Merci, Coco: Corentin Tolisso und der FC Bayern gehen getrennte Wege
Er kam im Sommer 2017 für die Rekordsumme von 41,5 Mio. Euro von Olympique Lyon an die Säbener Straße, als Wunschspieler des damaligen Trainers Carlo Ancelotti: Corentin „Coco“ Tolisso, der in Lyon sowohl im offensiven als auch im defensiven Mittelfeld eingesetzt wurde, und in der Saison vor seinem Wechsel in 47 Pflichtspielen 14 Tore und sieben Assist für sich verbuchen konnte.
Kurz nach seiner Vertragsunterzeichnung veröffentlichte der Franzose auf Instagram ein Foto, in dem er als Kind zu sehen ist – im Bayern-Trikot. Dazu schrieb er: „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum.“ Und als er bereits bei seiner Bundesliga-Premiere im Spiel gegen Bayer Leverkusen sein erstes Tor für die Bayern erzielte, sah es ganz so aus, als wäre dies der Beginn eines wunderschönen Fußballmärchens.
Tatsächlich kam Tolisso in einer guten ersten Saison beim Rekordmeister auf zehn Tore und sieben Vorlagen in 40 Pflichtspielen; wenige Wochen später wurde er mit der französischen Nationalmannschaft Weltmeister. Beim 4:2-Finalsieg der Franzosen gegen Kroatien wurde er in der 73. Minute eingewechselt.
Im September 2018 jedoch begann Tolissos Pechsträhne. Beim Bundesliga-Spiel gegen Bayer Leverkusen musste der frischgebackene Weltmeister in der 38. Minute verletzt ausgewechselt werden. Nach einem unglücklichen Zweikampf konnte er nur mit Hilfe von medizinischen Betreuern den Platz verlassen. Die befürchtete Diagnose bestätigte sich noch am gleichen Abend: Kreuzband- und Außenmeniskusriss, und somit mindestens ein halbes Jahr Zwangspause.
Die Leiden des jungen Tolissos
Als Tolisso von den Ärzten endlich grünes Licht bekam, wieder im Teamtraining einzusteigen, waren sechs Monate vergangen. Seine Rückkehr gestaltete sich jedoch als schwierig, denn obwohl Coco körperlich auf dem Wege der Besserung war, schien er im Kopf noch blockiert. Dies bestätigte auch der damalige Trainer Niko Kovac, als er auf die Trainingsabbrüche Tolissos angesprochen wurde: „Er ist sehr sensibilisiert. Nach jedem Zweikampf, in dem er das Knie spürt, bekommt er einen Schreck. Aber das ist normal.“
Der Zeitpunkt seines Comebacks wiederum hätte besser nicht sein können. Beim DFB-Pokalfinale gegen Leipzig, 251 Tage nach seiner Verletzung, stand Tolisso das erste Mal wieder auf dem Platz. Bayern gewann 3:0, und am Ende des Abends konnte der sympathische Franzose abermals einen Pokal in die Höhe stemmen. Es bestand berechtigte Hoffnung, dass er nun richtig durchstarten konnte.
Doch es sollte nicht sein. Weitere Verletzungen und Blessuren warfen Tolisso immer wieder zurück: neben immer wiederkehrenden muskulären Problemen und einer Operation am Knöchel erkrankte der Franzose auch zweimal an Corona und fiel somit häufig aus. Jedes Mal, wenn es wieder aufwärts ging, erlitt er einen neuen Rückschlag. Das strengt nicht nur den Körper, sondern auch die Seele an.
In den Phasen, in denen Tolisso einigermaßen fit war und auf dem Platz stand, zeigte er, warum man ihn einst geholt hatte: als körperlich präsenter Spieler sorgte er im Mittelfeldzentrum oft für Ordnung und strahlte dabei auch Torgefahr aus. In Erinnerung geblieben sind seine Tore im Champions-League-Achtelfinalrückspiel gegen den FC Chelsea im August 2020 – zwei Wochen später machte der FC Bayern den Titelgewinn perfekt, Tolisso wurde in der Schlussphase eingewechselt – und der Distanzschuss aus 25 Metern, ebenfalls in der Champions League gegen Atlético Madrid, das von den Fans zum Tor des Monats gekürt wurde.
Im Februar folgte der nächste Schock: ein Sehnenriss, den sich Tolisso im Training zuzog, und eine erneute lange Verletzungspause. Hansi Flick bemerkte, dass die nicht endende Leidensgeschichte des Spielers „fast schon eine Tragödie“ sei: „Wir sind alle geschockt.“
Noch einmal rappelte sich Tolisso auf, arbeitete hart an seinem Comeback – als wollte er es nochmal allen zeigen. Unter Julian Nagelsmann, der im Sommer 2021 bei den Bayern als Trainer übernahm, blühte Coco noch einmal richtig auf. Eindrucksvoll war besonders seine Vorstellung gegen den 1. FC Köln, in dem er seine Leistung mit einem Traumtor krönte. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Beinahe so, als könnte man sich nur unter Vorbehalt für ihn freuen, als würde man bei zu viel Optimismus die nächste Verletzung herbeibeschwören.
Im April erlitt Tolisso einen Muskelfaserriss im Oberschenkel beim Spiel gegen den SC Freiburg. Sein Gesicht sprach Bände: wütend, enttäuscht, und vor allem verzweifelt. Nagelsmann sagte nach dem Spiel, dass Coco „am Boden zerstört war“ und „fertig mit der Welt“ sei. Wer mag es ihm verdenken – zu diesem Zeitpunkt konnte man fast nichts anderes sagen als „es tut mir so leid.“
Unwürdiger Abschied?
Die Zukunft noch im Ungewissen, beendete Tolisso die Saison als Deutscher Meister (das fünfte Mal für ihn). Schon in den letzten beiden Jahren war er als möglicher Abgang gehandelt worden. Eine Sensation war es deswegen sicher nicht, aber nach den Entwicklungen der vergangenen Monate vielleicht doch ein wenig überraschend, als der FC Bayern in der letzten Woche endgültig Tolissos Weggang verkündete. Der Franzose verlässt die Bayern ablösefrei.
Nur kurze Zeit später sorgte ein Interview mit Tolisso in L’Equipe für Aufsehen. Er sei enttäuscht gewesen, wie die Verantwortlichen mit ihm umgegangen seien: während Niklas Süle beim letzten Heimspiel gebührend verabschiedet wurde, hatte Tolisso freiwillig darauf verzichtet – da er noch mitten in Vertragsverhandlungen steckte. Während Nagelsmann ihn wohl halten wollte, entschieden sich die Bayern-Bosse am Ende gegen eine Verlängerung.
Eine Entscheidung, die er durchaus verstehe, wie Tolisso betonte. Was er jedoch nicht begreifen konnte, war die mangelnde Kommunikation von Vereinsseite und die Tatsache, dass man sich wochenlang nicht bei ihm meldete. Erst auf Rückfrage seines Beraters wurde er darüber informiert, dass er sich nun doch nach einem anderen Verein umsehen möge.
Tolisso ist nicht der einzige Spieler, der der Vereinsführung in den vergangenen Wochen und Monaten mangelndes Feingefühl und eine schlichtweg katastrophale Kommunikation zum Vorwurf machte. Sportlich ist vieles nachvollziehbar, auch die Entscheidung, den Franzosen aufgrund seiner hohen Verletzungsanfälligkeit ziehen zu lassen. Auf menschlicher Ebene allerdings lässt vieles zu wünschen übrig. Das Mia-san-mia-Gefühl, mit dem sich die Bayern so gerne rühmen, scheint langsam aber sicher zu verpuffen.
Was bleibt? 118 Pflichtspiele, 21 Tore, 15 Vorlagen. Die Liste der Titel und Trophäen, die der Franzose in seinen fünf Jahren beim FC Bayern gewinnen konnte, ist lang: Champions-League-Sieger, FIFA-Klub-Weltmeister, UEFA-Super-Cup-Sieger, fünfmaliger Deutscher Meister, zweimaliger DFB-Pokalgewinner sowie viermaliger im DFL-Supercup. Hinzu gewann er 2018 mit der französischen Nationalmannschaft den WM-Titel in Russland, drei Jahre später die UEFA Nations League.
Und trotzdem – Tolissos Verletzungshistorie ist gefühlt länger als seine Auszeichnungen, seine Zeit beim FC Bayern wirkt wie ein unerfülltes Versprechen. Er ist einer dieser Spieler, bei denen man sich fragt, wie viel weiter er es hätte bringen können, wäre er nicht so oft von Verletzungen zurückgeworfen worden; bei denen man ahnt, dass die Antwort darauf lautet: sehr, sehr weit.
Momentan ist noch nicht bekannt, wohin sein Weg ihn führen wird. Vielleicht schafft es Tolisso bei seinem neuen Verein, verletzungsfrei zu bleiben und konstant auf hohem Niveau zu spielen. Wir wünschen es ihm von ganzem Herzen und sagen, vielen Dank für die letzten fünf Jahre, Coco, und weiterhin viel Erfolg!