Fünferpack-Kolumne: Aufwind im Frühsommer
Die Kolumne stellt dabei stets meine persönliche Meinung zu den behandelten Themen dar. Über eure Meinung, anregende Diskussionen sowie konstruktive Kritik in den Kommentaren würde ich mich dennoch sehr freuen.
1. Wir müssen über die Torwartposition reden
Kurz vor Mitternacht von Sonntag auf Montag kam die erleichternde Pressemitteilung, auf die die Bayern-Fans gewartet hatten: Manuel Neuer hat sich nur einen Muskelfaserriss in der Wade zugezogen. Er fällt nur etwa zwei Wochen aus.
Die schlimmsten Befürchtungen einer erneuten, dritten Verletzung des Mittelfußes, die einem beim Spiel am Nachmittag durch den Kopf gegangen waren, hatte sich glücklicherweise schon kurz nach Spielende als unbegründet herausgestellt. Sowohl Präsident Uli Hoeneß als auch Ersatzmann Sven Ulreich gaben im Pressebereich Entwarnung.
Die Rolle von Ulreich ist hierbei eine kuriose. So fungiert er quasi als Pressesprecher von Neuer. Bereits vor dem Champions-League-Achtelfinale, als der Stammkeeper an einer Fingerverletzung laborierte, gab Ulreich nach jedem Spiel ein ausführlicheres Update zur Verletzung als Trainer Kovač oder Sportdirektor Salihamidžić.
Über die letzten Jahre hatte Ulreich leider immer häufiger Grund, sich zum aktuellen Gesundheitszustand von Neuer zu äußern. Während der Nationalkeeper in seinen ersten fünf Spielzeiten bei den Münchnern gerade einmal sieben Spiele verpasste, waren es seitdem 63 Partien. Am längsten selbstverständlich nach seinem zweiten Mittelfußbruch als er zwischen April 2017 und Mai 2018 fast 54 Spiele am Stück verpasste.
Während Ulreich in der letzten Saison bis auf den Blackout gegen Madrid eine starke Saison spielte, sind die Leistungen des Ersatzmanns diese Spielzeit wechselhaft. In sechs Spielen kassierte er zwölf Gegentore, alleine vier gegen Heidenheim im Pokal. Kein Spiel konnte er ohne Gegentor beenden.
Im Schnitt kassierte Ulreich alle 43 Minuten ein Gegentor. Neuer hingegen musste nur alle 100 Minuten hinter sich greifen.
Zwar unterliefen dem gebürtigen Schwaben keine größeren Patzer, aber bei einigen Bällen hatte man das Gefühl, dass diese zumindest haltbar waren. Der Freistoß von Bailey im Spiel gegen Leverkusen sei hier angeführt.
Mit dem 33-jährigen sowie verstärkt verletzungsanfälligen Neuer und dem 30-jährigen Ulreich ist der FC Bayern auf der Torhüter-Position momentan im internationalen Vergleich unterbesetzt. Die meisten europäischen Topvereine haben mittlerweile zwei starke Torwarte im Kader.
Dabei muss die Lösung für die Münchner hier gar nicht in der Ferne liegen. Mit Christian Früchtl hat man ein großes Talent in den eigenen Reihen. Der 19-Jährige ist momentan zwar auch verletzt, könnte dieses Jahr aber sogar noch A-Jugend spielen. Er hat eine große Zukunft vor sich, aber der Weg dahin scheint noch offen. Eine Stärkung seiner Position durch die Ernennung zur internen Nummer Zwei und damit gelegentliche Einsätze in der ersten Mannschaft könnten ihm dabei genauso helfen, wie eine Leihe, um Spielerfahrung auf höchstem Niveau zu erhalten.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es für Nachwuchskeeper nicht einfach ist, sich beim FC Bayern durchzusetzen. Sowohl Michael Rensing als auch Thomas Kraft scheiterten an dieser großen Aufgabe. Rensing bestritt sein erstes Bundesliga-Spiel bereits mit 19 Jahren gegen den HSV. Zum Zeitpunkt seiner kurzen Zeit als Stammkraft hatte er bereits 26 Ligaspiele absolviert.
Kraft hingegen wurde mit 22 Jahren ins kalte Wasser geworfen. Rückblickend sicher der falsche Ansatz. Für Früchtl ist zu hoffen, dass die Verantwortlichen, sollten sie ihm langfristig den Posten im Bayern-Tor zutrauen, einen angemessenen Weg einschlagen.
2. Frühlingsaufschwung
Im Spätherbst nach dem 3:3 gegen Düsseldorf war es einfach, Kovač für seine ausbleibenden taktischen Anpassungen zu kritisieren. Im Frühling nach dem Aus gegen Liverpool war es ebenfalls einfach, seinen defensiven Ansatz zu hinterfragen. Doch nach dem Rückspiel gegen Düsseldorf gilt es einmal kurz innezuhalten und die bisherige Rückrunde anzuschauen.
In der Rückrundentabelle steht der FC Bayern mit 31 Punkten aus 12 Spielen auf dem ersten Platz – vier Punkte vor dem nächsten Verfolger aus Leipzig. Doch besonders beeindruckend ist, dass die Münchner ihre Torgefährlichkeit zurückgewonnen haben.
In der gesamten Hinrunde hatte man nur 36 Tore erzielt. Alleine gegen die schwachen Hannoveraner konnte man mehr als drei Treffer in einer Partie verbuchen. Die Rückrunde zeichnet hier ein anderes Bild: 42 Tore in zwölf Spielen.
42 Tore in zwölf Spielen. Das sind 14 mehr als der Zweite in dieser Statistik. Das sind auf eine Saison hochgerechnet unglaubliche 119 Tore. Das sind auch sechs Spiele mit mindestens vier Toren. Das sind sogar nur drei Spiele mit weniger als drei Toren.
Auch die advanced-Statistiken untermauern den Frühlingsaufschwung des FC Bayern. In fünf der letzten sechs Spiele lag der Expected-Goals-Wert bei über drei Toren. Gegen Gladbach erzielte man fünf Tore und hätte laut xG mit 5,94 sogar noch mehr erzielen können. 5,94 xG dürfte gleichzeitig einer der höchsten verbuchten Werte in der Bundesliga bisher sein.
Auch im Vergleich mit der letzten Saison ist die aktuell starke Offensive der Münchner auffällig. Die Grafik von Michael Karbach zeigt gut, dass der gleitende Mittelwert des Rekordmeisters sich über die gesamte Saison kontinuierlich erhöht hat und dabei deutlich über dem Vorjahreswert liegt.
Mittlerweile liegt man auf einem Niveau, das Bayern zuletzt in den dominanten Jahren unter Guardiola hatte. In der Saison 15/16 unter dem Spanier waren die Münchner bereits früh Meister, weshalb die xG-Anzahl gegen Ende der Saison stark abnahm.
Selbst in der Defensive scheinen die Bayern sich zumindest gefangen zu haben. In vier der letzten sieben Spiele in der Liga blieb man ohne Gegentor. Die xG-Against-Grafik von Karbach zeigt ein ähnliches Verhalten. Nach schwachen Werten von über einem xG-Against pro Spiel ist der gleitende Mittelwert mittlerweile auf etwa 0,6 xG-Against gefallen. Ein vergleichbares Niveau wie die Pep-Bayern.
Natürlich wischt dies nicht von heute auf morgen alle Bedenken rund um den Trainer vom Tisch. Es bleiben die offenen Fragen bei seiner Fähigkeit, große Spiele zu coachen, seinen Anpassungen im Spiel, der offensive Fokus auf Flanken und seine fehlende Rotation. Aber die Trendwende, die der Kroate eingeleitet hat – und das wohlgemerkt in seiner ersten Saison bei den Münchnern – verdient Respekt.
3. Trainingsrüpel Lewandowski
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen gelang letzte Woche an die Öffentlichkeit, dass Robert Lewandowski und Kingsley Coman in einem nicht-öffentlichen Training ihre Meinungsverschiedenheiten mit den Fäusten zu klären versuchten. In der Pressekonferenz vor dem Spiel betonte Kovač, dass zwischen den beiden Hobby-Boxern mittlerweile alles geklärt sei. Ein Fakt, den auch Salihamidžić und Lewandowski nach dem Spiel wiederholten. Von Neu-Abwehrchef Süle mussten sich die beiden Streithähne sogar öffentlich rügen lassen. Alleine Coman wollte sich nicht zur Situation äußern.
Für Lewandowski ist es auch nicht die erste Auseinandersetzung im Bayern-Training. Der Pole hat bereits eine längere Kampfstatistik an der Säbener Straße. Als Erstes geriet er mit Jérôme Boateng aneinander. Der Stürmerstar tat die Handgreiflichkeit damals noch mit “zu viel Testosteron auf einem Haufen ab”.
Im Februar letzten Jahres traf es dann seinen ehemaligen BVB-Kollegen Mats Hummels, wenn auch nur verbal. Nachdem der Innenverteidiger die Einstellung des Torjägers kritisiert hatte, warf ihm Lewandowski vor, mehr zu reden als er leistet.
Selbstverständlich ist Lewandowski nicht der einzige Spieler, der im Training mal etwas ruppiger zu Werke geht. Alleine in den letzten Jahren waren hier auch Ribéry, James und Vidal auffällig. Dennoch hat der Stürmer seit dieser Saison als dritter Kapitän eine besondere Rolle im Kader inne. Mit diesem Amt geht auch eine gewisse Außenwirkung einher.
Auf dem Platz hat Lewandowski bereits diese Saison einen großen Schritt gemacht. Er wirkt deutlich involvierter, geht längere Wege und lässt sich in tiefere Zonen fallen, um als Bindeglied zwischen Angriff und Abwehr zu fungieren. Doch als Kapitän muss man auch abseits des Platzes Vorbild sein und das Verhalten vorleben, das man von seinen Mitspielern erwartet.
In Zukunft sollte der Pole versuchen, sein Testosteron im Training unter Kontrolle zu halten und seine aufgestaute Aggressivität lieber ins Pressing im nächsten Spiel zu stecken.
4. Der Liga entwachsen?
Am Montagabend spielten die Bayern Amateure in der Regionalliga Bayern gegen den Abstiegskandidaten TSV 1860 – allerdings aus Rosenheim, nicht aus Giesing. Zum ersten Mal war ich an der Hermann-Gerland-Kampfbahn, um mir bei Flutlicht-Atmosphäre die jungen Bayern einmal näher anzuschauen.
Ins Spiel gingen die Amateure dabei als Tabellenzweiter knapp hinter dem VfB Eichstätt, der jedoch auch ein Spiel mehr absolviert hatte. Die Qualifikation für die Relegationsspiele um den Aufstieg hatte man bereits vor dem Spiel sicher, da sowohl der Konkurrent um den Ligatitel aus Eichstätt als auch die sonstigen Verfolger keine Lizenz für die dritte Liga beantragt haben. Natürlich sollte der Titel in der, gerade im hinteren Bereich mäßig besetzten, Regionalliga dennoch der Anspruch der kleinen Bayern sein.
Das Team von Holger Seitz ging mit dem wiedergenesenen Jeong sowie Profi-Flügelstürmer Davies in die Partie. Mit dem Schwung der beiden erzielte man nach 17 Minuten die Führung. Mehrere Chancen zum Ausbau dieser ließ man liegen – unter anderem ein verschossener Elfmeter von Jeong. Am Ende stand dennoch nur ein ernüchterndes 1:1. In der zweiten Halbzeit war die junge Mannschaft komplett zusammengefallen. Ohne eigenen Offensivdruck kassierte man eine Viertelstunde vor Schluss den Ausgleich.
Der gesamte Spielverlauf war, wie bereits auch die ganze Saison der Amateure, etwas konfus. Bereits im vorherigen Spiel gegen Aschaffenburg war der Spielverlauf ganz ähnlich, nur dass Wriedt in der Nachspielzeit mit seiner ganzen individuellen Klasse den Siegtreffer erzielte.
Die Zukunft für die Amateure wird dabei sehr spannend und zwar unabhängig, ob es diese Saison zum Aufstieg reichen sollte oder nicht. Wobei es in der Form von gestern sehr schwierig gegen den Meister der Regionalliga Nord werden wird.
Jeong zeigte im Spiel gegen Rosenheim, dass er technisch – vielleicht sogar trotz Davies – der beste Spieler auf dem Platz war. In der Entscheidungsfindung ist er dabei sehr weit. Eine weitere Saison in der vierten oder auch dritten Liga wird ihm nicht mehr viel weiterhelfen.
Gleiches gilt natürlich auch für Davies, der vor allem durch seine Physis auffiel. Regelmäßig überlief er die Rosenheimer Verteidiger und konnte auch gegen großgewachsene Innenverteidiger den Ball behaupten. Der junge Kanadier war nicht so sehr ins Passspiel der Münchner involviert, wobei sich hier die fehlende Spielpraxis mit den Mitspielern auswirkt.
Vielleicht die größte Überraschung für mich stellte jedoch Lars Lukas Mai dar. Der junge Innenverteidiger spielt seine Position mit der Ruhe eines Routiniers, der bereits zehn Jahre in der Liga kickt. Anlaufende Spieler ließ er ohne Angstschweiß auf der Stirn aussteigen oder passte im letzten Moment auf seine Mitspieler weiter. Gleich mehrmals dribbelte er auch mit dem Ball am Fuß in die gegnerische Hälfte, um Angriffe einzuleiten.
Allen drei Spielern würden gelegentliche Einsätze in der ersten Mannschaft oder eben eine Ausleihe zu einem gefestigten Bundesligisten oder einem um den Aufstieg kämpfenden Zweitligisten sehr viel mehr bringen, als eine weitere Saison bei den Amateuren. Überlegungen, die sich die Jugendspieler sicherlich gemeinsam mit ihren Beratern auch machen werden.
Dies stellt wiederum die zweite Mannschaft vor große Probleme. In der dritten Liga könnte man ohne diese Spieler von Saisonbeginn an im Abstiegskampf stecken, außer man verstärkt sich von extern mit erfahrenen Spielern. Andere zweite Mannschaften haben gezeigt, wie schwer es ist, in der dritten Liga die Klasse zu halten. Auch in der vierten Liga wäre eine erneute Spitzenplatzierung nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, wie sehr die diesjährige Mannschaft zu kämpfen hat.
Doch bereits in der Vergangenheit haben die Amateure immer wieder schwerwiegende Abgänge im Sommer zu beklagen gehabt und sind dennoch jedes Mal zurückgekommen. Die Verantwortlichen werden im Hintergrund schon zweigleisig an einem Plan für die neue Saison arbeiten.
5. Ein Vorstand aus Titan
Es war eines der am schlechtesten gehüteten Geheimnisse der gesamten Branche, das Anfang April dann sowohl Präsident Hoeneß als auch der Vorstandsvorsitzende Rummenigge bestätigten: Oliver Kahn wird in den Vorstand des FC Bayern aufrücken.
Der frühere Welttorhüter wird nach aktueller Planung, die Hoeneß im Interview mit der dpa bestätigte, zum Beginn des neuen Jahres 2020 zuerst als zusätzliches Vorstandsmitglied einsteigen. Nach einer erfolgreichen Einarbeitungsphase wird der Titan dann Ende 2021 den aktuellen Vorsitzenden Rummenigge ablösen, der zu dem Zeitpunkt aus seinem Amt scheidet.
Mit Kahn kommt meine persönliche Wunschlösung der Marke “intern” an die Säbener Straße. Auf dem Papier erfüllt der achtmalige Deutsche Meister alle Anforderungen. Durch seine Arbeit als Experte für das ZDF hat Kahn viel Erfahrung im Umgang mit den Medien. Gerade in den letzten Jahren zeigte er sich hier häufig als eloquenter Kritiker, der auch unangenehme Themen ansprach. Durch den Experten-Job hat er zudem den Bezug zum aktuellen Fußball nie verloren.
Doch der Champions-League-Held von 2001 bringt noch mehr mit. Bereits 2016 gründete er seine eigene Firma “Goalplay”, die eine Online-Torhüterausbildung anbietet. Mit seiner Firma konnte er sich zuletzt unter anderem eine Kooperation mit der DFL sichern. Zudem absolvierte er ein Fernstudium, um sich in betriebswirtschaftlichen Themen auszubilden.
Die Frage scheint nicht zu sein, ob Kahn geeignet ist, sondern eher, ob er es schafft, sich von seinen anderen Tätigkeiten loszusagen. Neben den angesprochenen Engagements ist er so beispielsweise auch noch Markenbotschafter eines großen Wettanbieters. Die Rolle des Vorstandsvorsitzenden des größten deutschen Fußballvereins ist allerdings ein Vollzeitjob und keine rein repräsentative Arbeit.
Der FC Bayern geht damit den ersten Schritt im Umbruch der Führungsetage an. Kahn folgt auf Rummenigge. Die noch offene Frage ist: Wer folgt auf Hoeneß? Vorausgesetzt einer Wiederwahl Ende dieses Jahres würde der Präsident bis 2022 im Amt sein. Genauso lange gilt sein Vertrag als Chef des Aufsichtsrates.
Das Anforderungsprofil für den Präsidenten ist noch einmal leicht ein anderes, als das des Vorstandsvorsitzenden. Vieles hängt aber auch davon ab, wie der Neue seine Rolle interpretieren wird. Als öffentlicher Vertreter, wie Karl Hopfner, oder als aktiver Mitgestalter, wie Hoeneß dies pflegte.
Wichtig ist zudem, dass der Präsident einen guten Ruf bei den Mitgliedern und Fans hat. Er sollte immer ein offenes Ohr für begründete Kritik und Verbesserungsvorschläge haben. Als Präsident des FC Bayern München e.V. muss er aber auch die anderen Sparten des Vereins, die nicht in der AG ausgegliedert sind, im Blick behalten.
Hoeneß meinte zuletzt, dass er den “einen oder anderen schon im Auge“ hätte. Wir dürfen also gespannt sein, wen der Präsident als seinen Nachfolger sieht.