Life-Hack von Mainz 05: Einfach mal trauen!

Justin Trenner 25.04.2021

Es ist schon bemerkenswert: Aus den letzten 107 Partien gegen Teams (also seit der Beginn der Saison 2012/13), die am Ende der Saison im unteren Tabellendrittel landeten (oder jetzt gerade dort stehen), hat der FC Bayern München vor diesem Wochenende nur eines verloren: Am 33. Spieltag 2015 in Freiburg, als man bereits Meister war. Hinzu kommen lediglich 12 Unentschieden, allein vier davon in der Saison 2018/19. Das ist letztendlich die Basis für den Erfolg. Die Konkurrenz kann diese beeindruckende Konstanz aus diversen Gründen nicht aufbringen.

Nun aber haben die Mainzer das Kunststück ebenfalls vollbracht – obwohl dieser Fall statistisch streitbar ist. Vor der Partie waren die Nullfünfer im unteren Tabellendrittel, jetzt sind sie es nicht mehr. Bleiben sie bis zum Saisonende im mittleren Drittel und gewinnen die Bayern gegen den FC Augsburg, wird es bei einer Niederlage bleiben.

Wobei der Vergleich aus mehreren Gründen sowieso etwas hinkt. Ja, Mainz könnte am Ende womöglich im unteren Tabellendrittel ins Ziel einlaufen. Aber die Nullfünfer spielen auch eine Saison der zwei Gesichter: In der Hinrunde standen sie für viele bereits als Absteiger fest. Nach 17 Spielen war man punktgleich mit Schalke 04. Schon einige Wochen zuvor kam der große Knall: Christian Heidel und Martin Schmidt kehrten zwischen den Jahren in verantwortlicher Position zurück, auf der Trainerbank übernahm nach dem Bayern-Hinspiel Bo Svensson. Sein Team deutete bereits vor seiner Übernahme an, dass es viel vor haben würde. Eine 2:0-Führung zur Pause gegen die Bayern reichte zwar nicht, aber Eindruck hinterließen die Mainzer trotzdem.

Bo Svensson bringt Mainz wieder auf Kurs

Die Rückrunde beendeten die Mainzer unter Svensson dann mit zwei Niederlagen gegen Frankfurt und Wolfsburg sowie einem Unentschieden gegen Dortmund. Trainerwechsel verpufft? Keinesfalls. Mainz machte von Spiel zu Spiel Schritte nach vorn, ließ eine klare Spielidee des Trainers erkennen. Svensson stabilisierte zunächst die Verteidigungsarbeit, indem er seine Spieler wieder zunehmend aktiver verteidigen ließ. Er forderte viel Laufarbeit, eine damit verbundene hohe Intensität und eine gewisse Grundaggressivität in den Zweikämpfen ein – so viel war erkennbar.

Genauso war aber zu sehen, dass er das nicht ohne klare Anweisungen tat. „In die Zweikämpfe kommen“, „die Grundtugenden aktivieren“, „Laufarbeit einfordern“ – ja, all das ist wichtig im Abstiegskampf und generell im Fußball. Aber ohne konkrete Idee ist es wenig wert. Wenn du viel läufst, aber wenig richtig, dann hast du in der Bundesliga keine Chance.

Svensson aber hat spätestens in der Rückrunde, beginnend mit dem überraschenden 3:2-Erfolg gegen Leipzig, unter Beweis gestellt, dass er mehr ist als jemand, der Zweikämpfe oder Laufarbeit einfordert. Seine Mainzer laufen viel, sie spielen intensiv, aber sie legen zugleich qualitativ hochwertige Wege zurück. Die taktische Einstellung des Teams ist bemerkenswert.

Mut wird oft genug belohnt

Das 2:1 gegen Bayern ist, zumindest ist das zu hoffen, wenn man ein Freund von attraktivem Fußball ist, nur der vorläufige Höhepunkt der Entwicklung. Die Münchner, so viel ist auch klar, waren unabhängig von der Leistung des FSV nicht gut drauf. Fehler ohne Druck, Unkonzentriertheiten, weniger Intensität, immer einen halben Schritt zu spät – es hat mal wieder gemenschelt beim amtierenden Meister. Natürlich hat all der Stress der vergangenen Wochen seine Spuren hinterlassen. Es ist also nachvollziehbar, dass die Spannung im Team nach dem wichtigen Sieg in Wolfsburg ein bisschen abgefallen ist.

Demgegenüber standen aber Mainzer, die nicht nur frisch, sondern auch sehr selbstbewusst waren und von Anfang an gezeigt haben, dass sie für sich, den Trainer und den Klub alles geben wollen, um letztendlich den Klassenerhalt zu schaffen. Die Bayern haben auch oft genug Spiele gewonnen, in denen sie eigentlich nicht gut drauf gewesen sind. Insofern schmälert der schwache Auftritt des Gegners nicht die starke Leistung des FSV.

Mainz zeigt damit aber vor allem: Mut kann auch gegen den FC Bayern belohnt werden. Seit Jahren wird darüber gestritten, welche Spielweise gegen den Branchenprimus am wirkungsvollsten ist. Die Antwort dürfte vor allem für Teams aus der unteren Tabellenhälfte sein, dass es da kein allgemeines Rezept gibt. Aber wenn man schon sehr wahrscheinlich verliert, dann doch wenigstens mit einer engagierten und mutigen Leistung, oder?

Bayern kam nicht ins Spiel – auch weil Mainz sie nicht ließ

Svensson hat auf das vertraut, was in den Vorwochen schon so gut geklappt hat: Aktives Verteidigen. Warum vor den Bayern verstecken und aus Angst etwas ganz anderes machen? Immer wieder haben die Mainzer aus ihrer gut und kompakt organisierten 5-4-1-Ausrichtung gegen den Ball aggressiv herausgeschoben. Statt dabei aber Räume für die dynamische Bayern-Offensive zu öffnen, haben sie als Team schnell reagiert. Sobald ein Spieler nach vorn verteidigte, machten alle um ihn herum mit. Die für die Bayern so wichtigen Zwischenlinienräume wurden so stets eng gehalten.

Oft genug gab es Spiele, in denen die Bayern auf den Außenbahnen in Ruhe den Ball behaupten konnten, weil sie nur gestellt wurden. Mainz hingegen stand ihnen auf den Füßen. Insbesondere in der ersten Halbzeit kamen die Münchner überhaupt nicht zur Entfaltung. Immer wieder schafften es die Nullfünfer, Überzahl gegen den Ball herzustellen. Weil sie sich nicht nur viel, sondern clever bewegt haben.

Im zweiten Durchgang ließen die Kräfte etwas nach und Bayern kam zu längeren Ballbesitzphasen. Aber auch in der Tiefenverteidigung schlug sich Mainz gut, ließ nur wenig gefährliche Abschlüsse zu. Die Dynamik im Svensson-Pressing war deshalb so beeindruckend, weil es kaum Missverständnisse beim Übergeben von Gegenspielern oder Positionen gab. Spieler wie Thomas Müller, Joshua Kimmich oder auch Robert Lewandowski fanden kaum Lösungen, um sich selbst gegen diese Defensivarbeit ins Spiel zu bringen.

Auch mit dem Ball war Mainz mutig und technisch sehr sauber

Bayern spielte häufig den Ball so lange quer durch die eigene Abwehr, bis ein Spieler keine Lust mehr hatte und sich an einem langen Ball versuchte – selten mit Erfolg. Und auch das Gegenpressing hat zu selten gegriffen. Weil Mainz eben nicht nur gegen den Ball mutig war, sondern auch mit ihm.

Zu Beginn des Jahres war Mainz eines der Teams, die in Ballbesitz eher ängstlich und ideenlos daherkamen. Selbst in Kontersituationen taten sie sich schwer damit, Mitspieler zu finden, weil die sich gefühlt eher versteckt haben, als sich aktiv anzubieten. Kein Vergleich zum jetzigen Svensson-Mainz.

Statt sich vom bayerischen Pressing einschüchtern zu lassen, traute sich der FSV immer wieder, die Schnittstellen zu suchen und ein eigenes Kurzpassspiel aufzuziehen. Waren sie auf den Außenbahnen isoliert, gingen sie auch mal das Risiko eines kurzen Dribblings ein und schenkten den Ballbesitz nicht durch leichtfertige lange Bälle her. Technisch waren sie in ihren Aktionen dabei sehr sauber, während Bayern mitunter alt in der Verteidigung aussah – in allen Mannschaftsteilen und nicht nur in der Abwehr.

Bundesliga, schau nach Mainz?

Mainz legte einen reifen Auftritt hin und untermauerte, dass sie eigentlich kein Team sind, das gegen den Abstieg spielen sollte. Aus der von Heidel geforderten Europa-League-Rückrunde wurde durch den Sieg gegen Bayern vorübergehend eine Champions-League-Rückrunde. Platz 4 belegen die Nullfünfer in der Tabelle seit dem 18. Spieltag – mit 27 Punkten aus 13 Spielen.

Wenn sie jetzt nicht auf der Zielgeraden der „Bayern-Fluch“ packt und sie einfach so weitermachen wie bisher, statt in eine Ergebniskrise zu geraten, dann dürfte der Abstieg kein Thema mehr werden. Aufgrund der desolaten Leistung der Bayern sollte man vorsichtig sein mit Phrasen wie: „Davon kann die Bundesliga lernen.“ In einer normalen Partie hätte der Rekordmeister wohl trotz dieser beeindruckenden Leistung des Gegners gewonnen. Aber was ist im Fußball schon normal? Viele Teams in der Bundesliga sollten trotzdem mal nach Mainz schauen, die zumindest einen kleinen Life-Hack für Duelle mit den Bayern liefern konnten: Seid mutig und gebt euch nicht schon vor Anpfiff auf. Was Svensson in kurzer Zeit beim 1. FSV Mainz 05 geschafft hat, ist jedenfalls aller Ehren wert. Das sollte nach diesem Duell auch in einem Bayern-Blog nicht zu kurz kommen.

Hinweis für alle Bayern-Fans: Heute um 17 Uhr spielen die Bayern Frauen im Halbfinale der Champions League gegen den Chelsea FC. Die Münchnerinnen sind insbesondere nach den letzten Partien eher in der Außenseiterrolle, aber auf dem Papier nicht chancenlos. So oder so könnte die Begegnung Spektakel bieten. Übertragen wird sie ab 16:45 Uhr auf Sport1 und auf dem YouTube-Kanal des FC Bayern.