ICC: Bayern verliert Auftakt gegen Arsenal
Eine kurze Antwort auf diese Frage gibt es wie so oft nicht. Natürlich können erste Eindrücke, Ansätze und Ideen in Testspielen beobachtet werden, doch eine Bewertung ist nach nur einer Vorbereitungspartie unmöglich. Trotzdem wird die USA-Reise erste Eindrücke vermitteln können, ob Niko Kovač und sein Trainerteam die Probleme der vergangenen Saison aktiv angehen.
Gegen Arsenal kamen sogar noch weitere Faktoren hinzu, die eine Bewertung erschweren. Einerseits die Aufstellung, mit der der FC Bayern in die Partie ging: Kehl, Johansson und Ontužāns starteten ebenso wie Neuzugang Fiete Arp. Müller begann zunächst im Sturm, Stammspieler wie Kimmich, Coman oder Gnabry blieben außen vor. Immerhin konnte mit Tolisso und Thiago aber bereits ein Duo starten, dass es in dieser Saison wahrscheinlich häufiger zu sehen gibt.
Die Engländer hingegen schickten eine Startelf auf den Rasen, die so ähnlich auch im Ligabetrieb auflaufen könnte. Bis auf Willock und Mitland-Niles hatten alle Spieler im Aufgebot bereits eine riesige Erfahrung im Profibereich vorzuweisen. Gerade die Offensive mit Özil, Lacezette, Aubameyang und Mkhitaryan machte dabei einiges her.
Falls Ihr es verpasst habt:
Umso überraschender war der doch sehr ausgeglichene Start. Zwar hatte Arsenal die zwingenderen Aktionen nach vorn, doch Bayern versuchte, aktiv dagegenzuhalten und kam immer wieder zu guten Ausgangssituationen vor dem gegnerischen Strafraum – lediglich die letzte Aktion fehlte häufig.
Die gab es erst gegen Ende der ersten Halbzeit, als die Bayern nach einigen Hereingaben von außen ihre ersten guten Chancen hatten. Arsenal blieb vor allem über Konter gefährlich. Deshalb ging es mit einem gerechten 0:0 zur Pause in die Kabinen.
In der zweiten Halbzeit brachte Kovač eine komplett neue Elf: Lewandowski, Gnabry, Neuzugang Singh, Coman, Poznanski, Süle, Pavard, Goretzka, Kimmich, Stiller und Ulreich betraten den Platz. Arsenal wiederum wechselte nur zweimal und brachte Kolasinac und Martinez für Monreal und Leno.
Die Grundausrichtungen blieben gleich, aber Arsenal hatte aufgrund der Wechsel bei den Bayern wieder mehr Spielanteile. Auch das unglückliche Eigentor von Poznanski begünstigte in der 49. Minute den Spielverlauf für die Engländer. Emery wechselte anschließend nach und nach und so entstand in der Schlussphase ein offener Schlagabtausch ohne irgendeinen Rhythmus.
In der 70. Minute war es dann Robert Lewandowski, der mit einem sehenswerten Kopfball nach Gnabry-Flanke einnetzte. Das 1:1 wäre am Ende verdient gewesen, doch Arsenal hatte nach einer Ecke noch einen Schlusspunkt für die Partie übrig. Ästhetisch kombinierten sie sich nach ursprünglich abgewehrten hohem Ball vor das Tor von Ulreich. Süle und Kimmich sahen hier jeweils nicht gut aus. Unabhängig von einer unbedeutenden Niederlage bleiben aber erste Beobachtungen, die für den Saisonverlauf wichtig sein könnten.
Dinge, die auffielen:
1. Die Rückkehr der hohen Achter?
In der vergangenen Saison startete Kovač mit der Idee, die beiden Achter sehr hoch auf dem Platz zu positionieren. Das brachte einige Vorteile wie die Durchschlagskraft in den Halbräumen, die konsequente Unterstützung der Flügelspieler und ein gutes Gegenpressing. Es führte aber auch zu einer erhöhten Anfälligkeit, wenn das Gegenpressing der ersten Reihe nicht griff sowie einem zu hohen Verantwortungsbereich für den jeweiligen Sechser mit und gegen den Ball. Deshalb stellte der Trainer in vielen Partien auf ein 4-2-3-1 um.
1.1. Der erste Durchgang
Gegen Arsenal schien es, als würde Kovač nun einen zweiten Anlauf mit dem 4-3-3 bzw. 4-1-4-1 wagen. Während Tolisso und Johansson sehr hoch agierten, kümmerte sich Thiago um den Spielaufbau und die Absicherung. Nach vorne führte das zu vielen Kombinationen durch die Mitte oder die Halbräume. Somit deutete sich an, dass diese Variante ein Mittel sein könnte, um den Flankenfokus zu reduzieren.
Gerade Johansson machte nach einer nervösen Anfangsphase eine ordentliche Partie, in der er hin und wieder auch vertikale oder raumöffnende Lösungen fand. Allerdings konnte Arsenal die bekannten Schwachstellen dieser Formation ebenso nutzen wie viele Gegner in der abgelaufenen Spielzeit. Thiago hatte einen zu breiten Raum zu verteidigen und war damit sichtlich überfordert. Die Kovačs und Flick verpassten es hier, das Einrücken der Außenverteidiger zu testen, um noch mehr Stabilität in ein mehr auf die Halbräume und das Zentrum fokussierte Spiel zu bringen.
Auch wenn die meisten Chancen weiterhin über Hereingaben von den Außenbahnen entstanden, so blieb aber das Gefühl, dass die Unterstützung vorne einerseits besser war und andererseits eine Bemühung stattfand, mehr Lösungen über zentralere Bereiche zu finden. Die Aufgabe für die Zukunft wird es sein, das Zusammenspiel zwischen Sechser und Achtern noch besser auszubalancieren, um bei Ballverlusten schneller im Gegenpressing oder in einer stabilen Defensivformation zu sein und selbst noch sicherer den Ball nach vorne tragen zu können.
1.2. Der zweite Durchgang
Auch in den zweiten 45 Minuten war die Grundausrichtung gleich. Singh und Goretzka übernahmen die Rollen von Johansson und Tolisso, während Stiller Thiago ersetzte. Hier wurden die Probleme der Formation, aber vor allem der Abhängigkeit von den Spielern, die sie umsetzen müssen, allzu deutlich.
Natürlich ist jede Mannschaft von der individuellen Klasse ihrer Spieler abhängig. Doch Kovač sollte sich folgende Frage stellen: Kann ich die Formation so zusammenstellen, dass individuell schwächere Spieler (wie beispielsweise Stiller statt Thiago auf der Sechs) in ihrem Aufgabenfeld unterstützt werden? Stattdessen musste Stiller dasselbe leisten, was Thiago im ersten Durchgang leistete.
Hier werden die Kovačs und Flick weiter tüfteln müssen, um ein taktisches System zu entwickeln, das der Mannschaft an ihren Problemen unter die Arme greift. Denn selbst Spieler wie Thiago können davon profitieren und nicht nur diejenigen, die lediglich zum Auffüllen des Kaders an einer USA-Reise teilnehmen.
2. Boateng kann weiterhin eine Waffe sein
Als Boateng in der 25. Minute einen diagonalen Volley-Pass über gut 30 Meter in den Strafraum zu Tolisso bringt, muss nicht nur Lacazette anerkennend grinsen. Der Weltmeister von 2014 hat es noch drauf. Das zeigt nicht nur diese eine Szene. Boateng machte in einer aufgrund ihrer zusammengewürfelten Form unorganisierten Grundausrichtung einen guten ersten Eindruck. Gegen den Ball gab es wenige Situationen, in denen er sich beweisen musste und in Ballbesitz spielte er mehrere Pässe durch die erste Pressinglinie Arsenals.
Selbiges gelang Pavard und Süle im zweiten Durchgang seltener. Beide waren bemüht um den Spielaufbau, doch das Spiel der Bayern fokussierte sich nicht nur wegen Gnabry und Coman stärker auf die Flügel. Das Dreieck Stiller, Süle und Pavard tat sich schwer damit, den Ball durch die Mitte oder die Halbräume nach vorn zu tragen. Vielleicht wäre es auch deshalb sinnvoll, Boateng von einer weiteren Saison mit adäquater Spielzeit zu überzeugen. Das ist natürlich aber auch von einer Einigung mit dem Spieler selbst abhängig.
3. Gnabry ist weiterhin eine Waffe
Während Boateng wieder eine werden könnte, zeigte Gnabry, dass er weiterhin eine Waffe ist. Der Nationalspieler glänzte bereits bei seinem ersten Einsatz mit tollen Einzelaktionen und einem guten Zusammenspiel mit Kimmich. Auch seine Direktheit zum Tor hat er nicht verloren. Gnabry wird wohl auch in der kommenden Saison einer der Schlüssel zum Erfolg sein.
4. Baustelle Kader
Beide Mannschaften, die der FC Bayern im ersten Testspiel aufbieten konnte, waren mit großen Lücken gespickt, die die aktuellen Schwächen des Kaders klar gezeigt haben: Ein kreativer Sechser, ein weiterer Verteidiger und Spieler auf den Außenbahnen gehen den Münchnern momentan ab.
Eine der wichtigsten Positionen ist dabei die Schaltzentrale im Zentrum. Thiagos Bedeutung für das Spiel der Mannschaft ist kaum in Worte zu fassen. Angeblich sind die Bayern an Marc Roca interessiert, der von seinen Anlagen her gut in diese Lücke passen würde. Spielt Thiago nämlich nicht, wird es sehr dünn im Kader des Rekordmeisters. Roca wäre jemand, der das Spiel von hinten gestalten und aufziehen sowie sich unter Druck behaupten kann. Er ist technisch sehr begabt und bewegt sich clever im Raum.
Kann er diese Fähigkeiten auch auf hohem Niveau zeigen, wäre er die perfekte Ergänzung im Kader. Doch auch die Baustelle in der aktuellen Viererkette wird unterschätzt. Hernández ist derzeit noch raus und schon zeigen sich die Probleme: Mit Alaba, Kimmich und Pavard gibt es nur noch drei Außenverteidiger, wovon einer für die Innenverteidigung eingeplant ist. Kehl und Poznanski waren in den USA die nächsten Alternativen. Zu wenig. Nicht nur gegen Arsenal.
Es wird auch deshalb langsam Zeit, weitere Spieler zu verpflichten, weil in der Vorbereitung wichtige Grundsteine gelegt werden (müssen). Und ist der Kader erst spät komplett, ist das ein großes Handicap für Niko Kovač. Der Weg ist weit. Und auch diese Beobachtung betrifft nicht nur den holprigen Start gegen Arsenal. Wenngleich es vor allem im ersten Durchgang einige positive Ansätze gab.