EM 2024: Der DFB-Kader im großen Check

Justin Trenner 08.06.2024

Ein 0:0 gegen die Ukraine mit guter Leistung. Ein knapper 2:1-Erfolg gegen Griechenland mit durchwachsener Leistung. Das DFB-Team hat weder enttäuscht, noch große Euphorie verbreitet.

Vor dem Start der Europameisterschaft am kommenden Freitag gegen Schottland hat Julian Nagelsmann bekanntgegeben, wie sein 26-köpfiger Kader aussieht. Alexander Nübel musste etwas überraschend abreisen.

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Der Bundestrainer wich also von seiner Idee ab, vier Torhüter mitzunehmen und entschied sich schließlich für all seine Feldspieler, die er dabei hatte. Doch wie gut ist Deutschland mit diesem Kader für die Heim-EM gerüstet? Wir machen den großen Check.

Torhüter: Ein unerwartetes Problem im DFB-Kader?

Von Sophia

  • Verfügbare Spieler: Manuel Neuer, Marc-André ter Stegen, Oliver Baumann
  • Taktisch: Nagelsmann braucht für seine Spielweise einen aktiven Torhüter, der bei Kontersituationen des Gegners auch mal aggressiv nach vorn verteidigen kann. Auch im Aufbauspiel sind Sicherheit und progressive Ballverteilung wichtig.

Als Julian Nagelsmann seinen vorläufigen EM-Kader bekannt gab, herrschte erstmal bei vielen Verwunderung und das nicht etwa, weil ein unerwarteter Name auf der Liste zu finden war. Vier Torhüter, das war eine echte Überraschung. Bisher schafften es immer nur drei Torhüter in das Aufgebot des DFB.

Sicherlich würde aus dem Quartett noch einer gestrichen. Eine Annahme, die der Cheftrainer prompt verneinte und im Anschluss argumentierte, dass es bei der Nominierung von Manuel Neuer, Marc-André ter Stegen, Alexander Nübel und Oliver Baumann vor allem um gesteigerte Trainingsqualität und Belastungssteuerung ginge.

Letztendlich kam es doch anders. Vier zwischen den Pfosten ist einer zu viel. Nübel, der maßgeblich beteiligt war am überraschenden Aufschwung des VfB Stuttgart, kann nun doch seinen geplanten Safari-Urlaub antreten. Zweifel, wer als Nummer Eins zwischen den Pfosten stehen wird, gab es jedoch nie.

Neuer ist die klare Eins

Schon im März verdeutlichte Nagelsmann, dass Neuer für diese Rolle fest eingeplant sei. Keine echte Überraschung, schließlich stand Neuer seit der Weltmeisterschaft 2010 bei allen großen Turnieren im Tor der Nationalmannschaft. Dennoch enttäuschte diese Nachricht ter Stegen, wie er in der ZDF-Doku „Heimvorteil“ verriet. In Spanien eine feste Größe, in Deutschland nur zweite Geige: Trotz seiner guten Leistungen wird dem Schlussmann des FC Barcelona, solange nichts unvorhergesehenes geschieht, nur die Rolle des Zuschauers bleiben.

Bei Neuer gab es zuletzt mehrfach große Fragezeichen. Gegen Madrid und in den Testspielen des DFB patzte er. Wackler sollten dennoch nicht das Ansehen des fünfmaligen Welttorhüters beeinflussen. Gerade wegen seiner mitspielenden Art gibt Neuer der Mannschaft als Bonus-Verteidiger Sicherheit und Vertrauen. Der Weltmeister von 2014 strahlt ein unschlagbares Attribut aus, welches kein anderer DFB-Keeper nachweisen kann: Natürliche Autorität.

Baumann, der noch keinen Länderspieleinsatz vorweisen kann, erreichte mit der TSG Hoffenheim das europäische Geschäft. Als Kapitän zeigte er sich routiniert und fungierte als wichtige Stütze für seine Mannschaft, als diese schwankte. Einsätze sind für ihn aber noch unwahrscheinlicher.

Abwehr: Fragezeichen auf hohem Niveau

Von Jakob

  • Verfügbare Spieler: Antonio Rüdiger, Jonathan Tah, Nico Schlotterbeck, Robin Koch, Waldemar Anton, Joshua Kimmich, Maximilian Mittelstädt, David Raum, Benjamin Henrichs
  • Taktisch: Nagelsmann setzt klar auf eine Viererkette. Die beiden Innenverteidiger sollen gemeinsam mit Kroos das Spiel aufbauen, Kimmich agiert als Rechtsverteidiger etwas tiefer in der Aufbauphase, um das Mittelfeld zu unterstützen. Der Linksverteidiger soll hoch schieben, sodass der Linksaußen ins Zentrum einrücken kann. Damit soll der Gegner in die Breite gezogen werden, wodurch sich Räume für Wirtz und Musiala ergeben können.

Mit Rüdiger und Tah hat Nagelsmann sein Innenverteidiger-Duo bereits gefunden. Tah, der bei Bayer Leverkusen die Saison seines Lebens spielte, und der frischgebackene Champions-League-Sieger Rüdiger performen in dieser Saison auf allerhöchstem Niveau. Sie überzeugen mit ihrer Zweikampf- und Kopfballstärke sowie mit ihrer enormen Schnelligkeit und Wucht.

Denn gerade bei schnellen Kontern wie im Testspiel gegen die Ukraine zeigte sich die Nationalmannschaft immer wieder verwundbar. Auch wenn das Innenverteidiger-Duo auf dem Papier keine großen Schwächen hat, lauert die Gefahr immer wieder in möglichen Unaufmerksamkeiten. Sowohl Tah als auch Rüdiger streuten in ihrer Karriere immer wieder den ein oder anderen haarsträubenden Fehler in wichtigen K.-o.-Spielen ein.

Mit Koch, Anton und Schlotterbeck ist man in der Innenverteidigung zusätzlich sehr breit aufgestellt und hat für mögliche Verletzungen oder Sperren sehr gut vorgesorgt. Dennoch sorgte die Nichtberücksichtigung von Mats Hummels, trotz zuletzt starker Leistungen, für viele Diskussionen. Vor allem Kochs Nominierung zeigt auch Nagelsmanns Blick in die Zukunft.

Im Testspiel gegen die Ukraine zeigten die Innenverteidiger Anton und Koch eine extrem aufmerksame Defensivleistung und konnten immer wieder mit starken Aufbaupässen überzeugen. Auf der Rechtsverteidiger-Position gilt Kimmich als gesetzt. Er kann dort mit seinem soliden Gesamtpaket überzeugen, wird jedoch gerade in K.-o.-Spielen gegen schnelle Außenstürmer deutliche Geschwindigkeitsnachteile aufweisen.

Die linke Defensivseite wird aller Voraussicht nach Mittelstädt mit viel Offensivdrang beackern dürfen. Auch bei ihm stellt sich die Frage der defensiven Stabilität, gerade gegen die großen Nationen Europas. Mit den Leipzigern Raum und Henrichs kann hier jedoch auch positionsgetreu nachgelegt werden.

Mittelfeld: Toni Kroos hebt das Niveau im DFB-Kader

Von Justin

  • Verfügbare Spieler: Toni Kroos, Robert Andrich, Pascal Groß, Aleksandar Pavlović
  • Taktisch: Julian Nagelsmann ließ zuletzt mit einer klaren Doppelsechs spielen – sowohl defensiv als auch offensiv. Zur Offensive kommen wir weiter unten, wir fokussieren uns hier auf die beiden defensiveren Positionen im Mittelfeld. In der Regel setzte der Bundestrainer hier auf einen Abräumer und einen Spielgestalter.

Seit der Rückkehr von Kroos sind die Rollen im DFB-Mittelfeld klar verteilt. Nagelsmann verzichtete auf die ganz großen Experimente und somit auch darauf, zwei Spielgestalter nebeneinander aufzustellen. Als Kroos noch aktiv war, spielte er immer mal wieder mit Joshua Kimmich oder Ilkay Gündogan auf der Doppelsechs. Das ging allerdings nicht auf, weil sie sich in ihren Bewegungen zu ähnlich und/oder defensiv nicht stabil genug waren.

Also baut Nagelsmann auf Andrich. Das Duo funktionierte in den vergangenen Partien gut bis sehr gut. Kroos kann seine favorisierte Position als links abkippender Sechser ausüben, während Andrich ihm im Zentrum den Rücken freihält und gleichzeitig einfache Aufgaben im Spielaufbau souverän übernimmt. Kroos passt auch gut zu Nagelsmanns präferierten Aufbaustrukturen.

Kippt er halblinks heraus, bildet sich eine Dreierkette. Oft lassen sich der Zehner oder ein Flügelspieler dann etwas fallen und es entsteht ein 3-2-Aufbau. Steht Kroos etwas höher, rückt Kimmich von der rechten Seite auch mal ein und es entsteht die aus München bekannte 2-3-Staffelung. Der Aufbau hat mit Kroos enorm an Flexibilität gewonnen. Es ist schwerer geworden, Deutschland zu pressen.

Mit Andrich ist auch defensiv Stabilität dazugekommen, wenngleich gerade bei Ballverlusten noch Probleme zu erkennen sind. So konnte die Ukraine mehrfach blitzschnell durch das Mittelfeldzentrum kontern. Das gilt es bis zur EM zu verbessern.

Mit Groß und Pavlović hat man zwar zwei gute Ersatzspieler auf der Bank, doch fällt einer der beiden Stammspieler aus, könnte sich das Niveau signifikant verändern. Allein schon deshalb, weil es für beide Sechser keinen richtigen Eins-zu-eins-Ersatz gibt. Kimmich und Gündogan sind zwei weitere Optionen für das Mittelfeld, wenngleich sie woanders eingeplant werden.

Offensive: DFB-Kader bietet dem Bundestrainer das nötige Werkzeug

Von Justin

  • Verfügbare Spieler: Ilkay Gündogan, Chris Führich, Jamal Musiala, Leroy Sané, Florian Wirtz, Thomas Müller, Maximilian Beier, Niclas Füllkrug, Kai Havertz, Deniz Undav
  • Taktisch: Vier Positionen sind im System von Nagelsmann zu besetzen. Von einer offensiven 3-1-Staffelung bis hin zum 2-2 haben wir zuletzt einiges gesehen. Flexibilität, Tiefe, Dynamik und Kombinationsstärke scheinen Plan A zu sein. Plan B ist wohl ein verstärktes Flankenspiel mit anschließendem Gegenpressing.

Im Prinzip hat Nagelsmann alles, was man für eine gut funktionierende Offensive benötigt: Tempo, Kombinationsstärke, Eins-gegen-eins-Spieler, Strategen, Freigeister, Pressingspieler und einen Wandspieler mit guten Kopfballqualitäten.

Teil von Plan A sind wohl Wirtz, Musiala, Gündogan und Havertz. Eine sehr dynamische Offensive, die sich größtenteils gefunden hat und in den Testspielen mehrfach unter Beweis stellte, dass sie auch gegen tiefstehende Gegner Lösungen finden können. Gerade Musiala und Wirtz sind als Halbraumspieler extrem wichtig für den Erfolg bei der EM. Sie sorgen für Momente der Unberechenbarkeit und können Dynamik in statische Situationen bringen.

Havertz wird hierzulande gern kritisiert. Seine Qualitäten liegen im Positions- und Kombinationsspiel. Hinzu kommt, dass er ein gutes Gespür dafür hat, sich selbst in gefährliche Abschlusssituationen zu bringen. Das Problem liegt eher darin, dass er nicht so klinisch vor dem Tor ist wie ein Top-Stürmer.

Ein weiteres Problem ist Gündogan. Sicher nicht in dem Ausmaß, wie es gern dargestellt wird, aber es ist zu spüren, dass er nicht hundertprozentig in die Rolle als Verbindungsspieler im offensiven Zentrum passt. Gündogan ist eher ein Achter als ein Schattenstürmer oder Zehner. Lösungen hätte Nagelsmann mit Führich oder Sané auf der Bank. Dadurch gäbe es auf einer Seite mehr Flügelfokus und Wirtz oder Musiala übernehmen im Zentrum. Nur setzt der Bundestrainer seinen Kapitän auf die Bank?

Für Plan B hat Nagelsmann mit Füllkrug einen sehr starken Stürmer auf der Bank, der sowohl im Kombinationsspiel solide ist als auch in der Wandspieler-Rolle überzeugen kann. Braucht Deutschland einen Kopfballspieler, ist er die beste Wahl.

Müller, Beier und Undav hingegen werden wohl Speziallösungen sein. Spieler, die für besondere Situationen gebraucht werden. Beier und Undav sind hervorragende Einwechselspieler, die Tempo und Dynamik in ein eingeschlafenes Spiel bringen können und immer in der Lage sind, sich Chancen zu erarbeiten. Müller ist eine gute Alternative, wenn Spiele über die Zeit gebracht werden müssen oder seine Läufe gebraucht werden, um einen tiefen Riegel zu knacken.

Alles in allem hat Nagelsmann hier einen hervorragenden Werkzeugkasten.

DFB-Kader: Wie sieht die EM-Elf aus?

Wie sieht die erste Elf also aus? Wahrscheinlich wird Nagelsmann auf das setzen, was sich zuletzt bewährt hat: Neuer im Tor, davor Kimmich, Tah, Rüdiger und Mittelstädt. Im Mittelfeld Kroos und Andrich, im Angriff Wirtz, Musiala, Gündogan und Havertz. Auch in unserer WhatsApp-Community sind sich die Fans einig, dass das die beste Formation ist – fast!

Denn Kapitän Gündogan hat bei unserer Umfrage keinen Startelfplatz bekommen. Geht es nach unseren User*innen, rückt Sané in die Startelf. So sieht eure Elf aus:

Übrigens: Mehr als drei Viertel der Befragten haben Nagelsmann für den Kader die Note 1 oder 2 gegeben. 73,5 Prozent entschieden sich für die 2. Optimismus gibt es zudem bei den Turniervorhersagen.

Fast 25 Prozent glauben, dass Deutschland im Viertelfinale ausscheidet, 34 Prozent rechnen mit dem Halbfinale. Fast 30 Prozent wiederum rechnen mit dem Titelgewinn im eigenen Land! Interessant: Nur vier Prozent haben angegeben, dass das DFB-Team im Finale verlieren wird. Wenn schon im Finale, dann soll auch der Titel her.

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