6:0! FC Bayern stimmt sich auf das Saisonfinale ein
Es ist kaum zu glauben, aber zwischen September 2007 und November 2009 verlor der FC Schalke keines seiner drei Spiele in der Allianz Arena. Doch diese Tage, in denen Gelsenkirchen mit dem Rekordmeister in einer Gewichtsklasse boxte, sind lange vorbei. Den letzten Punktgewinn von Königsblau in München gab es 2017, das letzte Tor 2019. Auch dieses Jahr kamen die Schalker aus dem Abstiegskampf als Underdog in die Allianz-Arena. Nach den letzten schwächeren Wochen der Münchner nicht jedoch ohne Hoffnung auf einen Sensationserfolg.
Falls ihr es verpasst habt
Die Aufstellung
Vor dem Spiel war vor allem die Frage, ob Tuchel erneut der in letzter Zeit schwachen Doppelsechs aus Kimmich und Goretzka vertrauen würde. Doch bei der Rückkehr von seiner Gelbsperre saß Goretzka zunächst auf der Bank. Bayern startete daher im 4-1-4-1 mit Musiala und Müller vor dem alleinigen Sechser Kimmich. Auch der wiedergenesene Upamecano saß zunächst auf der Bank. Dadurch spielte Pavard innen, während Cancelo und Mazraoui auf den Außen spielten.
Schalke startete mit drei Neuen im Vergleich zum letzten Wochenende. So saß Terodde nur auf der Bank. Frey als alleinige Spitze und Bülter bildeten die Offensivfraktion. Letztere Entscheidung sollte sich für Trainer Reis rächen, da sich der im Abstiegskampf so wichtige Bülter bei einem Foul gegen Mazraoui seine fünfte gelbe Karte holte und daher am nächsten Spieltag fehlen wird.
1. Halbzeit
Die Münchner in ihrer offensiven Ausrichtung starteten energisch in die Partie. Die Gäste ließen die Elf von Tuchel bis etwa dreißig Meter vor das Tor kommen, um dann die Ketten zu verengen und die bayerischen Angriffsbemühungen zu ersticken.
In der zehnten Minute kamen die Bayern durch ein seltenes Dribbling von Müller auf die hinterste Linie, doch gleich vier Münchner vermochten den Ball nicht durch die Vielzahl der Schalker Beine zu fädeln. Am Ende scheiterte Coman an Schwolow.
Den Schalker Keeper sah man in den nächsten Minuten immer häufiger schimpfen, da seine Mitspieler die Münchner nun immer häufiger in gefährliche Situationen kommen ließen. Musiala vergab aus bester Position (17.).
Folgerichtig gingen die Hausherren in der 21. Minute in Führung – und natürlich war es Müller. Der Ur-Bayer leitete den Angriff über rechts selbst ein. Seinen Pass ließ Musiala smart durch, wo Sané zurücklegte auf den Torschützen, der mit Links flach ins lange Toreck abschloss.
Nach 25 Minuten lag Musiala plötzlich im Strafraum. Zuvor hatte sich der Dribbelkünstler durch vier Schalker getanzt. Sein Solo wurde erst durch einen Rempler von Brunner beendet. Nach langer Behandlungs- und VAR-Pause entschied Schiedsrichter Schröder auf Elfmeter. Den Ball schnappten sich weder Kapitän Müller noch der letzte Schütze Gnabry, sondern etwas überraschend Kimmich. Sein Schuss schlug trocken rechts unten ein (29.). Es war sein erster Elfmeter in der Bundesliga.
Die Münchner dominierten die letzte Viertelstunde vor der Pause. Eine Minute vor der Halbzeit verpasste Gnabry per Kopf die wohl beste Gelegenheit, um den Vorsprung auszubauen. So blieb es beim 2:0.
2. Halbzeit
Die Bayern gingen ohne Wechsel in den zweiten Durchgang und behielten auch ihre Lust am Spiel bei. Zunächst verzog Coman aus der Distanz noch deutlich (47.), doch Gnabry machte es gleich besser. Nach Vorlage von Cancelo wackelte der Nationalstürmer drei Verteidiger aus und traf im dritten Spiel in Folge (50.).
Es sollte die Vorentscheidung gewesen sein. In der Folge spielte Bayern dominant, aber nicht mit letzter Konsequenz. Nach einem Dribbling von Coman vergab Müller das 4:0 (60.). Erneut machte es Gnabry besser. Einen langen Freistoß der Schalker klärte Pavard und Gnabry sprintete nach einem Fehler Yoshidas über den ganzen Platz, bevor er überlegt abschloss (65.). Mit seinem 13. Saisontor übernahm er den ersten Rang in der vereinsinternen Torjägerliste.
Tuchel brachte nach einer Stunde mit Gravenbech den heimlichen Gewinner der letzten Wochen und den vielleicht einzigen Verlierer am heutigen Tag. Für ihn ging Coman. Zehn Minuten später kamen Goretzka und Tel. Kurz vor Schluss durfte Upamecano noch sein Comeback nach Verletzung feiern.
Der eingewechselte Jungstürmer sorgte auch für den nächsten Treffer. Der heute ebenfalls verbesserte Musiala spielte einen starken Schnittstellenpass gegen den Lauf auf Tel in den Strafraum. Der Franzose bewies mit einem überlegten Abschluss erneut seine Treffsicherheit (80.). Ein Kopfballtreffer von Goretzka wurde zurecht wegen Abseits nicht gegeben (87.).
In der 93. Minute machte Mazraoui mit seinem ersten Treffer im Bayern-Dress das halbe Dutzend voll. Die starke Vorlage zum Endstand kam vom eingewechselten Mané.
Mit dem 6:0 feiern die Bayern ihren deutlichsten Erfolg unter Tuchel. Erst zum zweiten Mal unter Tuchel gelangen mindestens vier Tore. Erst zum dritten Mal unter Tuchel blieb man ohne Gegentor.
Dinge, die auffielen
1. Die beste erste Hälfte unter Tuchel
Der FC Bayern empfängt den Fünfzehnten der Tabelle. Was in der Vergangenheit oft eine klare Angelegenheit war, wurde in diesem Jahr oft zum zähen Ringen. Besonders in den letzten Spielen unter Tuchel ließen die Münchner ihre Überlegenheit und die damit einhergehende Leichtigkeit vermissen. Ein frühes Tor, das Patentrezept der letzten Jahre, wollte nicht fallen. Wobei die Bayern auch nur selten gefährliche Situationen kreierten.
Dies war am heutigen Samstagnachmittag anders. Von Beginn an wirkten die Münchner fokussiert und zielstrebig. Die Worte von Tuchel am Vortag hallten den Spielern wohl noch im Kopf nach: „Wir wollen dem Spiel unseren Stempel aufdrücken und das auf unsere Seite ziehen.“
Nach den ersten 45 Minuten wies aws für die Bayern 1,84 expected Goals aus. Ein Wert, den die Münchner in drei der letzten vier Spiele über 90 Minuten kaum erreichten.
2. Müller spielt (ab sofort) immer?
Natürlich war Thomas Müller die meistdiskutierte Personalie der letzten Wochen. In den letzten fünf Pflichtspielen der Bayern wurde der Kapitän von Tuchel vier Mal nur eingewechselt und saß zudem auch in beiden Champions-League-Partien lediglich auf der Bank. Normalerweise übersteht kein Bayern-Trainer diese Taktik langfristig.
Und so ließ auch Neu-Münchner Tuchel gegen Schalke mal wieder den Ur-Münchner Müller von Beginn an auflaufen. Dafür saß Sadio Mané nach drei eher ernüchternden Startelfeinsätzen in Folge wieder auf der Bank.
Natürlich lieferte Müller an diesem Nachmittag sein vielleicht bestes Spiel der Saison ab. Der 33-Jährige belebte das Münchner Offensivspiel extrem. Mit, wenn auch nicht zwingend wegen, ihm kehrte eine gewisse Leichtigkeit und Flexibilität in den Bayern-Angriff zurück. Im auf Attacke ausgerichteten 4-1-4-1 tauschte er häufig die Positionen mit Musiala, Sané und Gnabry. Zudem wurde seine rechte Seite durch einen starken Mazraoui unterstützt.
Das 1:0 durch Müller war dafür ein perfektes Beispiel. Der 121-fache Nationalspieler zogmit Mazraoui die Schalker Defensive nach rechts. Sein Pass in die Mitte wurde von Musiala intelligent durchgelassen, so dass Sané sehr zentral in Aktion kam. Anstatt auf seiner Flügelposition zu verweilen, war Müller in den Rückraum gelaufen, wo er nun von Sané angespielt wurde. Mindestens ein Positionswechsel und ein Überraschungsmoment für die Schalker zu viel.
Es wird spannend zu sehen sein, ob sich Tuchel traut, gegen den Tabellendritten Leipzig nächste Woche eine ähnlich offensive Ausrichtung auf das Feld zu bringen. Mit einem Gnabry in Torlaune und einem Müller in dieser Verfassung scheint dies fast die erfolgversprechendste Ausrichtung.
3. Mit Vibes von 2019 zum Titel
Einen echten Meisterschaftskampf durften die Fans in Fußball-Deutschland schon länger nicht mehr erleben. Letztmals in der Kovac-Saison 2018/19. Wenig überraschend gibt es heute auch Parallelen zu damals.
Auch damals ging es für die Bayern mit zwei Punkten Vorsprung in den 32. Spieltag. Auch damals ging es gegen einen Abstiegskandidaten – nämlich Hannover 96. Auch damals spielte Bayern souverän und gewann deutlich mit 3:1. Auch damals hieß der nächste Gegner Leipzig – und der sollte zum Stolperstein werden. Aufgrund eines hochemotionalen Saisonabschlusses gegen Frankfurt sollte es für Kovac dennoch zum Meistertitel reichen.
Es wird spannend, wie es dieses Jahr für die Bayern laufen wird. Der FC Schalke war am heutigen Tag kein Gradmesser sondern ein Aufbaugegner. Doch vielleicht war das Spiel genau dafür extrem wichtig. Auch wenn es zuletzt so aussah, das Fußballspielen können so viele Ausnahmekönner doch nicht verlernen – aber das Münchner Selbstverständnis hat gefehlt. Nach heute sieht das anders aus.
Gemeinsam mit einer lautstarken Kurve im Rücken geht es dann nächste Woche zum Showdown um die Meisterschaft. Pack ma’s.