EM-Blog, Tag 6: „Besser als Sex!“ Das Spektakel geht weiter

Katrin Trenner 20.06.2024

Jaaaa! Deutschland gewinnt auch das zweite Gruppenspiel gegen Ungarn – Leon Goretzka sendet ein Herz – und steht somit sicher im Achtelfinale. Während die Nation in Glückseligkeit versinkt und weiter vom EM-Titel im eigenen Land träumt, ist aber noch mehr passiert.

Der Auftakt zum zweiten Spieltag der Gruppenphase ist grundsätzlich vielversprechend: Während im ersten Spiel Fehler noch keine schwerwiegenden Konsequenzen haben und die Mannschaften teilweise noch zusammen und ins Turnier finden müssen, geht es bei der zweiten Partie schon um so viel mehr.

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Einige Teams können sich mit einem Sieg frühzeitig für die K.-o.-Phase qualifizieren, andere wiederum stehen mit dem Rücken zur Wand und versuchen, eine frühzeitige Heimreise zu verhindern. Konstellationen also, die viel Emotionen und Drama versprechen, und den Rahmen für den dritten und letzten Spieltag in der Gruppenphase setzen.

Kroatien – Albanien 2:2

Nachdem die Kroaten im ersten Spiel gegen Spanien überraschend deutlich verloren hatten, erwartete man eine entsprechende Reaktion gegen Albanien. Doch auch gegen den vermeintlichen Außenseiter der Gruppe B konnte Kroatien zumindest in der ersten Hälfte nicht punkten. Albanien ging in der 11. Minute in Führung, aber die Kroaten fanden zunächst keine Mittel, eine zweite Niederlage in Folge abzuwenden.

Erst in der zweiten Halbzeit begann ein regelrechtes Anrennen auf das albanische Tor, und schließlich schaffte es der Favorit, das Spiel zu drehen. Erst traf Kramaric in der 74. Minute, und nur zwei Minuten später wurde der kurz zuvor eingewechselte Gjasula mit einem Eigentor zur tragischen Figur des Spiels. Denkste! Es kam zum emotionalen Drama in den letzten Minuten, als eben jener Gjasula tatsächlich in der 95. Minute zum 2:2 ausglich!

Die deutsch-albanischen Brüder Gjasula, die beide in der Nationalmannschaft Albaniens spielen, heißen mit Vornamen Klaus und Jürgen – benannt nach dem Schauspieler Klaus-Jürgen Wussow auf Wunsch ihrer Oma, die ein Fan von Professor Brinkmann der Schwarzwaldklinik war.

Dass es nun ausgerechnet Gjasula war (Klaus!), der seinem Team in letzter Sekunde wieder Leben einhauchte… Professor Brinkmann gefällt das. Steffen Freund hat andere Worte gefunden: Er findet den Last-Minute-Ausgleich „besser als Sex“. Äh ja, OK.

Deutschland – Ungarn 2:0

Zwei Spiele, zwei Siege – Deutschland qualifiziert sich als erste Mannschaft für das Achtelfinale, und im Stadion lagen sich die Fans in den Armen und sangen bereits „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ Toni Kroos freute sich nach dem Spiel zwar über das vorzeitige Weiterkommen, sagte allerdings auch, dass er sich schwer tue, „nach zwei gewonnenen Gruppenspielen von einem Erfolg zu sprechen.“ Legitim und gut, bei aller Euphorie auch einen klaren Kopf zu bewahren.

Etwas schwerfällig begann die deutsche Nationalelf auch das Spiel gegen Ungarn, die nach ihrer Niederlage gegen die Schweiz unbedingt punkten mussten. Und sie starteten mit viel Energie und druckvoll in die Partie.

Dank eines hellwachen Manuel Neuer konnte ein frühes Gegentor verhindert werden. Die Deutschen blieben geduldig und überstanden einige hitzige Phasen in der hart umkämpften Begegnung. Für die Erlösung sorgten Jamal Musiala (22. Minute) und Kapitän Ilkay Gündogan (67. Minute) mit ihren Toren.

Gündogan musste vor dem Turnier viel Kritik einstecken, war dann aber pünktlich zu Turnierbeginn in Topform und konnte seine gute Leistung gegen Schottland auch gegen Ungarn bestätigen. Mit einer Vorlage und einem eigenen Tor wurde Gündogan zum Matchwinner.

Auch Manuel Neuer zeigte, warum er bei der immer wieder aufkommenden Torwart-Diskussion inzwischen nur noch müde und leicht genervt den Reklamierarm hebt (nach einer Parade riss Joshua Kimmich ihm vor lauter Begeisterung beinahe die Haare aus) – aber dann kam die 89. Minute, und Neuer ließ den Ball nach einer Flanke (und kleinem Rempler vom Gegenspieler) wieder fallen, sodass Kimmich auf der Linie klären musste. Kleiner Wermutstropfen in einer sonst starken Partie des Keepers.

Schottland – Schweiz 1:1

Es ist schon kurios, dass die Schotten bei diesem Turnier bereits zweimal ein Tor bejubeln konnten, doch bei beiden Treffern handelte es sich um Eigentore der gegnerischen Mannschaft. Gegen Deutschland hieß der Unglücksrabe Antonio Rüdiger, im Spiel gegen die Schweiz war es Fabian Schär in der 13. Minute.

Den schottischen Fans war das herzlich egal: In gewohnter Manier peitschten sie ihre Mannschaft nach vorne. Die Schweiz konnte allerdings in der 26. Minute ausgleichen, durch einen fulminanten Treffer vom Ex-Münchner Xherdan Shaqiri.  

Nach dem Ausgleich dominierten die Schweizer das Spiel, konnten sich aber nicht mit einem zweiten Treffer belohnen. Am Ende jedoch schienen die Schweizer und auch Trainer Murat Yakin mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden: Mit vier Punkten aus zwei Spielen sieht es ganz danach aus, als würden unsere Nachbarn sich ebenfalls für das Achtelfinale qualifizieren.

Und die Schotten? Waren auch nicht ganz unglücklich, da sie nach einer verbesserten Leistung den ersten Punkt in diesem Turnier ergattern konnten. Kapitän Andy Robertson sagte nach dem Spiel, dass es eines ihrer Hauptziele war, die Fans glücklicher zu machen als am vergangenen Freitag – und das sei ihnen gelungen. Man kann viel Positives mitnehmen und in Vorbereitung auf das letzte Spiel auch noch einiges verbessern. Egal, wie es ausgeht – die Fans werden wieder alles für ihre „Bravehearts“ geben.

Was sonst noch auffiel:

  • Albanien bricht Rekorde. Nach dem schnellsten EM-Tor der Geschichte im ersten Spiel gegen Italien konnte das Team gegen Kroatien zwei weitere Einträge in die Geschichtsbücher verbuchen. Der Ausgleichstreffer von Gjasula war der späteste, den es je gab, und es war auch noch nie zuvor passiert, dass ein Einwechselspieler (wieder Gjasula) sowohl ein Eigentor und ein Tor im gleichen Spiel verbuchen konnte.
  • In der 75. Minute beim Spiel der Deutschen gegen Ungarn wurde Mittelstürmer Martin Adam eingewechselt, der sich nach seinem letzten Einsatz gegen die Schweiz in den sozialen Medien gehässigen Kommentaren zu seinem Körpergewicht ausgesetzt sah. Als er bei einer Pressekonferenz auf das sogenannte Fatshaming angesprochen wurde, nahm er es relativ gelassen und sagte, dass er „so geboren wurde“ und an „an seinen Genen nichts ändern kann“. Nach diesen Aussagen erhielt Adam, der derzeit für den südkoreanischen Klub Ulsan Hyundai spielt, viel Zuspruch – zum Glück, denn Fatshaming hat auch im Fußball nichts verloren (schönen Gruß an alle, die sich regelmäßig über Süle lustig machen).
  • Pink und lila, das sind unsere Farben! Zum ersten Mal lief die deutsche Mannschaft im neuen Auswärtstrikot auf. Inzwischen ist es amtlich: Das pink-lilafarbene Trikot ist jetzt offiziell das meistverkaufte Auswärtstrikot der DFB-Geschichte – ja, genau, das skandalöse Trikot, das im März erstmals vorgestellt wurde und für einen riesigen Aufschrei gesorgt hatte. Den Schwarz-Rot-Gold-Befürworter*innen wird das nicht schmecken, aber die Pink-Lila-Fraktion hat zumindest in dieser Debatte einen ersten Sieg eingefahren. Besonders gut verkauft sich übrigens das Trikot mit der Rückennummer von Toni Kroos. Auch irgendwie schön.
  • Bei der Weltmeisterschaft in Qatar wurde die deutsche Nationalmannschaft für ihren Versuch, sich politisch zu positionieren, von vielen Seiten gerügt. Auch wenn das Ganze vielleicht nicht klug angegangen wurde, gab es trotzdem vereinzelte Stimmen (inkl. dieser Autorin), die die Aktion der Deutschen befürwortete. Trotz des Shitstorms, der darauf folgte. Die Franzosen ließen sich von dem Negativbeispiel nicht abschrecken und machten es nun ähnlich. Vor ihrem Spiel gegen Österreich am Montagabend war es nicht nur der Fußball, der die Gemüter der Spieler bewegte, sondern auch der Rechtsruck im eigenen Land. Marcus Thuram und Kylian Mbappé wiesen mit starken Statements auf die politische Lage in Frankreich hin und ermutigten die Menschen, sich gegen Rechts zu stellen und wählen zu gehen. Marcus Thurams Vater Lilian, ehemaliger Rekordnationalspieler Frankreichs, gründete im Jahr 2008 nach Ende seiner Profikarriere die Stiftung „Fondation Lilian Thuram – Éducation contre le racisme“ und setzt sich unermüdlich gegen Rassismus und soziale Ungleichheit ein.
  • Viel Liebe für Dänemark: Die dänische Männer-Nationalmannschaft hat eine Erhöhung der Prämien abgelehnt, damit der Fußballverband den Frauen genau so viel zahlen kann. Die Verhandlungen waren laut Medienberichten erfolgreich – schon nach der Europameisterschaft ist das Gender-Pay-Gap behoben.
  • Wenig Liebe für Männer im Internet: Weil die Kommentatorin Christina Graf beim 1:0 der Schotten ein wenig aus dem Konzept gerät und unter anderem über Abseits spricht, wo keines vorlag, weil der Ball vom Gegner kam, kommt ein unverhältnismäßig großer Shitstorm auf sie im Internet zu. Zahlreiche Männer kommentieren beispielsweise auf Instagram, dass sie keine Frauen als Kommentatorinnen wollen und es nicht ertragen könnten. Unabhängig vom zweifellos unglücklichen Moment: Wer glaubt, dass so etwas Männern und Frauen gleichermaßen passieren würde, läuft naiv durchs Leben. Volle Solidarität mit Christina Graf.
  • Die Stimmung im Land ist weiterhin ausgelassen und gut, Deutschland und die angereisten Fußballfans aus ganz Europa sind in Feierlaune, und es sieht nicht so aus, als würde sich das bald ändern (solange Deutschland noch im Turnier ist sowieso nicht). Einzige Spielverderber bislang: Das Wetter und die Deutsche Bahn.
  • Zwei Brüder aus Norddeutschland sorgen für Furore im Internet: Lovely & Monty, oder auch die Bhangu Brothers, sind gebürtige Inder und leben bereits seit 36 Jahren in Hamburg, wo sie als Taxifahrer tätig sind. Nebenbei machen sie Musik zusammen. Für die Europameisterschaft haben sie einen neuen Song aufgenommen, mit dem sie die deutsche Nationalmannschaft unterstützen wollen und ihn ganz simpel „Diese EM 2024“ betitelt. Die Melodie aber hat es in sich, denn das Lied ist inspiriert von der typischen Bollywood-Musik, zu denen in den farbenfrohen indischen Blockbustern die Darsteller*innen auf der Leinwand regelmäßig zu tanzen beginnen. „Dollywood“ haben Lovely & Monty den neuen Stil liebevoll getauft, und das Internet feiert die Geschwister für ihre Kreativität und den neuen Ohrwurm:
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