FC Bayern – Miasanrot-Adventskalender, Nummer 7: Mehmet Scholl
Ein Gastbeitrag von Tobias Escher
Ein Artikel über Mehmet Scholl von einem Autor, dessen Webseite Laptoptrainer.de lautet – das kann doch nicht gutgehen! Wer an dieser Stelle auf einen Verriss der Scholl’schen Laptoptrainer-Kritik hofft, wird enttäuscht werden. Denn bevor Scholl durch die TV-Studios der Welt tingelte, war er einer der besten deutschen Fußballer seiner Zeit. Darum soll es heute gehen.
Ich hatte das Privileg, Scholls fußballerische Karriere als Halbwüchsiger verfolgen zu dürfen. Bei uns auf dem Schulhof wollte jeder Scholl sein. Er hob sich aus der Masse an Fußballern jener Zeit ab. Er wagte Tricks, ließ Gegenspieler stehen, sorgte für die rar gesäten Highlights bei der „ran“-Spieltagsanalyse. Mein Blick zurück ist daher etwas nostalgisch-verschwommen. Für eine tiefgreifende Analyse ist die Zeit einfach zu lange weg. Trotzdem möchte ich den Versuch wagen, den Fußballer Scholl an dieser Stelle zu würdigen.
Dribbelkünstler und Straßenfußballer
Der gebürtige Karlsruher Mehmet Scholl war ein Straßenfußballer durch und durch. Schon als er Anfang der Neunziger Jahre vom Karlsruher SC zum FC Bayern wechselte, deutete er sein Talent an. In einer Zeit, als Manndeckung und Kampf Synonyme für guten Fußball waren, schwebte Scholl leichtfüßig über den Platz. Er brauchte jedoch einige Zeit, um sich gegen die alteingesessenen Bayern-Spieler durchzusetzen. Uli Hoeneß überzeugte ihn, nicht schon nach dem ersten misslungenen Jahr in München aufzugeben. Scholls Durchhaltevermögen sollte sich lohnen. Im Verlaufe der Neunziger wuchs er zum Schlüsselspieler einer Bayern-Elf heran, die national wie international Titel abräumte.
Scholl war ein Dribbler vor dem Herrn. Mit seinem rechten Fuß sammelte er Ballkontakte wie Sammler Briefmarken. Scholl wäre der perfekte Fußballer für das 21. Jahrhundert: Seine Tricks und Finten würden auf YouTube millionenfach geklickt. „Mehmet Scholl: Insane Skills!“ Dass es diese Videos kaum gibt, liegt maßgeblich an der schlechten Bildqualität der Neunziger Jahre. Mit kurzen, schnellen Drehungen ließ er seine Gegenspieler ins Leere laufen. Sein Markenzeichen war die schnelle Verlagerung des Balls vom rechten Fuß links am Gegner vorbei. Den linken Fuß benutzte Scholl meist nur zum Stehen.
2001 hatte er ein Fabeljahr in seiner Rolle des angreifenden Mittelfeldspielers. Er kam meist von der rechten Seite, nahm es mit der Positionstreue aber nicht so genau und tauchte überall auf dem Feld auf. Fünf Tore gelangen ihm während der Champions-League-Saison 2000/01. Im Finale verschoss er einen Elfmeter, was sich angesichts des späteren Münchener Siegs nicht rächen sollte. Scholl schrieb sich mit der Champions-League-Sieger-Mannschaft in die Geschichtsbücher des Fußballs.
Zweiter Bildungsweg
Scholl profitierte bei den Bayern davon, dass andere die Drecksarbeit verrichteten. Er war kein kompletter Faulpelz, doch ich kann mich an kein Spiel seiner frühen Karrierephase erinnern, bei dem er eine dezidiert defensive Aufgabe übernommen hätte. Meist agierte er auf dem rechten Flügel oder als halbrechter Angreifer, stand bereit für Konter oder für schnelle Doppelpässe seiner Kollegen. Die Deckungsarbeit verrichten die Spieler hinter ihm.
Seine fehlende Defensivarbeit dürfte seine Karriere in der Nationalmannschaft gebremst haben. Bundestrainer Berti Vogts wurde nie so richtig warm mit ihm, sodass ihm eine Weltmeisterschaftsteilnahme verwehrt blieb.
Viel stärker bremsten seine Karriere die zahlreichen Verletzungen, die sich Scholl zuzog. Sein Körper machte die Strapazen des Profisports nicht mit. Inwieweit der raue Fußball der Neunziger Jahre in seine Verletzungshistorie hineinspielt, mag ich nicht zu beurteilen. Ich sage mal so: Den Gegner von den Socken zu hauen war damals nicht so verpönt wie heute.
Seine zahlreichen Verletzungen sorgten dafür, dass er sich nach dem Jahr 2001 neu erfinden musste. Immer seltener stand er in der Startelf, immer öfter brachten ihn seine Trainer als Edeljoker. Meist kam er nun auf der Achter- oder Zehnerposition zum Einsatz. Seine starke Technik erlaubte es ihm, sich auch in engen Situationen unter Gegnerdruck zu behaupten. Seine Torquote nahm im hohen Alter zwar ab. Dafür bereitete er aber nun Tore seiner Kollegen vor oder half mit seinen Ecken und Freistößen, enge Spiele für die Bayern zu entscheiden.
Die Karriere nach der Karriere
Scholl zuzuschauen hat damals unheimlich viel Spaß gemacht. Selbst die Kinder, die damals nicht Bayern-Fans waren, wollten wie Scholl spielen. Er war so etwas wie der erste Popstar des deutschen Fußballs, was nicht nur an seinem Aussehen, sondern an seinem frechen Auftreten lag. Scholl hatte immer einen kecken Spruch auf den Lippen.
Nach der Karriere standen Scholl alle Türen offen. Er mag meckern über die neue Generation von Laptoptrainern, die Fußball nur in der Theorie vermitteln können und Ex-Profis wie ihm die Plätze auf den Trainersesseln wegnehmen. Aber jeder Laptoptrainer würde für die Chance töten, die zweite Mannschaft des FC Bayern zu trainieren. Scholl tat das zweimal, entschied sich jedoch für eine Karriere als TV-Experte.
Abschließend muss ich doch kommentieren, was ich eigentlich nicht kommentieren wollte. Meine Kritik an Scholl, dem Fußballexperten, entzündet sich gar nicht so sehr an den Meinungen, die er vertritt. Viele seiner Thesen teile ich sogar. Dass im deutschen Nachwuchsfußball zu viel Wert auf starre taktische Konzepte gelegt wird, passt dem Instinktfußballer Scholl nicht. Er fühlte sich dann auf dem Platz besonders wohl, wenn er sich frei entfalten konnte. Das dürfen die jungen Fußballer heute selten. So gehen ihnen wichtige Skills wie Improvisation verloren, die Scholl auf dem Fußballplatz gelernt hatte.
Bedenklich finde ich die Form, in der Scholl seine Kritikpunkte verpackt. Nicht selten ist diese Kritik despektierlich gegenüber Menschen, welche die harte Trainerarbeit verrichten, für die Scholl sich zu schade ist. Er hatte seine Chance, auch nach der Karriere ein Vorbild für meine Generation zu bleiben. Diese Chance hat er verspielt.
Das schmälert allerdings nicht seine Leistungen als Spieler. Noch heute schaue ich mir gerne Scholls großen Spiele an; etwa das Halbfinale des Uefa-Pokals 1996 gegen den FC Barcelona oder das Champions-League-Viertelfinale 2001 gegen Manchester United. Das kann Scholl niemand nehmen.