Rezension: „Einer von euch“ von Martin Suter
Als Bastian Schweinsteiger noch ein kleiner Junge ist, so schildert es Martin Suter in seinem Buch, sitzt er abends mit seinen Eltern und Bruder Tobi vor dem Fernseher. Auf dem Bildschirm ist Helmut Kohl zu sehen und Basti fragt, ob er der König Deutschlands sei. Sein Vater korrigiert ihn – König nicht, aber Bundeskanzler. Daraufhin möchte Basti wissen, ob Deutschland denn auch eine Bundeskanzlerin habe. Seine Familie lacht herzlich: „Ungläubig lächelnd schüttelte Dad den Kopf. ‚Eine Bundeskanzlerin!‘“
Einige Jahre später, bei der Weltmeisterschaft 1998, ist Schweinsteiger bereits ein Teenager. Als großer Fan von Zinedine Zidane verfolgt er gebannt das Finale zwischen Frankreich und Brasilien, das die Gastgeber klar für sich entscheiden können. „Was ist das wohl für ein Gefühl, dachte Basti, wenn man die Brasilianer drei zu null geschlagen hat?“
Bedeutungsschwere Sätze, die auf bevorstehende Ereignisse in Schweinsteigers Leben hinweisen, ziehen sich durch das gesamte Buch – als wären die Leser*innen nicht in der Lage, diese Verbindung selbst herzustellen. Als wäre es keine allgemein bekannte Tatsache, dass sich die Wege von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bastian Schweinsteiger einige Male gekreuzt haben. Als wäre es eine unerwartete Neuigkeit, dass Schweinsteiger mit der deutschen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2014 Brasilien mit 7:1 im Halbfinale aus dem Turnier wirft.
Und im Englischunterricht in der Schule rügt ihn seine Lehrerin: „Spick nicht. Wenn du mal eine Freundin hast, die nur Englisch spricht, kannst du auch nicht spicken.“ Oha! Soll das etwa heißen, dass Schweinsteiger den Rest seines Lebens mit einer Frau verbringen wird, mit der er sich nur auf Englisch unterhalten kann? Nicht nur ein offensichtlicher Wink mit dem Zaunpfahl, sondern gleich mit dem gesamten Zaun.
Fakt vs. Fiktion
Im Vorwort schreibt der Autor, dass „Einer von euch“ ein biografischer Roman sei. Heißt also, Teile der Geschichte sind frei erfunden, während andere wiederum sich auf Fakten stützen und den Tatsachen entsprechen. Das ist nicht grundsätzlich problematisch, denn es gibt viele Romane, meist historische und viele davon ansprechend, in denen auf diese Methode zurückgegriffen wird. Die Autor*innen erlauben sich gewisse Freiheiten, um neue Perspektiven auf ein bestimmtes Thema, eine bestimmte Person zu eröffnen. Doch bei „Einer von euch“ passt dieses Format einfach nicht.
Bastian Schweinsteiger hat ohne Zweifel eine beeindruckende Karriere als Fußballprofi hinter sich, doch die Höhen und Tiefen sowie seine verletzungsbedingten Rückschläge sind nichts, was man nicht schon einmal gehört hätte. Das Buch liefert keine neuen Einsichten, keine bahnbrechenden Erkenntnisse und greift auf Altbekanntes zurück: den Handtuch-Klauer Oliver Kahn, den berühmten Satz von Felix Magath: „Wer sind Sie überhaupt?“, sein gespaltenes Verhältnis zur Presse.
Nur hin und wieder taucht eine neue, kleine Geschichte auf – doch weiß man nie genau: sind sie tatsächlich so passiert, oder hat der Autor sie frei erfunden? War Bastian Schweinsteiger wirklich so fasziniert von den British Royals und ihren opulenten Hochzeiten, der seine eigene in nichts nachstehen sollte? Wirklich?
Parallel zu Schweinsteiger gibt der Autor Einblicke in Ana Ivanovics Leben. Doch die Passagen, die von ihrer Kindheit in Jugoslawien berichten, sind rar gesät und wirken im Gesamtkontext verloren. Dabei wäre dies wohl die spannendere Geschichte gewesen: das Aufwachsen in einem Kriegsgebiet, die Hindernisse, die sie für eine erfolgreiche Karriere als Tennisspielerin überwinden musste.
Nostalgie vs. Selbstvermarktung
Als sich die Wege von Schweinsteiger und Ivanovic endlich kreuzen, wird das Buch auf einmal mehr Liebesroman als alles andere – und das ist durchaus positiv gemeint. Gut gelungen sind die Abschnitte, in denen Schweinsteiger sich Gedanken um seine Zukunft macht, in denen er realisiert, dass Fußball nicht mehr oberste Priorität in seinem Leben ist, und diese Erkenntnis sich in seinen Entscheidungen widerspiegelt: seine Beziehung mit Ana, mit der er schließlich auch eine Familie gründen wird, ist fortan wichtiger als alles andere.
Letztendlich aber drängt sich die Frage auf, welche Zielgruppe der Autor vor Augen hatte, als er dieses Buch geschrieben hat. Literaturinteressierte? Dafür ist der Roman, der vom Stil her an ein Jugendbuch erinnert, zu eintönig, dafür gibt das Thema zu wenig her. Fußballinteressierte, die den Spieler und Menschen Schweinsteiger besser kennenlernen wollen? Womöglich, aber in diesem Fall würde sich vielleicht eine geradlinige Biografie wie die von Ludwig Krammer besser eignen, da man hier zumindest als Leser*in nicht erraten muss, was wirklich geschehen ist, und was sich nur im Kopf des Autoren abgespielt hat. Eingefleischte Schweinsteiger-Fans? Die werden nicht unbedingt auf ihre Kosten kommen, da ihnen das meiste ohnehin schon bekannt sein wird. So wirkt der Roman oftmals wie reine Selbstvermarktung.
Ähnlich verhielt es sich mit dem Film „SCHW31NS7EIGER Memories – Von Anfang bis Legende“ (Juni 2020), der im Grunde nicht mehr war als eine nostalgische Reise in die Vergangenheit. Aber durch die entsprechenden Bilder war die Doku durchaus in der Lage, emotionale Reaktionen hervorzurufen. Das gelingt dem Buch fast gar nicht, da selbst die Höhepunkte in Schweinsteigers Karriere – beispielsweise der Gewinn der Champions League oder des WM-Titels – eher kurz abgehandelt und in einem nüchternen Ton beschrieben werden.
Schweinsteiger hat in einem Interview gesagt, dass er hofft, mit diesem Buch und seiner Geschichte inspirieren zu können. Aber dafür hätte es keinen Roman gebraucht. Zumindest nicht in dieser Form. Manchmal ist weniger in der Tat mehr.