Lage der Champions League: Bayerns Konkurrenz im Formcheck
Von Uli Hoeneß ist bekannt, dass der Weihnachtsmann keine Ostereier bringt. Zumal der Weihnachtsmann dem ein oder anderen Team noch neue Spieler bescheren könnte. Und doch lohnt der Blick auf die aktuelle Form und bisherige Performance der 16 verbliebenen Teams.
TIER 1: Titelkandidaten ohne Schwächen
Alles außer dem Halbfinale wäre eine Enttäuschung. Eigentlich zählt nur der Titel.
Manchester City
Bei den Buchmachern? Platz eins.
Nach Club-Elo? Platz eins.
Marktwert des Teams? Platz eins.
Falls in Pep Guardiolas Edelkader noch ein letztes Puzzlestück gefehlt hatte, dann haben die Nordengländer es mit Erling Haaland gefunden. Der junge Norweger hat in seinen ersten 17 Spielen für Manchester City bereits 23-mal getroffen. Für Pep gilt im siebten Anlauf mit City: Titel o nada.
FC Bayern München
Die stärkste Vorrundengruppe? Kein Stolperstein für Nagelsmanns Team. 18 Punkte, perfekte Runde und den FC Barcelona in die Europa League geschickt, so die Bilanz des FC Bayern.
Rekordstürmer Lewandowski abgegeben und keinen neuen Mittelstürmer gekauft? Stürmerlose Systeme und zuletzt Choupo-Moting, so die Erfolgsformel des FC Bayern, der mit 74 (sic!) Tore in 22 Pflichtspielen die mit Abstand torgefährlichste Offensive aller Spitzenteams in Europa stellt.
Nachdem zweimal im Viertelfinale Ende war, ist dieses Jahr mehr drin. Doch mit Paris Saint-Germain wartet ein denkbar schwerer Achtelfinalgegner.
TIER 2: Sehr stark, aber froh, dass der Titel erst nächstes Jahr vergeben wird
Diese Teams gehören zu den stärksten in Europa – nicht zuletzt finden sich hier drei der vergangenen vier Titelträger. Dennoch scheint aktuell keines davon in Titelform zu sein.
Real Madrid
Real Madrid spielt eine gute Saison. In LaLiga sind sie ungeschlagen. In der Champions League verloren sie nur das relativ unbedeutende Auswärtsspiel in Leipzig und schlossen die Vorrunde dadurch als siebtbestes Team nach Punkten ab. “Ballon d’Or”-Gewinner Karim Benzema wartet noch auf sein erstes Saisontor in der Champions League.
Real hat keine gravierenden Probleme, fällt im Vergleich zum Top-Duo aber aber etwas ab.
Sie werden sich steigern müssen, um erneut um den Titel mitzuspielen. Können sie sich steigern? Casemiro ist weg, Kroos wird im Frühjahr 33 Jahre alt sein, Benzema 35, Modric 37. Zwar rücken mit Vinicius, Valverde, Tchouaméni und Co. junge Stars nach, ob jene in Punkto Killerinstinkt mit den alten Königen mithalten können, muss sich jedoch erst noch zeigen.
Bei aller Siegermentalität schieden die Madrider zwischen den beiden Titeln 2018 und 2022 auch zweimal im Achtelfinale aus. Gegen den FC Liverpool könnte die Saison erneut früh zu Ende gehen.
Paris St. Germain
Wie gefährlich Messi, Mbappé und Neymar sein können, ist bekannt. Der nicht ganz ausbalancierte Kader der Franzosen ebenso. Paris gehört zu jenen Teams, die nach der Weltmeisterschaft am aktivsten auf dem Transfermarkt sein könnten.
Der Anspruch der Pariser ist hoch. Nominell gehörten sie zu den Top-Fünf des Wettbewerbs und können um den Titel mitspielen. Wenn sie die hohe Hürde FC Bayern überspringen.
FC Liverpool
Der FC Liverpool gehört aktuell nicht zu den Top-Favoriten im Wettbewerb. Jürgen Klopps Team durchlebt eine Schwächephase und steht nur auf Platz acht in der Premier League.
Die Probleme der Reds gehen über die Ergebnisse hinaus. Vor allem defensiv drückt der Schuh. 1,6 erwartete Gegentore (xGA) in der Liga sind der mit Abstand schlechteste Wert der Ära Klopp. Im Schnitt in seiner Amtszeit lag der Schnitt bis dato bei ziemlich genau 1,0 xGA. In der Champions-League-Titel-Saison hielten sie ihre Gegner sogar bei nur 0,8 xGA. Bayernfans werden sich daran erinnern, als man unter Trainer Kovač in den beiden Spielen recht deutlich ausschied und in Summe nur ein Tor erzielte – ein Eigentor.
Offensiv scheinen die Mechanismen inzwischen besser zu greifen, nachdem zu Beginn der Saison die Umstellung von einem System mit Sadio Mané zu Darwin Núñez hakte.
Es ist Jürgen Klopps viertes Duell mit Real Madrid seit 2018. In zwei Finals sowie im Viertelfinale 2020/21 setzten sich die Spanier durch. Liverpool wird sich steigern müssen, um die Serie zu brechen.
FC Chelsea
Abramowitsch hat den Verein verkauft, und auf der Trainerposition hat Graham Potter Thomas Tuchel abgelöst, doch viele Probleme sind geblieben. Der Kader wirkt weiterhin nicht rund. Auch Aubameyang konnte die jahrelange Mittelstürmervakanz bisher nicht füllen. Havertz und Sterling helfen gelegentlich aus, so richtig passend wirkt es bei keinem der drei. Seit Eden Hazard (!) 2018/19 hat kein Spieler mehr über 20 Tore für die Londoner erzielt, der letzte Mittelstürmer, dem das Kunststück gelang, war Diego Costa 2016/17.
In der Premier League belegen sie Rang 12 nach geschossenen Toren, auch in der Champions League trafen sie nur zehnmal. Defensiv sind sie nach vielen Abgängen und in Abwesenheit des dauerverletzen Mittelfeldabräumers N’Golo Kanté weniger stabil als in den Vorjahren.
In der aktuellen Form reicht es nicht für einen weiteren Titel. Vielmehr könnte bereits Borussia Dortmund im Achtelfinale ein frühes Aus in der Champions League besiegeln.
TIER 3: Gut, aber keine Titelaspiranten
Jedes dieser Teams könnte im Viertelfinale stehen, ohne dass es eine Überraschung wäre. Fürs Finale oder gar den Titel müsste aber zu viel zusammenkommen, als es normalerweise der Fall ist.
SSC Neapel
Tore Tore Tore. Mit Offensivfußball erobert der SSC Neapel die Serie A und die Champions League.
Neuzugang Khvicha “Kvaradona” Kvaratskhelia begeistert das Publikum und sorgt für ausgebuchte Plätze auf der Scouting-Tribüne. Trotz namhafter Abgänge von Koulibaly (Chelsea), Ruiz (Paris) und des ewigen Sturmduos Insigne (Toronto) und Mertens (Galatasaray) steht das Team von Trainer Luciano Spalletti mit sechs Punkten Vorsprung an der Spitze der Serie A. Dort könnten sie am Saisonende die erste Meisterschaft seit den Zeiten Diego Maradonas feiern.
Gegen Eintracht Frankfurt sind sie im Viertelfinale favorisiert, je nach Auslosung könnte es für einen Halbfinaleinzug reichen. Der Titel in der Champions League ist nicht ihre Kragenweite.
Tottenham Hotspur
Die Nordlondoner warten seit 1961 auf einen Meistertitel und seit 1963 auf einen Europapokal. Die Wartezeit wird weitergehen. Das Team von Antonio Conte spielt auf hohem Niveau solide, aber keine europäische Spitzenklasse.
Tottenham gewinnt konstant gegen schlagbare Gegner, schafft es aber zu selten, über der eigenen Gewichtsklasse zu punkten. In der laufenden Saison holten sie in bisher vier Spielen gegen die “Big Five” der Premier League erst einen Punkt.
Insofern ist die Prognose für Tottenham einfach: Im Achtelfinale setzen sie sich als Favorit gegen den AC Mailand durch, im Viertelfinale wird aller Voraussicht nach gegen ein Top-Team Schluss sein.
Borussia Dortmund
Mentalitätstrainer Edin Terzić ist zurück im Westphalenstadion. Und die Borussen spielen wieder wie ein Terzić-Team. Viel Mentalität und Energie, wenig Kreativität und spielerische Weiterentwicklung. Offensiv fehlt noch eine Lösung für die Post-Haaland-Zeit. In der Bundesliga kreieren sie nur 1,6 xG pro Spiel (Rang 6). Von dreizehn Bundesligaspielen gewannen sie nur drei mit mehr als einem Tor Vorsprung (zum Vergleich: RBL 5, Bayern 7). Auch in der Champions League sind sie nur so hoch gesprungen wie sie es mussten. Ihre neun Vorrunden-Punkte sind die wenigsten aller Achtelfinalisten.
Gleichzeitig traut man es Edin Terzićs Team jederzeit zu, sich in einen Lauf zu spielen, vor allem in K.O.-Runden. Im DFB-Pokal überzeugten die Borussen unter Terzić mit sieben Siegen aus sieben Spielen. Von zehn Terzić-Spielen in der Champions League gingen zwar drei verloren, diese jedoch alle gegen Manchester City. Mit anderen Worten: Gegen Teams, die nicht Manchester City sind, hat Borussia Dortmund unter Terzić noch kein Pokal- oder Champions-League-Spiel verloren.
Chelsea ist Favorit, aber Dortmund hat das Potential, sich gegen Chelsea durchzusetzen.
RB Leipzig
Nach einem Fehlstart in die Saison zeigen die Flügel wieder nach oben, seit Marco Rose das Traineramt übernommen hat.
Christopher Nkunkus zukünftige Ablöse steigt im Wochenrhythmus. Er kann sich im Sommer einen neuen Verein aussuchen. Bis dahin hat er die Chance, in der Champions League weiter für Furore zu sorgen.
Mit ihrem energetischen und aggressiven Pressing ist Leipzig für jeden Gegner gefährlich. Wie bereits 2020 unter Trainer Nagelsmann hätte Leipzig das Potential für einen überraschenden Lauf. Hätte. Träfen sie im Achtelfinale nicht auf Manchester City und den Ex-Salzburger Erling Haaland.
Benfica
Vor der Saison verkauften die Portugiesen unter anderen Darwin Núñez und Julian Weigl. Ihr wichtigster Neuzugang: Trainer Roger Schmidt.
Bisher funktioniert der Schmidtsche Fußball in Perfektion. In der portugiesischen Liga ist Benfica souveräner Tabellenführer mit 34:6 Toren, die Champions League schlossen sie vor Paris St. Germain und Juventus Turin verdient auf Platz eins ab.
Wäre es nicht Benfica, die seit Gründung der Champions League 1994 zum 17. Mal dabei sind und nie das Halbfinale erreichten, man müsste mit ihnen rechnen. Gegen Brügge sind sie klarer Favorit. Mit etwas Los- oder Spielglück kann danach der lang ersehnte Einzug in die Runde der letzten vier gelingen.
FC Porto
Im ewigen Duell der beiden portugiesischen Rivalen ist der FC Porto aktuell etwas schwächer einzuschätzen als die Hauptstädter.
Anders als Benfica sorgt Porto immer wieder für Achtungserfolge in der K.O.-Runde. 2019 setzten sie sich im Achtelfinale gegen den AS Rom durch, bevor der spätere Sieger Liverpool im Viertelfinale eine Nummer zu groß war. 2021 das gleiche Spiel: Weiterkommen gegen Juventus Turin, gefolgt vom Aus gegen den späteren Sieger Chelsea.
Im Achtelfinale treffen sie auf Inter Mailand. Und könnten erneut der Stolperstein für ein italienisches Team sein. Mehr als das Viertelfinale wäre jedoch eine große Überraschung.
Besonders im Blick steht der in der Schweiz geborene 23-jährige portugiesische Torhüter Diogo Costa. Costa gilt als einer der besten jungen Torhüter Europas. Der FC Bayern sollte seine Scouts in die portugiesische Hafenstadt schicken.
TIER 4: Endstation Achtelfinale, es sei denn…
Das Erreichen des Achtelfinals ist ein Erfolg und normalerweise das Höchste der Gefühle. Doch die Achtelfinalgegner – keines jener Teams trifft auf einen Topfavoriten – erlauben es zu träumen.
Inter Mailand
In der Gruppe des FC Bayern qualifizierte sich Inter Mailand vor dem FC Barcelona. Das alleine zeugt für eine gewisse Qualität. Gleichzeitig wurden in den beiden Spielen gegn den FC Bayern auch die Grenzen aufgezeigt. In der Serie A stehen sie aktuell auf Platz sieben. Stümerstar Lukaku schwankt zwischen Verletzung und Formkrise und steht damit sinnbildlich für Inter. Von der Weltklasse sind sie zu weit entfernt.
Ein Ausscheiden gegen den FC Porto wäre nicht überraschend.
AC Mailand
Von 1989 bis 2007 gewannen sie fünfmal die Champions League bzw. den Vorläufer Landesmeisterpokal. In dieser Zeit warfen sie den FC Bayern je einmal im Achtel-, Viertel- und Halbfinale aus dem Wettbewerb. Vom einstigen Glanz ist die Mannschaft weit entfernt, trotz des Meistertitels in der abgelaufenen Saison.
Die Mannschaft hat ein Gerüst von jungen Leistungsträgern. Die sechs Spieler mit der meisten Einsatzzeit sind alle 25 oder jünger: Rafael Leão (23), Lucas’ Bruder Theo Hernández (25), Fikayo Tomori (24), Sandro Tonali (22), Ismaël Bennacer (24) und Pierre Kalulu (22).
Milan kann wachsen, braucht aber noch Zeit. Dieses Jahr kommt zu früh für nennenswerte Erfolge auf internationalem Parkett.
Eintracht Frankfurt
Das Team für emotionale Pokal-Momente. Aktuell läuft das Sequel zum Europa-League-Märchen. Der Einzug ins Achtelfinale war in einer sehr ausgeglichenen Gruppe keine echte Sensation.
Spielerisch hat sich die Eintracht dieses Jahr weiterentwickelt und spielt endlich so, wie Trainer Glasner es sehen will. Das Team hat sich vom reaktiven Umschaltstil gelöst und überzeugt auch im Ballbesitz. Die Neuzugänge Mario Götze und vor allem Randal Kolo Mouani machen es möglich. Etwas unbeachtet davon haben auch Spieler wie Kamada und Lindstrøm nochmal einen Sprung nach vorne gemacht.
Mit den Fans im Rücken kann die Eintracht auch oberhalb ihrer Kampfklasse mithalten. Sie ist ein gefährlicher Gegner für Neapel.
FC Brügge
Wer hätte zu Beginn der Gruppenphase damit gerechnet, dass Brügge sich vor Atlético Madrid und Bayer Leverkusen fürs Achtelfinale qualifiziert?
Im zehnten Versuch schaffen die Belgier es erstmals, in der Champions League zu überwintern. Damit sollte für den Underdog das Maximum erreicht sein. Die Buchmacher geben ihnen trotz des Loses Benfica eine 23%-Chance aufs Viertelfinale. Vermutlich ist selbst diese noch zu hoch gegriffen.