das nachvollziehen? Welchen Einfluss hatten die Rahmenbedingungen auf die sportlichen Leistungen und das Spiel der Bundesligavereine im allgemeinen und im speziellen auf das der Bayern?
Ja, das kann ich nachvollziehen. Vor dem BBL Top Four haben die Münchener 76 Pflichtspiele innerhalb von sieben Monaten bestritten. Zum Vergleich: Normal dauert eine NBA-Hauptrunde von 82 Spielen gut fünfeinhalb Monate. Wie sagte Trinchieri selbst: „Wir spielen im Rhythmus eines NBA-Teams – ohne die Vorzüge eines NBA-Teams zu haben.“ Ein solcher Spielplan hat natürlich Auswirkungen auf die Vorbereitung der einzelnen Spiele – schwierig für einen Perfektionisten wie Trinchieri, der sein System und seine Spielzüge je nach Gegner gerne variiert und auch zuvor trainieren lässt. Und wirklich viel Trainingseinheiten sind nicht durchzuführen. Deswegen wohl die Metapher der vielen Sprints – weil einfach nicht viel Zeit bleibt.
Was Trinchieri mit den „Vorzügen eines NBA-Teams“ meint: Die haben eigene Flugzeuge, wohin sie zu ihren Auswärtsspielen reisen. Das haben in Europa nur die absoluten Top-Clubs. Schon ohne Pandemie ist ein solcher Spielplan bezüglich der Reisen nicht einfach, und in Pandemiezeiten, mit geringeren Flugmöglichkeiten, natürlich umso mehr.
Die Bayern hatten Glück, sich nicht in Mannschaftsquarantäne begeben zu müssen – bei anderen Teams war es ersichtlich, wie schwer es in den Partien danach ist – weil Trainingsmöglichkeiten weggefallen sind. Das erhöht natürlich auch das Verletzungsrisiko. Welche mentale Auswirkungen die Rahmenbedingungen in dieser Saison hatten – die Isolation der Spieler, vor allem für ausländische Profis ohne Familie oder Partner, das Spielen in leeren Hallen –, das wäre sehr interessant, irgendwie psychologisch auszuwerten.
Apropos: Einen Heimvorteil schien es in der BBL in dieser Saison wirklich nicht gegeben zu haben. Die Heimteams haben in der Hauptrunde nur 52 Prozent ihrer Spiele gewonnen – seit 1999/00 (als die BBL begann, die Abschlusstabellen auf ihrer Homepage zu führen) war die Heimbilanz über eine Saison nie schlechter.
Es ist Trinchieris erste Saison bei den Bayern. Wie hat sich das Spiel der Bayern durch den Italiener verändert? Was sind die Stärken und was die Schwächen des Teams aus München? Gibt es etwas, was sie aus deiner Sicht besonders macht?
Wenn man analysiert, was sich verändert hat, müsste man natürlich festlegen, zu welcher Spielzeit: zu der in der vergangenen Saison? Zum Team unter Kostic? Zum Team unter Radonjic? Eine gewisse individuelle Qualität ist bei den Bayern, im Vergleich zu anderen BBL-Teams, immer auszumachen. Das zeigt sich in dieser Saison auch durch Spieler wie Wade Baldwin, Vladimir Lucic oder Jalen Reynolds. Um bei Spielern zu bleiben: Es ist beachtlich, wie einige Spieler in dieser EuroLeague-Saison performen, obwohl sie – als Rotationsspieler – noch nicht konstant auf diesem Niveau agiert haben. Neben dem angesprochenen Baldwin, zu Teilen auch Reynolds, sind hier u.a. Zan Mark Sisko, Nick Weiler-Babb oder auch JaJuan Johnson zu nennen. Diese individuelle Entwicklung muss man auch dem Trainerstab um Trinchieri anrechnen.
Das Steckenpferd, und die größte Stärke Münchens in dieser Saison, ist die Verteidigung. Zum einen haben die Bayern individuell gute und vor allem athletische Verteidiger, die zum anderen auch sehr gut in Trinchieris System funktionieren. Die Bayern switchen in der Verteidigung häufig, übergehen also beispielsweise in Pick-and-Roll-Situationen ihre Gegenspieler. Der Gegner wird somit gezwungen, im Eins-gegen-Eins zu agieren. Big Men wie beispielsweise Leon Radosevic oder James Gist können vor kleineren Gegenspielern bleiben, Außenspieler wie Weiler-Babb oder Baldwin bringen die nötige Physis mit. Sehr interessant ist folgender Punkt: Trinchieri ist bei diesen Switches noch einen Schritt weitergegangen und hat sogenannte „Scram Switches“ (eine andere Bezeichnung ist „Kickout-Switch“) eingebaut. Das bedeutet, dass der kleine Spieler (wie ein Baldwin) nach dem ersten Switch seinen nun größeren Spieler, dann in einer Aktion ballabseits, erneut zu einem seiner Mitspieler übergibt. So soll ein Mismatch, also der Größenvorteil, in Korbnähe verhindert werden. In folgendem Video zu Saisonbeginn habe ich diese „Scram-Switches“ anhand einiger Beispiele analysiert:
Die Stärke in der Verteidigung zeichnet sich nicht nur durch diese taktische Finesse aus, sondern auch durch eine Intensität, eine Mannschaftsverteidigung und eine gute Rebound-Arbeit, was so in der vergangenen Saison in der Summe nicht auszumachen war. In der EuroLeague griffen sich die Bayern prozentual die meisten Defensiv-Rebounds ab. Diese Mentalität – Trinchieri sagte mal, „es gibt Teams, die gerne gewinnen, wir wollen nicht verlieren“ – hat sich auch in vielen Comeback-Siegen niedergeschlagen: In elf der insgesamt 21 EuroLeague-Siege lagen die Bayern im Spielverlauf zweistellig im Rückstand. Was Trinchieri hierbei auszeichnet: Er variiert im Spielverlauf seine Rotationen – spielt mal klein mit drei Guards, dann groß mit Lucic auf der Shooting-Guard-Position – und findet demnach die passende Formation, die am Ende auf dem Feld steht.
Ich bezeichne den Basketball der Bayern in dieser Saison gerne als „Grit-and-Grind“, oder – um mit Trinchieris Metapher als Schneider, der den perfekten Anzug anzufertigen hat, anzuschließen – mit Schurwolle statt Kaschmir. Das schlägt sich dann aber auch in der Offensive nieder: Dieser war nicht „State of the Art“, wie Trinchieris Teams in Bamberg, sondern mit vielen langen Zwei-Punkte-Würfen, wenigen Dreiern (kein EuroLeague-Team nahm prozentual weniger) und vielen Abschlüssen nach dem Post-up eher etwas altmodisch – und damit auch nicht sehr effizient.
Gehen wir von der EuroLeague weg zur BBL, könnte sich – im Playoff-Verlauf – noch die Qualität auf den deutschen Positionen als Schwachstelle herauskristallisieren. Das war aber schon mit Beginn der Saison bei der Kaderzusammenstellung zu erahnen.
„Die Bayern konnten viele EuroLeague-Konkurrenten überraschen“
Die Bayern Basketballer sind in dieser Saison das erste Mal in ihrer Geschichte in die Playoffs der EuroLeague eingezogen. Das Viertelfinale ging nach viel hin und her am Ende 2:3 verloren gegen die Mannschaft aus Mailand. Wie schätzt du die spielerische Entwicklung der Münchner in der EuroLeague ein? Was hat gut funktioniert? Was waren Gründe für das Ausscheiden?
Einige Punkte hinsichtlich Stärken und Schwächen habe ich in der vorherigen Antwort schon ausgeführt, diese treffen auch auf die Serie gegen Mailand zu. Vielleicht noch zur Offensive: Hin und wieder hatte ich den Eindruck, dass die Bayern offensiv ab und an nicht Optionen gefunden haben, die konstant übernehmen konnten. An einem Spieler wie Wade Baldwin scheiden sich manche Geister, weil er individuell durch seine Athletik, seine Dribblings und seinen Mitteldistanzwurf so stark ist, aber auch mit nicht immer den besten Entscheidungen auffällt – wann ist es beispielsweise Zeit, die Mitspieler in Szene zu setzen? Dies war auch in der Serie gegen Mailand ersichtlich.
Auf Seiten Mailands war natürlich die individuelle Qualität um Spieler wie Shavon Shields, Kyle Hines, Malcolm Delaney, Sergio Rodriguez oder Kevin Punter enorm hoch. Hier wog das Verletzungsaus von Weiler-Babb schwer, dem besten Guard-Verteidiger der Bayern. Auch Mailands Trainer Ettore Messina spielte eine Schlüsselrolle: Mailand scoutete die Bayern sehr gut, man merkte deren Verteidigung immer wieder an, wie sie die Spielzüge Münchens entschlüsselten und den Bayern demnach ihre ersten Optionen nahmen. Und der Einwurf-Spielzug Mailands im ersten Spiel – bei aller Kritik an Münchens Defense – war auch stark.
Zur Entwicklung: Mich hat positiv überrascht, dass die Bayern so früh klickten. Ich glaube, sie werden damit auch viele EuroLeague-Kontrahenten überrascht haben. Im Saisonverlauf kennen sich die Teams natürlich besser, dennoch haben die Bayern es geschafft, auf diesem hohen Niveau zu bleiben und konstant stark zu agieren. Hierbei waren auch die Nachverpflichtungen von D.J. Seeley – als sekundärer Ballhandler, als Zwischenstück zu Baldwin und Sisko – und James Gist – als „defensiver Floor General“ – enorm wichtig.
„Bayern hat eine schlechtere Rotation auf den deutschen Positionen“
Am Wochenende gibt es den zweiten Anlauf dieser Saison das BBL-Pokal-Finaltunier zu veranstalten. Eigentlich sollte dies kurz vor dem EuroLeague-Viertelfinale stattfinden und musste dann wegen positiver Corona-Tests verschoben werden. Denkst du der neue Termin ist eher Vor- oder Nachteil für die Bayern? Wie hoch schätzt du die Chancen der Bayern am Sonntag den Pokal in den Händen zu halten?
Ich finde es etwas müßig, beide Termine gegeneinander abzuwägen, nun ist es eben der 16./17.Mai. Letztlich werden die Bayern fünf Tage Zeit gehabt haben, sich auf das Pokal-Turnier vorzubereiten. Unter der Saison ist so etwas kaum möglich. Da die letzten Hauptrundenspiele genutzt wurden, einige Leistungsträger zu schonen, kann dieser Termin sogar noch zum Vorteil werden. Zumal der Pokal – mit dem Do-or-Die-Format – eine gute Generalprobe für die Playoffs sein kann.
Für die Bayern wird der Weg zum Pokaltitel schwer: Im Halbfinale wartet mit Ulm das derzeit heißeste Team der BBL, mit neun Siegen am Stück – wobei in dieser Phase auch einige Teams aus der unteren Tabellenhälfte dabei waren. Man darf sich von Ulms sechstem Platz in der Hauptrunde nicht täuschen lassen: Zieht man das Net-Rating zugrunde – das die Offensiv- und Defensiv-Leistung nach 100 Angriffen bewertet –, ist Ulm hinter Ludwigsburg das zweitbeste Team der Hauptrunde gewesen (die Bayern hatten das fünftbeste Net-Rating)! Jedoch stehen hinter einigen angeschlagenen Spielern Fragezeichen.
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Im Finale würde wohl ALBA BERLIN warten. Die Bayern haben zwar die beiden Duelle in der EuroLeague gewonnen, in der BBL aber beide verloren. Ein Grund: In der BBL muss die 6+6-Regel beachtet werden, und hier sehe ich einen deutlichen Vorteil bei Berlin: Sie haben die bessere Rotation auf den deutschen Positionen – was ein Ausschlag in einem möglichen Pokal-Finale oder auch in einer Playoff-Endspielserie sein könnte. Wenn ich einen Tipp abgeben muss, dann tippe ich auf einen Pokalsieger Berlin.
Zum Ende der regulären BBL Saison kassierten die Bayern Basketballer drei durchaus deutliche Niederlagen gegen Alba, Ulm und Ludwigsburg. Womit lassen sich diese Blow Outs erklären? Was bedeuten sie für die Playoffs die kommende Woche starten?
Ganz kurz: Sie bedeuten eigentlich kaum etwas. Wie angesprochen wurden Leistungsträger geschont. Junge Spieler bzw. Akteure, die bislang nicht so viele Minuten gesehen haben – wie Robin Amaize, Jason George, Sasha Grant, David Krämer oder Matej Rudan und sogar ProB-Spieler Erol Ersek –, durften bei diesen Niederlagen viel ran. Und vielleicht ist das ja auch ein guter Schachzug Trinchieris für die Playoffs gewesen. Denn von jenen jüngeren deutschen Spielern muss im Playoff-Verlauf auch Entlastung kommen. Nun mehr Einsatzzeiten erhalten zu haben, könnte sich also auszahlen.
Im Halbfinale des BBL-Pokals treffen die Bayern am Samstag ab 16 Uhr auf das Team aus Ulm. Tipp-Off für das Finale ist am Sonntag um 15 Uhr. Die BBL-Play-Offs starten mit den Viertelfinals am kommenden Mittwoch. Im Modus Best-Of-5 spielen die Münchner gegen das Team aus Crailsheim.