EM-Blog, Tag 4: Belgiens Goldene Generation

Daniel Trenner 18.06.2024

Belgien: Von wegen vergeudete Goldene Generation!

An dieser Stelle möchte ich einmal devil’s advocate für die Red Devils spielen. Denn ich bin seit Jahren gepflegt genervt von der Legende, dass der angeblich ewige Geheimfavorit Belgien, kaum dass ein großes Turnier losgeht, nichts auf die Reihe bekommt und möchte mit dieser Mär an dieser Stelle aufräumen.

Nur weil in traditionell großen Fußball-Nationen wie Deutschland, Brasilien, aber auch England eine Goldene Generation erst ihr Soll mit einem großen Titel erfüllt hat, gilt das nicht auch für kleinere Länder, die abseits großer Generationen oft gar nicht erst dabei sind.

Zwei vergeudetete Turniere

Ja, diese belgische Generation hatte ihre verschwendeten Turniere. Zwei, um eine Zahl zu nennen. 
2014 drang ein höchst talentiertes junges belgisches Team mit sehr biederem Heldenfußball ins Viertelfinale und war darüber eigentlich ganz froh. Wohlgemerkt stand der beste dieser Generation, Kevin de Bruyne, da noch kurz vor dem Durchbruch in die Weltspitze.

2016 indes hätte ihr Turnier werden sollen. Bis auf das kürzlich erst vergoldete Deutschland befand sich die gesamte Konkurrenz im Umbruch, bei Belgien allerdings waren Hazard, de Bruyne und Lukaku auf ihrem absoluten Höhepunkt. Leider hatte der Verband da noch nicht die limitierten Fähigkeiten ihres Trainers Marc Wilmots erkannt und auch dieses Turnier schmissen sie wirklich weg. Simpelster Heldenfußball hatte peinlicherweise gegen Underdog Wales das Nachsehen.

Zwei überzeugende Turniere

Doch 2018 und 21 sprachen eine andere Sprache und der Grund, wieso es falsch ist, von Unterperformern zu sprechen. In Russland spielte Belgien den besten Ball, schlug im Viertelfinale Mitfavorit Brasilien im höchstklassigsten Spiel des Turniers mit 2:1 – und scheiterte dann an einer noch Goldeneren Generation Frankreichs.

Die unfassbare Breite an Talent, mit welchem Frankreich seit gut sieben Jahren gesegnet ist, ist jedem bekannt. Ist es da wirklich fair, Belgien einen Vorwurf zu machen, im vorweggenommenen Endspiel knapp unterlegen gewesen zu sein? Sie wurden ja damals nicht einmal abgeschossen, Frankreich verwandelte einen Eckball und mauerte dann. Es ist nicht Belgiens Schuld, dass Nachbars Gras noch grüner grünte. Am Ende wurden sie Dritter, nachdem man abermals England abfertigte und ließ sich völlig zurecht in Brüssel von tausenden Fans feiern.

Der neue Bayern-Trainer vor einem Meer von Rot.
Die Welt scheint Belgiens Turnier 2018 vergessen zu haben, das Land zum Glück nicht.

(Foto: Yves Herman/AFP)

2021 presste eine mitunter deutlich über dem Zenit (Eden Hazard!) sich befindende Goldene Generation noch einmal alles aus sich heraus. Scheiterte schlussendlich erneut an der stärksten Mannschaft eines Turniers, Italien, in einem packenden Spiel.

Unterperformer sehen anders aus.

Und doch ist dies das dritte Turnier, indem diese völlig respektlose und brutal unfaire Geschichtsklitterung hervorgekramt wird. Wer eine völlig vergeudete Goldene Generation sich anschauen will, muss nicht weiter als zu England der 00er Jahre schauen mit ihren Scholes und Gerrards und Lampards und Rooneys und Terrys und Ferdinands!

Belgien bei der EM 2024

Nun ist diese Generation alt geworden und Nachschub ist nur spärlich da. Hazard ist weggebrochen, Doku kaum ein Nachfolger. De Bruyne ist noch immer weltklasse, aber kann nicht das Spiel alleine tragen. Lukaku geht gefühlt auf die 40 zu, obwohl er erst 31 ist. Die Verteidigung ist international nicht mehr konkurrenzfähig. Der einzige neu dazugekommene Spieler von potenziellem Weltklasseformat ist Leipzigs Openda.

Diese Gruppe sollten sie überleben, falls sie die Leistung der zweiten Hälfte wiederholen. Europameister wird man allerdings sicher nicht. Sie waren auch vor dem Turnier kein echter Favorit mehr, so gut die Qualifikation auch gewesen sein mag. Und das ist okay. Was bleibt ist 2018 die beste Platzierung einer belgischen Fußballnationalmannschaft der Geschichte.

Fan-Feiern: Der finstere Hintergrund der Beschwingtheit

Auch am Montag setzte sich das herrliche Fest der Fans fort. Nachdem Holland noch tags zuvor St. Pauli orange besetzte, färbten nun Österreich-Anhänger das Rheinufer rot-weiß.

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Philip ordnete gestern dieses Turnier als ersten Fan-freundlichen Wettbewerb seit 2016 ein und hat damit natürlich völlig recht. Russland, Corona und Katar machten solche Happenings unmöglich. Doch ich würde die Beschwingtheit sogar noch deutlich vor Frankreich 2016 setzten, denn da feierte auch immer die Angst mit. Im Jahr zuvor noch erschütterten während des Länderspiels gegen Deutschland entsetzliche Terroranschläge des IS das Land, hunderte Menschen wurden ermordet. Die weitgehende Niederschlagung des IS erfolgte erst Jahre später, in dieser Zeit wurde Europa ständig mit Terrorismus konfrontiert. Das oberste Gebot der Euro 2016 war: Sicherheit.

Auch wenn keine 1000 Kilometer östlich Berlins ein entsetzlicher Krieg tobt: Für die Fußballfreunde Europas ist dies die freieste Party seit 2012. Einem Turnier, welches ausgerechnet in der nun mit Krieg überzogenen Ukraine stattfand.

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Ukraine – Tragische Torwartfehler

Die Fußballer eben dieses Landes hatten praktisch geschworen, dem Land Ehre zu machen und scheiterten damit an diesem 1. Spieltag leider auf ganzer Linie. Es tut fast schon weh, dass sie ausgerechnet auf dieser Europas größten Bühne, sich derart unter Wert verkaufen. In der Qualifikation hatten sie noch mit dem gigantischen Handicaps bar jeglicher Heimspiele Italien zur Punktgleichheit gezwungen. Überwanden dann zweifache Rückstände in den Play-Offs. Nun allerdings, verweigerten sie fast jegliches Offensivspiel.

Ihr Spielaufbau war müde und träge – stets gab es nur den Kurzpass zum nächsten Mann, der freie Zinchenko auf links etwa, wurde immer übersehen. Toni-Kroos-Verlagerungen hatte die Ukraine nicht in petto. Und schalteten sie dann mal in den Angriffsmodus, waren das immer nur zwei, drei Spieler gleichzeitig. So ließ sich natürlich kein Spiel gewinnen.

Zum Unvermögen vorne, kam dann noch Tragik hinten dazu. Da hat die Ukraine nach Jahren fehleranfälligem Mittelmaß von Pyatov und Buschchan zum ersten Mal gleich zwei Keeper von hohem internationalem Format – und dann patzt ausgerechnet Reals Nummer 1 der vergangenen Saison zweifach.

Das erinnerte an die WM in Katar, als mit Édouard Mendy aus dem Senegal endlich mal der afrikanische Kontinent einen Weltklasse-Keeper stellte – nur damit dann ausgerechnet der patzte. Gegen die Slowakei dürfte Benficas Trubin starten.

Was sonst noch auffiel:

  • Es bleibt das Turnier der eiskalt verwandelten ersten Torchancen. Oder besser gesagt: Ein Team verwandelt eiskalt seine allererste Chance. Auf Belgien trifft das sicher nicht zu, aber Rumänien und die Slowakei trafen beide mit ihrer ersten Gelegenheit.
  • Lukaku mag einem zwar bei zwei zurückgepfiffenen Toren leidtun, aber beim ersten trägt er die Alleinschuld. In einer Szene, wo man als Stürmer drei Meter vor dem Tor nur bei einer Querablage aktiv werden kann, darf man einfach nicht im Abseits stehen. Das darf unterklassigen Stürmern passieren, aber nicht Romelu Lukaku. Timo-Werner-Vibes.
  • Fußball ist ein hochkomplexes Spiel, indem sich 22 Spieler auf einem hektargroßen Feld frei bewegen. Und am Ende verliert das Team, welches ihren formstärksten Angreifer 84 Minuten lang auf der Bank schmoren lässt. Kaum ersetzte Openda den schwachen Doku, fiel auch das vermeintliche Ausgleichstor.
  • All das Gerede rund um Österreichs Geheimfavoritenstuatus (dieses Wort sollte gemieden werden, vielleicht ein ander Mal) und dann schaut man auf die Startelf und sieht doch sehr viel Bundesliga-Mittelklasse. Der Orkan an Verletzungen hat diesen Kader wirklich bluten lassen.
  • Wieso haben eigentlich alle mit einer Spitzenpartie gerechnet beim Abendspiel? Auf der einen Seite das gewohnt passive Frankreich, auf der anderen ein Rangnick-Team. Klar wird das am Ende zu einer Leichtathletik-Veranstaltung.
  • Sicher wurde Österreich nach Baumgartners Chance eine Ecke verwehrt, aber das Eigentor fällt am Ende ganze 90 Sekunden später. Rangnicks Meckern bei jedem Mikrofon sprengt abermals jeglichen Rahmen und ein weiterer Grund, wieso ich heilfroh bin, ihn ab Juli nicht beim FC Bayern begrüßen zu müssen.
  • Bayern sucht doch einen Sechser: Wieso dann nicht N’Golo Kanté aus der sportlichen Bedeutungslosigkeit retten? Abstriche beim Gehalt müsste er sicherlich eingehen, aber Kanté bewies seine Wettbewerbsfähigkeit. Die arabische Liga kann man zwar sportlich nicht ernst nehmen, aber immerhin lief Kanté in der letzten Saison 30 Mal für seinen Verein auf, seine Verletzungen scheinen also auskuriert.
  • Unsportlich war es zwar sicher, aber wie sich Mbappé unerlaubterweise drei Meter auf das Spielfeld schlich, um dann doch wieder zusammenzubrechen, war absolut köstlich. Allerfeinste Neymar-Schule. Noch besser wird diese Szene nur, wenn er noch eine Gelbsperre bekommt und Frankreich ohne ihn ausscheidet. O Captain! My Captain!

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