15 Jahre voller Titel, Tränen und Triumphe
Mit schwerem Herzen verließ die Bayern-Familie im Frühsommer 2005 das Olympiastadion, das zuvor für Jahrzehnte die Heimat des deutschen Rekordmeisters war. Nun ging es raus aus dem Zentrum der Stadt in den Norden Münchens – in ein Raumschiff.
Die Highlights aus den letzten fünfzehn Jahren im Schnellabriss lauten: 30. Mai 2005: Offizielles Eröffnungsspiel durch die Blauen. 31. Mai 2005: Erstes Spiel des FC Bayern gegen die Nationalelf. 26. Juli 2005: Erstes Pflichtspiel im DFB Ligapokal. 5. August 2005: Erstes Bundesligaspiel der Roten. 9. Juni 2006: WM-Eröffnungsspiel. 19. Mai 2012: Unauffindbar in den Annalen. Sommer 2012 und 2014: Aufstockung auf nun 75.000 Plätze national. Juli 2017: Auszug der Löwen.
Zu dem Anlass 15 Jahre Allianz Arena haben wir in unserer Redaktion und bei befreundeten Autoren nach einem besonderen Moment in der Arena gefragt. Es folgen Geschichten über Tränen, Schützenfeste und einen besonders kalten Schneesturm.
Erste Niederlage im Schneesturm
Von Günter Klein
Ein wesentlicher Grund für den FC Bayern, das Olympiastadion nicht mehr zu mögen, war ja: Bei schlechtem Wetter wird man dort nass. Die Gegengerade war unüberdacht, doch auch auf die Haupttribüne trieb der Wind den fiesen Regen. Dem waren vor allem die VIPs ausgesetzt, für die daher stets Bayern-rote Wärmedecken ausgelegt waren. Die mit der Allianz Arena verbundene Hoffnung war, dass sich fortan klimatische Behaglichkeit ausbreiten würde. Wind, Regen, Schnee – gebt auf!
2005/06, die erste Saison in Fröttmaning – und der große Wettertest. Sie bestand ihn nicht. Jedoch: Es war schon ein besonders strenger Winter; zwei Spiele sind mir in Erinnerung geblieben.
Das erste am 12. Februar 2006, einem Sonntagabend. Der FC Bayern empfing den 1. FC Nürnberg, er gewann 2:1, sportlich Business as usual. Doch für die Zuschauer eine Ernüchterung, denn sie mussten erkennen: Das neue Stadion kann sie nicht vor Extremwetterlagen schützen. Es schneite dicke Flocken, sie wehten hoch bis auf die Presseplätze, im eigentlich geschützt wirkenden oberen Bereich des ersten Ranges. Weißes Nass legte sich auf die Pulte und die Tastatur des Laptops. Für mich kam als weiteres Handicap dazu, dass ich aus dem Skiurlaub mit gebrochenem Daumen zurückgekehrt war und die linke Hand geschient hatte, was das Tippen eh schon erschwerte. Ich musste sogar mit dem einen Arm aus dem wärmenden Anorak raus, da die gepolsterte Pfote nicht durch den Ärmel passte. Ich fluchte ein wenig über die Arena, dachte aber, ich hätte das schlimmste Spiel der Saison hinter mir.
Dann drei Wochen später, 4. März 2006: Das Datum hat sich in der Geschichte des FC Bayern und der Allianz Arena verewigt, weil sich die Roten dort erstmals eine Bundesliga-Niederlage erlaubten. 1:2 gegen den Hamburger SV. In der Mixed Zone – unvergesslich – erzählte der damals noch aktive Hamburger-Abendblatt-Reporter Dieter Matz den staunenden jungen Spielern von anderen großen Siegen der HSV-Geschichte. Also das umgekehrte Bild: Journalist erzählt, Spieler hören zu. In der 89. Minute hatte der HSV durch Nigel de Jong das Siegtor erzielt. Verdient. Er hatte bis zur 83. Minute und zum Ausgleich durch Mehmet Scholl geführt. Der HSV war noch nicht der Witzverein der Zehner-Jahre.
Bemerkenswerter aber war – wie schon in der Partie gegen den Club – die Wetterlage. Richtiger Winter, Schneefall ohne Ende. Ich wohnte 75 Kilometer von der Arena entfernt, machte mich auf einen längeren Heimweg gefasst. Als Journalist fährt man in der Regel erst los, wenn in der Mixed Zone die Stimmen gesammelt sind, vor einer Stunde nach Abpfiff kommt man eh nicht weg. Meist hat sich der Verkehr ums Stadion beruhigt.
An jenem 4. März nicht. Der Schneefall hörte nicht auf, der Winterdienst der Autobahnmeisterei war überfordert. Dazu kam massiver Rückreiseverkehr aus dem Süden, irgendwo in Deutschland gingen Ferien zu Ende. Um Dachau herum Stillstand der Blechkarawane. Das Rote Kreuz fing an, Tee zu kochen, um die strandenden Reisenden zu verfolgen. Im Autoradio konnte man verfolgen, dass nacheinander jeder öffentliche Verkehr eingestellt wurde. Keine U-Bahnen, keine Busse, keine Trams, keine Züge. Ich fuhr von der Autobahn ab, als sich die Chance ergab – und hatte Glück, dass auf meiner Ausweichstrecke das Auto gerade noch unter einen Baum passte, der auf die Landstraße gestürzt war. Nach 7:54 Stunden fuhr ich zuhause in der Garage ein. Ich hatte das Sportstudio verpasst, aber im Radio zig Male gehört, dass der FC Bayern verloren hatte.
Es waren seinerzeit noch drei Monate bis zur WM in Deutschland. Dem Sommermärchen. Aber nach diesem Winter hatte sich das Land das schöne Wetter dann auch verdient.
Ein Sieg gegen Dortmund und für das Umweltbewusstsein
Am 6. April 2019 schlägt der FC Bayern Borussia Dortmund in einem begeisternden Heimspiel mit 5:0. Was diesen Arena-Besuch in der Saison 2018/19 aber zu einem ganz besonderen machte, war nicht das Spiel. Sondern, dass ich erstmals das Mehrwegbecher-System im Stadion erlebte.
Im November 2016 sprach ich auf der Jahreshauptversammlung der FCB AG. Unter anderem sagte ich:
„Ich wünsche mir einen FC Bayern, der in seiner Verantwortung für die Umwelt auf Pfandbecher in der Allianz Arena setzt. 16 Millionen weggeworfene Plastikbecher in 10 Arena-Jahren sind genug!“
Im April 2017 konnte ich bei einem längeren Vier-Augen-Gespräch mit Uli Hoeneß auch über dieses Thema diskutieren. Er war begeistert von dem Vorschlag und wollte, nach typischer Hoeneß-Manier, sofort in meinem Beisein mit einem Anruf bei Arena-Geschäftsführer Jürgen Muth klären, wie schnell sich die Getränkeausgabe auf Mehrweg ändern ließe.
Was weder Uli Hoeneß noch ich wussten: Angeblich wurde beim Club „schon lange“ über ein Mehrwegbechersystem nachgedacht. Was nun endgültig auf den Weg gebracht wurde.
Zunächst einmal mussten die 60er im Jahr 2017 die Allianz Arena verlassen. So entstanden freie Räume im Stadion, die man für die zukünftige Becher-Logistik brauchte. Neue Abläufe wurden mit dem Catering-Partner festgelegt und eingeübt. Die Polizei musste grünes Licht geben für eine bestimmte Becherart, die sich nicht als Wurfgeschoss verwenden ließe. Hierzu konnte ich dem FC Bayern mit einem Tipp helfen.
Zur Saison 2018/19 war es dann soweit. Die Nervosität bei allen Beteiligten war recht hoch, wusste man vor allem nicht, ob die Fans das neue Pfandsystem annehmen würden. Doch vom ersten Spieltag an lief alles reibungslos. Pro Saison werden nun rund 1,6 Millionen Einweg-Plastikbecher in der Allianz-Arena eingespart.
Der FC Bayern soll nicht nur auf dem Rasen, sondern auch abseits davon glänzen. Zu erleben, wie der Club, einmal von der Richtigkeit der Maßnahme überzeugt, hier umweltfreundlich gehandelt hat, machte mich mal wieder stolz, ein Bayern-Fan zu sein.
Das kitschige Ende von Robbery
Von Jonas Austermann
Spannung am letzten Bundesliga-Spieltag – wo gibt’s denn sowas? Am 18. Mai 2019 zum Beispiel. Der FC Bayern mit Trainer Niko Kovač traf auf dessen Ex-Klub Eintracht Frankfurt und musste für die Meisterschaft tatsächlich noch ein Remis holen. Zwei Punkte hinter den Münchnern lauerte Borussia Dortmund, das einen Neun-Zähler-Vorsprung verspielt hatte. Und: Die Bayern-Legenden Arjen Robben und Franck Ribéry sollten nach zehn bzw. zwölf Jahren beim Rekordmeister doch bitte angemessen verabschiedet werden.
Es lag also tatsächlich so etwas wie Spannung in der Luft. Auch, weil die Eintracht in den Wochen zuvor die Europa League unsicher gemacht hatte. Mit der Büffelherde Sebastien Haller, Luka Jović und Ante Rebić stürmten die Frankfurter bis ins Halbfinale, scheiterten erst dort am FC Chelsea. Statt eines Krimis bekamen die Zuschauer im Fröttmaninger Rund allerdings einen bayerischen Feiertag kredenzt. Kingsley Coman beruhigte schon nach vier Minuten die Gemüter mit dem 1:0, Haller traf für merklich ausgelaugte Gäste nach der Pause zum Ausgleich. Weil der BVB 1:0 in Gladbach führte, lagen die Bayern nur noch aufgrund des Torverhältnisses vorne – an dieser Stelle sei an Uli Hoeneß‘ Aussage „Das Torverhältnis interessiert mich nicht“ erinnert.
Die Roten behielten die Nerven, David Alaba traf umgehend zum 2:1. Und als Renato Sanches erhöhte, brachen in München alle Dämme. Der Portugiese stürmte über den ganzen Platz, rutschte auf Knien auf Robben, Ribéry und Rafinha zu – auch der Brasilianer verabschiedete sich in dem Sommer. Das Rennen um die Meisterschaft wurde zum Schaulaufen, erst traf Ribéry nach seiner Einwechslung, dann Robben. Kitschiger und zugleich perfekter hätte es kein Drehbuchautor schreiben können.
Einmal den Fußballgott anrufen
Von Katrin
Wenn man mich nach meiner Lieblingserinnerung an die Allianz Arena fragt, ist die Antwort sehr einfach, da ich es aufgrund vieler im Ausland verbrachten Jahre bislang erst zweimal dorthin geschafft habe. Beide Besuche haben sich mir eingeprägt: Der erste fand während einer Dienstreise nach München statt. Ich hatte nicht viel freie Zeit, wollte die Allianz Arena aber trotzdem unbedingt einmal gesehen haben. Als ich an der Kasse der FC-Bayern-Erlebniswelt stand, um ein Ticket zu kaufen, sagte die nette Frau am Schalter zu mir: „Wenn du wegen Jérôme Boateng hier bist, musst du dich beeilen, er ist nicht mehr lange da.“
Tatsächlich wollte das Schicksal es so, dass ich meinen ersten Besuch in der Allianz Arena zufällig genau auf das spontane, einstündige Meet and Greet mit Boateng gelegt hatte. Eine halbe Stunde später, mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht und einem Foto von Jérôme und mir auf meiner Handykamera, machte ich mich wieder auf den Weg ins Hotel zurück.
Der zweite Besuch war besser geplant: Als Bastian Schweinsteiger den Verein verließ, um sein Glück bei Manchester United zu (ver)suchen, lebte ich noch in Jakarta und vergoss bittere Tränen. Nicht nur ist Schweinsteiger der Spieler, der in meinem Fan-Dasein die prägendste Rolle gespielt hat. Nein, es war auch immer mein Wunsch gewesen, ihn einmal live in der Allianz Arena spielen zu sehen, und bei der Mannschaftsaufstellung seinen Namen zu rufen: „Schweinsteiger, Fußballgott!“ Dass ich diese Chance endgültig verpasst hatte, setzte mir zu.
Als der FC Bayern verkündete, dass es ein nachträgliches Abschiedsspiel für Schweinsteiger geben würde, zögerte ich nicht lange. Das konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen. Und so saß ich an einem lauen Sommerabend im August 2018 mit meinem Schweinsteiger-Trikot in der ausverkauften Allianz Arena wie ein staunendes Kind ob der großartigen Stimmung – und wartete. Ich wartete auf diesen einen Moment, in dem Stephan Lehmann ins Mikro ruft: „Unsere Nummer 31… Bastiaaaan…“
Und mit voller Inbrunst schrie ich gen Münchner Nachthimmel: „Schweinsteiger, Fußballgott!“
Es war wunderschön, mir meinen langgehegten Traum doch noch erfüllen zu können, und gleichzeitig war es abgrundtieftraurig, da mein erstes Schweinsteiger-Spiel in der Allianz Arena auch das letzte war – eine Achterbahn der Gefühle. Also genau so, wie Fußball sein sollte.
Ein Tor, das ganz München spürte
Von Justin
Der FC Bayern und sein „Schlauchboot“ – seit dem ersten Tor von Sebastian Deisler ist in der Arena bereits Fußballgeschichte geschrieben worden. Etliche Titel, Vorstellungen, Verlängerungen wie jene von Schweinsteiger und selbst Public Viewings wurden dort schon gefeiert und veranstaltet. Ob Roy Makaay sehr früh im Spiel gegen Real 2007 oder Luca Toni sehr spät gegen Hoffenheim im Jahr 2008: Viele Momente bleiben einem Bayern-Fan in der Arena in Erinnerung.
Bei mir ist aber vor allem das Finale Dahoam 2012 noch sehr präsent. Auch wenn die Bayern mittlerweile zwei Champions-League-Titel holen konnten, ist der Schmerz nie so ganz weg. Im Gegensatz zu anderen Niederlagen in der Klubgeschichte kann und will ich diesen großen wie auch niederschmetternden Abend nicht vergessen. Als Thomas Müller das 1:0 kurz vor dem Ende erzielte, explodierte ganz München. Ich war nicht in der Arena, dafür aber im Olympiastadion beim Public Viewing. Was ich damals spürte, habe ich bis heute nie wieder bei einem Tor gespürt. Ein Spieler aus der eigenen Jugend, der das Champions-League-Finale im eigenen Stadion entscheidet? Auch wegen der gesamten Vorgeschichte der Generation Lahmsteiger hätte dieser Moment kaum größer sein können.
Für mich bis heute das wichtigste und emotionalste Tor der Vereinsgeschichte – wenn man nur den Moment betrachtet. Retrospektiv hat dieser Treffer leider an Ansehen verloren, weil … ihr wisst schon. Trotzdem: Müllers Tor wird bei mir immer auf Platz 1 der emotionalsten Tore stehen, die ich im Fußball erlebt habe.
Flicks Wende bei erstem Spiel mit Sohn
Von Patrick Fricke
Ich bin trotz Anreise aus NRW regelmäßig zu Gast in der Allianz Arena. In den letzten Jahren aufgrund von Familienzuwachs aber nicht mehr ganz so regelmäßig, wie noch zu Anfang. Aber genau dieser Nachwuchs brachte mir eines von vielen unvergesslichen Erlebnissen in der Arena.
Es war das Spiel gegen Borussia Dortmund aus der gerade abgelaufenen Saison. Die Wende! Der Start zur Aufholjagd und zum Gewinn des Triples. Im Nachhinein ist dieses Spiel noch größer als es an dem Abend ohnehin bereits gewesen ist. Mein achtjähriger Sohn war zum ersten Mal in der Allianz Arena. Es herrschte eine grandiose Stimmung, wie ich sie nur ganz selten erlebt habe. Man merkte, dass heute etwas Besonderes geht und es ein grandioser Abend wird. Jeder Angriff der Bayern wurde bis zu den obersten Stuhlreihen hin gefeiert. Es war schlichtweg das perfekte Spiel, um seinem Kind die Allianz Arena in all ihrer Pracht und Macht vorzustellen. Und ich war einfach nur stolz unsere Mannschaft und die Arena so präsentieren zu können.
Der Auftakt eines traumhaften Sommers
Von Maurice
Mit wenigen Orten verbinde ich so viele Erinnerungen wie mit der Allianz Arena. Große Siege und bittere Niederlagen der Münchner in dem Luftkissen habe ich vor Ort verfolgt. Sie ziehen wie ein Film an meinem inneren Auge vorbei: Lewandowskis Fünferpack, der Titelgewinn 2019, das Schweinsteiger-Abschiedsspiel, das kuriose Elfmeter-Aus im Pokal gegen Dortmund 2015, das verrückte 5:4 gegen Heidenheim. Andere Momente erlebte ich von der heimischen Couch: der Abschied des Titans, das Drama Dahoam, die neun Tore gegen den HSV.
Und doch war die Allianz Arena abseits des Vereinsfußballs auch der Ort an dem im Sommer 2006 die in meiner Erinnerung vielleicht prägendste Fußball-Weltmeisterschaft begann. Weit vor irgendwelchen Freshfield-Untersuchungen der WM-Affäre, war im Juni 2006 in München die Welt zu Gast bei Freunden. Wochen und Monate der Anspannung waren vergangen. Ganz Deutschland fieberte auf diesen Moment hin. Im Land herrschte eine Atmosphäre voller Offenheit und Freude, auf die man in heutigen Zeiten mit einem weinenden Auge zurückblickt.
Das Eröffnungsspiel bestreitet Deutschland als Gastgeber gegen den krassen Außenseiter Costa Rica, doch nach gemischten Ergebnissen in der Turnier-Vorbereitung sind 82-Millionen-Bundestrainer auf das Schlimmste vorbereitet. Es kommt ganz anders. Nach fünf Minuten ist es ausgerechnet Philipp Lahm, der Münchner, der von der Strafraumkante einen Ball ins lange Eck schlenzt. Der Auftakt zu dreieinhalb Wochen schwarz-rot-goldener Festakt.
Fünfzehn Jahre nach der Eröffnung der Arena und vierzehn Jahre nach dem Turnier ist mein innigster Wunsch, dass „Die Welt zu Gast bei Freunden“ wieder mehr wird als nur das Motto eines Fußballturniers aus einer längst vergangenen Zeit.