FC Bayern: Endlich wieder eine Bank
Nach Jahren der Zurückhaltung auf dem Transfermarkt schien der FC Bayern dieses Jahr die Vorsicht über Bord geworfen zu haben. Alleine knapp 100 Millionen Euro gab man für Sadio Mané und Matthijs de Ligt aus. Dazu noch teure Jungstars mit Ryan Gravenberch und Mathys Tel und der Eindruck verfestigte sich: Diesen Sommer hat der Rekordmeister kräftig hingelangt. Tatsächlich wird das finale Transferminus kleiner ausfallen, als in den beiden vorherigen Corona-Jahren. Dort gab man jeweils um die 55 Millionen aus, diesmal sind es mit den Einnahmen des Transfers von Nianzou bereits schon nur 42 rote Millionen und der Verkauf Joshua Zirkzees steht ja noch im Raum.
Zwei Dinge lassen sich hier bereits ableiten: Zunächst scheint der FC Bayern endlich auch im Verkaufen ein Großer zu sein. Wie oft hat man noch neidisch zu Real Madrid oder den Engländern geschaut, wenn sie abermals auch noch die allergrößten Transferflops in hohe achtstellige Beträge verwandeln konnten?
Doch interessanter wird es im zweiten Punkt: Ganz offenbar möchte der FC Bayern nicht nur beim Wirtschaften eine Bank sein, sondern auch wieder eine neben dem Spielfeld haben.
Hitzfelds Rotation
Die Bank beim Rekordmeister hat hohe Höhen und tiefe Tiefen durchlaufen. Einst, unter Ottmar Hitzfeld noch, da war sie von elementarer Bedeutung. “Rotation” nannte der große Meistertrainer sein Unterfangen ständig Spieler auszutauschen, um die gesamte Saison über eine Spitzenmannschaft aufbieten zu können. Doch nach dem Triumph in Mailand wurde es mit Spitzenpersonal immer leerer auf der Bayern-Bank. Nach Hitzfelds Abschied wurde die Lehre auch nicht aufgegriffen. Meist gab es nur sehr wenige beständige Joker. Nach dem bitteren Finale Dahoam allerdings war die Stunde der Bank wieder geschlagen. Der Bayern-Kader war zwar in der Startelf fabelhaft besetzt, doch nachlegen konnte der Trainer kaum. Also nahm man viel Geld in die Hand und legte Jupp Heynckes genug Pfeile in den Köcher, dass er auch noch gegen die härtesten Widrigkeiten nachspannen konnte.
Das Tripel der Kaderbreite
Nach dem ersten Tripel waren sich alle einig, wie wichtig diese neue Konkurrenzsituation für die Leistungsbereitschaft der Mannschaft war. Allein auf der Mittelstürmerposition redete das Trainer-Team von “drei Weltklassestürmern”. Doch so einig man sich in der Analyse gab, so richtig lernen wollte der Rekordmeister nicht. Fingen die Guardiola-Jahre für die Bank noch fabelhaft an mit den Transfers von Götze und Thiago, so flachte es schon in diesen Jahren immer mehr ab. Der FC Bayern war müde von den Konkurrenzkämpfen und ständigen Querelen um zu wenig Spielzeit. Xherdan Shaqiri stunkte sich weg und als Bastian Schweinsteiger sich des Konkurrenzkampfes über war, genehmigte man ihm seinen Transferwunsch nach Manchester. In den entscheidenden Wochen der Saison ging dem Kader damals verletzungsbedingt mächtig die Puste aus, dennoch ersetzte man Schweinsteiger einfach nur 1:1 mit Arturo Vidal. Mehr Konkurrenzkampf und Optionen von der Bank waren gar nicht erwünscht.
Rückfall in Bequemlichkeiten
Auf einmal hörte man immer öfter die Rufe der Bosse, wo doch bei voller Fitness alle spielen sollen? Uli Hoeneß keifte an einem heißen Sonntagmorgen gar, dass nun der (sich stets in den Mannschaftsdienst stellende) Rafinha nach mehr Spielzeit gieren würde. Die Jahre gingen vorüber, die Trainer wechselten sich schnell ab, doch eine Konstante blieb: An Weltklasse quoll die Bayern-Bank selten über. Die Übungsleiter waren hier meist die ärmsten Schlucker, pressten sie doch stets nach mehr Verstärkungen, nur um in Sackgasse zu rennen.
Der scheußlichste Spielerwechsel aller Zeiten
Am hellsten strahlte das Herunterwirtschaften der Bayern-Bank im Halbfinal-Rückspiel der Champions League 2018 gegen Real Madrid. Beide Teams begannen mit einer Weltklasse-Besetzung, doch im Laufe des Spiels konnte nur Real Madrid nachlegen. Zidane brachte Gareth Bale, Casemiro und Nacho während des Spiels, weitere Toptalente blieben gar dauerhaft Reservisten. Und Jupp Heynckes? Der konnte immerhin Sandro Wagner bringen. Sowie zum Schluss den vielleicht schrecklichsten Wechsel der Bayern-Geschichte. So hilflos und selbst entlarvend, dass er bis heute unvergessen ist. Die Rede ist von der Einwechslung Javi Martínez’ als Außenstürmer. Heynckes hatte einfach keine andere Wahl, James Rodríguez war platt, sonst hatte er niemanden mehr. Also brachte er Defensiv-Allrounder Martínez. Doch anstatt dass er in die Spitze ging, um noch vielleicht irgendwie doch das entscheidende Tor zu erzielen, musste er tatsächlich auf Linksaußen dribbeln und flanken.
Eigentlich hätte der FC Bayern direkt am nächsten Tag sich dazu entschließen müssen massiv in die Breite zu investieren. Doch es blieb aus, beinahe unfreiwillig stolperte der FC Bayern sich im Jahr darauf in eine echte Kaderbreite mit den last minute Transfers von Coutinho und Perišić.
Die Rückkehr der Reserve
Zwecks deren Leihen-Status war aber auch dies wieder nicht nachhaltig. In beiden Jahren darauf ächzten die Übungsleiter nach breiteren Kadern. Doch erst jetzt, im Sommer 2022, scheint es, als hätten die Kaderplaner des FC Bayerns eingelenkt, als verständen sie die Vorzüge einer starken Bank endlich wieder. Mit den beiden Richards und Roca gab man zusammengerechnet nur knapp 1.000 Spielminuten der abgelaufenen Spielzeit ab, dafür sollen die hochveranlagten Gravenberch, Mazraoui und Tel den arrivierten Kräften Beine machen. Und bislang funktioniert es. Sabitzer ist nicht wiederzuerkennen, Kimmich scheint sein Tief der Rückrunde überwunden zu haben und Pavard ist zwar noch immer für Pavard-Dinge gut, aber arbeitet dafür auch so emsig wie lange nicht mehr gesehen mit.
Aktuell fehlen zwei Stammspieler mit Coman und Goretzka und doch wird einem endlich beim Blick auf die Ersatzbank wieder wohl ums Herz. Sané, de Ligt, Gravenberch, Mazraoui und Tel. Alle vereint ihr Wunsch des Stammplatzes, alle vereint der Konkurrenzkampf. Die Jahre, in denen der FC Bayern seinen Superstars ausschließlich Honig um die Mäuler schmierte sind vorbei. Fortan setzt man wieder auf positive Reibung, um seine Spieler ans Limit zu pushen und hat als netten Nebeneffekt wieder echte Waffen zum Nachladen. Die Rezession ist vorbei, die Bank ist rappelvoll gefüllt.