Miasanrot-Roundtable zur emotionalen Achterbahnfahrt des FC Bayern

Dennis Trenner 28.05.2023

Ein ganz okayer Tag, um Geschichte zu schreiben

Wirst du in zehn Jahren noch wissen, wo du warst, als das Team von Thomas Tuchel den elften Bundesliga-Titel in Serie geholt haben? 

Top-10-Momente meines Fanlebens.

Alex: Oh ja. Ich habe mir den Spieltag nach vorheriger sorgfältiger Ausschaltung aller möglichen Störquellen und äußeren Reize von der ersten bis zur letzten Minute in der ARD-Bundesligakonferenz angehört. Es muss schon verdammt lang her sein, verdammt lang, dass mich irgendein Ereignis das letzte Mal für so lange Zeit so intensiv und so total in seinen Bann gezogen hat wie diese Übertragung. Die Atmosphäre knisterte dank des Soundbetts aus den neun zusammengeschalteten Stadien mitsamt aufgepeitschten Reportern vor Ort von Anfang an, aber ab dem Moment, als Holger Dahl sich aus Dortmund mit dem Satz meldete: „Tor in Dortmund! … Tor in Dortmund! … 1:0 für Mainz!“ war ich so fokussiert auf diese Übertragung, so abgelöst von allem sonst, dass ich mir praktisch selbst beim Denken zuhören konnte.

Das gibt’s doch gar nicht! Das passiert jetzt wirklich. Passiert das? Das passiert. Mit einer eigentümlichen Mischung aus Ungläubigkeit, auf- und abebbenden Wallungen von Freude, gelegentlicher Resignation (der Elfmeter für Köln) und gefesselter Spannung gab ich mich ganz der Konferenz hin, Moment für Moment, in einem endlosen Strom perfekter, gebannter Gegenwart.

2001, als die Bayern die Schale in der Nachspielzeit gegen Schalke gewannen, habe ich auch schon vor dem Radio gesessen und mitgefiebert, ich weiß noch genau wie und wo, und genauso wenig wie ich dieses Ereignis von vor nunmehr 22 Jahren vergessen habe und vergessen werde, werde ich den gestrigen Nachmittag in 22 Jahren von heute vergessen haben.

Maurice: Davon gehe ich stark aus. Die Meisterkonferenz von Sky schien wenige Minuten vor dem Anpfiff noch unnötig und war teilweise aufgrund der beiden Kommentatoren auch etwas zäh, aber sie inszenierte das Spektakel in Köln und Dortmund perfekt. Was für ein Nachmittag!

Tobias: Schon, aber das geht mir tatsächlich bei den anderen Meisterschaften genauso, auch wenn sie von der Dramatik her weniger eindrücklich waren. Die diesjährige Meisterschaft reiht sich vom Ablauf der letzten beiden Spieltage objektiv zu den Jahren 2001, 1986 und 2000 ein, subjektiv haben mich die drei genannten emotional mehr mitgenommen. Das hat hauptsächlich biographische Gründe, aber ein wenig spielt auch mit rein, dass die aktuelle Bayern-Mannschaft eigentlich alles dafür getan hat, um ein titelloses Jahr zu erleben. Und im Grunde wäre das auch die gerechte Quittung gewesen.

Christopher: Ich denke schon. Auch wenn es für Außenstehende komisch anmuten mag, jede Meisterschaft ist etwas Besonderes, gerade nach so einer Saison mit so vielen Höhen und Tiefen. Wie Tobias schon schrieb, vieles erinnert an das Jahr 2000, als Leverkusen beim 10. der Bundesliga Tabelle Unterhaching 0:2 verlor. 

Martin: Die Meisterschaft 2023 war in ihrer Konstellation und mit ihren Nebengeräuschen historisch, sie wird aus der Reihe herausragen. Deswegen ja, ich werde immer wissen, wo ich war, als es der BVB mal wieder verkackt hat, als Musiala die Kugel in den Winkel drosch und der FC Bayern gleichzeitig mit Brazzo und Kahn zwei große Persönlichkeiten der Clubgeschichte entließ.

Katrin: Auf jeden Fall. Allein schon wegen der Dramatik, der Achterbahn der Gefühle und dem, was unmittelbar nach Abpfiff passierte (Kahn, Brazzo). Das hatte ich vor dem Spieltag nicht so erwartet. Aber es war ein denkwürdiges und verrücktes Finale und war irgendwie der passende Abschluss dieser Saison, die ebenso denkwürdig und verrückt war.

Auf und ab der Gefühle

Wie hast du den Spieltag emotional erlebt? Ab wann hast du dran geglaubt? Hast du dich mehr über den Sieg der Bayern oder den Stolperer der Borussen gefreut? 

Alex: Emotional war ich während der 90 Minuten ein Bündel aus Fokus und verschiedenen, meist freudigen, aber stets höchst intensiven Emotionen, anknüpfend an Antwort eins. Als ich gebannt zuhörte, wie Holger Dahl nur wenige Minuten nach seiner Verkündung des ersten Tors für Mainz den am Ende verschossenen Elfmeter von Sebastian Haller live on air begleitete, und als er kurz darauf mit dem gleichen Satz wie beim 1:0 wieder on-air kam, als er wirklich – unglaublicherweise – sagte: „Tor in Dortmund! Tor in Dortmund! 2:0 für Mainz“, da war mir klar, das gibt’s doch gar nicht, hier passiert heute wirklich das Unglaubliche. Es fühlte sich surreal an. Aber ab dem Moment habe ich tatsächlich daran geglaubt, dass die Bayern die Meisterschaft gewinnen würden, wenn, ja wenn, sie nicht einmal mehr wie schon so häufig in den letzten Wochen am Ende doch noch über ihr eigenes Unvermögen stolpern würden.

Als dann die Kölner kurz nach der 80. Minute ihren Elfmeter bekamen und verwandelten, wich meine Zuversicht kurzzeitig einer tiefen Resignation, weil ich wusste, das war’s jetzt. Aber es hat eine seltsame metaphysische Stimmigkeit. Wenigstens sind die Bayern am Ende an sich selbst gescheitert und nicht an einem Sieg des BVB. Der Rebound nach dem 2:1 durch Musiala war dafür umso glorioser.

Mein vorherrschendes Gefühl nach dem Abpfiff war Freude über den Sieg der Bayern, aber richtig Mitleid mit dem BVB hatte ich auch nicht. In diesem Spiel wäre für sie mehr drin gewesen, und damit stand es im Prinzip emblematisch für weite Teile besonders der ersten Hälfte der Saison, als der BVB Punkte liegen ließ wie nichts Gutes. Dass die Bayern mit 71 Punkten auf dem Rücken einer so dermaßen zunächst durchwachsenen und später chaotischen Saison Meister werden konnten, ist kein Ruhmesblatt für sie, aber auch keines für die Dortmunder.

Maurice: Für mich war es der emotionalste Bundesliga-Spieltag seit dem Abschied von Robben und Ribéry 2019 und ein wahres Wechselbad der Gefühle. Als notorischer Pessimist war ich felsenfest davon überzeugt, dass in Dortmund nach dem ersten Borussen-Tor alle Dämme brechen würden. Es kam glücklicherweise anders. Nach dem Elfmeterpfiff und anschließendem Ausgleich dachte ich, typisch für diese verkorkste Saison. Nach dem Musiala-Tor riss ich beide Arme hoch, doch an den Titel glaubte ich erst, als Marco Fritz im Westfalenstadion abpfiff. 

Tobias: Meine Erwartungen an den letzten Spieltag waren gleich Null, für mich war klar, dass Dortmund früh alles klar machen und hoch gewinnen würde. Die Saison war für mich abgeschlossen. Ich habe deshalb auch erst gar keine Konferenz o.ä. eingeschaltet, sondern mich ganz auf das Bayern-Spiel konzentriert. Feiernde Dortmunder zu sehen, ist das Letzte, was ich in meinem Leben brauche. Die Einblendung vom 1:0 der Mainzer hat mich fast schon geärgert, weil ich mir sicher war, dass Dortmund das noch drehen würde und so unnötig mit meinen Emotionen gespielt werden würde. Nach dem 2:0 konnte ich dann nicht mehr anders, und es keimte tatsächlich wieder Hoffnung auf. Die Euphorie dauerte bis zur Aberkennung des Sanè-Tores an, ab da machte sich bei mir die Verlustangst breit. Die wackelige zweite Bayern-Halbzeit hatte den Vorteil, dass ich dadurch nicht permanent auf das Ergebnis in Dortmund geachtet habe. Darauf wollte ich mich erst konzentrieren, wenn “unser” Sieg unter Dach und Fach war.

Der Elfmeter für Köln war sehr bitter und frustrierend, mehr noch als es ein “normaler” Ausgleichstreffer gewesen wäre, weil die Art und Weise letztlich so typisch für diese Saison war. Ob der Elfmeter für Freiburg im Pokal, die Elfmeter gegen Leipzig letzte Woche oder jetzt gegen Köln: Diese Inflation völlig unnötiger und spielentscheidender Zufälligkeiten durch angeschossene Hände, diese mangelnde Souveränität nach eigenen Führungen, diese Unbeholfenheit beim Verteidigen in und um den Strafraum herum. Ich war dementsprechend bedient und habe mich über mich selbst geärgert, wie ich es hatte zulassen können, wider besseren Wissens doch wieder zu hoffen, nur um dann erneut enttäuscht zu werden. Tja, und dann kam Musiala…


Die letzten Minuten habe ich verhältnismäßig stoisch zugebracht. Ich wollte definitiv nicht den Schalke-Fehler begehen und zu früh jubeln, irgendwie traute ich dem Braten noch nicht. Ich sah jubelnde Bayern-Spieler und Fans, zugleich zeigte mir die kicker-App den BVB-Ausgleich an und dass dort noch gespielt wurde. Bis zum Abpfiff in Dortmund habe ich unter maximaler Nervosität die App sekündlich aktualisiert, so erklären sich wahrscheinlich auch die hohen Abrufzahlen, die der Kicker immer von seiner Online-Präsenz meldet.

Und ja, definitiv freue ich mich mehr darüber, dass Dortmund nicht Meister geworden ist, als über den 11. Titel in Serie. Wenn es nicht ausgerechnet Dortmund gewesen wäre, hätte ich in diesem Jahr gesagt, dass es einfach mal Zeit für einen anderen Meister war. Bayern hatte es definitiv nicht verdient, aber der Tag, an dem ich dem Marketing-Konstrukt aus Dortmund einen Titel gönnen würde oder das auch nur halbwegs tolerieren könnte, liegt noch in weiter, weiter Ferne. Und die sichtbare Enttäuschung der Medienvertreter, die sich kaum verhohlen auf Wochen und Monate des Ausschlachtens von Super-BVB-Olè-Kloppo-GEIL-Meister-Youllneverwalkalone-EchteLiebe-Borsigplatz-Orgien gefreut hatten, war tatsächlich die Kirsche auf der Sahne.

Christopher: Natürlich über beides! Das Spiel gegen Köln war ein Spiegelbild der gesamten Saison. Der FC Bayern – die Mannschaft von Nagelsmann und später Tuchel – konnte fast nie 90 Minuten konstant die Leistung auf den Rasen bringen. In 34 Spielen wurde 29 Mal geführt, aber nur 21 Siege konnten erzielt werden. 19 Punkte wurden so verspielt und auch gegen Köln brauchte es am Ende einen Geniestreich von Musiala, um die Bayern auf die Siegerstraße zu bringen. 

Dass der BVB sein Heimspiel nicht gewonnen hat, habe ich gehofft. Natürlich dachte ich im Vorfeld darüber nach, in wie vielen Paralleluniversen der FC Bayern noch Meister wird. Die Hoffnung bestand darauf, dass Dortmund seine Chancen nicht nutzt und Mainz aus wenig möglichst viel rausholt – und so kam es am Ende. Ich habe vom BVB-Spiel keine Sekunde gesehen und als das 1:2 fiel und noch relativ viel Zeit auf der Uhr war, begann natürlich das große Zittern, was auch daran lag, dass der FC Bayern eine wirklich grottenschlechte zweite Halbzeit gespielt hat. Eigentlich verrückt, dass es sich irgendwie ausging.

Martin: Ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass mich das zunehmende Alter ruhiger macht und gerade auch als frisch gebackener Papa verschieben sich dann etwas die Prioritäten. Ich hatte keinerlei Erwartungen an den Spieltag und auch keinerlei Vorfreude. Aber es geht mir auch ganz oft so, dass sich das mit dem Anpfiff dreht und ich dann doch oft in den Spielemotionen mehr gefangen bin als ich manchmal zugeben möchte. 

Sehr nervös war ich dann, als ich dann in der Konferenz sah, dass unsere Mannschaft schon feiernd in die Kurve lief, als das BVB-Spiel noch gar nicht abgepfiffen war. Das wäre ja irgendwie auch noch die Krönung dieser Saison gewesen, wenn wir uns selbst einen 2-Minuten-Meistertitel verpasst hätten. Das ist total untergegangen, dass der FCB hier zu einem Schalke zu werden drohte. Aber am Ende ist alles gut gegangen und es war definitiv eine emotionalere Meisterschaft als die meisten in den letzten Jahren.

Katrin: Ich bin vor beinahe jedem Spiel eher pessimistisch und habe auch gestern nicht mehr daran geglaubt, dass Bayern doch noch Deutscher Meister wird. Dass Dortmund dem Druck nicht standhalten wird und es im eigenen Stadion noch vergeigt – das habe ich schon als realistische Möglichkeit gesehen, aber gleichzeitig habe ich nicht daran geglaubt, dass Bayern sich einen Patzer Dortmunds zunutze machen würde. Es wäre so sinnbildlich für die Saison gewesen. Ich habe bis zum Abpfiff darauf gewartet, dass es doch noch irgendwie schiefgeht. Eigentlich dachte ich, ich könnte ganz ruhig in diesen letzten Spieltag gehen und hätte nicht gedacht, dass es mich emotional doch so sehr mitnimmt.

Nach dem 1:0 durch Coman und der Nachricht aus Dortmund, dass Mainz in Führung ging, entsteht ja automatisch Hoffnung, auch wenn ich diese im Keim ersticken wollte. Trotzdem war ich über die gesamte Spielzeit hinweg regelrecht hysterisch. Es war eine einziges Auf und Ab, ich glaube, ich habe so ziemlich alles gefühlt, was man bei einem Fußballspiel fühlen kann: ich war nervös, erleichtert, glücklich, sauer, müde, angestrengt, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt war einfach alles mit dabei. Und ich habe mich mehr über Bayerns Sieg als über Dortmunds Patzer gefreut – mir taten die Dortmunder am Ende doch leid, und die Bilder von einem weinenden Edin Terzic vor der Fankurve gingen mir nahe. Es ist ja auch so, dass es sich irgendwie seltsam anfühlt, nach so einer verkorksten Saison doch noch die Meisterschale nach München geholt zu haben. Von daher: klar hab ich mich gefreut, aber es bleibt ein Beigeschmack.

Der Stimmungsdämpfer

Welchen Einfluss hatte die Verkündung der Demission von Kahn und Salihamidžić auf deine Feierlaune? 

Alex: Keine besondere. Mein dominantes Gefühl in diesem Kontext war das der Überraschung. Und ich bin sehr neugierig darauf, wie es weitergehen wird. 

Wie schlecht es um den FC Bayern als Organisation tatsächlich bestellt ist, wird an der Art und Weise der Demission von Oliver Kahn deutlich. Ich habe selten in einer Organisation der Größe und vermeintlichen Professionalität des FC Bayern so ein kommunikatives und organisatorisches Desaster gesehen. Das gilt wohlgemerkt auch für Kahn, dessen Abberufung ich hier nur als das aktuellste Beispiel für diese Problematik nenne. Es herrscht beim FC Bayern nicht ein Mindestmaß an institutioneller Disziplin und kein Iota an Ordnung im Sinne von geordneten Prozessen, Strukturen und planvollem, zielgerichteten Handeln auf Basis überlegter, rationaler Analyse jenseits des Augenblicks. Es ist offensichtlich, dass sich die Organisation treiben lässt von tagesaktuellen Ereignissen, Emotionen einzelner Protagonisten aus dem Moment heraus und dem Gefühl, auf Dinge reagieren zu müssen. Es herrscht Null, wirklich Null (!) Vorausschau, Sinn für strategische Stabilität und die Sicherheit, richtige und gute Entscheidungen getroffen zu haben auf Basis des beruhigenden Wissens, dass sie auf rationale und vernünftige Überlegungen aufbauen. Die zahlreichen Kommunikations-Havarien, die Woche für Woche auf der Führungsetage des FC Bayern geschehen, sind dabei gar nicht das eigentliche Problem, sondern nur ein peinlicher Ausdruck eines viel fundamentaleren und umgreifenderen Organisationsproblems des Clubs.

Es ist überhaupt nur der Besonderheit der Struktur eines Fußballvereins zu verdanken, dass eine für die Gesamtorganisation so wichtige Abteilung wie die erste Mannschaft mit ihrem Trainerteam unter diesen Bedingungen noch in der Lage ist, einigermaßen geordnet ihrer Arbeit nachzugehen und zu funktionieren, statt sich von der vollständigen Dysfunktionalität des sie umgebenden Organisationsgebildes anstecken zu lassen. 

Ich kann nur hoffen, bin aber extrem skeptisch, dass sich dies unter Herrn Dreesen, zu dessen Eignungskriterien für den Job als CEO unter anderem auch zu gehören scheint, ein Hoeneß-Mann zu sein (und das bringt auf den Punkt, was ich ausdrücken möchte), und dem neuen Sportvorstand in den kommenden Monaten und Jahren bessern wird. Der FC Bayern muss endlich raus aus dem organisatorischen Mittelalter, sonst wird er niemals auf dem Niveau strategiefähig, dass er im Wettstreit mit der finanzkräftigen europäischen Konkurrenz brauchen wird.

Maurice: Diese Verkündigung, speziell in dieser Art und Weise, war für mich der absolute Stöpselzieher im Bad der Emotionen. So richtig diese Entscheidung auch ist, so wenig kann ich die Art und Weise verstehen. Mit zwei Vereinsgranden so umzugehen – besonders mit Kahn, dem Spieler, der wie kein anderer für den ebenso emotionalen Last-Minute-Titel 2001 steht – ist absolut nicht Bayern-like. Ich persönlich bin kein großer Fan von Sky-Experte Didi Hamann, doch sein “Quo vadis, FC Bayern?” nach dem Spiel hallt bei mir noch nach.

Tobias: Gar keinen. Den Zeitpunkt fand ich zwar unpassend, aber mir war auch klar, dass dies wohl kaum vom Verein so beabsichtigt war. So dumm ist niemand, dies synchron zur Meisterschaft zu verkünden, es wurden also mal wieder nur durchgesickerte Gerüchte bestätigt. Ich finde es auch etwas heuchlerisch, sich jetzt so über die Art und Weise zu echauffieren. Wurde nicht Kahn & Salihamidzic die Stillosigkeit der Nagelsmann-Entlassung vorgeworfen? Dann hätten sie doch jetzt quasi ihre eigene Medizin zu schlucken bekommen. Diesen Krokodilstränen derer, die sonst alles und jeden vom FC Bayern niedermachen, kann ich nichts abgewinnen. Nagelsmann war der unsympathische Bayern-Schnösel, nach der Entlassung plötzlich das populäre Opferlamm, das so einen Umgang nicht verdient hatte. Kahn ist über all die Jahre ohne Ende verunglimpft worden, mit Bananen, Golfbällen und Worten. Jetzt entdeckt Fußballdeutschland plötzlich seine verletzliche Seite und solidarisiert sich mit ihm.

Sich über Bayern aufregen zu können, ist halt der Deutschen Lieblingsbeschäftigung.

Christopher: Die Entscheidung war ja so zu erwarten. Gerade Oliver Kahn hat im Verein zu viele Leute gegen sich aufgebracht und konnte nie wirklich eigene Akzente setzen. Was aus dem teuren AHEAD-Transformationsprojekt geworden ist, wird womöglich nicht mal Kahn beantworten können. 

Dass auch Salihamidžić gehen muss, ist zwangsläufig. Einige seiner Transfers gingen in dieser Saison auf – De Ligt oder Mazraoui, aber den Umbruch von Lewandowski konnte er nicht managen. Zwar konnte die Mannschaft 92 Tore erzielen, aber zu oft fehlte die Durchschlagskraft im Sturm. Mané – der Königstransfer – hat überhaupt nicht funktioniert. Seine Transfer-Bilanz ist über die letzten Jahre sehr gemischt.

Kahn und Salihamidžić sind dem Triple-Traum auch dann noch hinterhergejagt, als während der WM viele Dinge gegen den FC Bayern liefern. Die Verletzungen von Hernández und Neuer sowie die lange Pause von Mazraoui wurden mit Paniktransfers versucht, aufzufangen. Nach der WM stand der FC Bayern ohne drei, mit Mané sogar vier Stammspieler da. Eigentlich zu viele Ausfälle, um im engen Spielkalender noch den ganz großen Wurf von 2020 zu wiederholen. Trotzdem versuchten Kahn und Salihamidžić es – wie beim Poker erhöhten sie Woche für Woche die Einsätze, obwohl ihr Blatt nicht besser wurde. Zu sehr ließ man sich von den Erfolgen in der Champions-League-Vorrunde blenden. Daley Blind, Yann Sommer und João Cancelo sind Deutscher Meister. Lediglich letztgenannter konnte wirklich Bayern-Format beweisen. Tapalović musste gehen. An der Säbener Straße kehrte seit Dezember keine Ruhe ein. Mit dem Wechsel auf Tuchel ging die sportliche Führung All-In, aber wirkliche Impulse konnte Tuchel bisher nicht setzen. 

Dass die Abberufung quasi mit Spielende in Köln durchgestochen wurde, zeigt, dass Kahn und Salihamidžić zu viele Leute im Verein gegen sich aufgebracht haben. Ich hoffe, es ist ein Ende mit Schrecken, der einen ruhigen Neuanfang ermöglicht. 

Martin: Wie meine Vorredner schon sagten, da die Nachricht an sich ja nicht überraschend war, hat es mich nicht groß beeinflusst und den Tag eher noch denkwürdiger gemacht. Der Schritt an sich war alternativlos und logisch. Gerade für mich, der ja aus Campus Perspektive auf den FC Bayern blickt. Das Verhältnis vom Campus zur Säbener Straße war zuletzt katastrophal und ich hoffe stark, dass mit einem neuen Sportdirektor/Sportvorstand hier wieder mehr Wertschätzung für die Nachwuchsarbeit gelebt wird. Und hoffentlich auch endlich ein Konzept, wie man in den nächsten Jahren mal wieder den ein oder anderen Leistungsträger aus dem eigenen Stall entwickeln kann, zuletzt war das Konzept eher mit einem einzigen Wort umschrieben, nämlich “Zufall”.

Katrin: Ich muss zugeben, dass ich mich ziemlich aufgeregt habe. Dass da noch ein Erdbeben kommt, war ja zu erwarten. Aber der Zeitpunkt war mal wieder unter aller Kanone. Es ist einfach alles so unprofessionell, unwürdig und stillos. Krisenkommunikation – oder überhaupt eine ordentliche Kommunikationsstrategie –  das gibt es beim FC Bayern wohl offensichtlich nicht.

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