Miasanrot-Awards 2022/2023: FC Bayern – Team der Saison
Bescheiden, vorsichtig und immer den Fokus auf den Moment gerichtet – so erlebten wir Alexander Straus im November, als er in einem Interview über seine Pläne und die Ziele des FC Bayern München sprach. Damals lagen die Frauen in der Bundesliga fünf Punkte hinter dem VfL Wolfsburg, die wiederum alle Spiele gewannen. Auch deshalb war eine gewisse Vorsicht zu erkennen.
Wenige Monate nach seiner Übernahme war jedoch schon absehbar, dass sich die Bayern unter ihm in die richtige Richtung entwickeln. „Kontrolle“ ist eines der Worte, das der Norweger fast schon mantraartig über die Saison hinweg verwendet hat. „Prozess“ ist ein weiteres. „Wir haben hier eine sehr gute Basis für diesen großen Prozess, in dem wir uns aktuell befinden“, sagte der Trainer damals im Gespräch mit Miasanrot.de.
Ballbesitz, Ruhe, Kontrolle, Kompaktheit mit und ohne Ball – das beschreibt ganz gut, wohin sich die Bayern in dieser Saison entwickelt haben. Dass es bereits zum Start dieses Prozesses zum Meistertitel reichen würde, hätte kaum jemand erwartet – auch die Bayern selbst nicht. Das Gesamtpaket ist es, das das Erreichte besonders macht. Einerseits der mutige Schritt, mit Straus einen neuen Trainer zu verpflichten, der hierzulande noch nicht sehr bekannt war. Auf der anderen Seite die herausragende Rückrunde, die zum Gewinn der Bundesliga führte.
FC Bayern München: Aufholjagd als Team
Wolfsburg trotz fünf Punkten Rückstand noch kurz vor dem Ende zu stürzen, ist eine starke Leistung. Bayern hat es geschafft, den Druck auf die in den vergangenen Jahren oft übermächtigen Konkurrentinnen ständig aufrecht zu erhalten.
Auch an der Entwicklung der Einzelspielerinnen lässt sich die Leistung des gesamten Teams gut ablesen. Linda Dallmann spielte bis zu ihrer Verletzung die vielleicht konstanteste Saison seit Jahren. Das Dreiermittelfeld mit Neuzugang Georgia Stanway, Sarah Zadrazil und Lina Magull reifte zu einem der besten Trios in Europa. Auch Glódis Perla Viggósdóttir hat einen enormen Sprung gemacht. Im Vorjahr war sie noch fehleranfällig und inkonstant, in der abgelaufenen Saison die unangefochtene Abwehrchefin.
Mit Carolin Simon gibt es eine weitere Spielerin, die enorm vom Trainerwechsel profitiert hat. Die Linksverteidigerin verpasste zwar Teile der Saison, aber wenn sie fit war, zeigte sie stets gute Leistungen. In 16 Bundesliga-Partien war sie an 15 Treffern direkt beteiligt. Gerade weil Bayern sich deutlich mehr darauf fokussiert, den Ball zu halten und das Tempo ein wenig zu reduzieren, kommen ihre Schwächen in den Umschaltmomenten nicht mehr so zum Tragen. Stattdessen profitiert das Team von Simons Qualitäten im Pass- und Positionsspiel.
FC Bayern München: Junge Spielerinnen profitieren von Alexander Straus
Straus hat eine gute Balance gefunden. An den richtigen Stellen hat er Mut bewiesen, junge Spielerinnen wie Franziska Kett oder allen voran Mala Grohs gefördert. Letztere war nicht fehlerfrei, wird in der Bewertung manchmal noch etwas überhöht. Um es bei den Bayern mittel- und langfristig zu schaffen, muss sie gerade bei hohen Bällen stärker werden.
Doch statt nach der Rückkehr von der erfahrenen Laura Benkarth das zu tun, was vielleicht viele getan hätten, vertraute er Grohs. Die 22-Jährige dankte es vor allem in der Champions League mit einigen starken Paraden.
Gleichzeitig bleibt die Königinnenklasse ebenso wie der DFB-Pokal ein kleiner Stimmungsdämpfer. In den Pokalwettbewerben schaffte man es zu selten, sich auf das Niveau der ganz Großen zu strecken. Das kann auch das Highlightspiel in der Allianz Arena gegen den FC Barcelona nicht überdecken. Im Viertelfinale war der FC Arsenal trotz einiger Ausfälle schlicht zu stark für die Münchnerinnen. Und so verdient man den VfL Wolfsburg in der Bundesliga schlug, so verdient war auch das abermals deutliche Aus im DFB-Pokal.
Blick nach vorn: FC Bayern bald einer der Großen?
Trotzdem: Diese Saison soll ein Anfang sein. Für einen solchen ist der Gewinn der Meisterschaft kaum hoch genug einzustufen. Dass die Bayern jetzt anders als vor zwei Jahren oben bleiben wollen, haben sie mit den ersten Neuverpflichtungen für die kommende Saison unterstrichen.
Pernille Harder, Magdalena Eriksson und Samantha Kerr – zwei gestandene Weltklassespielerinnen und eine talentierte Schottin, die ähnlich wie Stanway durchstarten könnte, wenn sie ihr Potenzial komplett entfaltet. Natürlich wird auch Wolfsburg zum Gegenschlag ausholen. Doch die Bayern zeigen jetzt auch auf dem Transfermarkt, was sie vorhaben.
Die kommende Saison wird deshalb richtungsweisend. Es wird darum gehen, den Erfolg aus der diesjährigen nicht nur zu bestätigen, sondern darüber hinaus auch in Pokal und Champions League die nächsten Schritte zu gehen. Denn auch wenn mit Straus eine gewisse Bescheidenheit eingekehrt ist, so lebt der Norweger auch ein gesundes Selbstbewusstsein vor. Der Anspruch der Bayern ist es, sich auch bei den Frauen ganz oben festzubeißen.