Die Alternativen Awards 2015

Tobi Trenner 23.12.2015

In einem solch ereignisreichen Jahr wäre es schade, nur große Trophäen zu verteilen. Der Fußball bietet mehr als nur einen Spieler oder ein Spiel des Jahres – teilweise sogar Dinge, die niemand so wirklich sehen wollte. Miasanrot sieht es als Pflicht an, diese Momente in Erinnerung zu rufen und ihnen die Analyse zu geben, die sie schon von Anfang an verdient hatten.

Die Einzelleistung des Jahres

Fangen wir an mit der einfachsten Entscheidung überhaupt. Auch wenn Fußball ein klassischer Mannschaftssport ist, so gibt es hin und wieder diese Momente, in denen eine einzelne Figur das komplette Geschehen dominiert. Häufiger sieht man das in Barcelona, wenn Lionel Messi am Werk ist. Ältere Leser dürften das Gefühl noch aus den Achtzigern kennen, wenn Diego Maradona mit wilden und genialen Dribblings der kompletten gegnerischen Mannschaft Kopfschmerzen bereitete.

Auch in München ist dies kein völlig unbekanntes Gefühl. Im vergangenen Jahrzehnt war es häufig Oliver Kahn, der eine teils überforderte Bayernmannschaft mit Wahnsinnsparaden im Spiel hielt – besonders dürften hier einige Spiele im Bernabeu in Erinnerung geblieben sein. In den letzten Jahren waren es häufiger Franck Ribery und Arjen Robben, oder auch Javi Martinez im Champions League-Halbfinale gegen Barcelona in 2013.

Im Jahr 2015 gab es einen solchen Moment. Eine Leistung, die für einige Tage, wenn nicht Wochen alles überstrahlte. Eine magische Erscheinung, deren Einmaligkeit und Unvergesslichkeit schon während ihrer Entstehung allen Zuschauern und wahrscheinlich auch Beteiligten klar war. Ein Galaauftritt von Robert Lewandowski.

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Es ist eine Geschichte, die keiner Nacherzählung bedarf. Jeder Bayernfan erinnert sich an diese neun Minuten am 22. September. Verrückt war dies alles nicht nur aufgrund der unfassbaren Quote von fünf Toren in neun Minuten. Hinzu kommt auch, dass Lewandowski zum Zeitpunkt des fünften Tores erst 15 Minuten auf dem Platz war. Dass einige der Tore in ihrer Ausführung perfekt waren. Dass er sogar noch ein sechstes Tor hätte erzielen können.

Wann die Karriere des Robert Lewandowski ihr Ende nimmt, können wir noch nicht sagen. Wann sie ihren Höhepunkt erreichte, das wissen wir seit dem 22. September ganz genau.

Die Emotion des Jahres

Emotionen kann man nicht messen. Kann man Emotionen bewerten und in eine Rangliste packen? Es ist zumindest sehr unwahrscheinlich. Glücklicherweise gab es im Jahr 2015 im und um den FC Bayern jedoch eine Emotion, die dem Rest so weit voraus war, dass die Wahl so offensichtlich ist, dass man sie fast schon als objektiv bezeichnen konnte.

Es gab den Fünferpack von Robert Lewandowski, es gab mehrere Kantersiege in der Champions League, es gab ein schwer zu begreifendes 5:1 gegen starke Dortmunder. Doch sind diese Emotionen so spontan und unvorhersehbar, dass man sie kaum wahrnimmt, auch wenn man sie spürt.

Der Begriff „planbare Emotion“ klingt grundsätzlich ja erstmal negativ, ist es aber nicht unbedingt. Die kindliche Vorfreude auf das Weihnachtsfest zum Beispiel ist eine planbare Emotion. Der Tag wird kommen und die Abläufe werden kaum unbekannt sein. Der Reiz ist in diesem Fall nicht der unerwartete Moment der Euphorie, es ist der tief verankerte Wunsch nach einem bestimmten Ereignis und dem damit verbundenen Gefühl.

Für die meisten Bayernfans dürfte Weihnachten dieses Jahr etwas früher stattgefunden haben, und zwar am 7. November mit der Bescherung um ca. 16:50 Uhr. Unter dem roten Weihnachtsbaum lag die Rückkehr von Holger Badstuber. Die elende Verletzungsmisere, die ihm von Dezember 2012 bis November 2015 genau 1.040 von möglichen 14.280 Spielminuten absolvieren ließ, durfte in diesem Moment zumindest in den Köpfen der Fans und Badstuber selbst verabschiedet werden.

Selten sind echte Gänsehautmomente im Stadion nicht dem Spiel selbst geschuldet. Die Rückkehr Holger Badstubers war einer dieser seltenen Fälle. Deswegen war sie unsere Emotion des Jahres. Bleib gesund, Holger.

Das Kacktor des Jahres

Fußball kann schön sein. Zumindest der des FC Bayern war es in den letzten Jahren häufiger. Doch Fußball ist auch Kampf und Krampf. Zur letzteren Kategorie gehörte das „Eröffnungsspiel“ der neuesten Champions League-Saison. Die Münchner mussten nach Piräus – keine leichte Aufgabe, so scheiterten doch in jüngerer Vergangenheit häufiger Teams gegen den griechischen Dauermeister Olympiakos.

Und auch die Bayern hatten so ihre Probleme, zumindest relativ gesehen. Nach vorne ging praktisch nichts, es mangelte an diesem Abend an Kreativität und mehr. Bis zur 52. Minute.
In Deutschland benutzt man für solche Momente gerne den Begriff Dosenöffner. Wenn das Tor von Thomas Müller ein Dosenöffner war, dann war es Großmutters alter, verrosteter Dosenöffner. Ein in die Jahre gekommenes, völlig sinnlos scheinendes Gerät, dessen Funktion für jeden Benutzer ein Rätsel bleibt – außer für die Großmutter selbst.

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Aus Gründen der Höflichkeit vermeiden wir es nun, Thomas Müller als Großmutter zu bezeichnen. Und es wäre auch ignorant zu behaupten, dass nur Müller ein solches Tor erzielen könnte. Es gab schon häufiger missratene Flanken, die perfekt in den Winkel eingeschlagen sind. Und trotzdem, dieses Tor war einfach typisch Müller.

Ein Spieler, dessen Bewegungen so elegant sind wie Donald Trumps Lösungsvorschläge zur Flüchtlingsthematik. Ein Mann, dessen Gesundheit bei unerwarteten Bewegungen so gefährdet scheint wie bei der Großmutter, wenn sie im Sprint den Bus zu erreichen versucht. Nicht nur, dass ein solcher Typ wie Müller keineswegs überrascht, wenn er so ein Tor erzielt. Der Weilheimer Maschine des Unorthodoxen würde man es sogar glauben, wenn er im Nachhinein von Absicht spricht.

Ein echtes Kacktor, erzielt vom Spieler, mit dem man in dieser Kategorie immer rechnen muss.

Das Foto des Jahres

Drama, Schlägereien, Gerichtsprozesse – man hat schon viel erlebt als Fan des FC Bayern. Doch was sich Anfang Februar 2015 abspielte, war zuvor unerreicht und wird es auch hoffentlich noch lange bleiben. Eine gesamte Fangemeinde sah sich ihrer Unschuld (oder was davon noch übrig war) beraubt.

Der Täter? Mitchell Weiser. Die Tatwaffe? Ein Tanga, dessen spärliche Existenz nur wenig der Fantasie überließ.

Während Mittäter David Alaba schon seit seinem von Justin Bieber inspirierten Sangesversuch in den bayrischen Olymp des zweifelhaften Geschmacks aufgestiegen ist – ganz vorne hier übrigens die Unterhosen von Franck Ribery und die Frisur von Alain Sutter, die aus 99% Wollust und 1% Haar bestand – so war Mitch Weiser doch eine Überraschung. So waren bis dahin weder seine Frisuren noch seine Selfies relevant genug, um einen Platz an der Sonne zu sichern.

Dieses Foto hingegen war ein donnernder Erfolg, der nicht nur die Hose Pep Guardiolas platzen ließ. Bis heute unterbewertet ist übrigens die Kraft des Tanga-Selfies. So spielte Weiser bis dahin in mehr als drei Jahren gerade einmal 10 Bundesligaspiele (427 Minuten), in den elf Monaten seitdem hingegen schon 22 Spiele (1.630 Minuten). Doch nicht nur Weiser wurde vom launigen Geist des Tangas berührt. Der positive Einfluss auf Weiser wurde finanziert durch die Opfergabe David Alabas. Der Österreicher hatte in seiner Karriere bis dahin gerade einmal alle 38 Tage ein Spiel verpasst. Seit „Tangagate“ muss er alle 15 Tage aussetzen.

Wir werden gespannt verfolgen, ob sich nach dem durchschlagenden Erfolg noch weitere Jungspieler für den Tangatrick entscheiden. Uns kann inzwischen nichts mehr schockieren, denn Mitchell Weiser hat im Februar 2015 die – und dieses Wort ist bewusst gewählt – Messlatte sehr weit nach oben gesetzt.

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