Schweinsteigers Zeit ist vorbei – oder, Sport Bild?

Felix Trenner 29.06.2014

Das erste was einem zu dieser Auseinandersetzung einfällt, ist eine „Analyse“ des heutigen Chefreporters der „Sport Bild“, Christian Falk aus dem April 2011. Dieser heute fast schon legendäre „Chefchen“-Artikel sorgte für allerhand Reaktionen – unter anderem beim Spieler selber, der auf einer Pressekonferenz reagierte. „Ganz ehrlich, ich habe keine Lust mehr. Wegen so einem Pisser brauche ich mich nicht so zutexten lassen. Arschloch…“, sollen dabei die Originalworte gewesen sein. Nun, in der Wortwahl sicher fraglich offensiv, hatte Schweinsteiger mit seiner Kernaussage absolut Recht. Wenn Fußballer in der Öffentlichkeit kritisiert werden, ist das das gute Recht der Medien. Werden sie allerdings auf fragwürdige Weise und ohne jegliche journalistische Sorgfalt denunziert, dann darf auf der anderen Seite auch geantwortet werden. Sicher, die heutige Generation ist im Umgang mit den Medien geschult, weiß Ruhe zu bewahren, wenn kritische Fragen gestellt werden und überzeugt in der Regel mit auswendig gelernten Phrasen in Interviews. Damals zeigte sich jedoch, wie auch Dirk Gieselmann von „11Freunde“ erkannte, dass hinter dem Medienprofi eine Person steht, die so reagiert, wie jeder „Normale“ auch. Macht man jemanden blöd an, kann auch mal eine blöde Antwort folgen. Das sah auch der Verein so und stellte sich in einer Pressemitteilung hinter den Spieler. „Dass ein Mann mit so einer sportlichen Vita nun als ‚Chefchen‘ verhöhnt (…) wird, ist unerhört und eine Frechheit“, heißt es darin. So sieht wohl Rückendeckung aus der Bayern-Familie aus.

Die „Sport Bild“ jedenfalls nahm die „Kritik“ recht persönlich. Seither stellte man sich bei jeder Gelegenheit die sich bot, auf die Seite der Schweinsteiger-Gegner. Getreu dem von Fans kritisierten Motto seine Zeit sei ja vorbei. Bei der Europameisterschaft 2012 erlebte der Mittelfeld-Regisseur mit Sicherheit eine seiner schwersten Stunden. Er quälte sich durch das Turnier, war eigentlich verletzt, sah es allerdings als seine Pflicht an, der Mannschaft zu helfen. Wahrscheinlich auch als Trotzreaktion nach dem verlorenen Champions-League Finale, als er zur tragischen Figur geworden war. Diese Gelegenheit packte der Springer-Konzern beim Schopf – warum auch nicht, schließlich ist Einprügeln immer leichter als Aufmuntern und bringt obendrein auch noch mehr Leserzahlen. Kurzum: Wie schon so oft in der Geschichte des deutschen Journalismus hatte sich eine Person der Öffentlichkeit gegen den mächtigsten aller deutschsprachigen Medienkonzerne aufgelehnt und war gescheitert. Was Schweinsteiger in dieser Zeit dazu bewegte, endgültig jeden Kontakt zu den Medien zu scheuen, war vermutlich die grundsätzlich negative Haltung ihm gegenüber. Anstatt anzuerkennen, dass er seine Gesundheit für das Team zurückstellte, widmeten sich die Medien lieber der Tatsache, dass Bundestrainer Löw seinen Schützling, trotz Leistungsproblemen, ohne Bedenken aufstellte.

Von Schweini zu Herrn Schweinsteiger – verständlicherweise eingeigelt

Damit man die gesamte Kausalität hinter den aktuellen Begebenheiten versteht, möchte ich noch ein wenig weiter ausholen. Denn es gibt in der jüngeren Vergangenheit Fußball-Deutschlands kaum einen Spieler, der charakterlich, fußballerisch und im Umgang mit der Öffentlichkeit eine derartige Entwicklung durchgemacht hat wie Bastian Schweinsteiger. Beim Sommermärchen 2006 war er als der lustige, immer für einen Spaß zu habende „Schweini“ bekannt geworden und eroberte zusammen mit Kompagnon Poldi die Schlagzeilen. Doch so, wie sich vier Jahre später unter Louis van Gaal seine Rolle im Mittelfeld änderte, so entwickelte sich auch sein Charakter weiter. Cooler Werbeträger, Glockenbachviertel-Bewohner und Modevorbild – das waren von 2009 an seine Nebenjobs. Der Zusammenhang: Er bot den Medien weiterhin viel Raum über ihn zu berichten, einzig die Titelseiten, auf denen er abgebildet war, wandelten sich von „Bravo Sport“ zu „GQ“. Während viele diese Entwicklung als fragwürdig betrachten, faszinierte sie auf der anderen Seite. Schweinsteiger wirkte erwachsen ohne seinen bayrischen Schmäh komplett zu verlieren und wurde neben Philipp Lahm zur Identifikationsfigur beim FC Bayern. Nebenbei zeigte er auch auf dem Platz überragende Leistungen – aber das interessiert kaum jemanden in dieser schlagzeilengeilen Branche.

Der Bruch mit der Presse hatte sich schon vor der „Chefchen“-Affäre angedeutet. Schweinsteiger, der, wie berichtet wird, stets viel auf die Meinung der Öffentlichkeit gab, war alles andere als zufrieden mit dem Stil, in dem über ihn geschrieben wurde, und so beschloss er einen Boykott, der bis heute anhält. Zwingen ihn nicht irgendwelche Verträge dazu, gibt der Mittelfeldspieler keine Interviews in der Mixed-Zone. Und auch sonst findet man eher Meinungen von Lahm, Neuer oder Khedira in den Sportteilen von Süddeutscher Zeitung, FAZ und Co. Eine Zeit lang, gerade im Jahr 2013, war es deshalb ruhig geworden um die Person Schweinsteiger, vor allem seitens der „Sport Bild“. Sicher, beim Champions-League-Triumph zählte er auch für das Blatt zu den Gewinnern, im Fokus stand allerdings stets Arjen Robben, der wie kein anderer für die Wiederauferstehung des FC Bayern München galt. Erst mit seiner neuerlichen, langwierigen Verletzung zu Anfang der letzten Saison wurde er wieder zum Politikum, immerhin stand ja erneut das Ende seiner Zeit bevor. Wie schon so oft meldete sich die „Sport Bild“ als Wortführer gegen ihn. Überhaupt: Analysiert man die Sport-Bild-Cover der letzten Jahre, so fällt auf: Wann immer negative Schlagzeilen über den FC Bayern oder die Nationalmannschaft publiziert wurden, war Schweinsteigers Konterfei zu sehen. Beispiele? Vor der WM 2010 titelt die Zeitschrift „Rätsel Schweini – wann dreht der Vize-Kapitän endlich wichtige Spiele?“ – als er in den darauffolgenden Spielen der entscheidende Mann am Platz ist, erfolgt jedoch keine ausführliche Berichtigung dieser Fehlthese. In der Endphase der Ära van Gaal ziert der Oberbayer mehrmals das Titelbild, in Verbindung mit Schlagzeilen wie „Risse bei Bayern“ (Oktober 2010), „Die wunden Punkte des FC Bayern“ (November 2010) oder „Chaos-Bayern“ (Februar 2011). Sicher, es mag nicht die beste Phase seiner Karriere gewesen sein, allerdings waren für die damalige Misere andere weitaus mehr verantwortlich. Das alles macht Schweinsteigers Reaktion im April 2011 und seinen anschließenden Rückzug in sein Privatleben immer verständlicher.

Hinko und Coenen legen nach

Im Mai 2014 wiederholt sich die Geschichte von 2010 und 2012. Wieder ist der 29-Jährige vor einem großen Turnier verletzt, wieder ist seine Rolle unklar und wieder prognostiziert die Medienwelt ihm das Ende seiner Zeit. Diesmal wird er als „Pep-Opfer“, u.a. neben Mandzukic tituliert (Sport Bild vom 07.05.14). Als halbwegs fachkundiger Leser fragt man sich spätestens an dieser Stelle, wo die Redakteure die Quellen für so eine Schlagzeile hernehmen. Die Krönung des Populismus über Schweinsteiger war bereits einige Tage zuvor erfolgt. Raimund Hinko, langjähriger Chefreporter der Zeitschrift, hatte in seiner Kolumne „Meine Bayern“ eine derartig bösartige Hetze auf ihn übernommen, dass man sich überhaupt fragen musste, was das Ganze noch mit Sportjournalismus zu tun hat. In „Das Ende des Fußballgotts“ erfolgte ein Generalschlag für all das, was man dem Mittelfeldspieler gemeinhin vorwirft. Spielerisch sei es Alibi-Fußball, den er seit Jahren zeige. Die Münchener Tageszeitungen würden ihn zwar noch mit guten Noten schützen, die Fans ihn jedoch längst nicht mehr als „Fußballgott“ sehen. Zudem werde in der Mannschaft über seine Rolle als Werbedarsteller für Deo und Chips getuschelt. Seriosität? Nein. Journalistische Sorgfalt? Hm. Populismus? Ja.

Gestern Abend legte dann der zu Anfang zitierte Jochen Coenen nach. Via Twitter stieg er in die Diskussion ein, die, typisch Deutschland, durch die Meinung eines Fernsehexperten entstanden war. Mehmet Scholl hatte in der ARD die Aussagen von Sami Khedira kritisiert, der nach dem letzten Gruppenspiel seine Meinung kundgetan hatte, obwohl er gar nicht am Platz gewesen war. Sicherlich etwas unüblich, und das war es auch was Scholl meinte („Sehr seltsam“). Eigentlich kein Grund zur Aufregung, immerhin füllen ARD und ZDF im Moment täglich mehrere Stunden mit Berichterstattung aus Brasilien, weshalb diskussionswürdige Aussagen von Experten in rauen Mengen vorhanden sind. Doch Coenen roch dahinter eine kleine Verschwörung gegen Khedira, wie dieser Tweet zeigt:

Nicht, dass er damit eine große Menge an Leuten erreichte. Herr Coenen hat auf Twitter knapp über 200 Follower und erlangt seine Aufmerksamkeit zumeist durch Retweets des offiziellen Sportbild-Accounts. Aber er bezog damit klar Stellung und machte endgültig öffentlich, dass es innerhalb des Springer-Konzerns wohl eine „Anti-Schweinsteiger“-Haltung gibt. Nichts neues, aber nun eben offiziell. Auf jeden Fall ließ die Rückendeckung der Kollegen nicht allzu lange auf sich warten. Auf bild.de war heute früh bereits zu lesen, dass Scholl Khedira angreife – der, Zitat, „Real-Riese“ wiederum habe mit seinen markigen Worten über die Mannschaftskollegen eigentlich das getan, wofür Löw ihn schätze, nämlich seine Meinung gesagt. Inhaltlich wie immer überschaubar, positioniert sich auch Bild.de damit ebenfalls pro Khedira, dem man bezüglich des Inhalts seiner Aussagen auch überhaupt keinen Vorwurf machen kann. Einen guten, sachlichen Blick auf die gesamte Diskussion um Khediras Aussagen liefert übrigens Christian Kamp auf faz.net.

Bastian Schweinsteiger braucht einem trotz all dem nicht leid zu tun – und er kann auf Mitleid auch gerne verzichten. So gut er auch aus der Rolle als „Schweini“ rausgekommen ist, erneut wird er sich nicht wandeln können. Erst recht nicht zu einem medienoffenen, öffentlich extrovertiertem Fußballspieler, der im Stile eines Thomas Müller ein wenig „Everybody’s darling“ verkörpert. Nein, Schweinsteiger wird immer polarisieren, allerdings nicht ausschließlich, wie oft gemeint wird, durch seine chefartige Gestik auf dem Platz oder seinen wandelnden Hairstyle, sondern weil er sich den gefährlichsten Verlag Deutschlands zum Feind gemacht hat, der die Meinung seiner Leserschaft wie kein anderer kontrolliert. Oder doch nicht? Scrollt man im Bild.de-Artikel auf das Meinungsvotum, wer gegen Algerien spielen soll, zeigt sich um kurz vor 16 Uhr nämlich ein klares Bild. Sami Khedira: 12 Prozent. Bastian Schweinsteiger: 88 Prozent.

Coverbild: Sport Bild, Ausgabe Nr. 26 / 2014, Ausschnitt