Joshua Kimmich beim DFB: Wohin mit dem Kapitän?
Die Positionsdebatte um den jetzigen Kapitän der deutschen Männer-Nationalmannschaft ist keine neue, sie ist so alt, wie seine Profikarriere. Gekommen für die Sechs, schulte Pep Guardiola ihn inmitten einer beispiellosen Verletzungsserie kurzerhand zum Innenverteidiger um, setzte ihn zudem zweimal als Rechtsverteidiger ein.
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Die Leistungen gefielen dabei dem damaligen Bundestrainer Joachim Löw so gut, dass er ihn zur EM mitnahm, allerdings nicht als Innenverteidiger. Löw erkannte sofort Kimmichs Potenzial rechts hinten dem zurückgetretenen Philipp Lahm nachzufolgen und ab dem 3. Gruppenspiel hatte das Talent dort seine Position sicher.
Lahm hörte ein Jahr später auch im Verein auf und – oft genug war es andersherum – der Verein folgte endgültig der Nationalmannschaft. Der Mittelfeldspieler Kimmich war nun bei beiden Mannschaften Stammspieler und Rechtsverteidiger, ersteres blieb er ab dem Zeitpunkt bis heute, letzteres veränderte sich ein Jahr später wieder.
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Joshua Kimmich: Plötzlich beim DFB-Team im Mittelfeld
Nach der kompletten Vollkatastrophe bei der WM in Russland, sollte es Veränderungen geben, Löw zögerte jedoch, strich aus seinem Kader erst einmal nur Sami Khedira. Eine Maßnahme war jedoch, dass fortan Kimmich ins Mittelfeld gezogen werden sollte.
Auch der FC Bayern entschied sich bald darauf zu dieser Maßnahme. In einer seiner letzten Entscheidungen stellte Niko Kovač Kimmich erstmals in seiner Bayern-Zeit dauerhaft im Mittelfeld auf, eine Position, die er auch unter Hansi Flick bei beiden Mannschaften bekleiden sollte.
Der Mittelfeldspieler Joshua Kimmich war endlich in beiden Teams im Mittelfeld angekommen – bis auf zwei kurze Cameos rechts hinten. Die Champions League holte Kimmich als Abwehrspieler, nachdem Benjamin Pavard sich verletzte und Flick mehr Qualität im Mittelfeldzentrum (Thiago und Goretzka) als rechts hinten hatte.
Ein Vorgang, der sich noch zweimal wiederholen sollte. Denn ein Jahr später hatte Löw beim DFB ein Überangebot im Mittelfeld mit Kroos, Gündoğan und Goretzka, aber keins für die defensive Flügelposition und die gleiche Denkweise bewog auch Julian Nagelsmann im vergangenen Jahr, Kimmich aus dem Zentrum hinfortzuziehen.
Perspektive vs. Soforthilfe
Nun allerdings die Rolle zurück. Quasi die Rückkehr der Rückkehr der Rückkehr der Rückkehr. Oder stilistisch vielleicht besser das Comeback des Wiedergangs der Wiederholung der Rückkehr. Okay, nein, immer noch verwirrend.
In jedem Fall soll Kimmich fortan bei beiden Teams die gleiche Position bekleiden, obwohl weiterhin rechts hinten keine großen Talente nachrücken. Auf Nachfrage bleibt Nagelsmann nebulös, ist nicht ansatzweise so explizit, wie bei seinen mantraartigen Beschwörungen nach mehr Spielzeit für seine Spieler und insbesondere Aleksandar Pavlovič.
Der Bundestrainer mag es nicht laut aussprechen, aber Kimmichs Rückkehr liegt an der Breite und Spitze der Nachrücker im Mittelfeld. 2024 machte es noch Sinn, Kimmich nach rechts zu verbannen, brachte man doch mit Toni Kroos einen der besten Mittelfeldspieler der Geschichte zurück und setzte mit Gündoğan ebenfalls auf einen spielstarken Mann auf der 10. Nun allerdings sind beide zurückgetreten.
Kurz nach der EM blieb Kimmich Rechtsverteidiger und die Perspektive sah goldig aus mit den nachrückenden ehemaligen Campus-Spielern Angelo Stiller und Pavlovič, doch Verletzungen und Krankheiten verlangsamten ihre Entwicklung. Der Stuttgarter war lange verletzt, verpasste die Nations-League-Finals, während die Verletzungsgründe für den Münchner bereits zum Meme geworden sind. Mittlerweile gibt es vereinzelt echte Zweifel, Pavlovič steht vor einem Schlüsseljahr.
Julian Nagelsmann hat ein Mittelfeldproblem
Ohne die beiden Nachwuchshoffnungen war der Bundestrainer im Mittelfeldzentrum – der vielleicht wichtigsten Position überhaupt – um Verlegenheitslösungen bemüht. Neben Goretzka durften Groß und Nmecha ran. Spieler, denen es entweder am strategischen Denken oder der Qualität fehlt.
Am sichtbarsten waren die deutschen Probleme beim Nations-League-Halbfinalspiel gegen Portugal. Pavlovič machte kein gutes Spiel, musste nach gut einer Stunde raus. In Rückstand musste Deutschland nun das Spiel machen, doch mit Portugal konnten Nmecha und Goretzka spielerisch nicht mithalten, konnten kein vernünftiges Spiel aufbauen, während der Weltklasse-Mittelfeldspieler Kimmich hilflos rechts hinten verendete und nichts ausrichten konnte.
Kimmichs Rückkehr ins Mittelfeld zieht einen vorläufigen Schlussstrich hinter die Hoffnungen und Experimente ein dominantes Mittelfeld alleine um die Nachwuchsspieler Stiller und Pavlovič aufzuziehen. Er ist die Soforthilfe, dem Mittelfeld ein Mindestmaß an Kreativität und Spielstärke zu verleihen, ganz gleich, was die Spieler um ihn herum machen.
Gut möglich, dass im Sommer eine erneute Abkehr vom Plan ansteht, Kimmichs Weltklasse rechts hinten bleibt die Königslösung für die Nationalmannschaft. Doch erst einmal müssen die beiden Spieler ihre Vorschusslorbeeren bestätigen.
Das Desaster von Bratislava
Der blutleere Auftritt gegen die Slowakei wird diese Frage erneut aufkommen lassen. Insbesondere Nagelsmanns sonderbarer Weg, Maximilian Mittelstädt die zweite Halbzeit über rechts verteidigen zu lassen. Neben Collins hatte er keine anderen Rechtsverteidiger nominiert, aber der Stuttgarter und Kimmich waren nicht die einzigen Alternativen. In Rückstand wäre auch ein Rechtsaußen eins tiefer denkbar gewesen.
Kimmich ging am Donnerstagabend mit unter, wie es im Fußballdeutsch so schön heißt. Er war ja auch kaum der einzige Spieler mit Weltklasse-Ansprüchen, der weit hinter seinem Niveau blieb (Antonio Rüdiger!). Schwach waren aber auch seine Kollegen im Mittelfeld inklusive Angelo Stiller. Vollkommen nachvollziehbar also, dass der Bundestrainer das Mittelfeld nicht noch weiter schwächen wollte.
Kimmichs butterweiche Flanken mögen wunderschön und beispiellos im Weltfußball sein, aber man darf das große Ganze nie außer Acht lassen: Spiele werden sehr viel wahrscheinlicher mit einer dominanten Mittelfeldkontrolle gewonnen.
Aus diesem Grund holte der Bundestrainer Toni Kroos wieder und aus diesem Grund sollten in seiner Abwesenheit auch die nun wieder lauter werdenden Rufe nach der Rückversetzung Joshua Kimmichs überhört werden. Mit ihm sollte mindestens einmal so lange weiter im Mittelfeld geplant werden, bis klar ist, wohin die Reise mit Stiller und Pavlovič gehen wird.
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