Toni Kroos

Goodbye, Toni Kroos: Vom Querpass-Toni zum Maestro

Maurice Trenner 08.07.2024

Der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Diese uralte Weisheit trifft im deutschen Fußball vielleicht auf keinen Spieler so gut zu wie auf Toni Kroos. Von den heimischen Medien verächtlich als “Querpass-Toni” verschimpft, prägte der gebürtige Greifswälder über Jahre die zentrale Achse im erfolgreichsten Team des Weltfußballs. Eine Geschichte über eine Nacht in Belgrad und die Karriere, die folgen sollte.

Cottbus und Belgrad: Der erste Auftritt

Als 16-Jähriger wechselte Toni Kroos zum FC Bayern, weil die Münchner Scouts in Rostock ein Talent mit sehr großem Potential entdeckten. Im ersten Jahr wurde er zum Spielmacher der bayerischen A-Junioren, die das Finale der Bundesliga erst in der Verlängerung gegen Leverkusen verloren. Im Sommer wurde er mit fünf Toren und vier Vorlagen bester Spieler der U17-WM, bei der Deutschland den dritten Platz holte. Zur nächsten Saison berief Trainer Hitzfeld seinen jüngsten Schützling immer wieder in den Kader der ersten Mannschaft, nachdem dieser ihn bereits in der Vorsaison im Profi-Training begeisterte. 

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Am 26. September 2007 kam dann der große Moment, das Debut des Spielers, der intern als Rohdiamant betitelt wurde und für den Uli Hoeneß der Legende nach bereits die Nummer zehn reserviert hatte. Beim Stand von 3:0 für den Rekordmeister im Spiel gegen Cottbus wechselte Trainer Hitzfeld einen Youngster mit zotteligen, langen Haaren in der 71. Minute ein.

Vier Minuten später kam die Nummer 39 erstmals an den Ball. Im linken Halbfeld führte er den Ball so eng am Fuß, dass man als Zuschauer auch auf Andrea Pirlo tippen konnte. Er schlug zunächst eine Finte, bevor er den Ball per Halbfeldflanke millimetergenau auf Miro Klose in den Rücken der Abwehr spielte, der nur noch einschieben musste. Ein Zufall? Nein! Denn eine Minute vor Schluss, in einer fast exakten Kopie der Aktion vorher, flankte Kroos erneut, nur dieses Mal vollendete Klose per Kopf. Der Auftakt zu einer großen Karriere.

Der Anfang: Miro Klose bejubelt die Vorlage von Kroos im Duell gegen Cottbus.
(Foto: Johannes Simon/Bongarts/Getty Images)

Sein junges Meisterstück vollbrachte Kroos allerdings etwa einen Monat später, als die Star-Elf des FC Bayern im UEFA-Cup in Belgrad nach 80 Minuten mit 1:2 in Rückstand lag. Der 17-Jährige sollte es richten, dachte wohl Hitzfeld, als er Kroos für van Bommel brachte. Drei Minuten später war es erneut die linke Halbfeldseite, nur dass der Ball dieses Mal zum Freistoß bereit lag. Und wieder brachte Kroos den Ball perfekt an das rechte Eck des Fünfmeterraums, wo wieder Klose bereitstand. 2:2.

Doch Kroos kann auch anders. In der zweiten Minute der Nachspielzeit gab es noch einmal Freistoß für den FC Bayern – natürlich aus dem linken Halbfeld. Doch dieses Mal schlug das Schlitzohr den Ball nicht hoch und lang, sondern flach durch die Mitte. Mehrere Spieler auf beiden Seiten sprangen am Ball vorbei, der prompt im Netz zappelte. Zé Roberto und Lucio sprangen dem jubelnden Youngster in die Arme, der diese Millionen-Truppe vor einer Blamage rettete. Matchwinner Toni Kroos, oder Herr Hoeneß?

Vom Querpass-Toni zum Maestro

Ironischerweise stehen dieser Abend und die anschließende Aussage von Hoeneß sinnbildlich für die weitere Karriere des Toni Kroos. Trotz brillanter Leistungen auf dem Platz wird er von der einheimischen Presse bald “Querpass-Toni” getauft. In diesen Jahren, als Laptop-Trainer medial zum Schimpfwort verkam, wurden bei Kroos die fehlenden deutschen Tugenden wie Einsatz und Kampfgeist bemängelt. Eine Bewertung, bei der auch die Bayern-Bosse anscheinend mitgingen. 

Nach einer äußerst erfolgreichen Leihe zu Leverkusen, in der sich Kroos in der Bundesliga etablierte, ging es für den wohl letzten in der DDR geborenen Nationalspieler zurück an die Isar. Dort spielte er in der Vize-Triple-Saison fast immer und wurde zum wichtigen Vorlagengeber. Doch im Finale Dahoam im Elfmeterschießen trat Kroos nicht an, nachdem er in der Runde zuvor gegen Real verschossen hatte. In der Folge wurde er medial hart angegangen.

In der folgenden Triple-Saison war Kroos ebenfalls Stammspieler, verletzte sich jedoch im Saison-Endspurt und erlaubte somit die Wirbelwind-Offensive mit Robbery und Müller, die Barcelona zerlegte. Der Verdacht, dass der damals 23-Jährige ersetzbar sei, reift in der Vorstandsebene. Nach der ersten Guardiola-Saison, nach der Kroos und die restlichen Münchner Nationalspieler in Rio den WM-Titel gewinnen, lässt der Verein seinen Mittelfeldspieler gehen. Für 30 Millionen Euro. Einzig Neu-Trainer Guardiola hatte den Wert seines Schützlings erkannt, konnte sich mit seiner Meinung aber nicht durchsetzen.

In Madrid steigt Kroos dann auf ein neues Level. Seit Breitner in den 70ern hatte kein deutscher Nationalspieler mehr das Spiel der Königlichen so maßgeblich mitgestaltet und geprägt. Doch der neue, vielleicht auch etwas befreite Kroos fand größtenteils im Abseits der deutschen Öffentlichkeit statt. 

Was der Mittelfeld-Maestro wie nur wenige andere versteht, ist das Tempo des Spiels zu gestalten. Im richtigen Moment nimmt er bewusst Geschwindigkeit raus, um dann mit einer schnellen Seitenverlagerung das Spiel zu öffnen. So geschehen bei seinem genialen Pass auf Vini Jr. gegen die Bayern, als er genau den Moment abwartete, in dem Kim den entscheidenden Schritt zu weit auf den Real-Stürmer herausrückte. 

Endstation Madrid: Bei Real wurde Kroos zum professionellen Bayern-Tröster
(Foto: CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Sein Trademark-Pass, der eigentlich ab sofort Toni-Kroos-Pass heißen und den 11Freunde auf ein Vesperbrett drucken müsste, ist aber ein anderer: Kroos kommt auf die linke Seite, zieht damit die gegnerische Abwehr zu sich und weiß dann auf den Zentimeter genau, wo auf der rechten Außenbahn sein Mitspieler einen freien Raum hat. Der Pass kommt unerwartet, scharf und zum perfekten Zeitpunkt. 

Gemeinsam mit Luka Modric bildete er in der Schaltzentrale von Madrid ein kongeniales Duo, welches das Wunder vollbrachte, an Xavi und Iniesta zu ihren Glanzzeiten zu erinnern. Kroos als Xavi, der mit einer Passgenauigkeit und Ruhe das Spiel von hinten aufbaute, und Modric als Iniesta, der Zwischenräume intuitiv besetzte und das Spiel ins Angriffsdrittel begleitete. 

Fast ein Happy End

Dass die Story Toni Kroos in Deutschland ein Happy End erhält, war lange Zeit nicht denkbar. In Spanien, und besonders in der Hauptstadt Madrid, wurde er als Legende schon weit vor seinem sechsten Champions-League-Titel als Legende verehrt. Doch in Deutschland war Kroos der Spieler, der den Verfall der Nationalmannschaft nach dem Titel in Rio nicht hatte aufhalten können. Wenn er wirklich so Weltklasse ist, wieso scheiden wir dann regelmäßig in der Vorrunde aus? Einem Schweinsteiger ist sowas nicht passiert. So oder so ähnlich lauteten die Stammtischparolen.

Und trotz aller Häme und Kritik kam Kroos noch einmal zurück – auf Wunsch von Neu-Nationaltrainer Nagelsmann. Der junge Trainer machte dem Mittelfeldspieler ein Angebot, dass dieser kaum ablehnen konnte: Um dich werde ich meine Mannschaft für die Heim-Europameisterschaft aufbauen. Die Chance zur Versöhnung mit der deutschen Öffentlichkeit im Rahmen des Sommermärchen 2.0.

Im Nationaldress nicht immer glücklich: Kroos als Sonderbewacher von Pirlo 2012
(Foto: Joern Pollex/Getty Images)

Der Plan von Nagelsmann ging voll auf. Bereits im ersten Testspiel gegen Frankreich trat Kroos auf wie sonst nur selten im Dress mit dem Bundesadler. Er war endlich der Toni Kroos, den sonst alle nur aus dem ebenfalls weißen Trikot mit dem gelben Krönchen kannten. Der 2:0-Sieg über die Übermannschaft Frankreich befeuerte eine ganze Nation. Endlich schien mehr als ein Vorrunden-Aus bei der Heim-EM möglich.

Beim Auftakt in München gegen Schottland, Kroos hatte die Partie gerade mit 99% angebrachten Pässen beendet, schallten dann tatsächlich “Toni, Toni”-Rufe durch die Allianz-Arena wie sonst nur in einem Paralleluniversum, in dem der Regisseur die Bayern zu weiteren Triplen führt. 

Durch das Aus gegen Spanien wurde die Abschiedstournee von Kroos dann leider doch nicht ganz die erhoffte Rosamunde-Pilcher-Episode. Dennoch dürfte der 114-fache Nationalspieler bei seiner Ehrenrunde durch das Stuttgarter Stadion innerlich geschmunzelt haben. Ausgerechnet in seinem letzten Spiel war er nicht der überragende Kroos, sondern der kämpferische Kroos, der mit zwei harten Fouls nach zehn Minuten eigentlich fast gelb-rot hätte sehen müssen und in der Verlängerung sich heroisch, aber sichtbar angeschlagen über den Platz quälte. Dennoch nannte ihn nach Abpfiff niemand mehr Querpass-Toni, sondern nur noch einen der wohl besten deutschen Mittelfeldspieler aller Zeiten. 

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