WM-Notizen: Lahm, Shaqiri und spanische Planstellen

Steffen Trenner 27.06.2014

WM-Notizen:

  • Über Thomas Müller muss ich wohl kaum ein Wort verlieren. Der 24-Jährige führt mit 4 Toren die Torjägerliste an. Seine Effizienz ist dabei außergewöhnlich. Gerade einmal 7 Torschüsse brauchte der Bayern-Stürmer für seine Treffer. Gerade das Siegtor gegen die USA war bemerkenswert. Es war eines der wenigen Müller-Tore von außerhalb des Strafraums und zudem technisch in der Ausführung hoch anspruchsvoll. Die Misstöne vom Ende der vergangenen Saison scheinen nach der vorzeitigen Vertragsverlängerung vergessen. Was bleibt ist das gute Gefühl, dass dieser Spieler mindestens bis 2019 das Bayern-Trikot tragen wird.

  • Die Diskussion um die Positionierung von Philipp Lahm, die nach seinem Patzer vor dem 1:2 gegen Ghana an Fahrt gewann, ist für mich ziemlich verkürzt. Jenseits von der Frage, ob Sami Khedira (der zockt und den Ball im Drehen mitnehmen will statt ihm entgegen zu gehen) eine Mitschuld am erwähnten Ballverlust trägt, überzieht, die vor allem von der BILD angestoßene Diskussion über den „Problemfall Lahm“ ziemlich. Hätte Lahm gegen Ghana als Rechtsverteidiger agiert und ein Tor mitverschuldet, hätten wir die Diskussion genau anders herum geführt. Das ist mir zu oberflächlich. Fakt ist: Lahm hat selbst betont, dass er sich auf Grund der höheren Spielpraxis in dieser Saison im Mittelfeld sicherer fühlt. Er hat in zwei Spielen gegen Portugal und Ghana drei auffällige Ballverluste gehabt aus denen 1 1/2 Chancen entstanden. Ansonsten war es über weite Strecken der Lahm, den wir auf dieser Position auch aus der Saison bei den Bayern kannten. Er trägt die Hauptlast in der Angriffsinitiation, er schafft gute Winkel im Spielaufbau aus der Abwehr heraus und ist der Backbone im Gegenpressing. Gegen Ghana spielte Lahm im Spielaufbau insgesamt gerade einmal vier Fehlpässe, er wirkte in ein oder zwei Szenen nicht handlungsschnell genug. Vielleicht ist es auch ein Beweis der Qualität von Philipp Lahm in den vergangenen Jahren, dass diese kleinen Wackler ausreichen, um eine Diskussion über den Bayern-Kapitän zu entfachen. Momentan sehe ich jedenfalls (zu) wenig Gründe, warum Lahm seinen Platz im Zentrum für Khedira räumen und damit übrigens auch den sehr starken und stabilen Boateng (Beste Zweikampfquote im Deutschen Team) auf die Bank verdrängen sollte. Wir können sicher darüber diskutieren, ob es im Zentrum mit Khedira und/oder Schweinsteiger andere (robustere, physisch stärkere, etwas torgefährlichere) Spielertypen als Lahm braucht und er deshalb besser nach Außen rückt. Aber Lahm wegen zwei auffälligen Ballverlusten in Frage zu stellen, greift mit wie gesagt zu kurz.
  • Positiv sind die Leistungen von Bastian Schweinsteiger zu bewerten. Er scheint sich durch den couragierten und sehr präsenten Auftritt gegen die USA allen Unkenrufen im Vorfeld des Turniers („Schweinsteigers Zeit ist vorbei„) zum Trotz seinen Platz im Team zurückerkämpft zu haben. Schon gegen Ghana war der Vize-Kapitän ein wichtiger Impulsgeber von der Bank, der maßgeblichen Anteil daran hatte, dass Deutschland immerhin einen Punkt rettete. Schweinsteiger ist körperlich nicht in absoluter Top-Form, aber es reicht offenbar für 70-75 Minuten auf sehr hohem Niveau. Löw scheint den weiteren Turnierverlauf im Mittelfeldzentrum in die Hände von Lahm (95% Passquote gegen die USA), Schweinsteiger (87 %) und Kroos (94%) zu legen. Das Passspiel wurde dadurch schon gegen die USA deutlich sicherer und insgesamt abgeklärter. Leichte Restzweifel bleiben bei mir beim Spiel gegen den Ball. Die letzte Robustheit und Zweikampfstärke, die für die Unterdrückung von Gegenstößen erforderlich ist, geht der Münchener Kombination ein wenig ab.
  • Ich war vor dem Turnier sehr gespannt auf das Auftreten von Xherdan Shaqiri. Der Schweizer wartet in München auf seinen Durchbruch. Der Punkt rückt näher an dem der 22-Jährige und der Verein entscheiden müssen, ob es in München noch etwas wird mit dem torgefährlichen Mittelfeldspieler. Dass der selbstbewusste und ehrgeizige Shaqiri immer wieder mit europäischen Top-Clubs in Verbindung gebracht wird (zuletzt FC Liverpool) ist da nur folgerichtig. Ich war gespannt, ob Shaqiri die Bühne, die eine WM gerade für junge Spieler darstellen kann – noch dazu in der eher schwachen WM-Gruppe E – nutzen kann. Shaqiri brauchte etwas um seinen großen Akzent zu setzen. Gegen Ecuador agierte er glücklos beim Debakel gegen Frankreich ging er mit unter. In der Schweiz stand er nach diesen beiden Auftritten stark in der Kritik. Was folgte war ein Dreierpack im abschließenden Spiel gegen Honduras und damit das lang erwartete Ausrufezeichen. Shaqiri zeigte bei seinen Toren was ihn auszeichnet. Exzellente Fernschüsse und große Dynamik und Wucht im Konterspiel. Während Shaqiri in München häufiger mit etwas hektischen und überhasteten Abschlüssen auffiel, bewies er bei seinen Treffern 2 und 3 große Ruhe vor dem Tor. Zudem kreierte er, der von Ottmar Hitzfeld mit vielen Freiheiten in einer zentralen Rolle hinter der einzigen Spitze aufgeboten wurde, vier gute Chancen und hatte zwei weitere Abschlüsse in unmittelbarer Tornähe. Bayern ist spätestens ab der kommenden Saison auf der Suche nach Flügelspielern, die sukzessive in die großen Fußstapfen von Franck Ribéry und Arjen Robben treten können. Shaqiri hat gegenüber anderen Kandidaten einen großen Vorteil. Er ist bereits in München. Er ist ein Spieler, der in der Bundesliga regelmäßig zweistellige Tor- und Assist-Zahlen auflegen kann. So wie es Ribéry und Robben über Jahre tun. Wie gesagt: Es nähert sich der Punkt an dem sich entscheidet, ob es in München noch etwas wird mit Shaqiri. Leistungen wie die gegen Honduras sind dabei der Maßstab für den schweizer Nationalspieler.
  • Es ist spannend zu beobachten wie wieder einmal ein großes Turnier einen taktischen Trend setzt beziehungsweise verstärkt. Die Dreierkette, die sehr variabel zur Fünferkette werden kann und generell die Variabilität des jeweiligen Systems durch veränderte horizontale und vertikale Abstände verstärkt, ist der taktische Trend dieser WM. Chile, Mexiko, Holland – auffallend viele der erfolgreichen Vorrundenteams setzen auf (jeweils unterschiedlich interpretierte) Dreierketten und/oder auf zwei Angreifer. Der Trend zur Dreierkette ist auch in München vorprogrammiert. Guardiola testete diese Variante mehrfach in der Vorbereitung und wagte im Pokalfinale gegen Dortmund bereits erfolgreich den „Live-Test“. Die Dreierkette wird in der kommenden Saison ein wesentlicher Baustein des Münchener Spiels werden – da bin ich sehr sicher. Auffällig ist übrigens auch wie stark die auch von Guardiola forcierte Positionslosigkeit im Offensivspiel inzwischen im internationalen Fußball greift. Bestes Beispiel ist dafür die neuerfundene Oranje unter Louis van Gaal. Während der Fußballlehrer in seiner Zeit in München sehr viel der Positionstreue unterordnete und damit das Münchener Spiel in seiner Endphase in der Saison 2010/2011 sogar behinderte, ist die Niederlande das wohl fluideste Team dieses Turniers. Es ist unmöglich das Spiel der van-Gaal-Elf in Zahlen zu gießen. Mal ist es ein 3-5-2, mal ein 5-4-1, mal ein 5-3-2, mal ein 5-1-3-1, mal ein 3-6-1. Es ist eine bemerkenswerte Entwicklung gerade für den gern als stur beschriebenen van Gaal.
  • Aufgefallen ist in der WM-Vorrunde auch, dass der ex-Münchener Luiz Gustavo ein richtig guter Fußballer ist, dessen Talente nach seinem Abgang aus München ein wenig verkannt wurden. Sein Problem war schlicht die Großartigkeit von Javi Martínez und vielleicht die gelbe Karte im Champions League-Halbfinale 2012, als er Pepe attackierte und für das Finale gesperrt wurde. Ich denke bis heute darüber nach wie dieses Finale ausgegangen wäre, wenn Gustavo, der gegen Madrid herausragend spielte, hätte dabei sein können. Es ist zugegeben müßig. Gustavos Leistungen für Brasilien haben mich beeindruckt und das obwohl er für die Selecao im zentralen Mittelfeld viel mehr machen muss, als seine Paraderolle als Abfangjäger auszufüllen. Ein Toller Spieler, der nach dieser WM aus meiner Sicht eher nicht nach Wolfsburg zurückkehren wird.
  • Das Ausscheiden der Spanier ist eine Zäsur von der zwei Bayern-Spieler profitieren könnten. In der spanischen Nationalmannschaft werden einige Planstellen frei. Javi Martínez und vor allem Thiago sind zwei Spieler, die diese Lücken in Zukunft füllen werden. Es ist eigentlich immer noch unglaublich, dass Barcelona Thiago verhältnismäßig günstig zu Bayern hat ziehen lassen. Die Zeit des großen Strategen Xavi ist vorbei. Cesc Fabregas verlässt Barcelona ebenfalls. Der Ersatz heißt bei den Katalanen heißt Ivan Rakitic. Thiago stehen (wenn er verletzungsfrei bleibt) in München und in der spanischen Nationalelf alle Türen offen. Bei Martínez bleibt das Gefühl, dass seine Fähigkeiten durch den wohl dauerhaften Positionswechsel in die Innenverteidigung ein wenig verschenkt werden. Aus einem herausragendem 6er wird ein sehr guter Innenverteidiger, der erst noch dauerhaft nachweisen muss, dass er auf dieser Position ebenfalls herausragend sein kann. Die Umstellung auf eine Dreierkette würde auch ihm sehr stark entgegen kommen, weil er hier auf der zentralen Position seine Fähigkeiten besser einsetzen kann, als auf einer der Halbpositionen und der dadurch zwangsläufig stärkeren Mannorientierung.
  • Arjen Robben scheint seine hervorragende Form vom Ende der Saison in die WM herübergerettet zu haben. Robben wirkt seit dem Champions League-Triumph 2013 irgendwie befreit. Er spielt nicht mehr wie jemand, der es allen beweisen will, sondern wie jemand, der aus seiner ohnehin schon gekrönten Karriere alles herausholen will was möglich ist. Seine veränderte Rolle bei der er vermehrt durch das Zentrum kommen und zudem seine Stärken im Konter mit viel Raum vor sich ausspielen kann, ist spannend, wenn auch nur bedingt auf den Alltag in München gegen häufig tiefstehende Gegner zu übertragen. Robben hat Statistiken wie ein Stürmer. Mit vielen Abschlüssen und z.B. Im Spiel gegen Spanien mit gerade mal 19 Pässen. Ich erwarte weiterhin großes von ihm in diesem Turnier.
  • Besonders geachtet habe ich bei den Spielen der Argentinier auf Ezequiel Garay, der vor dem Turnier mit einem Wechsel nach München in Verbindung gebracht wurde. Ich bedaure stark, dass es ihn offenbar eher nach St. Petersburg zieht. Zum einen spricht das dafür, dass das Interesse der Münchener doch nicht so konkret war wie angenommen, zum anderen bleibt momentan die Frage, ob der FCB überhaupt noch einen Innenverteidiger verpflichten möchte. Garay hätte aus meiner Sicht optimal ins Anforderungsprofil gepasst. Er ist mit 27 Jahren ein gestandener Spieler, hat eine beeindruckende Präsenz und extreme Ruhe am Ball und in der Zweikampfführung. Dazu ist er bei offensiven Standards mit 1,92 m immer eine Gefahr. Wie gesagt: Schade.
  • Ein weiterer Spieler, der immer wieder in Gerüchten auftaucht ist der Kolumbianer Juan Cuadrado. Der Flügelspieler war in diesem Turnier an vier Toren beteiligt und hat eine exzellente Saison in Florenz hinter sich (11 Tore, 8 Assists). Interessant ist, dass er in Florenz sowohl als linker Flügelspieler, als auch als rechter Flügel und Rechtsverteidiger im Einsatz war. Interessant ist er also allemal – und klar scheint auch, dass er nach dem Turnier den Sprung zu einem europäischen Spitzenteam wagen wird. Genau das ist jedoch das Problem. Der FC Bayern muss schon sehr überzeugt von dem 26-Jährigen sein, denn er wird bei Konkurrenten wie dem FC Barcelona schon sehr tief in die Tasche greifen müssen, um den Kolumbianer zu verpflichten. Ein Transfer ist deshalb nicht gerade wahrscheinlich.
  • An dieser Stelle wollte ich eigentlich etwas versöhnliches über die Zeit von Jürgen Klinsmann als Bayern-Trainer schreiben, aber das (und den darauf folgenden Shitstorm :p) spare ich mir nochmal für einen längeren Artikel auf.