VfB Stuttgart – FC Bayern 1:2 (1:0)
Falls ihr es verpasst habt: Ein waagerecht in der Luft liegender Thiago Alcantara entscheidet ein aufregendes und abwechslungsreiches Spiel in der 92. Minute zu Gunsten des FC Bayern. Ich muss zugeben, dass ich mich schon ein wenig mit einem Unentschieden angefreundet hatte – wegen der Signalwirkung für die kommenden Wochen und weil so ein paar Warnschüsse zum Jahresbeginn vielleicht gar nicht so schlecht sind. Thiago hatte offensichtlich einen anderen Plan und hämmerte eine ebenso tolle Flanke von Rafinha mit einem sehenswerten Seitfallzieher in die Maschen. Es war ein glücklicher Sieg für eine Bayern-Mannschaft, die 60. Minuten brauchte, um einen Plan für dieses Spiel zu entwickeln.
Bayern begann mit der gleichen Formation wie gegen Mönchengladbach und hatte von Beginn an Probleme mit der physischen Spielweise der Gastgeber. Stuttgart hatte in der ersten Hälfte eindeutig die besseren Möglichkeiten, bekam einen möglichen Strafstoß verwehrt und traf in der 29. Minute zum zu diesem Zeitpunkt verdienten 1:0. Ibisevic stand nach einem (aus Abseitsposition) abgefälschtem Ball frei vor Neuer und traf eiskalt. Bayern auch in der Folge nur mit vereinzelten Chancen – meist aus der Distanz. Guardiola hatte nach 60 Minuten genug und brachte Pizarro und Mandzukic für die insgesamt enttäuschenden Kroos und Shaqiri. Bayerns Spiel war nun schlagartig verändert. Schon vor Pizarros 1:1 nach Thiagos Freistoß-Flanke in der 76. erspielten sich die Münchener gute Szenen im Strafraum. Zwar gingen die Gäste in der Folge nicht mit der allerletzten Entschlossenheit auf Sieg, am Ende reichte aber der Geniestreich von Thiago zum sicher glücklichen 2:1-Erfolg.
3 Dinge, die auffielen:
1. Bayerns Probleme mit Stuttgarts flacher 4
Viele Teams sind auf der Suche nach einem Mittel gegen Bayerns Kombinationsfeuerwerk im Zentrum. Stuttgart schien am gestrigen Abend zumindest in den ersten 60. Minuten etwas gefunden zu haben. Der VfB agiert unter Trainer Schneider in einem konservativen 4-4-2 mit flacher 4 im Mittelfeld – ein System, das der Guardiola-Elf nicht gerade entgegen kam. Die meisten Gegner agieren gegen die Münchener mit einem gestaffelten Mittelfeld – entweder im 4-2-3-1 oder im 4-1-4-1. Bayern versteht es normalerweise exzellent die Halbräume zwischen oder im Rücken der beiden Mittelfeld-Reihen zu nutzen. Weil sowohl die Abwehr als auch das Mittelfeld der Stuttgarter in engen Abständen auf einer Linie agierte, gab es dieses Halb- und Zwischenräume im Zentrum am Mittwoch-Abend so gut wie gar nicht. Gerade Khedira zeigte im Zentrum eine exzellente Partie und setzte dem Bayern-Mittelfeld genau wie Leitner mit robuster Spielweise zu. Abdellaoue hatte derweil die Aufgabe den ballführenden Spieler bis tief in die eigene Hälfte hinein zu verfolgen und zusätzlichen Druck aufzubauen.
Ein klassisches Mittel gegen ein solches System ist das Flügelspiel, da es mit einer flachen 4 schwieriger ist auf dem Flügel zu doppeln oder zu trippeln. Bayern nutzte diese Variante einige Male, um die Stuttgarter Ketten weiter nach hinten zu zwingen. Ohne echte Anspielstation im Zentrum verpufften diese Versuche jedoch mehrfach, da Bayern selbst wenn es die Grundlinie erreichte eher wieder zurück kombinierte, weil wie gesagt die Anspielstationen fehlten. Stuttgart gelang es so gerade in der ersten Hälfte das Kombinationsspiel der Münchener weit vom eigenen Tor fern zu halten. Bayern spielte trotz der deutlichen Steigerung in der zweiten Hälfte insgesamt nur 146 erfolgreiche Pässe im Angriffsdrittel. Gegen Mönchengladbach waren es noch über 190. Was zunächst blieb waren ein paar gefährliche Fernschüsse – trotzdem war Bayerns fehlender Zug zum Tor und die generell fehlende Torgefahr in den ersten 60 Minuten alamierend.
2. Guardiolas Systemumstellung verändert das Spiel
Es ist Pep Guardiola einmal mehr nicht hoch genug anzurechnen, dass er mit seinem Doppelwechsel und einer Systemveränderung in der 60. Minute uneitel genug war einzugestehen, dass sein ursprünglicher Plan für dieses Spiel gescheitert ist. Mit Lahm (1.70), Shaqiri (1.70), Thiago (1.72), Kroos (1.80) und Götze (1.71) setzte Guardiola erneut auf Small-Ball und eine radikale Ausrichtung aufs Kurzpassspiel. Unter Heynckes hatte der FC Bayern verschiedene Möglichkeiten ein Spiel zu dominieren. Über physische Präsenz im Zentrum (Martínez!), über schnelles Umschalten, über Einzelaktionen auf den Flügeln, über Flanken in den Strafraum und über schnelle Kombinationen durchs Zentrum. In den ersten 60 Minuten gegen Stuttgart schien es so, dass diese Optionen aus dem Vorjahr zusammengeschrumpft sind. Physisch waren die Münchener im Zentrum deutlich unterlegen. Schnelles Umschalten nach Ballgewinn ist unter Guardiola nur partiell gefragt. Einzelaktionen auf den Flügeln verpufften ohne die individuelle Klasse von Ribéry und Robben und Flanken waren ohne Zielspieler im Strafraum völlig wirkungslos. Was blieb waren die schnellen Kombinationen durch das Zentrum, die Stuttgart jedoch wie in Punkt 1 beschrieben exzellent verteidigte. Die Einwechslungen von Pizarro und Mandzukic waren auch insofern das Eingeständnis, dass es alternative Angriffsoptionen braucht.
Bayerns-Spiel änderte sich durch den Wechsel schlagartig. Bayern kreierte schon vor dem Ausgleich 4 gefährliche Abschlüsse im Strafraum (Pizarro 61., Thiago 71. Götze 74., Müller 74.), weil nun nicht mehr Götze gegen zwei Innenverteidiger agierte, sondern Mandzukic und Pizarro abwechselnd oder gleichzeitig in die Spitze vorstießen und für Gefahr sorgten. Bis zum Doppel-Wechsel in der 60. Minute schlugen die Münchener insgesamt 5 Flanken. In den Folgenden 30 Minuten kamen 7 dazu. Zwei dieser Flanken führten zu den beiden Toren. All das war kein Zufall, sondern Folge der Systemumstellung. Einmal mehr veränderte Guardiola somit durch Anpassungen ein Spiel. Die ersten 60 Minuten und das bis dato schwache Münchener Offensivspiel, sollte der Katalane dennoch genau analysieren und seine Schlüsse ziehen.
3. Thiagos Geniestreich
Was für ein Treffer des spanischen Nationalspielers in der Nachspielzeit. Wie viel ihm sein erster Bundesliga-Treffer im Bayern-Dress bedeutete, sah man nach dem Schlusspfiff. Seine kindliche Freude über den Treffer war mitreißend – anders als sein Spiel über weite Strecken zuvor. So ein wenig ist Thiago immer noch auf der Suche nach seiner Rolle beim FC Bayern. Trotz 89 Prozent Passquote und den meisten Ballkontakten aller Feldspieler (119) gelang es Thiago über weite Strecken nicht dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken. Einige haarsträubende Fehlpässe und der mangelnde Zug zum Tor waren vor allem in der Anfangsphase die auffälligsten Dinge in seinem Spiel. Ich schrieb es bereits vor Wochen einmal. Thiago muss torgefährlicher werden wenn er für Bayern richtig wertvoll werden will. Gegen Stuttgart berührte er einige Male ca. 16-20 Meter vor dem Tor den Ball ohne überhaupt in Richtung Tor zu schauen oder eine Abschlussituation zu kreieren. Manchmal hemmt den 22-Jährigen der unbedingte Wille zum sicheren Kurzpass.
Als Guardiola in der 60. Minute 2x wechselte war ich mir recht sicher, dass Thiagos 6 aufleuchten wird. Bis dahin gehörte er zu den schwächsten Münchenern. Umso mehr macht es Mut, dass der Mittelfeldspieler in den folgenden 30 Minuten genau die Torgefahr austrahlte, die viele von ihm erwarten. Er vergab in der 71. Minute eine Riesenchance als er an Ullreich scheiterte. Er bereitete das 1:0 mit einem Freistoß vor und zeigte dann mit dem 2:1 seine technischen Fähigkeiten auch im Abschluss. Der Thiago der letzten halben Stunde ist der Thiago, den Guardiola meinte, als er vor einigen Monaten mit Blick auf mögliche Transfers sagte „Thiago oder nix.“ Diesen Thiago braucht der FC Bayern in den kommenden Monaten.