„Müller ist hier in China ein echter Held“

Steffen Trenner 24.07.2017

Über diese und weitere Fragen haben wir mit Thomas Steinmann gesprochen. Steinmann ist Redakteur beim Wirtschaftsmagazin Capital und schreibt dort unter anderem über das Sportbusiness. Für Capital hat er den FC Bayern auf seiner Asien-Reise begleitet.

Aus der Ferne wirkt die Begeisterung für den FC Bayern manchmal merkwürdig inszeniert. Wie erlebst du den Empfang des Teams vor Ort?

Für deutsche Beobachter wirkt die Begeisterung wirklich merkwürdig. Überall, wo die Spieler in China aufgetaucht sind, sind die chinesischen Fans ausgeflippt, wie die Besucher beim Konzert eines Teeniestars. Da flogen zwar keine Unterhosen. Aber es kam mehrfach vor, dass Fans versucht haben, Spielern die Hände zu küssen. Solch einen Hype gibt es in China allerdings nicht nur um den FC Bayern, sondern generell bei großen Stars, die die Leute sonst nur aus dem Fernsehen kennen. Beim Testspiel gegen Arsenal in Shanghai war das Gekreische der auffällig jungen Fans bei den Spielern der Londoner auch nicht wirklich leiser.

In Deutschland wurde die Zahl 130 Millionen Sympathisanten kolportiert. Ist das eine realistische Einschätzung?

Die Zahl der chinesischen Bayern-Sympathisanten lässt sich seriös einfach nicht beziffern. Die von der Vereinsführung genannten 130 Millionen sind aus meiner Sicht sehr ambitioniert. Eine ganz frische Studie schätzt die Zahl der Fußball-Sympathisanten in China insgesamt auf 300 Millionen (wobei auch eine andere Zahl von 500 Millionen kursiert). Wenn man diese Studie zum Maßstab nimmt, müsste also fast jeder zweite Bayern-Fan sein. Das wirkt nicht wirklich realistisch, weil auch andere europäische Großclubs eine große chinesische Fanbasis haben – vor allem Manchester United, Real Madrid und der FC Barcelona. Am Ende kommt es wohl darauf an, wie man einen „Sympathisanten“ definiert. Ich bin mir sicher, dass einige der chinesischen Fans, die im Bayern-Trikot am Flughafen stehen, wenn der FC Bayern ankommt, auch da sind und jubeln, wenn der FC Barcelona mit Messi landet – dann eben mit Barca-Klamotten. Eines allerdings ist klar: In dem Riesenland China gibt es insgesamt sicherlich mehr Bayern-Anhänger als in Deutschland.

Gibt es nach deinem Eindruck eine Bindung der Fans an einen Verein oder stehen eher Spieler im Fokus?

Ein harter Kern der chinesischen Fans identifiziert sich mit dem Verein insgesamt. Das sind dann die, die auch „Stern des Südens“ mitsingen können, wenn der Song im Shanghai Stadium gespielt wird, oder „Super Bayern, super Bayern“-Sprechchöre anstimmen. Das ist aber eindeutig die Minderheit. Der weitaus größte Teil hat eine Bindung zu einzelnen Stars. Da ist der Verein eher zweitrangig.

Welche Spieler sind besonders geeignet um auf einem Markt wie China den Verein zu repräsentieren? Gibt es Spieler, die vorrangig vermarktet werden? Wie wird gerade hier die Neuverpflichtung James gesehen?

Der mit Abstand beliebteste Bayern-Spieler in China ist Thomas Müller. Der ist hier ein echter Held – auch weil er vom Club für den chinesischen Markt besonders promotet wurde. Robert Lewandowski funktioniert ebenfalls sehr gut. Bei den gefälschten Trikots, die rund um die chinesischen Stadien verkauft wurden, hat man auch viele mit der Rückennummer von Arjen Robben gesehen. Aber der ist bei dieser Tour wegen einer Verletzung nicht dabei – dafür Miroslav Klose, der auf der Kreisch-Skala ebenfalls ganz weit oben steht. Einen Bernat dagegen würden die meisten chinesischen Fans sicher nicht von einem Betreuer unterscheiden können, wenn beide im Teamoutfit aus dem Mannschaftsbus steigen. Was James angeht: Zwar waren auch schon einige Trikots mit seinem Flock und ein paar Kolumbien-Fahnen zu sehen. Aber eine riesengroße Begeisterung über seine Verpflichtung war nicht wirklich zu spüren. Das wird dann sicher ganz anders, wenn die Bayern nächstes Jahr auf ihrer Sommer-Tour wieder in die USA fahren sollten.

Die Bayern-Führungsetage beim Besuch des Nationalmuseums in Singapur.
(Foto: Alexander Hassenstein / Bongarts / Getty Images)

Wie nachhaltig können überhaupt 10- oder 12-Tages-Reisen samt einer Handvoll Freundschaftsspiele sein? Gibt es einen messbaren Effekt – auch für die Sponsoren? Wenn ja, wie sieht der aus?

Für die Entwicklung der Marke FC Bayern sind solche Reisen schon extrem wichtig – allein, weil sie Stoff für die Fans im Land produzieren: für die Anhänger in den Spielorten, aber auch für die Follower auf den Social-Media-Kanälen. In China laufen Marketing und Verkauf – nicht nur im Sportbusiness – sehr viel stärker über soziale Netzwerke als in Deutschland. Was die Sponsoren angeht: Die beiden Schwerpunktmärkte, die das Bayern-Management in einem ersten Schritt definiert hat und nun beackert – also China und Nordamerika – sind für Global Player wie Audi, Adidas und DHL natürlich extrem wichtig. Die Tour ist für ein Unternehmen wie Audi einfach eine riesige Plattform – praktisch fast zwei Wochen Dauerwerbesendung. Wie viele Autos der Konzern deshalb mehr verkauft, lässt sich sicher nicht messen. Aber es gibt auf jeden Fall Sponsorings, bei denen das Verhältnis von Investment und Nutzen schlechter ist.

Ein Hauptargument für Werbetouren, welches immer wieder hervorgebracht wird, ist die Sättigung des heimischen Marktes. Wie haltbar ist diese These?

Sicherlich wird es so sein, dass die Bundesliga ihre Einnahmen aus Medienrechten, die ja ihre wichtigste Erlösquelle sind, bei künftigen Verträgen weiter steigern wird. Doch der jüngste Fernsehvertrag zeigt ein Grundproblem der Bundesliga und ihrer Spitzenclubs, die sich vor allem über den internationalen Wettbewerb definieren: Zwar verzeichnet die DFL mit diesem Vertrag ein sattes Plus. Aber im Vergleich zur Premier League hinken die deutschen Clubs immer noch meilenweit hinterher. Das wird sich auch grundsätzlich nicht ändern, wenn es bei uns weiterhin nur einen Pay-TV-Anbieter gibt und künftige Ausschreibungen weiter zwischen Fernseh- und Internetrechten unterscheiden. Anders als in England gibt es gerade bei den Live-Rechten kein wirkliches Wettbieten zwischen mehreren Anbietern. Das bedeutet also: Auch in Deutschland werden die Umsätze der Clubs weiter steigen. Aber wenn sie die Lücke insbesondere zu den Engländern schließen wollen, müssen die deutschen Vereine andere Erlösquellen auftun. Und da bietet das Ausland Wachstumsmöglichkeiten – sicher nicht in allen Ländern, aber auf jeden Fall auf Märkten wie China und die USA, aber vielleicht auch Südamerika. Der FC Bayern hat mit James und Arturo Vidal zwei Südamerikaner im Kader, die den Verein in ihren Heimatländern pushen können.

Was könnte der nächste Schritt sein. Angepasste Anstoßzeiten? Die Einbindung regional relevanter Sponsoren wie es Manchester United bereits praktiziert?

Ziel ist ganz klar, Sponsoren aus den ausländischen Schwerpunktmärkten zu gewinnen. Das hat Karl-Heinz Rummenigge bei der Eröffnung des Schanghaier Büros klar gesagt. Der FC Bayern hatte ja mit Yingli Solar schon mal einen chinesischen Sponsor, der auch im Stadion auf den Werbebanden präsent war. Ich würde wetten, dass in nicht allzu ferner Zukunft ein neuer Sponsor aus China präsentiert wird. Zu den Anstoßzeiten: Dieses Thema ist hierzulande so symbolträchtig und aufgeheizt, dass sich da nach meinem Gefühl allenfalls Schritt für Schritt etwas tun wird. Einen komplett zerfaserten Spieltag wie bei den Engländern sehe ich bei uns auf absehbare Zeit nicht – das würden die Fans auch heftig bekämpfen. Und dass einmal ein DFB-Pokalfinale in Schanghai ausgetragen wird, wie es vor ein paar Wochen der Adidas-Chef vorgeschlagen hat, halte ich für absoluten Quatsch. Das wird nicht passieren.

Welche sportlichen Kooperationen oder Netzwerke machen für den FCB in Asien Sinn – vor allem im Hinblick auf die Strukturen, die Red Bull oder die City Football Group aufbauen?

Angesichts der fußballerischen Qualität in Asien sehe ich in einer Red-Bull-Strategie mit dortigen Vereinen oder anderen Partnern keinen wirklichen Sinn. Da sollten sich die Bayern lieber auf ihr eigenes Nachwuchsleistungszentrum konzentrieren und die Qualität ihrer eigenen U-Mannschaften und Jugendspieler verbessern. Was Asien angeht, ist es die richtige Strategie, Fußballschulen zusammen mit Partnern vor Ort aufzubauen – allerdings weniger aus sportlichen Gründen, sondern um dort mit der Marke Bayern München präsent zu sein und auch noch etwas zur Entwicklung des chinesischen Fußballs beizutragen. Auf den Aufbau eines konkurrenzfähigen Fußballsystems legt die Regierung ja gerade einen Fokus. Wenn am Ende mal ein chinesischer Kicker dabei sein sollte, der stark genug für den FC Bayern ist, umso besser. Er sollte dann aber nicht so enden wie andere Chinesen in der Liga vor ihm.

James Rodriquez im Audi Football Summit Spiel gegen Mailand.
(Foto: Alexander Hassenstein / Bongarts / Getty Images)

Wie sinnvoll ist es, sich bei der Erschließung des asiatischen Marktes so stark auf China zu fokussieren? Gibt es auch andere Länder in der Region, in denen man vor allem im Vergleich zur Premier League einen Rückstand wett machen muss?

China ist einfach mit Abstand der größte Markt, auf dem es für die europäischen Großclubs etwas zu holen gibt. Hinzu kommt: Was hier gerade im Fußball abläuft, ist eine Revolution – und zwar eine, die von oberster Stelle gesteuert wird. Seit Staatspräsident Xi Jinping 2014 das politische Ziel ausgegeben hat, China zu einer Fußball-Großmacht zu entwickeln, fließen irre Summen – nicht nur in verrückte Transfers von Spielern aus Europa, sondern noch viel mehr in den Bau von Fußballplätzen, Akademien und andere Infrastruktur. Gefragt ist auch Fußball-Knowhow beim Aufbau von Nachwuchsleistungszentren oder bei der Trainerausbildung. Hinzu kommt, dass die Offensive der Staatsführung die Beliebtheit des Fußballs im Land schon enorm gepusht hat. Solche perfekten Rahmenbedingungen gepaart mit der schieren Zahl an Fans (egal wie viele es exakt sind) findet man in keinem anderen Land. Dennoch kann man sehen, dass ein Club wie der FC Bayern sich auch für Länder jenseits von China interessiert – zum Beispiel Singapur, wo die Mannschaft im Rahmen der Sommer-Tour ja auch zwei Spiele absolviert, oder Thailand.

Und die für uns wichtigste Frage am Schluss: Bleibt nach deinem Eindruck überhaupt Zeit vernünftig zu trainieren?

Ganz klar: Eine solche Reise ist kein Trainingslager wie früher in Österreich oder am Gardasee. Zwei Ortswechsel, vier Spiele – da fallen einige Trainingsmöglichkeiten weg. Trotzdem hat die Mannschaft fast jeden Tag mindestens ein Mal trainiert, das allerdings bei teilweise ekliger Hitze und extremer Luftfeuchtigkeit, vor allem in Schanghai. Dass die Mannschaft das ganze Programm nicht so einfach wegsteckt, konnte man beim 0:4 gegen den AC Mailand am Samstag in Shenzhen ganz gut sehen. Da waren die Spieler einfach platt. Ich kann mir vorstellen, dass die nächste Summer-Tour wieder kürzer ausfallen wird. 12 Tage mitten in der Vorbereitung sind schon extrem lang.