„Ein Privileg, für diesen Club antreten zu dürfen“ – FC Bayern Esports-Coach Matthias Luttenberger im Interview
Matthias über seinen Weg zum Trainer und das aktuelle Team
Hi Matthias! Wir freuen uns, dich für Miasanrot interviewen zu können. Stell dich doch zunächst bitte kurz vor!
Mein Name ist Matthias Luttenberger, ich bin 34 Jahre alt, komme aus der Steiermark in Österreich. Ich bin von klein auf Fan des FC Bayern, mein erstes Trikot war von Carsten Jancker.
Seit Dezember 2019 bin ich der Esports-Coach und -Teammanager beim FC Bayern.
Ich war seit 2006 im Esports tätig, beginnend mit Pro Evolution Soccer und später FIFA. Nach einer Pause habe ich 2013 wieder begonnen und die österreichische Meisterschaft in Pro Evolution Soccer gewonnen. Dadurch habe ich mich zur Europameisterschaft qualifiziert, wo ich Vizeeuropameister wurde. So begann eine jahrelange Reise von Großevent zu Großevent. In den nächsten Jahren wurde ich regelmäßig österreichisch-schweizer Meister und hielt mich konstant in den Top 16 der Welt. Dann bin ich als erfahrener Spieler beim FC Bayern reingerutscht.
Spannender Werdegang. Andererseits auch nicht überraschend. Eine Ausbildung zum Esports-Trainer gibt es meines Wissens nach noch nicht, oder?
Lass uns über deine aktuelle Rolle sprechen. Was machst du als Trainer? Wen trainierst du? Wie sehen Trainingseinheiten bei euch aus?
Es gibt bis dato noch keine offizielle Ausbildung zu einem Esport-Trainer. Wir leisten dort Pionierarbeit. Die aktuelle Rolle bei uns schaut so aus: In unserem ersten Jahr haben wir im Teammodus gespielt, drei Spieler zeitgleich gegen drei andere Spieler. Das Training bestand dann beispielsweise aus Videoanalyse und Gegneranalyse oder Trainingseinheiten gegen andere Profispieler.
Letztes Jahr sind wir in den 1-gegen-1 Modus gewechselt. Dadurch hat sich der Trainingsmodus geändert. Jeder trainiert für sich alleine und für die Analyse schauen wir uns dann die Videos als Youtube-Link an. Dabei geht es dann um Themen, wir Spielaufbau und Taktik, also ganz ähnlich wie im richtigen Fußball.
Daneben gehört es zu meinen Aufgaben, die Spieler mental zu unterstützen. Abseits vom Training kümmere ich mich um viele organisatorische Sachen wie Medienanfragen.
Aktuell besteht unser Team aus José, Miguel und Alex, drei spanischen Spielern, die wir schon lange zusammenhalten, was untypisch für die Szene ist. Im Teammodus ist Kommunikation enorm wichtig, deshalb war es ein Vorteil, ein Team zu haben, das sich in der Muttersprache verständigen kann. Wir haben dann auch im Einzelmodus an ihnen festgehalten, was sich ausgezahlt hat. Zuletzt haben wir es ins Finale geschafft, das wir gegen Monaco verloren haben.
„Die Wirtschaft muss brummen, damit der Esport brummt.“
Das Finale gegen Monaco, in welchem Rahmen war das? Kannst du an diesem Beispiel erklären, wie der Liga- und Turniermodus im Esports aufgebaut ist? Kann man das mit Bundesliga, Europapokal und Europameisterschaften im klassischen Fußball vergleichen?
Das Finale gegen Monaco war im Rahmen der eFootball Pro Championship. Das Turnier gibt es seit wenigen Jahren und ist vergleichbar mit der Champions League. Vereine wie Barcelona, Arsenal, Celtic und Manchester United sind dabei.
Wobei man betonen muss, dass es in unseren Esports noch keine Strukturen wie im echten Sport gibt. Man geht durch die Gründung von Verbänden schrittweise in eine solcher Richtung. Aktuell gibt es unter anderem Pläne zur Gründung einer virtuellen Bundesliga.
Wie läuft ein solches Match ganz praktisch ab? Seid ihr und eure Gegner in einem Raum? Oder trefft ihr euch in München, während eure Gegner aus Monaco von Frankreich aus spielen?
Die praktische Durchführung hat sich durch Covid stark geändert. Vor der Pandemie war jeder Spieltag der eFootball Pro Saison in Barcelona, wo alle damals zehn Vereine alle zwei Wochen in vor Ort gegeneinander antraten. Seit Pandemie finden die Spiele online statt. Für die Teamwettbewerbe trafen sich unsere Jungs in Barcelona oder Madrid, um nebeneinander zu spielen. Jetzt im Einzelwettbewerb spielt jeder von zu Hause aus komplett online.
Ich bevorzuge es, wenn Esports offline stattfinden, wo man sich gegenübersitzt und die gleichen Voraussetzungen hat. Online gibt es immer Variablen, die man nicht in der Hand hat, zum Beispiel schlechte Internetverbindungen. Offline ist auch einfach emotionaler: Man trifft sich und spielt, gewinnt, verliert miteinander. Das ist vom Erlebnis her eher mit echtem Sport vergleichbar.
Wir sind für alle praktischen Aspekte enorm abhängig vom Spielehersteller. Der Saisonstart ist abhängig von der Spielveröffentlichung. Zuletzt kam das neue Spiel erst im April raus statt wie geplant im Herbst davor. Unsere Verträge sind immer sehr kurzfristig und abhängig von diesen Terminen.
Du hast die temporären Verträge angesprochen. Wie sieht euer Anstellungsverhältnis beim FC Bayern aus? Seid ihr Profis?
Wir sind Halbprofis. Fast alle Spieler haben einen Job nebenher. Unsere Verträge sind auf wenige Monate im Einklang mit der Saison befristet, die vom Spielehersteller organisiert. Der ein oder andere Spieler hatte es hauptberuflich gemacht, aber aufgrund der fehlenden Planbarkeit geht das aktuell nicht mehr.
Es ist für mich ein wichtiges Thema, jungen Menschen die Illusion wegzunehmen, dass man im Esports eine goldene Nase verdient. Oft ist das Gegenteil der Fall: prekäre Arbeitsverhältnisse, kurze Verträge, Abhängigkeiten.
Es gibt nur eine Handvoll Spieler, die davon leben können. Bei Streamern ist es nochmal anders, wer einen erfolgreichen Kanal mit vielen Followern und Zuschauern hat, kann unabhängig von der sportlichen Leistung über die Runden kommen.
Du sprichst die wenigen Profis im eFootball an. Nun ist eFootball beim FC Bayern naheliegend, aber Fußball ist im globalen Esports-Business eine kleine Nummer. Die auch finanziell relevanteren Spiele sind League of Legends und andere, in denen die erfolgreichsten Spieler Preisgelder in Millionenhöhe gewinnen. Andere Vereine wie der 1. FC Köln sind auch dort aktiv. Wie sieht es beim FC Bayern und bei dir aus?
Das ist schon richtig analysiert. Der wirkliche Esports sind andere Titel, nicht die Sporttitel.
League of Legends und Counter-Strike ziehen wesentlich mehr Zuschauer an und sind lukrativer. Vor kurzem gab es ein Counter-Strike-Event, wo ein kleines Stadion gefüllt wurde mit toller Stimmung.
Das haben wir im eFootball nicht. Wir sind eine kleine Nische. Wir sind für die Fußballvereine ein erster Schritt in den Bereich Esports. Fußball ist nicht nur naheliegend, sondern auch leichter zu vermitteln als ein Shooter oder League of Legends, wo man den Gegner zerstören muss, um zu gewinnen.
Wobei einige Vereine dennoch diesen Schritt gemacht haben, wie es z.B. bei Schalke 04 war. Die haben nach vielen Jahren als Vorzeigeprojekt ihre Esport-Abteilung minimiert und ihren LoL-Startplatz sehr lukrativ weiterverkauft und dadurch die Profifußballabteilung quersubventioniert. Man sieht also, dass es auch eine interessante Einnahmequelle ist.
Mit Corona gab es zunächst eine stärkere Nachfrage nach Esports, weil wir auch viel online machen konnten. Ähnlich wie 2008/09 nach der Finanzkrise spürt man aber auch negative Effekte. Vereine, Sponsoren und Spielehersteller sparen. Es ist eine unruhige Stimmung. Die Wirtschaft muss brummen, damit der Esport brummt. Und da sind wir vor einer ungewissen Zukunft.
Ausblick in eine chancenreiche, aber ungewisse Zukunft
Ein unsichere Zukunft bringt Risiken, aber vielleicht auch Chancen. Welche Ziele hast du für dich, dein Team und den FC Bayern? Welche langfristigen Visionen? Wo siehst du Esports 2030 und was muss passieren damit es dazu kommt?
Eine schwierige Frage. Wir müssen uns in jedem Turnier, in jeder Saison beweisen, um auch das Trikot vom FC Bayern überstreifen zu können. Für uns ist es ein Privileg das zu dürfen. Wir müssen immer wieder neu beweisen, dass wir das Format für diesen Club und seine hohen Ansprüche haben.
Ein langfristiger Blick für mich persönlich ist schwierig. Ich bin damals unerwartet in die aktuelle Rolle reingerutscht. Die Chance habe ich als Sprungbrett in den Esport-Kosmos genutzt. Es entstehen viele Jobs im Umfeld der Esports, vielleicht kann ich meine Erfahrungen in anderen Projekten umsetzen, zum Beispiel im Managementbereich, bei Agenturen oder als Vortragender. Für uns war es nicht alltäglich, vor der Kamera zu stehen und Interviews zu geben. Man wächst mit diesen Aufgaben.
Was Esports allgemein angeht, rechne ich damit, dass es weltweit immer mehr Zuschauer unabhängig von Spieletiteln geben wird. Der Medienkonsum der jungen Generation wandert immer mehr zu Plattformen wie Twitch. Lineares Fernsehen spielt keine Rolle mehr.
Esportler und ihre Streams Leute unterhalten die Leute. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich weiter dorthin. Aktuell sind League of Legends und Counter-Strike große Titel. Was in zehn Jahren dominieren wird, weiß man heute noch nicht.
Ich glaube, dass es weiter ein starkes Wachstum geben wird. Dabei werden Chancen entstehen, die wir jetzt noch nicht auf dem Schirm haben. So wie wir 2006 noch nicht damit rechneten, dass wir 15 Jahre später bei Fußballclubs unterkommen, so wird es zukünftig weitere Entwicklungen und neue Jobs geben. Mittlerweile gibt es schon Spielerberater für Esportler.
Vielleicht wird Esports weiter mit echtem Sport verschmelzen. Es gab beispielsweise eine digitale Nascar-Saison, wo der Gewinner einen PLatz für Testfahrten in der echten Serie bekommen hat. An der digitalen Formel 1 nahmen echte Formel-1-Fahrer teil. Es muss künftig nicht entweder Sport oder Esport sein.
Schauen wir zum Abschluss noch in die nicht ganz so ferne Zukunft. Bei den Profis des FC Bayern geht am Wochenende die Saison los. Wie ist euer Sommerfahrplan? Wann und wo stehen bei euch die nächsten Matches an? Und wo können unsere Leser:innen euren Spielen und Turnieren folgen?
Da sind wir wieder bei dem Thema der ungewissen Zukunft. Wir wissen jetzt noch nicht, ob es nächstes Jahr eine Liga geben wird. Das wird im Herbst entschieden. Deshalb kann es sein, dass es unsere letzte Saison war. Deshalb auch die herausfordernden Arbeitsverhältnisse.
Verfolgen kann man uns auf den Medienseiten des FC Bayern, auf der FCB-App oder über unseren eigenen Twitch-Channel.