Miasanrot Roundtable: Sechs Fragen vor dem Finale gegen Borussia Dortmund
Neben unseren Autoren Christopher, Justin und Tobi, hat auch Maurice Morth, ein BVB-Fan und Blogger von Schwatzgelb.de die wichtigsten Fragen zum Spiel beantwortet.
1. Thomas Tuchel hat in den letzten Tagen die Verfassung seiner Mannschaft scharf kritisiert? Understatement oder gab es wirklich strukturelle Probleme in Dortmunds Spiel in den letzten Wochen?
Maurice: Sowohl die Bundesligaspiele gegen Hamburg, Stuttgart und Wolfsburg, als auch das Halbfinale im Pokal gegen Berlin wurden nach dem Ausscheiden in Liverpool souverän gewonnen. In den letzten beiden Spielen gegen Frankfurt und Köln war aber nun ein deutlicher Abwärtstrend erkennbar. Bei der Erwähnung von mangelnder Spannung und Motivation läuft man immer Gefahr, schnell in die Stammtischecke geschoben zu werden, in den letzten beiden Spielen waren dies aber sicherlich die Ursachen für die wenig vielversprechenden Leistungen. Sicherlich schöpft ein Profi in den seltensten Fällen mit Absicht nicht sein volles Leistungsvermögen aus, aber in den beiden letzten Saisonspielen waren die Entscheidungsfindung und das Positionsspiel in den hohen Räumen nicht mehr ganz auf dem Niveau, wie sie sein müssten, um beispielsweise einen sehr tief agierenden Gegner wie die Eintracht zu bezwingen. Es wird interessant zu sehen, ob der BVB die Spannung am Samstag nochmal erhöhen kann. Dass Thomas Tuchel die Mannschaft öffentlich in die Pflicht nimmt, ist jedenfalls nur die logische Konsequenz der in den letzten beiden Spielen gezeigten Leistung.
Tobi: Die Probleme gab es wirklich. Ob sie für das Finalspiel irgendeine Relevanz haben, darf bezweifelt werden. Die letzten Ligaspiele verkommen häufig zu besseren Sommerkicks und eine echte Auswirkung auf anschließende Finals gab es eigentlich nie. Man hätte auch ohne den Weckruf Tuchels überlebt, bei der Mannschaft angekommen sein dürfte er aber dennoch.
Justin: Thomas Tuchel übertreibt da schon ein Stück weit bewusst. Zum einen drängt man sich damit etwas in die Außenseiter-Rolle und zum anderen ist es natürlich ein klares Zeichen an die Mannschaft. Diese zwei Spiele haben meiner Meinung nach aber überhaupt keine Relevanz für das Finale. Der BVB wird seine bestmögliche Leistung abrufen.
Christopher: Die letzten beiden Spiele lassen sich nicht wegdiskutieren, aber mal ehrlich: Was konnte der BVB noch erreichen? Die Niederlage gegen Frankfurt war eher Kategorie „unglücklich“, das Spiel gegen 1. FC Köln war dann überlagert vom Pokal Finale. Gibt es den Hangover nach dem Ausscheiden gegen Liverpool? Möglicherweise, allerdings wurden die Partien unmittelbar nach dem KO in der Europa League allesamt überlegen bestritten. Ich denke eher, es gibt bei den ein oder anderen Spielern eine leichte Müdigkeit, wohl mehr mental als physisch. Schließlich war die Saison sehr lang und für einige Spieler geht es direkt weiter zur EM. Für das Pokalfinale hat dies aber keine Auswirkung, dafür steht zu viel auf dem Spiel.
2. Wie schwer wiegt der Ausfall von Ilkay Gündoğan und wie könnte der FC Bayern seinen Ausfall nutzen?
Maurice: Der Ausfall eines fitten Ilkay Gündoğan würde sehr schwer wiegen, denn seine Pressingresistenz, sein Positionsspiel und sein kluges Verhalten im Pressing und Gegenpressing würden jeder Mannschaft gegen Bayern München gut zu Gesicht stehen. Da er sich allerdings vor seiner schweren Knieverletzung schon über mehr als einen Monat mit einer Fußprellung herumschlagen musste, hatte der BVB genügend Zeit, sich auf das Spiel von Gündoğans Ersatzmann Gonzalo Castro einzustellen. Mit seinen Dribblings und Läufen bringt Castro im Zentrum ordentlich Tempo in die Offensivaktionen und glänzte am vergangenen Spieltag sogar mit einem sehenswerten Treffer aus 18 Metern. Castro neigt allerdings auch von Zeit zu Zeit zu leichtsinnigen Ballverlusten in Umschaltmomenten, die im Laufe der Bundesligasaison nicht für allzu viel Gefahr gesorgt haben, am Samstag allerdings große Probleme verursachen könnten.
Christopher: Maurice hat hier einen validen Punkt gebracht. Wäre Gündoğan fit, ist er unersetzlich für den BVB und zentrales Puzzle-Stück neben Julian Weigl. In der Form vor seiner Knieverletzung ist er mehr eine Last gewesen, weil Tuchel nie wusste, ob Gündoğan nun eben fit ist oder nicht. Seine Leistungen waren in dieser Phase ebenfalls sehr durchwachsen. Castro, sein Ersatz, hat nach anfänglichen Schwierigkeiten sehr gut in die Saison gefunden und war zuletzt ein konstanter Leistungsträger. Viele Kommentatoren hatten ihm nicht ohne Grund einen Platz im EM-Kader zugetraut. Aber scheinbar genießen die Spieler des BVB nicht das allerhöchste Ansehen beim Bundestrainer.
Tobi: Ein Spieler mit dieser Qualität wäre für jede Mannschaft der Welt wichtig. Mit Castro gibt aber es einen soliden Ersatz, sodass es kein riesiges Loch im Mittelfeld geben wird. Ob der FCB den Ausfall aktiv nutzen kann, wage ich zu bezweifeln. Bestenfalls ergeben sich positive Nebeneffekte auf anderen Positionen, da ein Gonzalo Castro nicht die defensive Aufmerksamkeit benötigt, die man Ilkay Gündoğan hätte schenken müssen.
Justin: Ich schließe mich da Maurice und Tobi an. Die Abhängigkeit von einzelnen Spielern war beim BVB schon mal größer. Dortmund hat im Vergleich zur Hinrunde eine bemerkenswerte Entwicklung gemacht. Eine bessere Konterabsicherung sowie das adaptieren von bestimmten Automatismen gehören dazu. Der Star dieser Mannschaft ist das System. Das klingt zwar immer wie eine Phrase, aber Thomas Tuchel hat es geschafft, dass das Kollektiv einzelne Ausfälle auffangen kann. Ich bin überzeugt davon, dass Castro ein gutes Spiel machen wird, wenngleich Gündoğan natürlich mit den von Maurice beschriebenen Fähigkeiten wichtig wäre.
3. Wer verteidigt neben Jérôme Boateng, falls Javi Martínez ausfallen sollte?
Justin: Ich könnte mir vorstellen, dass Pep Guardiola David Alaba gegen Aubameyang spielen lassen möchte. In beiden bisherigen Duellen hat der Österreicher diese Rolle übernommen. Das größte Problem dieser Variante wäre Juan Bernat, der einfach in keiner guten Verfassung ist. Der Spanier würde mir deshalb Kopfschmerzen bereiten. Medhi Benatia hat zuletzt ordentliche Auftritte gehabt und bringt sowohl Kopfballstärke als auch Zweikampfstärke mit. Sein Antritt ist zwar ganz okay, aber in der Endgeschwindigkeit könnte er mit einem Aubameyang nicht mithalten. Joshua Kimmich ist ebenfalls eine sehr gute Variante. Zwar wäre es sein Debüt neben Jérôme Boateng, aber der ist wiederum so erfahren, dass Kimmich davon profitieren könnte. In Dortmund machte der 21-jährige einen herausragenden Job und ich würde mich freuen, wenn er auch im Pokalfinale ran darf.
Tobi: Falls Martínez nicht mehr fit wird, dürfte wohl Medhi Benatia die wahrscheinlichste Alternative darstellen. Joshua Kimmich neben Boateng ist nicht besonders erprobt, David Alaba wird wohl auf links benötigt und Serdar Tasci dürfte im letzten Spiel für den Verein wohl keine große Rolle mehr spielen. Hinzu kommt, dass Benatia als Spielertyp Martínez sowieso am ähnlichsten ist.
Christopher: Eine sehr schwere Frage. Die Spekulation von Justin ist durchaus möglich. Würde aber das Risiko bedeuten, dass Bernat gegen Mkhitaryan spielen müsste. Das kann ich mir in seiner aktuellen Verfassung nicht vorstellen. Da ich den BVB durchaus mit Pressing erwarte, würde Kimmich neben Boateng Sinn ergeben. Hier bleibt aber das Schnelligkeitsdefizit gegenüber Aubameyang. Daher würde ich sogar behaupten, wir sehen wohl wieder die Dreierkette, die im Hinspiel ziemlich gut funktioniert hat. Die Besetzung wäre dann wohl Alaba, Boateng und Kimmich (Benatia).
4. Das erste Spiel dieses Jahr war geprägt von vielen taktischen Anpassungen während der Partie. Das zweite Spiel überhaupt nicht. Wie sind die taktischen Erwartungen für das Pokalfinale?
Justin: Ich erwarte ein ähnliches Spiel wie in Dortmund. Die Borussia gegen den Ball mit einer Fünferkette und in Ballbesitz in einem 3-4-3. Dennoch wird der BVB durch kluges Pressing vorschieben ohne dabei die Kompaktheit zu verlieren. Guardiola setzte zuletzt vermehrt auf ein 4-1-4-1. Ich denke nicht dass er uns mit einer Dreierkette überraschen wird, obwohl ich mir das gegen den BVB sehr gut vorstellen könnte. Kimmich, Boateng und Alaba wären dafür prädestiniert. Mit Lahm hätte man zudem einen weiteren Verteidiger in der Mannschaft, der das Gebilde situativ zu einer Viererkette formen würde. Ich rechne allerdings mit wenigen taktischen Anpassungen und einem mutigeren BVB als im Bundesliga-Rückspiel.
Maurice: Bei Trainern wie Pep Guardiola und Thomas Tuchel ist das schwer vorherzusehen. Ich neige eher dazu, zu sagen, dass in einem Finale auf Experimente verzichtet werden sollte. Dementsprechend erwarte ich den BVB mit einer Fünferkette und einem rechten Flügelverteidiger, einer Doppelsechs und davor drei Offensive – also in etwa so wie beim 0-0 im Westfalenstadion. Defensiv müsste es dann zeitweise wie ein 5-4-1 aussehen. Spannend wird zu sehen, wie lange Dortmund die Partie offen gestalten kann und wann man sich nur noch auf Umschaltangriffe beschränken wird. Bei den Bayern erwarte ich auch eine eher orthodoxe 4-2-3-1/4-2-4 Grundformation. Der Rest der taktischen Entscheidungen der Trainer hängt dann vom weiteren Spielverlauf ab. Wer muss auf einen Rückstand reagieren? Wer möchte den Sieg durch taktische Umstellung innerhalb von 90 oder 120 Minuten erzwingen?
Tobi: Da kann ich nur zustimmen. Mehr als die etwas ungewöhliche Interpretation einzelner Rollen erwarte ich nicht, dafür haben sich insbesondere die Bayern zuletzt viel zu sehr auf ein bestimmtes System festgelegt.
Christopher: Wie bereits bei der Frage bezüglich Martínez oder Benatia erwähnt, erwarte ich Anpassungen höchstens in der Abwehrkette. Ein bisschen hängt die Frage nach der Taktik dann weiterhin davon ab, ob Alonso spielfit ist oder nicht. Ist er es nicht, dürfte wohl Vidal im Sechersraum agieren und Götze als Achter auflaufen. Dadurch verschiebt sich natürlich die gesamte Spielanlage des FC Bayern. Ist Alonso aber fit, dann dürfte es wohl ein sehr klassisches 4-1-4-1 bzw. 3-3-3-1 werden, wenn ich mit meiner Verteidigungsüberlegung Recht behalte.
5. Weidenfeller, Großkreutz, Götze, Robben. In beinahe jedem der Duelle der vergangenen fünf Jahre gab es große Momente und Schüsselszenen, die den Unterschied ausmachten. Wer kann aus Eurer Sicht am Samstag auf beiden Seiten den Unterschied ausmachen?
Maurice: Beim FCB dürfte es sich um die üblichen Verdächtigen wie Thomas Müller und Robert Lewandowski handeln, die ja auch schon in der Hinrunde der Bundesliga entscheidenden Einfluss auf den Spielausgang hatten. Vielleicht packt Jerome Boateng auch wieder einen seiner langen Laserpässe aus oder Arturo Vidal bestätigt sich nochmals als der Mann für die wichtigen Spiele. Auf der anderen Seite traue ich am ehesten Henrikh Mkhitaryan und Pierre-Emerick Aubameyang zu, das Spiel für den BVB zu entscheiden. Wollen wir hoffen, dass Mats Hummels nicht zur “tragischen Figur” wird und am Sonntagmorgen niemand dazu verpflichtet ist, eine Artikelüberschrift wie “AUSGERECHNET MATS HUMMELS…” zu wählen.
Justin: Ausgerechnet Mats Hummels… Nein, also ich bin da vollkommen bei Maurice. Ich hätte ja Lust auf ein Lahm-Tor aus mindestens 16 Metern Entfernung. Zuletzt habe ich in einigen Trainingsvideos gesehen, dass er manchmal einen ganz passablen Schuss hat. Ich glaube ja immer noch dass es ein Double von ihm war, aber vielleicht beweist er mir im Finale das Gegenteil.
Christopher: Lewandowski ist natürlich angesichts seiner Saison ein heißer Tipp. Ansonsten erwarte ich aber ein sehr taktisch geprägtes Spiel ohne große Räume für einzelne Spieler. Maurice hat den Spin der meisten Medien aber schon angesprochen: “Ausgerechnet Hummels…” dürften wohl schon einige Schreiberlinge im Block stehen haben.
Tobi: Philipp Lahm oder Marco Reus. Einer der beiden wird am Samstag alles raushauen, da habe ich keine Zweifel.
6. Wo und wie verfolgt Ihr das Spiel?
Maurice: Da ich bei den letzten beiden Niederlagen im Pokalfinale im Stadion war, werte ich es einfach mal als gutes Omen für den BVB, dass ich dieses Jahr nicht vor Ort sein werde. Stattdessen schaue ich das Spiel entspannt mit Freunden bei Kaltgetränken und Grillfleisch im Garten vor dem TV-Gerät (Bierduschen sind auf dem Rasen gestattet). Wichtig ist für mich letztlich nur, dass der BVB alles raushaut und mutig spielt.
Tobi: Das letzte Duell der beiden Mannschaften, das ich vor dem Fernseher verfolgte, war das Pokalhalbfinale im letzten Jahr. Demnach ist es nur konsequent, dass ich dies vermeide und mich stattdessen auf ein Konzert fokussiere. Das Endergebnis erfahre ich dann wohl kurz nach Spielende. Bei positivem Ausgang werde ich es mir im Nachhinein anschauen, im Falle einer Niederlage behandle ich das Spiel wie einen DFL-Supercup und ignoriere es einfach.
Justin: Ich wurde aufgrund einer Geburtstags-Einladung dazu gezwungen, das Spiel mit einigen Dortmund-Fans zu schauen. Sollten wir verlieren, wird das sehr unangenehm dort. Letztendlich werden wir aber gewinnen und Pep Guardiola den Abschied geben, den er verdient hat. Ich freue mich schon sehr auf dieses Finale, weil es mal wieder keinen klaren Favoriten gibt. Bei den letzten Aufeinandertreffen hatte man immer so eine kleine Tendenz vor dem Spiel. Diese kann ich diesmal überhaupt nicht ausmachen.
Christopher: Ganz normal vor dem TV, aber bewaffnet mit dem Laptop, da ich ich die Analyse für miasanrot.de schreiben werde. Ein bisschen aufgeregt bin ich schon. Wenn ich mich richtig erinnere, wird es mein erstes Endspiel für den Blog sein. Ich bin gespannt.