EM: Deutschland walzt Schottland zum Auftakt nieder
Das war doch ein Auftakt nach Maß! Was hatte die Nation nur gezittert und gebibbert vor diesem Auftaktspiel. Einmal falsch abgebogen und der Traum eines neuen Sommermärchens wäre ausgeträumt, noch bevor man auch nur einmal zum Schlafen oder Träumen käme. Vom Fehlen des Sommers mal abgesehen.
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Florian Wirtz und Jamal Musiala besorgten die frühe komfortable Führung. Dem erwarteten Anrennen gegen eine betonierte schottische Mauer wurde so früh eine Absage erteilt.
Havertz erhöhte noch vor der Pause per Strafstoß auf 3:0, gleichzeitig ging Ryan Porteous duschen. Füllkrug per bombastischen Halbvolley, Rüdiger und der nachnominierte Čan besorgten die restlichen Tore – Rüdiger wohlan ins falsche Netz. Diese Dinge fielen auf:
1. Nagelsmanns Entscheidungen gehen komplett auf
Der große Triumph über Schottland war gleichzeitig auch ein großer Triumph für Bundestrainer Julian Nagelsmann. Der Großteil von Nagelsmanns Entscheidungen genoss zwar das Wohlwollen der Öffentlichkeit, doch bei einigen Personalentscheidungen ging der Bundestrainer seinen eigenen Weg.
İlkay Gündoğan
Basisdemokratisch hätte Gündoğan wahrscheinlich sein Kapitänsamt von der Bank aus ausführen müssen, Leroy Sané oder gar Maximilian Beier hätten so einige gerne von Beginn an gesehen. Doch Gündoğan spielte und das ganz großartig. Nagelsmann kündigte vor dem Spiel bei Magenta an, dass es ein gutes Spiel wird, sofern man nur Gündoğan oft genug findet.
Man fand ihn. Vorallem beim zweiten Tor. Gündoğan schlich sich durch Schottlands Mittelfeld-Viererkette und Kroos fand den einen Pass durchs Zentrum. Den Raum vor ihm von Musiala und Wirtz freigedeckt, konnte der Kapitän nun in selbigen aufdrehen, spielte einen nicht minder genialen Ball auf Havertz.
Den Elfmeter zum 3:0 holte er selbst raus, beim ersten Tor öffnete er den Raum für Wirtz. Dazu kam er auf fantastische 91% Passquote.
War dies die beste Leistung İlkay Gündoğans bei einem großen internationalen Turnier? Wahrscheinlich. Nur das 1:1 gegen Spanien in Katar käme noch in Frage, das allerdings war eine gänzlich andere Partie. Der Kapitän ist voll im Turnier angekommen, die Mannschaft sucht ihn, findet ihn, stützt ihn, feiert ihn – man muss sich nur Thomas Müller nach dem Schlusspfiff anschauen.
Kai Havertz
Doch einmal zurück zum zweiten Tor. Der Spielzug war mit Gündoğans Pass ja nicht vorüber. Der Ball musste noch über die Linie. Havertz legte sich den Ball perfekt hin – und verweigerte den eigenen Abschluss.
Einen Moment war es also wieder da, das klassische Problem der letzten Jahre. Zu viel klein-klein und drumherum, zu wenig Vollspann aufs Tor. Genau deshalb hätten die berüchtigten 83 Millionen Bundestrainer mit großer Mehrheit Füllkrug starten lassen.
Doch Havertz hatte eine bessere Idee, als aus spitzem Winkel draufzubolzen. Er stoppte, nahm den Kopf hoch und fand Musiala. Der schaltete seinen Gegenspieler McGregor bereits mit der Ballannahme aus und nahm dann den Spann ins Glück.
Für den Trainer war der Treffer nicht nur ein Triumph wegen Gündoğan, sondern auch wegen Havertz’ Spiel. Hier zeigte sich eben, weshalb Nagelsmann von Beginn erstmal auf den Arsenal-Mann vertraut. Er lässt sich fallen, kann so mit Zug zum Tor den Sprint ansetzen und hat dann das Auge und das Spielverständnis, auf denen eigenen Abschluss zu verzichten.
Havertz überzeugte schon gegen die Ukraine, traf sogar gegen Griechenland. Jahrelang, noch unter Joachim Löw und Hansi Flick, versuchte die Nationalmannschaft, sich ihre falsche Neun zu züchten. Mario Götze, Thomas Müller und jahrelang eben auch Havertz konnten das aber nie im Verein probieren, jetzt endlich hat man eine funktionierende falsche Neun gefunden, die das eine ganze Saison über bereits aus dem Verein kennt. Nur logisch, dass Julian Nagelsmann dies auch ins Turnier erst einmal mitnehmen möchte.
2. Kimmich auf der etwas anderen Doppelsechs
Joshua Kimmich schlägt traumhafte Flanken. Das weiß jeder. Zuweilen sind diese Flanken allerdings ein zweischneidiges Schwert. Damit er diese Flanken schlagen kann, möchten viele Trainer Kimmich hoch und weit stehen haben. Kann er dann seinen inneren Manni Kaltz entfalten, ist das natürlich ganz wunderbar, schafft er das allerdings nicht, ist er verschenkt. Gerne fällt dann auch sein Geschwindigkeitsdefizit beim Sprint zurück auf.
Nein, Joshua Kimmich ist und bleibt am stärksten als Spielgestalter. Auch als Außenverteidiger kann man das, man muss sich nur bei Turnierdirektor Philipp Lahm erkundigen. Kimmich also zog es nicht mehr gen Abseitslinie, sondern in den Halbraum vor der Box. Dort war er ständiger Abnehmer von Kroos’ Seitenverlagerungen, bereitete das 1:0 vor und kam immer wieder zu Situationen, die er so gerne auch als Sechser spielt. Immer wieder kamen die leichten Chipbälle in den Rücken der Schotten. So auch bei der 3:0-Elfmetersituation.
Das Herz der Mannschaft ist natürlich Toni Kroos auf der Doppelsechs. Dafür passt diese Metapher zu gut zu seinem ständig nach links abkippenden Spiel. Doch eigentlich war der zweite Sechser gar nicht Andrich oder Groß, sondern 30 Meter entfernt Joshua Kimmich.
Wahrscheinlich wird Kroos so viel Raum nicht nochmal im Turnier bekommen, dann wird abermals die Stunde seines ungleichen Sechserpartners Joshua Kimmich schlagen.
3. Schottland wenig mexikanisch
Julian Nagelsmanns Festlegung auf eine Mannschaft war nach Hansi Flicks wilden Wechselspielen in Katar eine Wohltat. Flick bot damals in drei Spielen drei verschiedene Mannschaften, Formationen und Viererketten auf.
Doch die frühe Festlegung schoss bei nicht wenigen ganz böse Erinnerungen an das Eröffnungsspiel 2018 in Russland gegen Mexiko vor das geistige Auge. Damals unkte der mexikanische Trainer Osorio, man wusste schon ein halbes Jahr lang ganz genau, wie Deutschland spielen werde.
Ein Halbjahr konnte Schottland sich zwar nicht einstellen, aber ein Viertel lang eben schon.
Und was machten sie dann aus ihrem Wissen? Sie nahmen sich vor hoch zu stehen. Mit Betonung auf “Stehen”. Denn viel Bewegung war da nicht, zum Laufen kamen sie erst, als der Ball sich bereits auf den Weg machte. So richtig pressen wollten sie auch nicht, vorallem nicht Kroos, Kimmich oder Rüdiger. Eine taktisch völlig absurde Vorstellung.
Selbst die Fans schienen erschrocken von der Darbietung ihrer gar nicht so braven Bravehearts. Die Schotten sind leider früher Favorit auf den Titel der schwächsten Mannschaft des Turniers.
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