Miasanrot-Roundtable zum letzten Bundesliga-Spieltag
Keine Erinnerungen
Wo warst du, als die Herren des FC Bayern das letzte Mal nicht Meister wurden?
Katrin: Hundertprozentig kann ich es nicht sagen, aber gefühlt war ich an dem Abend in meiner Lieblingsbar in Jakarta und fand es irgendwie blöd, dass Bayern nicht Deutscher Meister wird, aber andererseits war ich so auf das Champions-League-Finale fokussiert, dass ich dachte: na gut, wir gewinnen die Meisterschaft nicht, aber dafür die Champions League. Zuhause! Was gibt es Besseres? Oh well…
Daniel: De facto war ich in einer Kneipe, denn nach dem 1:0 des BVBs gegen die Bayern am 30. Spieltag war das Ding durch. Da hatte Christian Nerlinger einfach Recht. Damals enttäuscht war ich sicherlich, aber so schlimm war das nicht. Nachdem Schweinsteiger das Ding im Bernabeu zwei Wochen später versenkt hatte, war einem die Bundesliga völlig egal. Man ging damals ja einfach davon aus, die Champions League geht an die Bayern. Die war viel, viel, viel mehr wert als so eine schnöder Meisterteller, da durfte der BVB sich auch ruhig noch ein Jahr deutscher Meister schimpfen. Tjaja.
Maurice: Ich muss ehrlich gestehen, dass ich absolut keine Erinnerung an den 34. Spieltag 2012 habe. Jürgen Klopp mit der Schale auf dem Borsigplatz habe ich wohl erfolgreich aus meinem Gedächtnis verdrängt.
Georg: Ich habe gerade nachgeschaut und tatsächlich überhaupt keine Erinnerung an den damaligen 4:1-Sieg in Köln, durch den die Geißböcke auf Platz 17 in der Tabelle rutschten und direkt abstiegen. Umso minutiöser kann ich mich ans von Daniel angesprochene Finale dahoam erinnern, das ich in München verbrachte. Aber lassen wir das.
Der letzte Strohhalm
Was lässt dich daran glauben, dass das Team am Samstag doch noch die Salatschüssel in den Konfettiregen stemmen wird?
Georg: Mathematik. Wettanbieter und Prognosemodelle wie FiveThirtyEight und Goalimpact geben dem FC Bayern im Schnitt noch eine 17-prozentige Chance auf den Titel. Das ist ungefähr so wahrscheinlich, wie mit einem Würfel im ersten Versuch eine Sechs zu würfeln. Erfahrene “Mensch ärgere Dich nicht”-Spieler wissen: Das kommt vor.
Maurice: Dig deep… von den letzten fünf Spielen der Mainzer in Dortmund holten die 05er in drei Partien zumindest ein Unentschieden. In Köln spielt Bayern überraschend stabil. Die letzten acht Begegnungen in der Domstadt wurden gewonnen. Unter anderem das letzte Duell in der Saison 2012 als Dortmund Meister wurde… Gut, lassen wir das.
Daniel: Nix, das Ding ist durch. Ich trau dem BVB ja viel Dummes zu. Keine Mentalität haben die trotz dieser Rückrunde. Ich hätte ihnen durchaus zugetraut, das Ding gegen einen VfB Stuttgart noch zu verbaseln, aber Mainz 05? Die sind durch mit der Saison. Nach einer halben Stunde wird es 3:0 stehen. Ich sagte es am Samstag, ich sage es heute und ich muss es dann auch diesen Samstag sagen: Gratulation nach Dortmund.
Katrin: Da bin ich ganz bei Daniel. Das ist gelaufen. Dortmund wird das nicht mehr verspielen. Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Und wenn es doch so kommen sollte, dass sie es nicht schaffen, gegen Mainz zu gewinnen, müsste Bayern ja immer noch gegen Köln gewinnen. Das will ich auch erstmal sehen. Von daher: Das wird nichts mehr.
Potenzial für notwendige Veränderungen
Welche positiven Aspekte würden sich aus einer titellosen Saison für den Rekordmeister ziehen lassen?
Maurice: Der einzige Lichtblick aus meiner Sicht ist, dass man mit de Ligt den zentralen Spieler für die Verteidigung in den nächsten Jahren gefunden hat. Der Niederländer bestach nach Anfangsschwierigkeiten durch konstante Topleistungen. Einzelne Highlights lieferte er in der Champions League ab, besonders im Achtelfinale gegen Paris, als er die Brandmauer gegen die französische Offensive war. Auch im Aufbauspiel ist de Ligt eine wichtige Größe, wobei er hier noch entsprechendes Potential hat. Doch trotz aller niederländischer Klasse, konnte er alleine die wackelige Defensive der Münchner nicht retten. Die Rückkehr von Lucas sollte hier hoffentlich zur weiteren Stabilisierung beitragen. Mittelfristig wird sich Tuchel dann entscheiden müssen, ob er, wie zuletzt, mit zwei klassischen Außenverteidigern oder, wie Nagelsmann oft, mit Pavard als verkappter Dreierkette agieren wird. Auch eine echte Dreierkette wäre eine Option, die Tuchel in Chelsea häufig anwand.
Louisa: Ich stimme Maurice in Bezug auf Mathijs als Ligtblick zu. Zudem bin ich der Meinung, dass Krisen durchaus Potenzial für notwendige Veränderungen oder sogar Neuausrichtungen haben und schonungslos aufzeigen können, welche bislang funktionierenden Mechanismen, Rollen, Vorstellungen – you name it – einer Anpassung bedürfen. Ganz ehrlich: Es wird die Fanherzen schmerzen, doch finde ich es persönlich gar nicht schlecht, dass auch der FC Bayern mal ins Straucheln gerät. Das entmystifiziert die Annahme und Erwartungshaltung, dass die Spieler (auch in neuen Zusammensetzungen) Saison für Saison konstant auf absolutem Top-Niveau spielen müssen.
Daniel: In der Führungsriege wird aufgeräumt werden. Ich liebte Oli Kahn als Spieler, schätzte ihn als Experten und war für seine Funktionärsrückkehr zum FC Bayern. Aber offensichtlich haben sich alle, auch ich, verschätzt. Brazzo wollte ich seit dem ersten Sportdirektor-Tag wieder gehen sehen. Vereinzelte gute Transfers änderten meine Meinung nicht. Ich hoffe, er rettet sich nicht. Hainer wird das wohl leider schaffen, aber auch er sollte gehen.
Ich habe es schon tausend Mal gesagt und werde nicht müde, es auch ein tausenderstes Mal zu sagen: Die Entlassung Nagelsmanns war einfach ein absoluter Griff ins Klo. Hätte man damals nicht machen dürfen. Diese titellose Saison wird allen Bayern-Verantwortlichen davon abraten, in Zukunft zu früh Trainer zu schassen.
Kahn, Brazzo und Hainer sind mit der Entlassung zu dem damaligen Zeitpunkt all in gegangen und stehen nun mit leeren Händen da. All or nothing. Sie bekamen nothing. Sie sollten fortan auch nothing zu sagen haben. Im besten Fall alle drei.
Katrin: Dass der FC Bayern mal keinen Titel gewinnt… geschenkt. Kann passieren. Mir gefällt nur nicht die Art und Weise, wie es passiert ist. Auch hier stimme ich Daniel zu: die unsägliche Nagelsmann-Entlassung war der turning point. Danach war so viel Unruhe drin, dass es nur noch bergab ging. Hätte der FC Bayern mit Nagelsmann auch eine titellose Saison gehabt? Das Schlimme ist: Man weiß es einfach nicht. Vielleicht hätte die Mannschaft unter Nagelsmann auch alle Titel verspielt. Aber dadurch, dass Hainer, Kahn und Brazzo ihn vorzeitig gefeuert haben, haben sie sich selbst verwundbar und zur Zielscheibe gemacht. Das müssen sie jetzt ausbaden. Eine titellose Saison ist also insofern positiv, als dass man die Führungsriege endlich kritisch hinterfragt.
Eins, zwei oder drei?
Final Call: Wieviele Meistertitel holt der FC Bayern an diesem Wochenende? Keinen, einen oder beide?
Maurice: Weiter, immer weiter. Ich gehe all-in und tippe mit meinem letzten Optimismus: Beide!
Louisa: Einen.
Georg: Einfach weil die Pointe zu köstlich wäre: zwei.
Katrin: Um jetzt einfach mal die letzte Alternative anzubringen: keinen.