EM-Blog, Tag 28: Rivalitäten, Butterbrote und geklaute Tore

Katrin Trenner 12.07.2024

Direkt nach dem zweiten Halbfinale England gegen die Niederlande meldete sich mein Cousin aus Indonesien per WhatsApp bei mir; er wollte wissen, nein, vielmehr wollte er eine Bestätigung, dass ich am Sonntag nun doch sicher den Engländern die Daumen drücken würde? Als ich dies entschieden verneinte, schrieb er ganz verblüfft zurück: „Aber Spanien hat doch Deutschland rausgeworfen? Müsstest du da nicht schon aus Prinzip für England sein?“

Deutschland vs. Niederlande

Aus Prinzip, wollte ich antworten, müsste ich als Deutsche eigentlich gegen England sein, so jedenfalls bin ich aufgewachsen: Als Fußballfan hierzulande finden wir vor allem die Engländer und die Niederländer doof, und die Italiener und Argentinier können wir auch nicht so recht leiden.

Ich finde diese jahrzehntelangen Rivalitäten eher amüsant als alles andere, was aber nicht heißt, dass ich nicht auch anfällig bin für kleine Tobsuchtsanfälle vor dem Bildschirm. Ich kann auch durchaus nachtragend sein. Ich halte es da mit Mr. Darcy aus „Pride and Prejudice“, der sagt: “My good opinion once lost is lost forever.”

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Ich bin tatsächlich schon so alt, dass ich mich an die Spuck-Affäre um Frank Rijkaard und Rudi Völler noch gut erinnern kann, weil ich 1990 als junges Mädchen selbst fassungslos vor dem Fernseher saß, als Völler mit Rot vom Platz flog. Obwohl Rijkaard ihm nicht einmal, nein zweimal, in seine Lockenpracht spuckte.

Die beiden Streithähne versöhnten sich öffentlichkeitswirksam sechs Jahre später, als sie gemeinsam auf einer Hotelterrasse in Bergisch-Gladbach zu einem Frühstück zusammen kamen. Das Ganze war ein Werbespot für einen Butterhersteller. „Mit echter Butter bekommen sie jeden an die gemeinsame Tafel“, lautete der Slogan damals, und ich dachte mir, wenn Völler Rijkaard verzeihen kann – „Schwamm drüber“, soll er gesagt haben – dann können wir das doch sicher auch?

Es scheint so, dass die Butterbrote eine nachhaltige Wirkung gezeigt haben. Bei dieser EM waren zumindest die Oranje-Fans gern gesehene Gäste in Deutschland: Die „Nach links, nach rechts“-Videos der Fanmärsche sind jetzt schon legendär, und einige Umfragen vor dem Halbfinale Niederlande-England zeigten, dass die meisten Deutschen sich einen Sieg der niederländischen Nationalmannschaft wünschten. Was leider nicht geklappt hat, denn England machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Womit wir beim nächsten Thema wären…

Deutschland vs. England

Klar, das Wembley-Tor. Das einzige Mal, dass England einen WM-Titel gewinnen konnte, gelang dies nur mit einem geklauten Siegtor. Da sind die meisten Deutschen sich natürlich sicher. Ich bin mir sicher: Hätte es damals schon den VAR und die Torlinientechnik gegeben, wäre das Tor trotzdem gegeben worden. Weil der VAR und die Schiedsrichter ja offensichtlich auch 58 Jahre später nicht verstehen, wie man ein klares Handspiel zu ahnden hat, oder dass man sich eine strittige Situation zumindest noch einmal ansehen sollte… ach nein, lassen wir das. Ich will mich nicht schon wieder aufregen.

Die „Mutter aller Rivalitäten“ ist aber ehrlich gesagt auch etwas einseitig verlaufen; der Fußball mag zwar ursprünglich aus England kommen, aber die Welt hat den Sport für sich eingenommen, und Deutschland konnte bekanntermaßen einige mehr Titel sammeln als die Engländer, zumindest die Männer-Nationalmannschaft.

2001 beispielsweise gewann England im Rahmen der WM-Qualifikation 5:1 in München gegen die deutsche Nationalelf, und dieser Sieg wurde auf der Insel so frenetisch gefeiert, als hätte man soeben den zweiten WM-Titel gewonnen. Sogar T-Shirts wurden gedruckt, um diesen Erfolg zu verewigen, und in Deutschland lächelte man sanft und zuckte mit den Schultern: „Lasst sie, sie haben ja sonst nichts…“

Sollte man also angesichts der langen Durststrecke der Engländer also nicht endlich mal diese Fußballgeschichte abschütteln und sagen, na kommt, das Elfmeter-Trauma habt ihr offensichtlich überwunden, dann holt euch jetzt das Ding?

Sorry, die Antwort lautet trotzdem Nein. Und das hat nichts damit zu tun, dass die Engländer, wenn sie schon einen Titel gewinnen, dies bitte nicht ausgerechnet auf deutschem Boden tun sollen. Sondern damit, dass Spanien während der gesamten EM das Team war, das am beständigsten gespielt hat, während England sich mehr oder weniger durchmogelte. Eine Halbzeit richtig guten Fußball zu zeigen, sollte eigentlich nicht reichen, einen internationalen Titel zu gewinnen.

Andererseits, wer gewinnt, behält Recht, und somit steht England wohl irgendwie verdient im Finale, weil sich die Gegner offensichtlich noch blöder angestellt haben. Ich hoffe nur darauf, dass der Fußballgott gerecht ist und am Sonntag denkt: Paella schmeckt doch um einiges besser als Fish and Chips. So wie das Turnier allerdings bislang verlaufen ist, würde es mich auch nicht wundern, wenn er ausgerechnet beim Finale auf die Idee kommt: Aber manchmal fetzt Junk Food eben doch mehr.

Was sonst noch auffiel:

  • Einen hochemotionalen Brief veröffentlichte Trainerlegende Sven-Göran Eriksson im Telegraph. Der Schwede hatte die englische Nationalmannschaft von 2001 bis 2006 trainiert und leidet an Bauchspeicheldrüsenkrebs. „Lieber Gareth, tu es für mich, Sir Bobby und England“.
  • Auch König Charles hat den Three Lions selbstverständlich schon zum Finaleinzug gratuliert, und der Mannschaft noch eine Bitte mit auf den Weg gegeben: „Wenn ich euch ermutigen dürfte, den Sieg zu sichern, bevor Wundertore in letzter Minute oder ein weiteres Elfmeterdrama nötig würden“, hieß es in einer offiziellen Mitteilung. Denn nur dann würde „die Belastung für den kollektiven Puls und Blutdruck der Nation erheblich gemildert“.
  • In diesem Zusammenhang weise ich nochmal auf die Studie aus England hin, die zeigt, dass das Risiko häuslicher Gewalt während großer Fußballturniere um 26 Prozent anstieg, wenn die englische Nationalmannschaft gewann oder unentschieden spielte, und um 38 Prozent, wenn sie verlor. Wir haben bereits im EM-Blog, Tag 20 davon berichtet.
  • Die deutsche Nationalmannschaft hat in den vergangenen vier Wochen viele Fans wieder zurückgewonnen und begeistern können. Trotzdem gibt es immer solche, die – aus welchen Gründen auch immer – allergisch auf die DFB-Elf reagieren und ihrem Ärger im Netz Luft machen. Mit Kommentaren, die oft genug die Grenze überschreiten. Mehr als 1.000 solcher Hasskommentare sind im Verlaufe des Turniers gegen die DFB-Elf gemeldet worden, mehr als 800 von ihnen wurden als strafrechtlich relevant identifiziert.

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