FC Bayern München: Thomas Tuchel im Vergleich – Bauchweh aus Amerika
Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt. Das Original lest ihr hier.
Die gerade beginnende Länderspielpause bietet mir eine gute Gelegenheit, ein Thema zu beleuchten, das mir in den letzten Monaten zunehmend Sorgen bereitet hat: Die Leistungen der Bayern unter Thomas Tuchel. Ich weiß, dass ich mit diesem sorgenvollen Gefühl nicht alleine dastehe, aber oft bewegen sich die Meinungen im Raum des Bauchgefühls, deshalb möchte ich versuchen, den tatsächlichen Stand der Bayern unter Tuchel einmal statistisch zu durchleuchten.
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag, bin ich nach wie vor bereit, Tuchel mehr Zeit zu geben und plädiere nicht für seine Entlassung. Allerdings komme ich nicht an der Feststellung vorbei, dass die allgemeinen Leistungen des Teams unter seiner Führung bisher ziemlich dürftig gewesen sind.
Thomas Tuchel: Ein Blick auf seine Zeit beim FCB
Ich bin von Natur aus ein Zahlenmensch. Ich bin in den USA aufgewachsen, und hierzulande haben wir es geschafft, fast jede Sportart statistisch überzuanalysieren. Es gibt Statistiken für alles Mögliche, und obwohl Statistiken nicht immer eine vollständige Geschichte erzählen, haben sie den Charme, dass sie manchmal unbestreitbar sind.
Ich erwähne dies, weil ich, wann immer ich versuche, in die Welt des Fußballs statistisch einzutauchen, immer wieder erstaunt bin über den Mangel an verfügbaren Informationen, vor allem wenn man weiter als 5-6 Jahre zurückgeht. Wenn ich etwas sehe oder zu sehen glaube, überprüfe ich gerne, ob die Statistiken meinen Eindruck bestätigen oder ob ich aufgrund meiner eigenen vorgefassten Meinung eine Voreingenommenheit an den Tag lege, und im Fußball ist die Datenlage leider häufig sehr limitiert, insbesondere verglichen mit dem, was ich von den US-Sportarten gewohnt bin. Glücklicherweise war das in diesem Fall etwas anders.
Vor meiner Untersuchung – und Anlass derselben – sagte mir mein Instinkt, dass die Bayern unter Tuchel im Allgemeinen schlecht gespielt haben, und zwar sogar so schlimm, dass man sagen kann, dass er bisher der schlechteste Bayern-Trainer der letzten zehn Jahre war. Wenn man bedenkt, dass auch Carlo Ancelotti und Niko Kovač zu dieser Gruppe gehören, dann sollte klar sein, dass das keine Aussage ist, die ich leichtfertig mache.
Da ich die genauen Daten, nach denen ich suchte, nicht auf Anhieb finden konnte, habe ich sie selbst herausgesucht. Um das klarzustellen, habe ich das eine Spiel von Willy Sagnol zwischen Kovač und Hansi Flick nicht berücksichtigt.
Thomas Tuchel: Die Zahlen beim FC Bayern
Die Untersuchung inklusive der Datenerhebung gestaltete sich glücklicherweise relativ einfach. Ich habe einfach die komplette Spielhistorie des FC Bayern seit der Saison 2011/12 bis einschließlich dieses Jahres genommen und die Leistungen jedes Bayern-Trainers quantitativ anhand verschiedener einschlägiger Zahlen (dazu gleich mehr) analysiert. Es muss gesagt werden, dass die relativ kleine Stichprobengröße von 23 Spielen für Tuchel für bestimmte Dinge schwerer wiegt als für andere, aber das invalidiert sicherlich nicht alle Kritik, wie wir sehen werden.
Mein erster Blick fiel auf die Bilanz an Siegen, Unentschieden und Niederlagen jedes Trainers. In den 23 Spielen, die Tuchel bisher geleitet hat, hat er die schlechteste Siegquote (60,87 %), die höchste Niederlagenquote (21,74 %) und die zweithöchste Unentschiedenquote (17,39 %), letzteres hinter Kovač mit 18,46 %.
Die Abstände zu den anderen Trainern sind noch nicht mal klein. Die zweitschlechteste Siegquote hat Kovač mit 69,23 %, was fast 9 Prozentpunkte besser ist als Tuchel. Die zweitschlechteste Niederlagenquote hat Ancelotti mit 15,00 %, was fast 7 Prozentpunkte besser ist als Tuchel.
Thomas Tuchel: Schwache Bilanz (bisher)
Darüber hinaus ist die Anzahl der Niederlagen von Tuchel auch in ihrer absoluten Höhe vernichtend. Tuchels 5 Niederlagen in seinen ersten 23 Spielen sind mehr als die Hälfte von Ancelottis 9 Niederlagen in 60 Spielen in etwas mehr als einem Drittel der Spiele von Ancelotti.
Die einzigen Trainer mit mehr als 10 Niederlagen in meinem Betrachtungszeitraum sind Pep Guardiola und Jupp Heynckes (11-13), aber sie haben auch die meisten Spiele gecoacht (151 bzw. 96). Das bedeutet, dass Tuchel in seiner kurzen Amtszeit bereits die Hälfte oder sogar mehr der Gesamtzahl der Niederlagen erreicht hat, die jeder der anderen fünf vorherigen Trainer während seiner Amtszeit in den letzten 12 Jahren hatte.
Ich habe auch die Punkte pro Spiel unter jedem Trainer berechnet, was Tuchel ebenfalls in einem ziemlich schlechten Licht dastehen lässt. Tuchel hat mit 2,00 bei weitem den schlechtesten PPG-Wert (Points per Game) aller acht Trainer. Der nächstbeste ist Ancelotti mit 2,25, 25 Basispunkte besser als Tuchels 2,00.
Thomas Tuchel und die gehemmte Offensive
Ich wollte mir jedoch mehr als nur Siege und Niederlagen betrachten. Die Anzahl der erzielten und zugelassenen Tore pro Spiel ist eine weitere einfach zu erstellende Statistik, die interessante Geschichten erzählt. Ich ging davon aus, dass Tuchel beim Schnitt der erzielten Tore nicht besonders gut abschneiden würde, dafür aber in der Kategorie der kassierten Tore ziemlich ordentlich.
Diese Vermutung sollte sich jedoch als falsch erweisen. Die Bayern haben unter Tuchel die wenigsten Tore pro Spiel geschossen und bei weitem die meisten zugelassen. Tatsächlich hatten die Bayern nur unter Kovač mehr als ein Tor pro Spiel zugelassen (1,12) – bis Tuchel kam, der bei erstaunlichen 1,30 Tore pro Spiel liegt.
Die 2,39 erzielten Tore pro Spiel unter Tuchel sind auch die schlechteste Quote aller betrachteten Trainer, obwohl er nur knapp hinter Pep und Jupp liegt, nämlich um 1 bzw. 4 Basispunkte. Alle anderen Trainer haben deutlich mehr als 2,50 Tore pro Spiel erzielt, allen voran Julian Nagelsmann mit beeindruckenden 3,04 Toren pro Spiel.
Die folgende Tabelle fasst diese Statistiken zusammen. Wie man sehen kann, schneidet Tuchel im Vergleich zu den anderen sieben Trainern der Bayern seit 2011 nicht gut ab.
Coach Games W L D GF GA GF/G GA/G W% L% D% PPG Tuchel 23 14 5 4 55 30 2.39 1.30 60.87% 21.74% 17.39% 2.00 Nagelsmann 84 60 10 14 255 84 3.04 1.00 71.43% 11.90% 16.67% 2.31 Flick 84 68 7 9 250 83 2.98 0.99 80.95% 8.33% 10.71% 2.54 Kovac 65 45 8 12 169 73 2.60 1.12 69.23% 12.31% 18.46% 2.26 Jupp (17) 42 33 5 4 114 36 2.71 0.86 78.57% 11.90% 9.52% 2.45 Ancelotti 60 42 9 9 154 48 2.57 0.80 70.00% 15.00% 15.00% 2.25 Pep 151 113 18 20 362 101 2.40 0.67 74.83% 11.92% 13.25% 2.38 Jupp (11-13) 96 72 13 11 233 59 2.43 0.61 75.00% 13.54% 11.46% 2.36
Thomas Tuchel: Und jetzt?
Was kann man aus dieser Analyse mitnehmen? Für mich persönlich hat sie den Eindruck dessen bestätigt, was ich Woche für Woche unter Tuchel gesehen habe. Die Leistungen waren nicht gut. Die Ergebnisse waren ziemlich schlecht. Es gibt reale Gründe, sich Sorgen zu machen.
Ich bin aber auch nicht der Meinung, dass eine Mannschaft alle 5 Monate ihren Trainer wechseln sollte. Ich war schon immer der Meinung, dass man jedem Trainer, den man holt (es sei denn, es handelt sich um eine absolute Katastrophe), etwa 18 Monate Zeit geben sollte, bevor man wirklich über einen Wechsel nachdenkt.
Meiner Meinung nach dauert es meistens so lange, bis ein Trainer seine Spuren in einer Mannschaft hinterlassen hat. Aber was mich im Moment am meisten beunruhigt, ist, dass ich die derzeitige Gruppe Spieler in Sachen individueller Qualität und Zusammenstellung zum besten zähle, was wir in den letzten Jahren bei den Bayern gesehen haben.
Tuchel hat in der Vergangenheit deutlich durchblicken lassen, dass er unter der Abwesenheit des zentralen Mittelfeldspielers leidet, den er so gerne gehabt hätte. Das ist zweifellos eine wichtige Position, deren Qualität einen großen Einfluss auf die Leistung einer Mannschaft hat. Aber würde eine „Holding 6“ nach Tuchels Vorstellung die Gestalt der Mannschaft wirklich komplett umkrempeln? Die Probleme, die die Bayern haben, liegen meiner Meinung nach viel tiefer.
Nagelsmann wurde letztes Jahr wenig Nachsicht gewährt, als er die gesamte Saison ohne Stürmer auskommen musste, was eindeutig ein viel größeres mannschaftliches Defizit war als Tuchels vermeintlicher Mangel an einem Sechser. Vielleicht sind die Optionen, die die Bayern auf der Sechs haben, nicht perfekt, aber sie sind auf jeden Fall besser als das, was sie im Jahr zuvor in Sachen Stürmer zur Verfügung hatten.
FC Bayern: Ist Tuchel der unflexibelste Trainer?
Mein Eindruck von Tuchel ist bisher, dass er vielleicht der unflexibelste Trainer ist, den die Bayern seit 2011 gehabt haben. Er scheint kaum in der Lage zu sein, sein System oder seinen Stil an die Spieler anzupassen, die er zur Verfügung hat. Ich kann keinen einzigen Spieler nennen, der sich meiner Meinung nach unter Tuchel verbessert hat, ohne dass dies eine direkte Folge der Verpflichtung von Kane war.
Außerdem macht seine Ausgrenzung bestimmter Spieler, insbesondere de Ligt, kaum Sinn. Irgendwann muss jeder Trainer lernen, die Spieler zu nutzen, die er hat, anstatt sich nach den Spielern zu sehnen, die er gerne hätte. Kein Kader wird jemals zu 100 % ideal sein. Man muss immer bis zu einem gewissen Grad mit dem verfügbaren Material auskommen, und es liegt am Trainer, Wege zu finden, wie sein System mit seinen gegenwärtigen Spielern funktioniert.
Hoffentlich wird das am Ende auch so sein. Ich glaube nicht, dass Tuchel ein schlechter Trainer ist, aber bisher hat er einen schwachen Start bei Bayern hingelegt. Die Dinge, die er zu tun versucht, und die Art und Weise, wie er zu trainieren versucht, passen nicht zu den Spielern, die ihm zur Verfügung stehen, und diese Spieler haben das Talent, im richtigen System auf höchstem Niveau zu spielen.
Es liegt nun an Tuchel, ein zu seinen Spielern besser als das gegenwärtige passende System zu finden und das Beste aus ihnen herauszuholen. Wenn ihm diese Anpassungen gelingt, glaube ich, dass er noch sehr viel Erfolg haben wird und dieser Start nicht mehr als eine Anekdote für ein Fußballquiz sein wird. Wenn er jedoch hartnäckig an dem festhält, was er bisher gemacht hat, wird er eher früher als später seinen Job verlieren.
Das Spiel am Sonntag gegen Freiburg könnte ein Schritt in die richtige Richtung gewesen sein. Ich hatte das Gefühl, dass es die mit Abstand beste Leistung der Bayern unter Tuchel war. Allerdings hat die sehr handzahme Leistung von Freiburg unbestreitbar auch eine wichtige Rolle gespielt, so dass es schwer ist, das wirklich zu beurteilen. Letztendlich wird es nur die Zeit zeigen.
Was denkt ihr? Diskutiert das Thema in unserer Kurve oder lest zuvor noch diesen Beitrag von Georg, in dem er sich etwas positiver mit Tuchel auseinandersetzt.