Bayern Munich's Spanish head coach Pep Guardiola lifts the trophy as he and his players celebrate winning the German Cup (DFB Pokal) final football match Bayern Munich vs Borussia Dortmund at the Olympic stadium in Berlin on May 21, 2016. / AFP / ODD ANDERSEN

Analyse: Pokalfinale FC Bayern – Borussia Dortmund 4:3 i.E. (0:0)

Christopher Trenner 21.05.2016

Vor der Partie kanalisierte sich viel auf Pep Guardiola, aber auf Mats Hummels der nach der Saison zum FC Bayern zurück kehrt. Völlig ungeachtet blieb daher leider der taktische Aspekt, der über weite Teilen die Partie prägte.

Falls Ihr es verpasst habt:

Beim FC Bayern gab es einige Überraschungen in der Aufstellung. Hintergrund waren die beiden verletzten Spanier, Javi Martinez und Xabi Alonso. Beide waren angeschlagen und konnten beim Bundesliga-Abschluss gegen Hannover 96 nicht spielen. Etwa 24 Stunden vor Anpfiff stellte sich zudem heraus, dass auch Mario Götze nicht mitwirken konnte.

Pep Guardiola setzte daher auf eine 4-1-4-1-Grundordnung, Kimmich übernahm die Rolle in der Innenverteidigung neben Jerome Boateng.

FC Bayern vs. Borussia Dortmund, 21. Mai 2016 GrundformationenFC Bayern vs. Borussia Dortmund, Grundformationen

Vidal spielte alleine auf der Sechserposition, Thiago und Müller als Achter, Ribery auf dem linken Flügel und Costa als invertierter Stürmer auf der Robben-Position. Das Sturmzentrum wurde wie erwartet besetzt von Lewandowski.

Auch Thomas Tuchel machte vor dem Anpfiff ein Geheimnis um die Aufstellung. Am Ende entschied sich der Trainer von Borussia Dortmund für die konservative Variante. Eine Fünferkette mit Hummels, Bender und Sokratis im Abwehrzentrum. Weigl und Castro positionierten sich sehr variabel auf der Sechserposition. Mkhitaryan agierte vornehmlich über die rechte Angriffsseite, Reus auf der gegenüberliegenden. Im Sturmzentrum natürlich Aubameyang.

Die Partie begann zunächst abwartend. Die Dortmunder spielten zwar Pressing, beschränkten sich aber auf maximal zwei bis drei Spieler. Dardurch konnten die Münchner gut aufbauen, aber durch das dichte Abwehrzentrum gepaart mit der Zentrumsfokussierung der Dortmunder wurden die Spieler des FC Bayern früh auf die Außen gelenkt. Dort bleiben bekanntlich weniger Anspielmöglichkeiten und Optionen das Spiel zu gestalten. Im Regelfall suchten die Münchner daher den Sicherheitspass. Risikominimierung stand im Vordergrund, Chancen blieben deshalb Mangelware.

In der Anfangsphase verfehlte ein Fernschuss von Müller knapp das Gehäuse (4.), auf der Gegenseite waren es immer wieder gefährliche Konteransätze die Aubameyang, Reus und Mkhitaryan durch ihre Schnelligkeit Gefahr brachten. Eingeleitet wurden diese Szenen durch Ballverluste der Münchner, gepaart mit klugem Umspielen des Pressings der Dortmunder. Diese Szenen waren zwar selten, zeigten aber immer wieder den Ansatz der Dortmunder: Gut stehen und durch schnelles Umschalten zu Torchancen zu gelangen.

Gefährlich wurde es daher fast schon zwangsläufig nur durch Standardsituationen. Auf Seiten der Münchner war es nach einem Eckball Müller (22.), auf der gegenüberliegenden Spielhälfte war es Bender (43.) der nach einem Freistoß fast zum Abschluss gekommen wäre. Ansonsten blieb es bei Ansätzen, iIm Fokus stand durchaus die Taktik. Der BVB wechselte phasenweise auf eine Viererkette. Dann schob Bender ins Mittelfeld, um den Spielaufbau im Mittelfeld etwas anzukurbeln. Allerdings öffneten sich so Räume für die Münchner und Tuchel stellte folgerichtig zurück auf die Fünferkette um.

Am Ende der ersten Halbzeit nahm die Intensität der Partie deutlich zu. Nach einem Gerangel um den Ball im Mittelfeld griff Ribery deutlich in das Gesicht von Castro. Über einen Platzverweis hätte sich der routinierte Franzose nicht beschweren dürfen, beide Spieler sahen die gelbe Karte. Wenig später holte sich auch Kimmich eine Verwarnung ab.

Ohne personelle Wechsel ging es aus der Kabine. Taktisch ergaben sich aber einige neue Angriffsmuster bei den Münchnern: Sie versuchten in den ersten 10 – 15 Minuten nach Wiederanpfiff immer wieder den rechten Flügel zu überladen. Das gelang, weil Müller sich mehr in Richtung Außenbahn orientierte und so die Ketten der Dortmunder auseinanderzog. Begünstigt wurde die besten Minuten im Spiel der Münchner durch viele individuelle Fehler der Dortmunder im Aufbau, allen voran in Person von Hummels, Weigl und Schmelzer. Die Folge waren scharfe Zuspiele in den Rücken der Abwehr, die aber allesamt ungenutzt blieben.

Ein weiterer Faktor im Spiel der Münchner waren Zuspiele in den Raum hinter die Abwehr. Durch das starke Herausrücken einzelner Spieler in der Fünferkette ergab sich immer wieder Unordnung in der Abwehrlinie, die diese nicht mehr so gut halten konnte. In einer Szene konnte so Müller alleine aufs Tor zulaufen, wurde aber noch von Hummels abgefangen bzw. am Abschluss gestört. So ergab sich eine Schusschance für Lewandowski, die dieser aber nicht nutzen konnte (64.).

Die Münchner übernahmen mit zunehmender Dauer der Partie die Spielkontrolle. Nach 90 Minuten gelangten sie bei 67% an. Begünstigt auch durch einen angeschlagenen Schmelzer und Hummels, beide mussten das Spielfeld verletzt verlassen. Für sie kamen Durm und Ginter. Thomas Tuchel nutzte die Chance und reagierte auf den zunehmenden Bayerndruck und stellte auf ein 5-4-1 um, wurde also noch defensiver im Vergleich zur Grundformation. Reus und Mkhitaryan sollten auf den Flügeln gegen Costa und Ribery unterstützen. Diese Umstellung brachte dem BVB mehr Sicherheit und eröffnete durch Ballgewinne Konterchancen. Die größte Torgelegenheit des Spiels vergab bei einer dieser Möglichkeiten Aubameyang (85.), der völlig frei eine halbflache Hereingabe nicht verwerten konnte. Den zwar optisch überlegenen Münchnern gelang es in 90 Minuten nicht, die Gelegenheiten zu nutzen, die der BVB Mitte der zweiten Halbzeit angeboten hatte und so durfte man sich letztendlich bei Aubameyang bedanken, der den Konter nicht verwertete.

(Bild: Boris Streubel / Bongarts / Getty Images)
(Bild: Boris Streubel / Bongarts / Getty Images)

So ging es zum fünften Mal nach einem 0:0 in die Verlängerung in einem Finale des DFB-Pokals. Die Münchner hatten hier den Vorteil noch keinen personellen Wechsel vollzogen zu haben, änderten aber ihr Vorgehen. Im Zentrum standen fortan eher Zentrumsangriffe über Müller, Ribery und Costa. Vor allem die beiden Flügelspieler agierten nun viel zentraler und liefen zum Teil mit ordentlich Tempo auf die letzte Linie von Borussia Dortmund. Über dieses Muster kam Lewandowski zu einer Möglichkeit, doch dessen Schuss wurde von Durm abgeblockt (93.). Auf der Gegenseite war es bei der Mannschaft von Tuchel wieder das Lauern auf die eine Konterchance. Diese bekam Mkhitaryan, als Boateng einen langen Ball unglücklich abwehrte. Der Schuss aus spitzem Winkel verfehlte aber das Tor und das lange Bein von Aubameyang, der am langen Pfosten nicht an die Kugel kam.

Die letzte Pause nutzte Tuchel für den dritten Wechsel: Kagawa kam für Castro. Pep Guardiola hatte bis dato noch nicht gewechselt. Erst in der 108. Minute musste Ribery das Feld verlassen, für ihn kam Kingsley Coman. Die Spieler beider Mannschaften waren zunehmend gezeichnet von der Partie. Krampfbedingte Unterbrechungen häuften sich nun immer mehr. Ein Spielfluss in dem Sinne war nicht mehr vorhanden. Es wirkte als seien beide Mannschaften mit einem Elfmeterschießen einverstanden.

Elfmeterschießen

0:1 Kagawa verwandelt zentral
1:1 Vidal verwandelt halbhoch links
1:1 Bender verschießt zentral gegen Neuer
2:1 Lewandowski verwandelt links unten
2:1 Sokratis verschießt links
2:1 Kimmich verschießt zentral
2:2 Aubameyang trifft zentral oben
3:2 Müller trifft links oben
3:3 Reus trifft links oben
4:3 Costa trifft rechts halbhoch

(Bild: ODD ANDERSEN/AFP/Getty Images)
Der FC Bayern bejubelt den Sieg im Elfmeterschießen
(Bild: ODD ANDERSEN/AFP/Getty Images)

Die Münchner gewannen also im Elfmeterschießen und feierten den Pokalerfolg gegen Borussia Dortmund. Nicht unerwähnt bleiben sollen die Bilder nach dem Spiel: Die des in Tränen aufgelösten Pep Guardiola, der sich bei jedem einzelnen Spieler emotional bedankte. Ein großer Abschied eines großen Trainers.

3 Dinge, die auffielen:

1. Defensive gewinnt Titel

Beide Mannschaften scheuten das große Risiko. Der BVB mit zunehmenden Spielverlauf sicherlich noch mehr als der FC Bayern, doch beide Teams gingen nicht auf’s Ganze. Tuchels Fünferkette nahm den Flügelfokus der Bayern über weite Strecken der Partie gut aus dem Spiel. Die Münchner erspielten sich nur wenige Chancen. Durch die flexible Interpretation von Sokratis und Bender gab es in brenzligen Situationen in den den wichtigen Räumen Überzahl Situationen. Sokratis gewann 59% der Zweikämpfe und überzeugte in den entscheidenen Szenen. Hätte er nicht den Elfmeter vergeben, der Grieche wäre höchstwahrscheinlich Spieler des Spiels geworden.

Auf der Gegenseite waren es Kimmich und Boateng, die sich in ihrem ersten gemeinsamen Spiel blind verstanden. Beide bügelten in brenzligen Situationen ihre gegenseitigen Fehler wieder aus. Hinzu kommen 73% gewonnene Zweikämpfe bei Kimmich und sogar 100% von Jerome Boateng. Den Münchnern gelang es in 120 Minuten, gegen die stärkste Offensive der Bundesliga nur zwei Torchancen zuzulassen. Insgesamt kam der BVB nur auf neun Torschüsse. Eine Topquote – für den FC Bayern. Auch hier gilt: Hätte Kimmich seinen Strafstoß getroffen, wäre wohl er der Star dieser Partie geworden.

Das Spiel stand unter dem bekannten Motto: “Offensive gewinnt Spiele, Defensive gewinnt Titel!”. Am Ende konnten beide Mannschaften keine Lücke in die gegnerischen Verteidigungslinien reißen und so entschied man einmal mehr das Elfmeterschießen. Die “expected goals” lagen mit 0,8:0,7 leicht zugunsten der Münchner. Schon dieser Wert zeigt, wo in diesem Spiel der Fokus lag.

2. Nervenstärke beim Elfmeterschießen

Die Geschichte des FC Bayern und dem Elfmeterschießen ist eine Besondere. Nicht erst seit dem Finale 2001, sondern auch davor und danach. Im Gegensatz zum Halbfinale 2015 gegen den BVB war die Mannschaft von Pep Guardiola besonders nervenstark. Lediglich Kimmich leistete sich einen Ausfall. Die restlichen Schützen verwandelten allesamt souverän. Besonders bei Thomas Müller war dies bemerkenswert, stand er doch nach seinem Fehlschuss gegen Atletico Madrid etwas in der Kritik. Interessant war das lange Warten von Bürki beim Schuss von Müller, der die Verzögerntaktik vom Stammschützen der letzten Jahre auch durchschaut hat. In diesem knappen Finale, waren die diesmal sehr abgezockt vorgetragenen Schüsse der Münchner am Ende die Entscheidung. Die Mannschaft, die Pep Guardiola übergibt, hat sich auf eine neue Stufe gehoben: Spielerisch hervorragend, abgezockt und nervenstark.

3. Willenskraft und Moral

Spätestens ab der 60 Minute war das Spiel weniger geprägt von Taktik, sondern viel mehr von Willenskraft und Moral. Die Münchner liefen über einen längeren Zeitraum unermüdlich an, obwohl die Kontergefahr stets gegeben war. Pep Guardiola trieb seine Mannschaft bis ans Äußerste. Die Auswechselung von Ribery sprach hierfür Bände. Costa, Müller und besagter Ribery liefen immer wieder an, um die Lücke im BVB-Zentrum zu finden.

Aber auch der BVB hatte unter diesem ‘Abnutzungskampf’ zu leiden. Hummels und Schmelzer mussten früh das Spielfeld verlassen und auch Aubameyang, Reus und Mkhitaryan litten spürbar unter den vielen Defensivaufgaben. Angriffe konnten nicht mehr bis ins Letzte vorgetragen werden. Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob ein ausgeruhter Aubameyang den Treffer in der 85. Minute gemacht hätte, oder Mkhitaryan überlegter agiert hätte in der Verlängerung.

Der FC Bayern raffte sich nach dem Ausscheiden gegen Atlético Madrid nochmals auf und holte erneut das Double. Es war die Krönung für eine über weite Strecken überragende Saison.

FC BAYERN – BORUSSIA DORTMUND 4:3 i.E. (0:0/0:0)
FC Bayern Neuer – Lahm, Kimmich, Boateng, Alaba – Vidal, Thiago – Costa, Müller, Ribéry (108. Coman) – Lewandowski
Bank Ulreich, Benatia, Rafinha, Alonso, Bernat, Rode
BVB Bürki – Piszczek, Sokratis, Bender, Hummels (78. Ginter), Schmelzer (70. Durm) – Weigl – Castro (106. Kagawa), Mkhitaryan – Reus, Aubameyang
Bank Weidenfeller, Pulisic, Sahin, Ramos
Tore Elfmeterschießen: 0:1 Kagawa, 1:1 Vidal, Bender verschießt, 2:1 Lewandowski, Sokratis verschießt, Kimmich verschießt, 2:2 Aubameyang, 3:2 Müller, 3:3 Reus, 4:3 Costa
Karten Gelb: Ribéry, Kimmich, Vidal, Müller / Castro, Hummels
Schiedsrichter Marco Fritz (Korb)
Zuschauer 74.322 (ausverkauft)