Szenenanalyse: So manipuliert Nagelsmann die Gegner
Wie Miasanrot direkt nach dem Spiel analysierte, agierten die Bayern mit dem Ball sehr flexibel. Insbesondere in der Aufbaustruktur gab es verschiedene Muster, die gerade durch die Positionen der Außenverteidiger entscheidend mitbestimmt wurden.
Mal standen beide sehr zentral, mal nur einer von ihnen und in anderen Situationen standen sie beide breit. Omar Richards und Bouna Sarr waren viel unterwegs und stets darum bemüht, eine gewisse Enge in Ballnähe zu erzeugen. Julian Nagelsmanns Prinzip der Breite, also so breit wie nötig, aber nicht so breit wie möglich zu stehen, zielt darauf ab, dass die Spieler bei Ballverlusten kurze Wege fürs Gegenpressing haben. Aber auch darauf, den Gegner zu manipulieren und selbst viele Optionen für Kurzpässe herzustellen.
Auf dem Papier führt eine solche Grundordnung entweder dazu, dass der Gegner sich zusammenzieht und das Spiel horizontal kompakter macht, als sonst, oder dazu, dass sich durch die Überzahl im Zentrum Anspielmöglichkeiten ergeben. Konkret lässt sich das in zwei Szenen genauer erklären, in denen die Bayern im ersten und zweiten Drittel sehr clever agiert haben.
Szene 1: Einrückender Außenverteidiger
In der ersten Szene erhält Josip Stanišić den Ball von der rechten Seite. Gladbach hat also stark auf die eigene linke Seite verschoben. Statt das Spiel gemeinsam mit Malik Tillman breit zu machen, geht Omar Richards seinem ballführenden Teamkollegen aber entgegen.
Torben Rhein wiederum startet in die Tiefe und zieht so einen Gegenspieler leicht mit sich. Dadurch entsteht Platz für Richards, der den Ball ohne Gegnerdruck weiterverarbeiten kann. Der Pass von Stanišić wäre auch möglich gewesen, wenn Rhein an seiner Stelle und Richards wiederum breit gestanden hätte. Allerdings wird Gladbach durch Rheins Tiefenlauf einen Tick weiter nach hinten gedrückt. Und auch hier gilt: Wenn Stanišić den Ball verliert, kann Richards besser absichern.
Szene 2: Freilaufverhalten im Achterraum
In einer zweiten Szene wird deutlich, warum Nagelsmann es präferiert, das Zentrum auch in Ballbesitz kompakt zu halten. Diesmal läuft das Zusammenspiel zwischen Rhein und Richards andersherum.
Der Außenverteidiger läuft von innen nach außen und zieht für einen Augenblick einen Gladbacher mit sich, der sich kurz darauf aber auf Nianzou orientiert, um einen Querpass von Upamecano zu antizipieren. Den Raum dahinter nutzt Rhein mit einem guten Lauf. Durch die zuvor enge Positionierung und den eingerückten Richards hat sich Gladbach horizontal zusammengezogen. Durch die anschließenden Laufwege haben die Bayern wiederum erreicht, dass der Gegner vertikal auseinandergezogen wird. Die Grundordnung der Gäste ist damit ein wenig destabilisiert.
Rhein reagiert zunächst gedankenschnell, weil er sich durch einen Schulterblick gut vororientiert. Er sieht, dass er in Richtung Flügel aufdrehen kann, legt sich den Ball großzügig in diese Richtung vor und nimmt dann Tempo auf.
Für einen Moment haben die Bayern eine Drei-gegen-eins-Situation, die sie allerdings nicht schnell genug ausspielen. Gladbach verschiebt gut und die Münchner müssen abbrechen. Das liegt auch daran, dass Tillman, Rhein und Richards nicht durch Mitspieler im Zentrum unterstützt werden. Die Gladbacher im Zentrum sind nicht ausreichend gebunden und können deshalb ohne Risiko auf die eigene rechte Seite verschieben.
Zufriedenheit auch ohne Sieg?
Auch wenn beide Szenen nicht zu Toren oder Torchancen führten, zeigen sie ganz gut, wohin Nagelsmann mit der Mannschaft will. Es geht immer darum Gegner aus ihren Positionen zu ziehen und den dadurch entstehenden Raum durch Nachfolgebewegungen zu besetzen. Dadurch wird die gegnerische Grundformation manipuliert und die Bayern erarbeiten sich Zeit und Raum für die eigene Ballzirkulation.
Es wird sicher noch etwas Zeit brauchen, bis die Abläufe untereinander so greifen, dass das Zusammenspiel präziser und schneller wird. Doch wenn die EM-Rückkehrer wieder dabei sind und ihren Rhythmus gefunden haben, dürfte bereits eine klare Leistungssteigerung erwartbar sein.
Schon gegen Gladbach haben die Bayern in vielen Phasen sehr variablen und ansehnlichen Fußball gespielt. Nagelsmann dürfte daher mit der Entwicklung zufrieden sein – auch wenn der erste Sieg weiter auf sich warten lässt.