FC Bayern – Miasanrot-Adventskalender, Nummer 4: Hans-Georg Schwarzenbeck
Ein Gastbeitrag von Lukas Tank.
Wir schreiben den 20. März 1976. Nominell befindet sich der FC Bayern München in der stärksten Phase seiner langen Geschichte. Erst letzte Woche wurde Benfica Lissabon mit 5-1 abgefertigt. Nachdem im Halbfinale Real Madrid bezwungen wird (ja, soetwas geht prinzipiell schon), endet die Saison schließlich mit dem dritten Europapokaltriumph in Folge.
Spiel gegen den nationalen Platzhirsch
National war diese Phase jedoch ungleich holpriger für die Münchner. Die letzte Saison endete auf einem blamablen zehnten Tabellenplatz (untere Tabellenhälfte!) und auch diese Saison wird nicht mehr als Platz drei herausspringen.
Der nationale Platzhirsch dieser Jahre hieß eindeutig Borussia Mönchengladbach. Bereits länger netzerlos, dominierte die Truppe um Vogts, Wimmer, Simonsen und Heynckes die Bundesliga auch ohne den legendärsten Discothekenbesitzer der Bundesliga-Geschichte.
Auch wenn Gladbach der ganz große europäische Triumph verwährt blieb, kann man doch mit Fug und Recht sagen, dass sich an diesem sehr kühlen Frühlingstag zwei Supermächte des europäischen Fußballs im Münchner Olympiastadion trafen – und Bayern war keinesfalls der Favorit!
„Katsche“ überstrahlt die Lichtgestalt
Ergebnis? Bayern gewinnt 4-0, es ist insbesondere anfangs eine Machtdemonstration. Spieler des Spiels? Nun, mehrere Spieler in Rot glänzen: Beckenbauer (natürlich) und Hoeneß sind hier zu nennen. Schaut man sich das Spiel an – es ist ausnahmsweise für Bundesliga-Partien dieser Ära in voller Länge erhalten – dann sieht man aber, dass ein Spieler an diesem Tag selbst den Kaiser überstrahlt. Hans-Georg „Katsche“ Schwarzenbeck.
Das hat zwar einerseits mit dessen robuster Defensivleistung zu tun – keine Überraschung – aber mehr noch mit folgender Tatsache: insbesondere am Anfang stellen die Gladbacher Beckenbauer konsequent zu, nehmen ihn in enge Manndeckung. Bayern verliert somit den besten Spielmacher aus der Abwehr, den der Weltfußball jemals gesehen hat.
Und was macht Schwarzenbeck? Gibt mit Ball mal eben so den Beckenbauer! Übernimmt den Spielaufbau, spielt Doppelpässe, geht weit mit nach vorne. The full Franz, und das vom angeblich so fußballerisch limitierten Adjutanten des großen Kaisers.
Mit Re-Live der Wahrheit näher kommen
Es gehört zu den Freuden des Umherwanderns in der Fußballgeschichte, wenn man (re-)live miterlebt, wie die großen Helden der Vergangenheit ihre vielbesungenen Taten vollbringen. Es gehört aber auch zu den Freuden, wenn man plötzlich herausfindet, wie die kollektive Erinnerung verzerrt, überhöht, manchmal sogar Sachverhalte umgedreht hat.
Katsche Schwarzenbeck war über seine Karriere hinweg gewiss kein zweiter Beckenbauer. Aber wer in einem Hochwassermarkenspiel mal eben den großen Kaiser so glaubwürdig imitieren kann, über dessen fußballerische Klasse möchte ich nichts schlechtes hören.