Sammer-Abschied: Mehr als Mahner
Es war schon eine ziemliche Überraschung, die da am Sonntag-Nachmittag allmählich durchsickerte. Der Sportvorstand des FC Bayern München verlässt den Verein. Es war zuletzt still geworden um Matthias Sammer. Eine Durchblutungsstörung im Gehirn zwang ihn im April zu einer Pause. Der Wunsch nach voller Konzentration auf die Gesundung wurde sowohl von Medien als auch vom Verein geachtet. Sammer trat nur noch einmal öffentlich in Erscheinung. Bei der Meisterfeier im Postpalast. Gesund sei er inzwischen wieder. Verändert hat sich aber offensichtlich doch einiges in den vergangenen Monaten. In ihm und im Verein. Sammer will den 24/7-Job Profifußball im Moment nicht mehr.
Mit ihm geht eines der markantesten Gesichter der erfolgreichsten Bayern-Ära der Neuzeit. Vier Meisterschaften, ein Champions League-Titel, drei Pokalsiege, ein europäischer Supercup und vor allem die Etablierung in der absoluten europäischen Spitze. Das ist die nüchterne Bilanz des Sportvorstands Matthias Sammer.
Großer Anteil an der Triple-Saison
Als Sammer im Jahr 2012 das Amt des Sportvorstands übernahm, das extra für ihn geschaffen wurde, herrschte Depression in München. Es war nicht nur das auf so absurde Art und Weise verlorene ‚Finale Dahoam‘. Dortmund hatte den Rekordmeister nach gewonnener Meisterschaft auch im Pokalfinale gedemütigt. Marco Reus entschied sich bereits im Winter zuvor öffentlichkeitswirksam gegen den FC Bayern und für Borussia Dortmund. Von einer Machtablösung war die Rede. Hinzu kam eine eher schwache EM und zahlreiche Verletzungssorgen in der Vorbereitung. Beim Start des Trainingslagers im Trentino hätte die Stimmung rund um den Verein kaum schlechter sein können. Matthias Sammer nutzte seinen ersten echten Auftritt auf einer Pressekonferenz, um den Ton der Debatte zu ändern. Für Selbstmitleid sei kein Platz, für Einzelschicksale schon gar nicht. Wer das nicht verstehe, könne den Verein gleich wieder verlassen, verkündete der ehemalige DFB-Sportdirektor mit einer Mischung aus Galligkeit und demonstrativer Gelassenheit. Gleichzeitig schmiss er sich mit Verve vor den zuvor in und außerhalb des Vereins stark kritisierten Arjen Robben. Sein Ehrgeiz, seine Intensität sei unglaublich. Auch die Spekulationen um einen möglichen Abschied Robbens endeten an diesem Tag.
Sammer hatte in den ersten Tagen den Ton gesetzt, der von da an, den kompletten Verein umgab. Fokus, Konzentration, Seriösität, Erfolgshunger. Es war auch Sammer zu verdanken, dass die schweren Niederlagen aus der Saison 2011/2012 keine Belastung, sondern am Ende die Grundlage für das Triple im Jahr 2013 wurden.
Vielleicht ist es ohnehin diese Rolle als Kommunikator, die die stärkste Wirkung in seiner vierjährigen Amtszeit entfaltete. Sammer wurde durch seine mediale Präsenz zu einem Gesicht des Vereins. Er moderierte kleine Hakeleien mit Jupp Heynckes, er navigierte die Mannschaft durch die schwierige Situation um Uli Hoeneß und er wurde in der Zeit des Medienvermeiders Guardiola zum Abfangjäger und Narrateur der sportlichen Führung. Er war hier mehr als nur der Mahner, zu dem er in der öffentlichen Wahrnehmung gemacht wurde.
Sein operativer Einfluss innerhalb des Vereins ist bis heute schwer zu bewerten. Zusammen mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Karsten Schumann, den er vom DFB mitnahm, sollte Sammer die Jugendarbeit optimieren und generell die Strukturen verbessern. Personell gab es eine enorme Fluktuation im Nachwuchsbereich. Scholl, ten Hag, Herrlich – es gab viele Namen, die auch mit Sammer in Verbindung gebracht wurden – richtig lange blieb keiner. Manch einer unkte, dass es erst mit der Rückkehr von Uli Hoeneß in eine Art Sonderbeauftragten-Rolle im Nachwuchsbereich so richtig voranging. Ganz fair ist das sicher nicht. Zumal die Vorbereitungen auf den neuen Jugendcampus nicht erst mit Hoeneß Fahrt aufnahmen.
Mit Reschke kam Struktur
Transfers sind nur wenige direkt mit seinem Namen verknüpft. Rode, Kirchhoff und wohl auch Kurt sind solche. Erst mit der Ankunft des technischen Direktors und Kaderplaners Michael Reschke im Jahr 2014, der nicht nur beim Scouting, sondern auch bei der Transfer-Abwicklung auf ein enormes europäisches Netzwerk zurückgreifen kann, kam Struktur und vor allem noch mehr Qualität nach München. Sammer wurde dadurch nicht überflüssig. Er war Teil eines informellen vierköpfigen Transfergremiums mit Reschke, Rummenigge und Jan-Christian Dreesen, das in der jüngeren Vergangenheit unter Hinzuziehung von Pep Guardiola Entscheidungen traf. Das ist im übrigen nicht unüblich. Ein Sportvorstand muss kein Chefscout oder Verhandler sein wie Max Eberl oder Christian Heidel. Er muss im Zweifel den richtigen Leuten vertrauen und die Entscheidungen dann nach Außen vertreten können. Rudi Völler ist so ein Beispiel.
So überrascht es auch nicht, dass der Verein Sammers Position zunächst nicht neu besetzen will. Operativ sind die Abläufe eingespielt. Das hat sich in den vergangenen Monaten ohne Sammer gezeigt. Fraglich bleibt vor allem wer dessen Aufgabe als Kommunikator und öffentliches Gesicht der sportlichen Führung einnehmen wird. Wer nimmt Ancelotti aus der Schusslinie, so wie es Sammer bei Guardiola gemacht hat? Wer kann sportliche Misserfolge öffentlich einordnen? Wer kann von Außen Reize setzen? Wer kann im Vorstand als Korrektiv zu Karl-Heinz Rummenigge wirken? Wer ist Ansprechpartner für die Spieler, wenn ein Problem mal ohne Trainer gelöst werden soll? Vielleicht lautet die Antwort auf diese Fragen wie schon so häufig Uli Hoeneß, der vor einer Rückkehr steht.
Gut möglich, dass der verbliebene Vorstand jetzt in der Tat in Ruhe nach einem Nachfolger für den Posten des Sportvorstand sucht, der extra für Sammer geschaffen wurde. Max Eberl kommt einem da in den Sinn. Hansi Flick. Stefan Reuter. Oder in zwei Jahren Philipp Lahm. Michael Reschke wäre fachlich ohne Frage für das Amt geeignet, anstreben wird er es eher nicht. Reschke ist ein brillanter Netzwerker und Fußballverrückter mit genialem Blick für Potenzial. Die Rolle des öffentlichen Repräsentanten, die mit einem Vorstandsposten automatisch einhergeht, ist nicht seine. Offizielle Anlässe oder Sponsorentouren wie die anstehende in die USA meidet er bewusst. Es ist nicht seine Welt und seine Gestaltungsmöglichkeiten sind auch ohne Vorstandsamt nicht wirklich geringer. De facto ist er jetzt ohnehin so etwas wie der Sportdirektor des FC Bayern.
Nach dem Abschied von Sammer geht die Suche nach einer starken Persönlichkeit, die den Verein in die Zeit nach Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß führen kann, weiter. Mit ihm geht dem Verein fraglos sportliches Know-How verloren. Vor allem aber wird der Typ Sammer fehlen. Er hat dem Verein gut getan oder um es mit seinen Worten zu sagen: Er hat für Konstellationen gesorgt, in denen die Mannschaft nachhaltig erfolgreich sein konnte. Und das war letztlich auch seine wichtigste Aufgabe.